Nachricht | Arbeit / Gewerkschaften - Westasien - Palästina / Jordanien - Westasien im Fokus Der Streik der Lehrer*innen in Jordanien 2019

Lehrer*innengewerkschaft will in Zukunft eine größere politische Rolle spielen

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Autorin

Hanna Al-Taher,

Solidaritätskundgebung vor dem Gewerkschaftshaus in Amman am 3. Oktober 2019
Solidaritätskundgebung vor dem Gewerkschaftshaus in Amman am 3. Oktober 2019
  Yazan Mulhem (7iber)

Im Herbst 2019 blieben Jordaniens staatliche Schulen zu Beginn des Schuljahres über vier Wochen hinweg geschlossen, und der Unterricht fiel für eineinhalb Millionen Schüler*innen aus. Damit gab es kaum einen jordanischen Haushalt, der nicht betroffen war. Im bislang längsten (Gewerkschafts-) Streik der jordanischen Geschichte streikten Lehrer*innen entschlossen für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen. Insbesondere die Entschiedenheit und Geschlossenheit im Verlauf des Streiks bleiben ein Referenzpunkt für künftige politische Auseinandersetzungen. Der folgende Artikel bietet einen Überblick des Streikablaufs und ordnet den Streik der Lehrer*innen in geopolitische sowie historische Zusammenhänge ein.

Hanna Al-Taher ist Sozialwissenschaftlerin und arbeitet in Amman, Gießen und London.

Am Samstag, den 6. Oktober 2019 gegen 23 Uhr endeten die letzten Verhandlungen zwischen der Gewerkschaft Jordanischer Lehrer*innen (Jordanian Teachers Syndicate) und der Regierung. Gegen ein Uhr morgens gab der stellvertretende Gewerkschafts-Vorsitzende Nasser Al-Nawarseh bekannt, dass Gewerkschaft und Regierung eine Einigung erreicht hatten. Am 7. Oktober unterschrieben beide Seiten eine 14 Punkte umfassende Vereinbarung, und die Lehrer*innengewerkschaft beendete damit den bislang längsten Streik im öffentlichen Sektor der jordanischen Geschichte. Der Lehrbetrieb an den staatlichen Schulen wurde wieder aufgenommen, und das Schuljahr begann mit mehr als vierwöchiger Verspätung. An den jordanischen Privatschulen hatte das Schuljahr regulär begonnen, wobei auch hier das Lehrpersonal in der Vergangenheit immer wieder bessere Arbeitsbedingungen und soziale Absicherung gefordert hatte. Mit ihrem Streik haben die Lehrer*innen der Staatsschulen nicht nur alte polit-ökonomische Konfliktlinien entlang des Zusammenhangs zwischen sozialer Ungleichheit und staatlicher Beschäftigungspolitik aufgerissen, sondern auch kritische aktuelle Fragen aufgeworfen, etwa nach Verteilungsgerechtigkeit, Repräsentation und nach tatsächlicher politischer Mitbestimmung.

Geopolitische Zusammenhänge und die Geschichte der Lehrer*innengewerkschaft

Jordanien wird oft, ob anerkennend oder zynisch, als Großbritanniens erfolgreichstes Kolonialprojekt bezeichnet1 und gilt als zuverlässiger und stabiler Verbündeter der EU-Staaten und der USA. Europäische und US-amerikanische Initiativen zur Demokratieförderung tragen dabei eher zur Konsolidierung autokratischer Regierungspraxen und des monarchischen Regimes bei.2 Insbesondere wenn der Blick über Amman oder die gehobene Mittelschicht hinausgeht, wird deutlich, dass Jordaniens Entstehungsgeschichte immer von der Auseinandersetzung mit lokalen und regionalen Widerständen geprägt war. Proteste und Streiks sind somit keine Ausnahmen und illustrieren bei aller Betonung von Stabilität, dass Unzufriedenheit mit den herrschenden Klassen oder dem Regime keine unwichtigen Randerscheinungen sind. Sogenannte «Brot-Revolten»3 sind Ausdruck dafür, dass sich vor allem auch ökonomisch prekarisierte Bevölkerungsteile an polit-ökonomischen Protesten beteiligen, wenngleich diese von Teilen der jordanischen Mittelschicht als auch von Forschenden oft als unpolitisch oder single issue fights abgetan werden. Die Protestbewegung von Tagelöhner*innen etwa stellte laut Sara Ababneh von der University of Jordan einen der gesellschaftlich radikalsten Proteste der letzten Jahre dar, bei dem Frauen und Männer gemeinsam mehrere Tage und Nächte lang vor dem Regierungssitz Stellung bezogen, um ihre Forderungen durchzusetzen. Die jordanische Regierung verlässt sich ebenso wie der Privatsektor teils auf Arbeiter*innen ohne formale Arbeitsverträge. In den Auseinandersetzungen der Tagelöhner*innen mit der jordanischen Regierung in den Jahren 2011 und 20124 analysiert Ababneh unter anderem die tragende Rolle von Arbeiterinnen in diesen Streitigkeiten um eine Verstetigung der Arbeitsverhältnisse und verdeutlicht dabei, dass Klasse und Geschlecht in politischen Auseinandersetzungen untrennbar verknüpft sind, was auch für den Lehrer*innenstreik zutrifft.

