Nachricht | Afrika - Westafrika - Corona-Krise «Mit Corona ist das Leben doppelt so schwer»

Interview mit Didier Kiendrébéogo über die Situation von Covid-19 und die Kämpfe der Menschen in Burkina Faso

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Didier Kiendrébéogo (Foto: privat)
Didier Kiendrébéogo (Foto: privat)

Didier Kiendrébéogo, wie geht es Ihnen?

Ich persönlich bin bei guter Gesundheit, aber ich kann nicht sagen, dass es uns in Burkina Faso gut geht.

Warum? Wie würden Sie Ihr Leben in dieser Situation der Pandemie beschreiben?

Das Leben ist jetzt doppelt so schwer. Schon vor der Pandemie war es hart. Nun haben die Behörden drastische Maßnahmen ohne begleitende Unterstützung verhängt.

Didier Kiendrébéogo ist Lehrer und Aktivist bei der Jugendorganisation «Organisation Démocratique de la Jeunesse du Burkina Faso» (ODJ), mit der die RLS Westafrika seit langem zusammenarbeitet. Er lebt in Koupéla, 140 km von der Hauptstadt Ouagadougou entfernt.

Ein hartes Leben – was hat es vor der Pandemie charakterisiert?

Es gab bereits große Unsicherheit im Zusammenhang mit Angriffen bewaffneter Gruppen und gezielten Attentaten durch Todesschwadronen, die im Dienste der gegenwärtigen Regierung und ihrer Verbündeten stehen. Aber wir hatten auch zunehmend Schwierigkeiten, weil es an Wasser, Strom, Gesundheitsversorgung, Beschäftigung und so weiter mangelt.

Wie hat sich das Leben mit den Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus dann verändert?

Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung Burkina Fasos lebt von Tag zu Tag. Maßnahmen wie Marktschließungen, Ausgangssperren oder die Quarantäne von Städten haben das Leben unhaltbar gemacht. Zudem nutzte die Regierung die Pandemie aus, um Gewerkschaftsdemonstrationen zu verhindern und die Gehälter von fast 750 Beamten unrechtmäßig auszusetzen. Die später angekündigten Unterstützungsmaßnahmen kamen den Armen nicht wirklich zugute und offenbarten stattdessen die korrupte Natur der Regierung.

Um sicherzustellen, dass die Ausgangssperre zwischen 19 und 5 Uhr, später von 21 bis 4 Uhr eingehalten wurde, setzte die Regierung die Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (FDS) ein. Was waren die Konsequenzen?

Wir wurden Zeug*innen massiver Menschenrechtsverletzungen, die von Elementen der FDS begangen wurden. Mehrere Menschen wurden geschlagen, misshandelt, gedemütigt und gefilmt, und Bilder wurden von der FDS in sozialen Medien veröffentlicht. Andere wurden von der FDS zu Hause aufgesucht und gefoltert mit der Begründung, dass sie gegen die Ausgangssperre verstießen. In mehreren Regionen wie Nord, Ost, Sahel und Nord-Zentral, in denen immer wieder Terroranschläge vorkommen, werden von nationalen und internationalen Organisationen der Zivilgesellschaft oder von Angehörigen der Opfer regelmäßig Anschuldigungen wegen außergerichtlicher Hinrichtungen, Massenhinrichtungen und Stigmatisierung erhoben. Statt dass die verstärkte Präsenz der Sicherheitskräfte zu mehr Ruhe führt, ist sie Quelle der Besorgnis, der Angst und des Misstrauens.

Welcher Raum bleibt derzeit, um sich der aktuellen Regierungspolitik zu widersetzen?

Abgesehen von Verstößen auf Seiten der FDS unternimmt die Regierung alles, um den Aufstand von 2014, als die burkinische Bevölkerung den langjährigen Präsidenten Blaise Compaoré stürzte, zu kriminalisieren, und verstärkt die Repression. Aber der Geist des Aufstands bleibt lebendig. Die Bevölkerung leistet Widerstand, entwickelt sogar Initiativen, um das Versagen des Staates in verschiedenen Bereichen, wie Unsicherheit, Wassermangel, baufällige Straßen usw., zu mildern. Die Menschen in den Städten und auf dem Land kämpfen trotz des Elends für die Verteidigung ihrer Rechte und für eine wirkliche Veränderung ihrer Lebensumstände.

Was fordert die Zivilgesellschaft bezüglich der Reaktion der Regierung auf das Coronavirus?

