Nachricht | Arbeit / Gewerkschaften - Südostasien - Corona-Krise - Ernährungssouveränität Lockdown, Verschuldung und Verlust von Arbeitsplätzen

Was die Pandemie für die kambodschanischen Landarbeiter*innen bedeutet

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Autorin

Chanra Keo,

Das südostasiatische Land Kambodscha ist von ländlichen Regionen geprägt. Trotz der Industrialisierung und des wirtschaftlichen Aufschwungs der letzten Jahrzehnte leben 70 Prozent der Bevölkerung weiterhin im ländlichen Raum und sind dort vorwiegend in der Landwirtschaft tätig. Welche Folgen haben die Coronavirus-Pandemie und Lockdowns – die wir in der Regel mit einer urbanen Umgebung assoziieren – für diesen ländlichen Raum?

Philip Degenhardt, Direktor des RLS Regionalbüros Südostasien in Hanoi, sprach mit Chanra Keo, Generalsekretärin und Mitbegründerin der Organisation CCFC, um mehr zu erfahren.

Der CCFC ist ein Verband von Kleinbauern und Kleinbäuerinnen und von der Landwirtschaft abhängiger Gemeinden. Er ist in neun Provinzen Kambodschas vertreten und setzt sich für Lösungen rund um Fragen von Landrechten, dem Abbau natürlicher Ressourcen und Zwangsräumungen ein.

Liebe Frau Keo, herzlichen Dank, dass Sie sich Zeit für dieses Interview nehmen. Können Sie uns ein allgemeines Bild der derzeitigen Lage in Kambodscha geben?

Was die Covid-19 Pandemie angeht, scheint die Lage hier im Großen und Ganzen nicht kritisch zu sein. Im Vergleich zu anderen Ländern steigt die Zahl der Infektionen nur langsam: Bisher wurden 125 Fälle festgestellt. Es wurden nur zwei neue Fälle bestätigt und 122 Menschen sind genesen.

Das Gesundheitsministerium aktualisiert die Rate der Covid-19 Fälle täglich. Sie klärt die Bevölkerung über verschiedene Kanäle auf: Poster, Banner, Videos und Sendungen im öffentlichen Fernsehen. An einigen Stellen wurden auch Masken und andere Schutzausrüstung zur Verfügung gestellt. Wir sehen aber auch, dass sich das Verhalten der Menschen nicht wirklich geändert hat. Hier und dort finden weiterhin Versammlungen statt. Gleichzeitig beobachten wir, dass die Regierung die Covid-19-Maßnahmen dahingehend ausnutzt, Gruppen zu kontrollieren, deren Arbeit und Tätigkeiten regierungskritisch sind, wie zum Beispiel NGOs.

Bisher kam es in über hundert Fabriken zu zeitweisen Schließungen. In solchen Situationen greift die Regierung dem Privatsektor unter die Arme und übernimmt einen Teil der Lohnfortzahlung der Arbeiter*innen, die in diesen Fabriken angestellt sind. Das Unternehmen bezahlt dann 30 und die Regierung 40 US-Dollar – die Arbeiter*innen, die zu Hause bleiben, erhalten also 70 Dollar im Monat. Diese Unterstützung wird jedoch nicht überall geleistet, sondern beschränkt sich auf größere Unternehmen mit tausenden Angestellten. Es gibt viele Arbeiter*innen – beispielsweise jene, die in Begleitservice- und Wellness-Sektor arbeiten –, die keine Unterstützung bekommen. In diesem Sinne sind die Maßnahmen weder gleichmäßig noch gerecht verteilt.

Die freie Meinungsäußerung wurde eingeschränkt. Ein Journalist wurde festgenommen, nachdem er sich kritisch zur Aussage von Premierminister Hun Sen äußerte, die Regierung sei nicht in der Lage, die Tuk-Tuk Fahrer*innen zu unterstützen, die wegen Covid-19 ihr Einkommen verloren haben. Insbesondere wenn man die Maßnahmen der Regierung hinterfragt, ist es gefährlich, über Covid-19 und die damit verbundenen Probleme zu sprechen.

Wie wirkt sich die Pandemie auf die Lebensmittelversorgung im Land aus?

Die Lebensmittelpreise sind im ganzen Land gestiegen. Das stellt die arme Bevölkerung vor eine enorme finanzielle Herausforderung. Seit Wochen sind die Grenzen zu Nachbarstaaten wie Thailand und Vietnam geschlossen. Kambodscha importiert einen Großteil der Nahrungsmittel aus diesen Ländern. Die Grenzschließungen führen also zum Rückgang von Importen, was sich auf die Nahrungsmittelpreise ausgewirkt hat: Ein Kilogramm Rindfleisch zum Beispiel kostet normalerweise 35.000 kambodschanische Riels (7,50 Euro), im Zuge der Pandemie ist der Preis um ca. 20 Prozent auf 42.000 Riels (ca. 9,00 Euro) gestiegen.