Wenngleich Jordanien keine besonders stark ausgeprägte Basis gewerkschaftlicher Organisierung aufweist, so sind die gegenwärtigen Proteste der Lehrer*innen doch untrennbar mit der gesellschaftspolitischen und ökonomischen Realität Jordaniens verbunden und in geopolitische Zusammenhänge eingebettet. Jordanien ist seit 1952 Mitglied des Internationalen Währungsfonds (IWF), 1988 schloss das Land die erste Vereinbarung in Form von Strukturanpassungsprogrammen mit dem Fond ab. Spätestens seit Abdullah II 1998 jordanischer König wurde, ist eine neoliberale Wende in der Politik des Landes deutlich festzustellen; so wurden etwa Rechtsreformen beschleunigt, um Unternehmen zu privatisieren, ausländische Investitionen zu vereinfachen und Freihandelsabkommen abschließen zu können. Bestehende Subventionen auf Grundnahrungsmittel, aber auch auf Benzin wurden wiederholt aufgehoben, um anschließend in Reaktion auf Proteste teilweise wieder eingeführt zu werden. Am spürbarsten ist das für sozio-ökonomisch prekäre und politisch marginalisierte Teile der Bevölkerung, zu denen auch eine Mehrheit der Lehrer*innen an staatlichen Schulen gehört. Zuletzt kam es im Juni 2018 zu einer Welle regierungskritischer Proteste als Reaktion auf angekündigte Steuererhöhungen im Rahmen der IWF-gestützten Austeritätspolitik. Auch hier riefen Gewerkschaften zu Protesten und Streiks auf, nicht nur gegen Steuererhöhungen, sondern grundsätzlich gegen den Einfluss des IWF auf jordanische Politik. Diese Proteste waren seit 2011 die weitreichendsten, und im Zuge der Proteste wurde wie auch schon in den Jahren 2011 und 2012 der Premierminister ausgetauscht, in Krisenzeiten angeblich eine bewährte Herrschaftsstrategie der jordanischen Monarchie, um Kritik von ihr selbst abzuwenden.

Die Beziehung des Berufsstandes der Lehrer*innen zum jordanischen Regime ist konfliktreich. Die erste Gewerkschaft für Lehrer*innen in Jordanien war in der ersten Dekade formeller haschemitisch-jordanischer Unabhängigkeit aktiv. Bereits 1956 streikten jordanische Lehrer*innen für höhere Löhne. Mit dem Verbot politischer Parteien 1956 wurde auch die Gewerkschaft der Lehrer*innen aufgelöst und anders als viele andere Gewerkschaften erst 2011 neu gegründet. Das Logo der jetzigen Gewerkschaft zeigt das Wort Iqraa (Lies!) wobei das Alef als brennende Fackel abgebildet ist. Die Gewerkschaft hat aktuell 140.000 registrierte Mitglieder. Eine Lehrer*innenversammlung in Amman im März 2010 gilt als Gründungstreffen, auf dem die versammelten Lehrer*innen das Ziel «Wir wollen eine Gewerkschaft» offiziell festhielten. Schon damals organisierten die Lehrer*innen in mehreren Städten Proteste und Streiks und trafen sich zu weiteren informellen Treffen. Im Laufe des Jahres 2010 streikten und protestierten die Lehrer*innen immer wieder vor allem in kleineren jordanischen Städten und ab Anfang Juni auch in Amman. Im Oktober 2010, etwa einen Monat vor den jordanischen Parlamentswahlen – die Regierung wird im Gegensatz zum Parlament nicht gewählt, sondern ernannt –, traf sich eine Delegation der Lehrer*innen mit dem Bildungsminister zu weiteren Verhandlungen, um die Zulassung der Gewerkschaft zu fordern. Anfang 2011 stimmte die Regierung der Gründung der Gewerkschaft schließlich zu und erkannte sie (wieder) als verfassungskonform an. Dies war möglicherweise ein Versuch, weiteren Protesten der Lehrer*innen zuvorzukommen, wobei die Sorge vor einem weitflächigen Übergreifen der beginnenden Proteste in der Region 2011 eine Rolle gespielt haben dürfte. Die aktuellen Proteste können somit an vorausgehende gewerkschaftliche Aktivität anknüpfen.