Frauen-, Jugend-, Unternehmens- und Gewerkschaftsorganisationen fordern die Wiedereröffnung der Orte, an denen sie früher gelebt haben, eine angemessene Betreuung der Kranken und derjenigen, die sich in Quarantäne befinden. Auch wollen sie Transparenz bei der Verwaltung von Spenden, die Bereitstellung angemessener Ausrüstungen für die Gesundheitszentren, die Aufhebung der Steuern für kleine und mittlere Unternehmen und die Senkung der Preise für lebensnotwendige Güter (Öl, Seife, Getreide, Benzin usw.). Es gibt zudem Forderungen nach einem Ende der Unterdrückung von Arbeiter*innen, die gegen unfaire Steuern auf ihr Einkommen sowie für Untersuchungen von Missbräuchen und anderen außergerichtlichen Hinrichtungen kämpfen.

Neben diesen Forderungen, die mit der derzeitigen Situation zu tun haben, bleiben strukturelle Forderungen bestehen. Dazu gehören die Beendigung der Plünderung der Ressourcen des Landes, der Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung für alle Bürger*innen und die Verfolgung von Blut- und Wirtschaftsverbrechen.

Ich stelle mir vor, dass sich die Protestformen aufgrund der geltenden Maßnahmen geändert haben?

Ja, die Organisationen äußern sich mehr über die Printmedien oder über das Radio. Auch soziale Medien werden viel genutzt. Aber Straßendemonstrationen und Barrikaden werden trotz Covid-19 organisiert, weil die Menschen es nicht mehr aushalten.

Sie sind Aktivist in der Organisation Démocratique de la Jeunesse du Burkina Faso, kurz ODJ. Was macht ODJ zur Zeit?

Gegenwärtig sind alle ODJ-Strukturen im ganzen Land in einer Kampagne aktiv, manchmal in Kooperation mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen. Sie zielt darauf ab, das Bewusstsein für die Krankheit, den Schutz und die Verhinderung ihrer Ausbreitung zu schärfen. In dieser Kampagne prangern wir auch die chaotische Art und Weise an, wie die Regierung die Dinge handhabt, und wir laden die Menschen ein, sich zu organisieren, um ihre Rechte zu verteidigen. Unsere Aktivist*innen organisieren zudem Frauen, um ihnen beizubringen, wie man Seife vor Ort herstellt, da dies ein wichtiges, aber nicht für alle zugängliches Gut ist.

Ist es denn in der gegenwärtigen Situation überhaupt möglich, Menschen zu mobilisieren?

Es ist absolut eine gute Gelegenheit zur Bewusstseinsbildung. Die Menschen passen auf, wenn man versucht, ihnen Dinge zu erklären, wie zum Beispiel das Versagen des Gesundheitssystems, den neokolonialen Charakter unseres Landes und unserer Armee. Man muss also die Menschen mobilisieren und sie dabei unterstützen, sich so zu organisieren, dass sie sich dieser dramatischen Situation besser widersetzen können.

Inwieweit können wir die aktuelle Situation nutzen, um die Strukturen des Staates, der Wirtschaft, der Sozialpolitik zu verändern?

Dies ist eine große Frage, die im Mittelpunkt aller Debatten in unserem Land steht. Wir glauben, dass es für eine echte und dauerhafte Veränderung nur einen Weg gibt: Die Revolution. Die COVID-19-Pandemiekrise wird sicherlich eine schwere zusätzliche Belastung mit sich bringen. Unsere imperialistischen Herren in Schwierigkeiten werden neue Formen der Ausbeutung unserer Bevölkerung suchen. Aber wenn wir uns das Bewusstsein der Jugend und ihren Wunsch nach Emanzipation ansehen, sind wir voller Hoffnung.

Welche Rolle spielen die Gesellschaften des Nordens hierbei?

Wir rufen zur internationalistischen Solidarität auf. Die Pandemie hat uns daran erinnert, dass, wenn man die Gesundheit der Menschen in die Hände großer kapitalistischer Firmen legt, diese damit machen, was sie wollen. Heute sehen wir wieder einmal, dass eine der Quellen unseres Unglücks in Afrika die von den imperialistischen Regierungen betriebene Politik der neokolonialen Herrschaft ist. Wir haben aber auch Maßnahmen in Europa und den Vereinigten Staaten erlebt, die wie eine beschämende Anerkennung des Versagens des kapitalistischen Systems klingen. Revolutionär*innen, aufrichtige Demokrat*innen und Progressive auf der ganzen Welt müssen miteinander solidarisch sein.