Work in Progress: An dieser Stelle begleiten wir Veronika Kracher Woche für Woche bei der Entstehung ihres Buches und präsentieren Interviews und Textauszüge.
Die Frankfurter Journalistin und Autorin Veronika Kracher arbeitet derzeit an einem Buch über Incels – unfreiwillig im Zölibat Lebende (»Involuntary Celibates«). Incels, so Kracher, sind Ausdruck einer Gesellschaft, in der die Abwertung des Weiblichen an der Tagesordnung ist. Sie treffen sich in Onlineforen und auf Imageboards und lamentieren darüber, keinen Sex zu haben, obwohl dieser ein natur- gegebenes männliches Grundrecht sei. Obwohl Incels schon zahlreiche Gewalt- und Terrorakte begangen haben, wurde das Phänomen gerade im deutschsprachigen Raum bisher nur sehr oberflächlich analysiert. Mit ihrem Buch, das die Geschichte der Bewegung nachzeichnet, die Memes und Sprache der Incels erklärt, ihre Ideologie analysiert und eine sozialpsychologische Auseinandersetzung mit diesem Online-Kult anstrebt, will Veronika Kracher diese Lücke füllen.
Nachdem wir in der vergangenen Woche mit ihr über Misogynie und das Verhältnis von Patriarchat und Kapitalismus gesprochen haben, geht es in dieser Woche um Pick-up-Artists, Maskulinisten, die profeministische Männerberwegung und die Bedeutung von Begriffsarbeit am Beispiel »toxische Männlichkeit«.
Heute würde ich gerne über ein paar Themen sprechen, die sich in Verwandtschaftsverhältnissen mit den Incels bewegen. Da sind zum einen die Pick-up-Artists, die ja ähnliche wie Incels in Frauen vor allem zu erobernde Objekte sehen. Was ist der Hintergrund dieser seltsamen Community und wo liegen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den Incels?
Pick-up-Artists, die oft der »Redpill«-Ideologie angehören, vertreten die These, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Frauen durch ihre Sexualität, die sie quasi als Waffe verwenden um Männer in Schach zu halten – ein Beispiel ist der misogyne Mythos der falschen Vergewaltigungsanschuldigung. Dieser Blick ist natürlich unglaublich projektiv, das steht ganz außer Frage. Weibliche Sexualität müsse man also wieder unter eine männliche Kontrolle und Herrschaft bekommen, und deswegen müsse man Frauen wie Objekte behandeln und manipulieren, um mit einer zu schlafen. Es ist nicht verwunderlich, dass sich Elliot Rodger auf einem Forum namens »Pick Up Artist-Hate« radikalisiert hat. Viele Incels sind junge Männer, die trotz der der hunderten von Dollar oder Euro, die sie in den Seminaren dieser sich als »Verführungskünstler« bezeichnenden Vergewaltigungsapologeten keinen Erfolg bei Frauen verzeichnen konnten. Anstatt zu dem sehr naheliegenden Schluss zu kommen, dass die auf Übergriffigkeit und Manipulation basierenden »Verführungsstrategien« von Pick-up-Artists nicht unbedingt das sind, womit man die Damenwelt von sich überzeugen kann, erklärten sich Incels ihre mangelnden Sexpartnerinnen damit, dass sie einfach zu hässlich seien, um überhaupt von Frauen beachtet zu werden, da diese eben nur Chads als Sexpartner anerkennen.
Daneben gibt es Maskulinisten, die du schon einmal kurz gestreift hast, die glauben, dass Gesellschaft Männer verweichlicht und die dem ein traditionelles Bild von Männlichkeit entgegen stellen. Verstehen sich Maskulinisten mit Incels? Von außen betrachtet wirkt es, als seien Maskulinisten vor allem auf den Mann fixiert, und Frauen spielen nur eine untergeordnete Rolle, während Incels alles mögliche auf Frauen projizieren.
Maskulinistische Gruppen wie die »Men going their own way« oder die neofaschistischen Proud Boys halten Incels, trotz einer Wesensverwandtheit, für totale Loser, mit denen kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist. Incels sind ja der Ansicht, dass sie selbst keine Möglichkeit mehr haben, die patriarchale Herrschaft über Frauen zurück gewinnen können, außer eben im totalen Akt der »Incel Rebellion«. Sie haben quasi die Hoffnung aufgeben, Alpha-Männer werden zu können. Alpha-Mann werden und den aufmüpfigen Weibern wieder zeigen was Sache ist, ist jedoch das, was sich Männerrechtsgruppen auf die Fahnen geschrieben haben, sie sehen sich als soldatische Kämpfer für ihr Geschlecht – und in der Regel auch ihre weiße Rasse –, und betrachten Incels als depressive Jammerlappen. Um es mit Connell zu sagen: Maskulinisten sind hegemoniale Männer oder wollen diese werden, Incels betrachten sich als marginalisierte Männer, obwohl sie eindeutig zu den »komplizenhaften Männlichkeiten« zählen. Im Frauenhass kommen sie dann aber wieder alle zusammen. Eine Anekdote am Rande: der Matura-Faschist Martin Sellner rief einmal auf Twitter dazu auf, die »White Pill« zu schlucken, ein Gegenstück zur »Black Pill«. Damit war wohl gemeint, man solle sich als Soldat in den Rassenkrieg konskribieren.