Von der Protestkundgebung zum Streik 2019

Die Mehrheit der jordanischen Schüler*innen besucht staatliche Schulen, wodurch dem Streik ihrer Lehrer*innen besonderes gesellschaftliches Gewicht zukam. Mehr als sechzig Prozent der Lehrer*innen arbeiten an staatlichen Schulen, etwa dreißig Prozent an privaten jordanischen Schulen, und einige Tausend arbeiten an Schulen anderer Staaten in Jordanien (International Schools), sowie an den Schulen der UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees). Etwa eineinhalb Millionen Schülerinnen und Schüler an etwa 4000 staatlichen Schulen waren vom Streik zu Beginn des Schuljahres im September 2019 betroffen. In einem Land, in dem die meisten Schüler*innen staatliche Schulen besuchen, sollte der Regierung daran gelegen sein, ihnen dort die bestmögliche Bildung zur Verfügung zu stellen. «Keine Erhöhung des Bildungsniveaus ohne Erhöhung des Einkommens für Lehrer*innen» konnte auf zahlreichen Protestkundgebungen im Herbst 2019 gehört und gelesen werden. Trotz Schulpflicht und nahezu universeller formeller Partizipation am Schulunterricht, zumindest unter jordanischen Kindern, können laut UNICEF siebzig Prozent der Zweit- und Drittklässler*innen kaum lesen. Das Einkommen von Lehrer*innen an Jordaniens staatlichen Schulen gehört zu den niedrigsten unter den Staatsangestellten, so dass viele Lehrer*innen neben dem Lehrberuf mindestens einer weiteren Beschäftigung nachgehen, um über die Runden zu kommen. Das niedrige Einkommen trägt so zur niedrigen Qualität des Unterrichts bei, da den Lehrenden kaum Zeit für die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts bleibt. Frauen stellen etwa sechzig Prozent des Lehrpersonals an staatlichen Schulen (an privaten Schulen sind es fast neunzig Prozent). Der hohe Anteil an Frauen steht in einem Wechselverhältnis zur symbolischen und finanziellen Abwertung des Berufs und verdeutlicht Verschränkungen von Klassenzugehörigkeit und Geschlecht.

Jordaniens absolute Armutsgrenze liegt offiziell bei 366 Jordanischen Dinar (JOD) im Monat für eine fünfköpfige Familie (ca. 465 Euro).5 Die Gewerkschaft fordert seit Jahren weitere Zulagen zum Grundlohn von Lehrerenden, die mehrheitlich der unteren Mittelschicht angehören, wobei das Einkommen von Lehrerinnen durchschnittlich noch niedriger ist. Bereits 2014 organisierte die Gewerkschaft jordanischer Lehrer*innen einen zwei Wochen andauernden Streik und beendete ihn für die Abschlussprüfungen, als die Regierung die geforderten Zulagen versprach. Umgesetzt wurde dieses Versprechen nie. Im Zuge der aktuellen Proteste behauptete die Regierung, dass die Forderungen der Lehrer*innen nicht nachhaltig seien und zur finanziellen Belastung des Landes beitrügen. Zwar ist das nicht völlig abwegig angesichts der öffentlichen Schuldenlast von ca. 95 Prozent des BIP, allerdings vor allem auch eine Frage der Priorisierung.

