Nachricht | Nordafrika - Südliches Afrika - Westafrika - Ostafrika - Sozialökologischer Umbau - Ernährungssouveränität «Es ist ein Teufelskreis»

Mamadou Goïta von IRPAD über die Neue Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika

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Mamadou Goïta

Mit kommerziellem Hochertragssaatgut, synthetischen Düngemitteln und Pestiziden im Gepäck könne die Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA), dem Kontinent seine Grüne Revolution in der Landwirtschaft ermöglichen, um Hunger und Armut zu verringern. Was hat das Programm gebracht, und was sind seine tatsächlichen Auswirkungen vor Ort? Jan Urhahn, Programmleiter Ernährungssouveränität der Rosa-Luxemburg-Stiftung sprach kürzlich mit Mamadou Goïta, Direktor des Instituts zur Erforschung und Förderung von Alternativen in der Entwicklung (IRPAD), über die Bilanz von AGRA im Allgemeinen und in Mali im Besonderen.

Lass uns mit einer einfachen Frage beginnen: Was genau ist AGRA?

Mamadou Goïta: Die Allianz für eine grüne Revolution in Afrika (AGRA) wurde im Jahr 2006 gegründet und arbeitet an der Transformation der Landwirtschaft in einer Reihe afrikanischer Länder. Die beiden wichtigsten Geldgeber sind die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung und die Rockefeller-Stiftung. Wie der Name schon sagt, strebt AGRA eine Grüne Revolution in Afrika an, und ihre Arbeit konzentriert sich auf verschiedene Säulen. Das eine ist die Förderung von synthetischen Düngemitteln, das andere die die Entwicklung und Verbreitung von Hybridsaatgut.

Die Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA)

Die Studie «Falsche Versprechen» versucht die Transparenzlücke der Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA) zu schließen und überprüft, ob AGRA seine selbstgesteckten Ziele erreicht hat. Darüber hinaus macht sie deutlich, warum der AGRA-Ansatz nicht zum Erreichen der Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung, insbesondere dem Ziel, der Beendigung des Hungers, führt.

Zur Studie

AGRA behauptet, dass wir, indem wir afrikanische kleinbäuerliche Erzeuger*innen dazu drängen, input-intensive Landwirtschaft zu betreiben, die Produktivität und damit die Einkommen steigern und so den Hunger verringern können. Meiner Meinung nach bietet sie lediglich einen höchst technokratischen Ansatz für sehr komplexe Herausforderungen. Die Grüne Revolution ist keine neue Sache, schließlich begann sie bereits in den 1970er Jahren in Indien und in anderen asiatischen Ländern.

Was macht AGRA konkret?

AGRA arbeitet auf verschiedenen Ebenen. Eines der Hauptziele von AGRA ist es, afrikanische kleinbäuerliche Erzeuger*innen mit kommerziellen Saatgutunternehmen in Kontakt zu bringen. Hier geht es darum, kleinbäuerliche Erzeuger*innen dazu zu bringen, ihr eigenes bäuerliches Saatgut aufzugeben und stattdessen das Saatgut der Konzerne zu benutzen. AGRA fördert in seinen Programmen vor allem den Anbau von Mais. Im Gegensatz zu Hirse oder Sorghum ist Mais in vielen afrikanischen Ländern keine traditionelle Nahrungsmittelpflanze. In zunehmendem Maße führen die Programme von AGRA dazu, dass der Anbau von nährstoffreichen traditionellen Pflanzen zurückgedrängt wird.

Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit von AGRA besteht darin, Agrarpolitiken – zum Beispiel im Bereich Saatgut – in den beteiligten afrikanischen Ländern zu beeinflussen. Im Grunde geht es darum, die Agrarsektoren in vielen Ländern für Investitionen des Privatsektors zu öffnen und somit Profite zu generieren.

Seit wann arbeitet AGRA in Mali und was hat sie bislang getan?

AGRA begann ihre Arbeit in Mali gleich nach ihrer Gründung im Jahr 2006. Sie arbeiten auf verschiedenen Ebenen. Das allererste Projekt in Mali war ein Forschungsvorhaben zu Hybridmais mit dem nationalen Agrarforschungsinstitut, dem Institut d'Economie Rurale (IER). Tatsächlich wurde dieses Projekt nur von einem einzigen Forscher geleitet. Das gezüchtete Saatgut wurde an ein Privatunternehmen verkauft, das einer Frau gehörte, die ebenfalls von AGRA finanziert wurde.

