Nachricht | Arbeit / Gewerkschaften - Südostasien - Corona-Krise Kambodschanische Textilindustrie hart von Covid-19 getroffen

Textilarbeiter*innen und Gewerkschafter*innen berichten über ihre Situation

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Yon Sineat,

Arbeiterinnen und Arbeiter in Bekleidungsfabriken tragen Gesichtsmasken, wenn sie am Ende ihrer Arbeitsschicht die Fabrik verlassen. (Phnom Penh, Kambodscha, 20. März 2020) AP Photo/Heng Sinith/picture alliance

Die Coronavirus-Pandemie hat die kambodschanische Wirtschaft von Beginn an hart getroffen. Vor allem in der Textil- und Bekleidungsindustrie und im Tourismus verlieren nun viele Menschen ihre Arbeitsplätze. Diese Sektoren gelten als das Rückgrat der kambodschanischen Wirtschaft. 40 Prozent der 16 Millionen Kambodschaner*innen arbeiten in der Landwirtschaft. Die Bekleidungsbranche beschäftigt rund 850.000 Arbeitnehmer*innen und sichert vielen weiteren Menschen die Existenzgrundlage.

Die kambodschanische Journalistin Yon Sineat hat mit einigen Textilarbeiter*innen und Gewerkschafter*innen in Kambodscha über ihre Lage in der Coronakrise gesprochen:

Seak Hong, 36, arbeitet in der Horizon Outdoor Fabrik in der kambodschanischen Provinz Kampong Chnnang. Sie arbeitet sechs Tage pro Woche. «Seit der vierten Märzwoche gibt es in der Fabrik keine Überstunden mehr für die Arbeiter*innen, mich eingeschlossen, so dass wir jetzt alle um 16 Uhr die Arbeit beenden und die Fabrik verlassen», sagt sie.

Aufgrund der mangelnden Überstunden sei ihr Einkommen deutlich zurückgegangen, was ihr das Auskommen erschwere. «Ich bekomme 200 Dollar pro Monat – das ist gerade genug, um meine Rechnungen zu decken und den Kredit zurückzuzahlen, mit dem ich mein Haus renoviert habe. Wenn das länger als nur ein paar Monate so weitergeht, werde ich mit Engpässen zu kämpfen haben. Dann wird es für meine Familie schwierig, andere Ausgaben zu decken und Lebensmittel zu kaufen, da meine ganze Familie von meinem Einkommen abhängig ist.»

Die Abläufe in der Fabrik hätten sich seit dem Ausbruch von Covid-19 kaum verändert. Nach wie vor würden die Arbeiter*innen auf offenen Lastwagen zur Arbeit fahren. Manchmal drängten sich auf den Ladeflächen bis zu 100 Personen, was soziale Distanzierung unmöglich mache. Auch beim Betreten oder Verlassen der Fabrik, wenn sich die Arbeiter*innen in langen Schlangen anstellen, um sich per Daumenabdruck zu identifizieren, sei es schwierig, Abstand zu halten.

«Nach den ersten Infektionen in Kambodscha versuchte die Fabrik während der ersten Woche noch, die Körpertemperatur der Arbeiter*innen zu messen, bevor diese zu ihren Arbeitsstationen gingen. Das hat aber nicht wirklich funktioniert, da hier etwa 8.000 Personen arbeiten», sagt Hong. «Daraufhin änderten sie ihr Vorgehen und messen die Körpertemperatur jetzt erst, wenn alle an ihrem Platz sind und arbeiten.»

Ähnlich sieht es in der Dilink-Fabrik am Rande von Phnom Penh aus. Hier erhalten Arbeiter*innen, deren Arbeitsverträge auslaufen, keine Verlängerung ihrer Verträge mehr. Die ausschließliche Vergabe von Kurzzeitverträgen für 3 bis 6 Monate gehört zu der von Gewerkschafter*innen wiederholt kritisierten traurigen Realität dieser Fabriken.

Khann Sophea, 31, arbeitet seit 12 Jahren in der Bekleidungsindustrie. Sie ist Mutter von zwei Töchtern, die bei Sopheas Eltern auf dem Land leben. Ihre Fabrik stellt Kleidung für Adidas her. Sie findet nicht, dass die Fabriken während der Coronavirus-Pandemie für die Arbeitenden sicher seien, wie es die Regierung behauptet. «Wenn wir die Fabrik betreten, laufen alle Arbeiter*innen in engen Reihen direkt nebeneinander. Wir fahren gemeinsam zur Fabrik und sitzen in der Mittagspause zusammen. Es gibt keine soziale Distanz. Wenn ein*e Arbeiter*in das Virus bekommt, kann er oder sie leicht andere anstecken.»