Nachdem Forderungen nach der Umsetzung der angekündigten Lohnzuschläge seitens der Regierung keine weitere Beachtung fanden, kündigte die Gewerkschaft für den 5. September 2019 eine Protestkundgebung am «Vierten Kreisverkehr» an. Der «Vierte» ist nicht nur ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt in Amman, aufgrund der unmittelbaren Nähe zum Regierungssitz des Premierministers finden dort häufig Demonstrationen und Proteste statt. Nur einen Tag vor der geplanten Kundgebung untersagte die Regierung kurzfristig, dass diese am «Vierten Kreisverkehr» stattfinden könne und verlangte die Verlegung in die Nähe des Parlaments. Die Gewerkschaft bestand auf den angemeldeten Kundgebungsort, und am 5. September folgten mehrere Tausend Lehrer*innen dem Aufruf und ließen sich trotz Verbots nicht davon abhalten, zum Kreisverkehr durchkommen zu wollen, um am Protest teilzunehmen. Laut Gewerkschaft und Berichten von Demonstrant*innen sperrte die Polizei seit dem Morgen zahlreiche Straßen, um Lehrer*innen aus Amman und außerhalb daran zu hindern, am Kreisverkehr zu demonstrieren. Zudem hinderten Sicherheitskräfte zahlreiche Busse an der Abfahrt und verhinderten so den Transport der Lehrer*innen zum Protest. Daraufhin kam es an verschiedenen Straßensperren zu kleineren Protesten und Kundgebungen mit Hunderten und teils Tausenden Lehrer*innen, die nicht bis zum geplanten Kundgebungsort durchkamen. Denjenigen Demonstrierenden, die bis zum «Vierten» durchgekommen waren, begegnete die Polizei mit einem massiven Sicherheitsaufgebot, ging teils mit Tränengas und Wasserwerfern gegen sie vor, und nahm Dutzende Lehrkräfte fest. Insgesamt beteiligten sich an diesem Tag mehr als zwanzigtausend Lehrer*innen aus allen Teilen des Landes an den Protesten. Ammans Verkehr, ohnehin bekannt für Stau zu nahezu allen Tages- und Nachtzeiten, kam in Folge der Proteste und Straßensperrungen an diesem Tag in weiten Teilen der Stadt fast völlig zum Erliegen. Viele Menschen erfuhren vom Protest und später vom Streik, weil sie stundenlang im Stau festsaßen. Infolge der gewaltsamen Beendigung der Kundgebung und weil die Regierung sich weigerte, den Forderungen der Lehrer*innen nachzukommen oder sich für das harte polizeiliche Vorgehen zu entschuldigen, kündigte die Gewerkschaft einen offenen Streik an.

Mit Beginn der zweiten Woche des Schuljahres, also ab dem 8. September, streikten die Lehrer*innen an allen staatlichen Schulen. Zahlreiche Lehrkräfte nutzten die Zeit stattdessen zur Instandsetzung von altem Schulinventar und zur Renovierung ihrer Klassenräume. Neben der praktischen Notwendigkeit sendeten sie damit auch ein deutliches Signal in Richtung Bildungsministerium und Regierung, was den mangelhaften Zustand und die Ausstattung der Schulen angeht. Lehrer*innen, die teils unter Druck und Kündigungsandrohungen seitens der Regierung Anfang Oktober zu den regulären Arbeitszeiten an den Schulen anwesend waren, unterrichteten nicht. Der Streikaufruf der Gewerkschaft erklärte, dass die Lehrenden lediglich die Sicherheit der Schüler*innen gewährleisten sollten, die trotz des Streiks zur Schule geschickt worden waren. Insgesamt war die Beteiligung am Streik sehr hoch, so dass die Gewerkschaft von nahezu hundertprozentiger Beteiligung ausgeht. Schulleiterin B. aus Irbid sagt, «Wir haben als Gewerkschaft auch vorher schon Streiks organisiert aber nicht in so großem Maßstab» und bestätigt, dass die hohe Beteiligung am Streik, auch im Vergleich zum Streik 2014, das Vertrauen ausdrückt, welches Lehrer*innen der Gewerkschaftsleitung inzwischen entgegenbringen. Überhaupt schaffte es die Gewerkschaft, über den Zeitraum des Streiks ein Gemeinschaftsgefühl unter den Streikenden aufrechtzuerhalten. Zahlreiche weitere Gewerkschaften befürworteten und unterstützten zudem den Streik, ebenso wie politische Aktivist*innen und freie Medien.6 Aus Solidarität mit den streikenden Kolleg*innen der staatlichen Schulen und um Kritik von ihnen abzuwenden, etwa den Vorwurf, sie würden das Recht der Schüler*innen auf Bildung verletzen, boten Lehrer*innen an einigen privaten Schulen den Schüler*innen insbesondere der Abschlussklassen an den staatlichen Schulen unentgeltliche Unterrichtsstunden im Anschluss an die regulären Schulstunden an, um sie auf ihre Abschlussprüfungen vorzubereiten. Trotz der Kritik am Streik und Attacken gegen Lehrkräfte, wovon Lehrerinnen Berichten zufolge stärker betroffen waren als ihre männlichen Kollegen, war die Reaktion aus der Bevölkerung überwiegend unterstützend und positiv, auch unter den Eltern der betroffenen Schüler*innen. So kündigten einige Eltern an, ihre Kinder erst wieder zur Schule zu schicken, wenn die Regierung den Forderungen der Lehrer*innen nachgekommen sei. Schülerin Layan aus Amman findet es «sehr gut, dass die Lehrer*innen gestreikt haben», es sei zwar für sie als Schülerin der Abschlussklasse schwierig, den Stoff nachzuholen, allerdings habe die Regierung die Lehrer*innen vorher nicht ernst genug genommen. Auch in den sozialen Medien wurden unter dem Hashtag «Mit dem Lehrer/mit der Lehrerin» Unterstützung und Solidarität zum Ausdruck gebracht.