Sie arbeiten auch zum Thema «Bodenfruchtbarkeit». Für AGRA bedeutet Bodenfruchtbarkeit, dass man so viel synthetischen Dünger wie möglich ins Land bringt und so viel wie möglich an die kleinbäuerlichen Erzeuger*innen verkauft. Damit viel Dünger verkauft werden kann, werden Agrarchemiehändler ausgebildet und Agrarchemiehändler-Netzwerke aufgebaut. Sie sind über das ganze Land verteilt und handeln nicht nur mit synthetischem Dünger, sondern auch mit Saatgut und Pestiziden. Man findet sie in fast jedem Dorf, in dem AGRA-Projekte umgesetzt werden. Sie sollen dafür sorgen, dass der Einsatz von synthetischen Düngemitteln überall erhöht wird.

Als drittes arbeitet AGRA in Mali daran (neue) Märkte für den Privatsektor zu erschließen. Dazu gehört vor allem ein Markt für Unternehmen, die in der Nahrungsmittelverarbeitung tätig sind, aber auch Märkte für kommerzielles Saatgut und synthetische Düngemittel. Davon profitieren natürlich einige Leute, und es gab auch schon einige NGOs, die mit Geldern von AGRA arbeiten und ihre Initiativen befürworten. 

Versucht AGRA auch die Politik zu beeinflussen?

Eine der Hauptaktivitäten von AGRA ist Lobbyarbeit und damit der Versuch die Politik in allen Ländern, in denen sie tätig sind, zu beeinflussen. Im Fall von Mali hatten sie damit glücklicherweise keinen Erfolg. Sie versuchten, Kontakte ins Landwirtschaftsministerium aufzubauen, um damit Einflussmöglichkeiten auf politische Prozesse zu bekommen – immer mit dem Ziel Politiken umzusetzen, die zentral auf den Privatsektor setzen und der im Endeffekt dann auch davon profitieren würde.

Warum ist AGRA daran gescheitert Einfluss auf die Politik in Mali zu gewinnen?

Die Zivilgesellschaft und auch die Bewegungen sind im Land sehr stark. Kleinbauernverbände  – ihr Dachverband heißt Coordination Nationale des Organisations Paysannes (CNOP-Mali) – spielen in Mai bei der Mitgestaltung von politischen Prozessen rund um Landwirtschaft und Ernährung eine wichtige Rolle. Sie sind sogar an der Ausarbeitung von Politikentwürfen beteiligt. Der malische Präsident öffnete den Kleinbauernverbänden im Jahr 2004 diesen politischen Raum, den sie seitdem erfolgreich besetzen.

So gelang es den Kleinbauernverbänden beispielsweise, das Konzept der Ernährungssouveränität als Leitlinie für alle ernährungs- und agrarpolitischen Maßnahmen der Regierung zu etablieren. Dies war das allererste Mal, dass Ernährungssouveränität in einem offiziellen Grundsatzdokument irgendwo auf der Welt erwähnt und anerkannt wurde. Wir – Zivilgesellschaft und Bewegungen –  haben den politischen Entscheidungsträger*innen im Land erläutert, was die Grundprinzipien von Ernährungssouveränität sind und wie sie im Widerspruch zur AGRA stehen.

Als wir mitbekommen hatten, dass AGRA-Projekte in Mali geplant sind, haben wir beschlossen im Jahr 2007 eine große internationale Konferenz zum Thema Ernährungssouveränität zu organisieren – ein Ergebnis der Konferenz ist die berühmte Nyéléni-Erklärung zu den Prinzipien der Ernährungssouveränität. Es gab in Mali von Anfang an einen starken, bäuerlich geführten Widerstand gegen AGRA.

Was ist deine Hauptkritik an AGRA? Warum glaubst du, dass die Grüne Revolution von AGRA nicht funktionieren wird oder sogar gefährlich sein könnte?