Parallel zu all den Maskulinisten, Antifeministen und Sexisten gibt es seit den 1970ern auch eine profeministische Männerbewegung mit dem Anspruch, theoretisch und praktisch patriarchale Männlichkeitsentwürfe in Frage zu stellen. Spielt die heute noch eine Rolle? Und gibt es von dieser Seite Auseinandersetzungen mit Phänomenen wie den Incels?
Diese Bewegung kam vor allem im Rahmen der Veröffentlichung von Theweleits »Männerphantasien« und der feministischen Kritik an den »Mackerstrukturen« der Achtundsechziger auf und hat reflektiert, inwieweit patriarchale Vorstellungen von Männlichkeit Männern selbst Schaden zufügen. Und dem ist ja der Fall; das gewalttätige Abspalten alles Nicht-Männlichen, die Disziplinierung in männerbündischen Kontexten, das ist ja unglaublich grausam und brutal. Leider sind einige dieser Gruppen in der maskulinistischen Väter- und Männerrechtsbewegung aufgegangen. Es gibt heute inzwischen wieder Gruppen wie Detox Masculinity und tolle Autoren wie Christoph May, Kim Posster oder Rick Reuther, deren Arbeit ich ausgesprochen schätze und die Texte zu kritischer Männlichkeit verfassen oder gendersensible Jungenarbeit machen. Gerade letzteres halte ich für eine der wichtigsten pädagogischen Aufgaben unserer Zeit, vor allem angesichts der Tatsache, dass adoleszente Jungen wohl die Bevölkerungsgruppe sind, die am ehesten für faschistische Ideologien empfänglich sind. Auch die Gruppe Heroes, die explizit auf muslimische Jungen und Männer zugeschnittene gendersensible Arbeit macht, will ich nicht unerwähnt lassen. Und ja, es gibt auf jeden Fall Auseinandersetzungen mit Incels, und ich befinde mich diesbezüglich auch in einem regelmäßigen Austausch mit zum Beispiel May oder Posster. Auch wird die Debatte um Männlichkeit und Männlichkeitsinszenierungen in der queeren Szene immer wieder verhandelt, beispielsweise von Tunten oder trans Männern.
Einer der Vertreter dieser profeministischen Männerbewegung, Andreas Kemper, hat kürzlich in einem Artikel den Begriff der toxischen Männlichkeit kritisiert, er schreibt: »Tatsächlich scheint der Begriff »toxische Männlichkeit« aus einem Zusammenhang zu kommen, der die »Giftigkeit« auf die Frauen zurückführt. Zunächst wurde der Begriff »toxische Männlichkeit« in der US-amerikanischen mythopoetischen bzw. Wild-Men-Bewegung benutzt. Diese stützte sich auf die Jungianische essentialistische Archetypenlehre.« Ist eine solche Arbeit an Begriffen aktuell hilfreich, oder fasert das die Auseinandersetzung darüber, was hinter dem Bild »toxische Männlichkeit« steht, nur unnötig aus?
Diese Begriffsarbeit ist auf jeden Fall hilfreich, und ich bin Kemper sehr dankbar für seine fundierte Analyse – und seine ausgefeilte Jung-Kritik, aber das sage ich jetzt als Frau mit einer Freud-Gesamtausgabe im Schrank. Was für ein guter Text. Ergänzend würde ich mit Kim Posster und Jeja Klein sagen, dass diese Differenzierung zwischen »Toxischer« und »guter« Männlichkeit irreführend, oder viel mehr eine Befriedung ist. Männlichkeit konstituiert sich über die Abwertung des Nicht-Männlichen oder Weniger-Männlichen und ist in sich gefährlich und gewalttätig. Jede cis-geschlechtliche Männerbiographie ist durch diese elendigen patriarchalen Verhältnisse von klein auf darauf aufgebaut, keine Frau zu sein und eine durch den Phallus bedingte Vorherrschaft zu haben, und diese wird ja auch auf gesamtgesellschaftlicher – ökonomischer, kultureller – Ebene reproduziert. Männlichkeit kann nur existieren, indem Frauen durch systematische Unterdrückung zu Frauen gemacht werden, und ihnen ihr Nicht-Mann-Sein vor Augen gehalten wird. Männlichkeit als Konzept ist gefährlich und auf der Unterdrückung anderer, sei es jetzt Frauen oder weniger männliche Männer, aufgebaut. Ich kann nachvollziehen, dass es ein erster pädagogischer Ansatz ist, Jungen zu vermitteln, dass es auch eine »bessere« Männlichkeit gibt als den homophoben und sexistischen Schulhofbully, der dann als Paradebeispiel für eine »toxische Männlichkeit« herangezogen wird, aber dabei darf es nicht bleiben. In vielen linken Kontexten ist es nach wie vor der Fall, dass Männer über die »toxische Männlichkeit« anderer Reden, und sich selbst dafür auf die Schulter klopfen, vielleicht keinen sexuellen Übergriff zu begehen, aber eine grundlegende Selbstkritik und daraus folgende Konsequenzen bleiben dann aus. Eine radikale Kritik an dem Geschlechterverhältnis muss in nichts weniger seiner kompletten Abschaffung enden.