Und jetzt?

Nach über vier Wochen erzielte die Gewerkschaft eine Vereinbarung mit der Regierung und beendete den Streik. Zwar wurden ihre Forderungen in Bezug auf Lohnprämien nur teilweise erfüllt, und auch die zweite Hauptforderung, eine Entschuldigung für das Vorgehen am Protesttag, fiel eher schwach aus. Allerdings erreichte die Gewerkschaft Mitspracherecht bei den Lehrplänen und Einsicht in den Rentenfonds. Die hohe Beteiligung am Streik spricht nicht nur für den hohen Druck aufgrund der Steigerung der Lebenshaltungskosten in Jordanien, sondern auch dafür, dass die Lehrer*innen der Gewerkschaft zutrauten, für ihre Rechte und Forderungen einzustehen. Die Tatsache, dass der Streik über mehrere Wochen die öffentliche Debatte bestimmte und großen Zuspruch fand, verdeutlicht, dass es um mehr als das Einkommen von Lehrpersonal an staatlichen Schulen ging und geht. Vielmehr haben Gewerkschaft und streikende Lehrer*innen soziale Gerechtigkeit und Verteilungsfragen auf die politische Tagesordnung geschrieben. In den Wochen des Streiks haben Intellektuelle, Bürger*innen und Aktivist*innen viel über die Würde des Menschen diskutiert und den Streik so in den Kontext von Forderungen nach einem menschenwürdigen Leben für alle gestellt. Fragen also, die spätestens seit den Revolten ab 2011 in der Region immer wieder aufkommen. Die Gewerkschaft will sich in Zukunft mit mehr Selbstbewusstsein in tagespolitische Themen einmischen, was nicht nur auf Zustimmung stoßen wird. Der Streik der Lehrer*innen hat wichtige strukturelle und politische Fragen beleuchtet, und die Gewerkschaft ist gestärkt aus dem Protest hervorgegangen, vor allem weil das Gewicht von über einer Million betroffener Schüler*innen und deren Familien nicht irrelevant ist. Auseinandersetzungen mit diesen Fragen sind wichtig für die Entwicklungen der kommenden Jahre, noch entscheidender ist aber vielleicht, dass diese Fragen offen und in aller Deutlichkeit gestellt wurden und werden.


1 Vgl. z.B. Jabiri, Afaf. 2016. Gendered Politics and Law in Jordan: Guardianship Over Women. Palgrave Macmillan; und: Alon, Yoav. 2007. The Making of Jordan: Tribes, Colonialism and the Modern State. London: I.B. Tauris.

2 Aktivist*innen und Akteur*innen der jordanischen Zivilgesellschaft, sowie (ehemalige) jordanische Mitarbeiter*innen deutscher und US-amerikanischer Organisationen in Amman analysieren und kritisieren diesen Zustand seit Jahren, wenn auch nicht unbedingt öffentlich; Vgl. auch: Schütze, B. (2019). Promoting Democracy, Reinforcing Authoritarianism: US and European Policy in Jordan (Cambridge Middle East Studies). Cambridge: Cambridge University Press.

3 Vgl. z.B. Andondi, Lamis und Schwedler, Jillian. (1996). Bread Riots in Jordan. Middle East Report 201 (Winter 1996).

4 Vgl. Ababneh, Sara. (2016). Troubling the political: women in the Jordanian Day-waged labor movement. International Journal of Middle East Studies, 48(1), 87-112.

5 Zahlen von 2008/ 2010 - ein neuer Bericht mit Zahlen von 2018 wurde angekündigt, aber bislang nicht veröffentlicht. Neueren Schätzungen zufolge sind die Lebenshaltungskosten seit 2010 stark gestiegen ohne, dass die Reallöhne gestiegen sind.

6 Insbesondere die Plattform 7iber hat ausführlich über den Protest und Streik berichtet.