Wir starteten schon früh mit Kleinbauernorganisationen und anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen in Westafrika einen Prozess, um AGRA zu analysieren und unsere Perspektiven auf die Allianz zu diskutieren. Dabei stießen wir auf zehn Gründe AGRA abzulehnen. Für uns war es wichtig aus der Geschichte zu lernen. Wenn man sich die Grüne Revolution in Asien in den 1970er Jahren anschaut, dann ist das erste, was einem ins Auge springt, die wachsende Kluft zwischen armen und reichen Bauern dort. Durch AGRA werden diejenigen, die bereits Zugang zu Ressourcen haben, noch mehr Zugriff auf Ressourcen bekommen.

AGRA sagt gerne, dass sie sich um die Bedürfnisse von armen kleinbäuerlichen Erzeuger*innen kümmern und sie unterstützen wollen. Aber das funktioniert nicht und das stimmt auch nicht. AGRA arbeitet hauptsächlich mit Agrarchemiehändlern zusammen, aber die Ärmsten der Armen können sich deren landwirtschaftliche Inputs wie Hybridsaatgut oder synthetische Düngemittel gar nicht leisten. Und wenn sie dann doch bei ihnen einkaufen, dann werden sie höchstwahrscheinlich in eine Schuldenfalle geraten. Letzten Endes werden sie gezwungen sein, das wenige, was sie besitzen, wie zum Beispiel ihr Land, an Unternehmen oder an wohlhabende Bauern zu verkaufen, um so ihre Schulden zu bedienen.

Zum zweiten gefährdet AGRA bäuerliches Saatgut, weil Kleinbäuerinnen und -bauern es durch AGRA-Projekte verlieren und damit in Abhängigkeiten zu den Saatgutunternehmen geraten, die sie mit Hybridsaatgut beliefern. Zudem machen sie sich abhängig von Unternehmen, die synthetischen Dünger herstellen, weil Hybridsaatgut nur in Kombination mit Dünger und Pestiziden funktioniert. Es ist ein Teufelskreis, der kleinbäuerliche Erzeuger*innen immer weiter in die Armut treibt.

Drittens wissen wir, dass viele Akteure, die von Anfang an Teil von AGRA sind, nur daran interessiert sind neue Wege zu finden, um ihre Technologien und Produkte abzusetzen. Es geht folglich darum, neue Märkte für die wenigen Unternehmen zu schaffen, die an AGRA-Vorhaben beteiligt sind. All dies ist mit vielen negativen Konsequenzen verbunden. Ein konkretes Beispiel: Durch die Schaffung von Märkten für Hybridsaatgut, das hauptsächlich für den Anbau in Monokulturen gezüchtet ist, geht Agrobiodiversität verloren. Dabei ist Agrobiodiversität nicht nur die Lebensgrundlage für Millionen von kleinbäuerlichen Erzeuger*innen, sondern auch die Basis für widerstandsfähige Agrar- und Ernährungssysteme, gerade in Zeiten des Klimawandels.

Kannst du mir noch weitere Gründe nennen?

Der vierte Grund für die Ablehnung von AGRA ist, dass es nur einen sehr begrenzten Teil des Agrarsystems berücksichtigt. In Mali zum Beispiel ist die Viehhaltung sehr wichtig, ebenso wie die Forstwirtschaft und der Fischereisektor. Darüber schweigt AGRA, und ein «reiner» AGRA-Ansatz würde zur Vernachlässigung dieser wichtigen Bereiche, insbesondere im globalen Süden, führen.

Für uns geht es nicht nur darum, die Produktivität einer ganz begrenzten Anzahl von Nahrungspflanzen zu erhöhen, sondern auch darum, Bedingungen zu schaffen, damit die Menschen Nahrungsmittel auf nachhaltige Weise erzeugen und alle anderen Zugang zu diesen Nahrungsmitteln haben. Diejenigen, die Viehhaltung betreiben, sollen auch Zugang zu Getreide haben, und diejenigen, die Feldfrüchte anbauen, sollen auch Fisch essen können. Damit erhöht sich die Qualität des Essens für alle.

Hunger und Armut sind reale Probleme in Mali. Wie willst du sie lösen?