Sophea entschied sich, während des kambodschanischen Neujahrsfestsvom 13. bis 16. April – normalerweise die wichtigsten Feiertage des Landes – in Phnom Penh zu bleiben und zu arbeiten, anstatt ihre Familie in der Provinz zu besuchen. «Ich bin in dieser Zeit zur Arbeit gegangen, weil die Regierung Reisebeschränkungen eingeführt hatte. Sie haben gesagt, wenn ich nicht zur Arbeit gehe, bekomme ich meinen Anwesenheitsbonus nicht und müsste bei meiner Rückkehr 14 Tage in Quarantäne bleiben. Während dieser 14 Tage würde ich kein Gehalt bekommen. Daher habe ich mich gezwungen gesehen, zu bleiben und zur Arbeit zu gehen, obwohl ich meine Töchter vermisse. Zugleich brauche ich das Geld, um sie zu unterstützen – gerade jetzt, wo alles immer teurer wird.»

Der kambodschanische Premierminister Hun Sen verkündete am 7. April, dass die Khmer-Neujahrsfeiertage für dieses Jahr abgesagt seien und die Bevölkerung ihren 5-Tage-Urlaub erhielte, sobald die Pandemie vorbei sein würde. Hun Sen ging auch auf die krisenbedingten Schwierigkeiten der Bekleidungs- und Textilindustrie ein. Nachdem die Fabriken zunächst mit einem Mangel an Rohstoffen aus China zu kämpfen hatten, stornieren Bekleidungsmarken inzwischen ihre Aufträge und bezahlen nicht, was bereits bestellt wurde.

Angesichts dieser Probleme hat die Regierung entschieden, dass Arbeitnehmer*innen, deren Arbeit ausgesetzt wurde, 70 US-Dollar pro Monat erhalten, wovon 40 US-Dollar von der Regierung und 30 US-Dollar von den Arbeitgebern übernommen werden. Nach einer früheren Entscheidung sollten Arbeitnehmer*innen 60 % des Mindestlohns erhalten – inzwischen beläuft sich das Kurzarbeitsgeld jedoch nur mehr auf 40 %. Dies, so der Premierminister, sei die einzige Option: Die Arbeitgeber seien nicht in der Lage, einen höheren Anteil zu übernehmen, da viele bereits produzierte Artikel nicht exportiert werden könnten.

Zahlreiche Marken haben aufgrund der Schließung von Geschäften im Westen ihre Bestellungen in Kambodscha storniert. Große Modefirmen wie H&M, Adidas, M&S und VF haben sich zwar verpflichtet, bereits aufgegebene Bestellungen zu bezahlen, es ist jedoch ungewiss, ob und wie viele Neubestellungen eingehen werden.

Andere Unternehmen gehen drastischer vor, unter anderem C&A, ein Hauptabnehmer der kambodschanischen Textilindustrie. In einem Brief, welcher der Autorin dieses Artikels vorliegt, schreibt der niederländisch-belgisch-deutsche Modehändler: «Alle Bestellungen mit Liefertermin im März, April, Mai oder Juni 2020 werden hiermit – unabhängig von ihrem aktuellen Status oder Produktionsstand – mit sofortiger Wirkung storniert.»

Der Generalsekretär der Bekleidungshersteller-Vereinigung (Garment Manufacturers Association – GMAC), Ken Loo, äußerte gegenüber der Autorin dieses Artikels die Sorge der kambodschanischen Bekleidungsindustrie über die wahrscheinlich rigorose Kürzung zukünftiger Bestellungen. Schon jetzt  hätten die Fabriken Probleme, für vertragsgemäß ausgelieferte Bestellungen von den Markenunternehmen keine Bezahlung mehr zu erhalten. Die Zukunft der Fabriken hänge stark von der globalen Situation und den Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Pandemie ab.

Laut Ath Thorn, dem Präsidenten des kambodschanischen Gewerkschaftsbundes, nähmen Unternehmen die Pandemie zudem zum Vorwand, Arbeitnehmer*innen leichter loszuwerden. «Es gibt Fabriken, die sich Gehaltszahlungen durchaus leisten können, aber die derzeitige Situation ausnutzen», so der Gewerkschafter.

Übersetzung von Camilla Elle und Lisa Jeschke für Gegensatz Translation Collective