Hunger ist kein Produktionsproblem in Mali, wir erzeugen ausreichend Nahrungsmittel. Das Problem ist, dass die Menschen, die diese Nahrungsmittel benötigen, keinen Zugang zu ihnen haben. Es handelt sich also um ein strukturelles Problem. Wir erzeugen in Mali zum Beispiel rund neun Millionen Tonnen Getreide. Der Gesamtbedarf im Land liegt bei nur circa 3,8 Millionen Tonnen. Es müssen zuerst die strukturellen Ursachen für die Ungleichheit beseitigt werden, die dem marktwirtschaftlichen System inhärent sind.

AGRA postuliert, dass es keine Alternative zu ihrem Ansatz der Landwirtschaft als reines gewinnorientiertes Geschäftsmodell gibt, aber das stimmt nicht. Es gibt Alternativen, darunter agroökologische Ansätze in der Erzeugung von Lebensmitteln, ihrer Verarbeitung, der Lagerung, dem Handel und dem Verzehr. Die Anwendung der Agrarökologie würde mehr Nahrungsmittel, mehr Zugang zu Essen sowie mehr Widerstandsfähigkeit für die Agrar- und Ernährungssysteme weltweit bedeuten, besonders in Mali und anderen Sahelländern.

Du lehnst AGRA und das Konzept der Grünen Revolution ab. Was sind deine Alternativen für das Jetzt, aber auch für die Zukunft?

Das ist vielleicht eine der wichtigsten Fragen. Wir haben sehr hart daran gearbeitet, zu zeigen, dass es viele Dinge gibt, die wir tun können, um unsere Agrar- und Ernährungssysteme zu verbessern. Für uns ist es wichtig, die Landwirtschaft in ihrer ganzen Vielfalt anzuerkennen. Sie besteht aus der Viehhaltung, der Forstwirtschaft, der Fischerei und dem Anbau von Nahrungsmitteln – sie alle sind für uns gleich wichtig und miteinander verbunden.

Erstens, wenn man sich das Saatgutsystem in Mali anschaut, gibt es viele Dinge, die wir bewahren sollten. Wir haben ein sehr gut funktionierendes bäuerliches Saatgutsystem, das jetzt auch durch das Gesetz geschützt ist. Mehr als 80 Prozent des in Mali verwendeten Saatguts ist nach wie vor bäuerliches Saatgut. Und wenn man sich die Verbesserungen in der Produktivität seit den 1970er Jahren bis heute anschaut, dann sieht man, dass wir dieses Hybridsaatgut von AGRA gar nicht brauchen. Es gefährdet unser Erzeugungssystem und stürzt kleinbäuerliche Erzeuger*innen in Abhängigkeiten zu dem Saatgut der Konzerne.

Es gibt viele einfache, aber effiziente Möglichkeiten, die Bodenfruchtbarkeit zu verbessern, ohne synthetische Düngemittel einzusetzen, die die Ökosysteme in den Böden zerstören. Eine davon ist die Agroforstwirtschaft, um damit die Böden zu regenerieren, oder die Verwendung von organischem Dünger oder der Mischanbau anstelle des Anbaus in Monokulturen.

Schließlich sind Märkte sehr wichtig, aber sie müssen für kleinbäuerliche Erzeuger*innen funktionieren. Der internationale Markt ist nichts für sie und sie haben keine Kontrolle darüber. Was wir tun müssen, ist der Aufbau von regionalen Märkten (engl.: «territorial markets») auf verschiedenen Ebenen, zum Beispiel auf Ebene eines Dorfes, eines Landes oder sogar über Landesgrenzen hinweg. Regionale Märkte sind geeigneter, um die Erzeugung von Lebensmitteln zu verbessern, starke Verbindungen zwischen den Erzeuger*innen und den Verbraucher*innen zu schaffen und die Einnahmen für kleinbäuerliche Erzeuger*innen und Landarbeiter*innen zu erhöhen. Darüber hinaus gelingt es auf regionalen Märkten einfacher die Umverteilung von Reichtum zu organisieren und die lokale Entwicklung zu stärken. Wir brauchen regionale Märkte, um die Menschen zu ernähren, nicht die Weltmärkte. Die lokale Weiterverarbeitung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen ist sehr wichtig, denn sie schafft Beschäftigungsmöglichkeiten für vor allem für junge Menschen und Frauen. Wir brauchen Märkte, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren, anstatt nur Gewinne zu erwirtschaften. Und wir sollten folgendes nicht vergessen: Lebensmittel sind mehr als nur irgendeine Ware.