Wie sieht es diesbezüglich bei Landarbeiter*innen und Kleinbauern und Kleinbäuerinnen aus?

Arbeiter*innen und Landarbeiter*innen befinden sich in einer sehr prekären Lage. Die Gemeinden sehen sich derzeit mit zahlreichen Schwierigkeiten konfrontiert, die nicht direkt mit dem Virus zusammenhängen, allerdings trotzdem ihre Existenzgrundlage gefährden, weil sich die Situation noch immer nicht normalisiert hat. Viele Arbeitsstätten wie Karaoke-Bars, Bekleidungs- und Schuhfabriken sind weiterhin geschlossen. Viele Arbeiter*innen haben ihre Stellen verloren und sind nun von Familienmitgliedern abhängig, die als Landarbeiter*innen arbeiten und die selbst unter großem Druck stehen.

Ungefähr 90 Prozent der Landwirt*innen in Kambodscha sind verschuldet. Sie nehmen Mikrokredite auf oder bekommen Geld von Familienmitgliedern, die aus den ländlichen Gebieten in wirtschaftlich dynamischere Gegenden abgezogen sind, um dort in der Agrarindustrie oder im informellen Sektor zu arbeiten. Wenn diese Familienmitglieder nun durch Covid-19 ihre Arbeit verloren haben, können sie die Schulden der Landwirt*innen in ihren Familien nicht mehr abzahlen – und dann fehlt es den Landwirt*innen an Kapital, um die Produktion (wieder) aufzunehmen.

Viele unserer Mitglieder sind Landwirt*innen, die agrarindustrielle Landwirtschaft betreiben, und zum Beispiel Kautschuk und Zuckerrohr anpflanzen. Sie leiden unter den niedrigen Preisen, die ihre Produkte aufgrund der geringen Nachfrage derzeit auf dem Markt erzielen. Die Preise sind so stark gesunken, dass es unmöglich ist, die Produktionskosten zu decken, geschweige denn die Mikrokredite zurückzuzahlen.

Vor kurzem habe ich eine ländliche Gemeinde nahe Phnom Penh besucht. Die Gemeinde ist stark vom Virus und seinen Auswirkungen betroffen, viele Einwohner*innen haben ihren Job oder ihre Einkommensquellen verloren, es reicht kaum zum Essen. Man hat Großversammlungen verboten und grundlegende Rechte wie Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung eingeschränkt. In der Folge gibt es keine öffentliche Berichterstattung über die Probleme vor Ort und die Menschen sind auf sich alleine gestellt.

Welche Strategie verfolgt die CCFC, um der Situation zu begegnen?

Wir versuchen, unseren Arbeitsfonds aufzustocken, um unsere Mitglieder noch mehr zu unterstützen. Gemeinsam mit unseren Partner*innen haben wir Ende April mehrere Anträge an verschiedene Ministerien gestellt, um Hilfen anzufordern. Wir haben das Gesundheitsministerium gebeten, kleine landwirtschaftliche Betriebe sowie von Armut betroffene städtische Communities mit Masken und Lebensmittelhilfen zu versorgen. In einem offenen Brief an das Wirtschaftsministerium haben wir dafür plädiert, dass die Regierung die Aussetzung von Kreditrückzahlungen anordnet, weil Arbeiter*innen und Landwirt*innen große Einkommenseinbußen erlitten haben. Zudem haben wir eine Petition beim Ministerium für Landmanagement, Stadtplanung und Bau eingereicht, die die Regierung dazu auffordert, den Landwirt*innen Land zu überlassen und eine weitere beim Ministerium für Landwirtschaft, Försterei und Fischerei, sie mit der Technologie auszustatten, die für eine gute landwirtschaftliche Praxis (GAP, Good Agricultural Practice) nötig ist. 

Wir haben ein Verzeichnis der Landwirt*innen angelegt, die Hilfeleistungen benötigen und sammeln Informationen über ihre Situation. Es geht darum, sie dabei zu unterstützen, während der Pandemie selbst Lebensmittel zu produzieren. Auch im Ausland versuchen wir Gelder einzuholen, um auf den Lebensmittelnotstand zu reagieren. Tatsächlich haben viele Landwirt*innen nicht vor Covid-19 Angst, sondern vielmehr davor, dass ihr Geld nicht mehr zum Leben reicht, weil die Lebensmittelpreise so maßlos in die Höhe geschossen sind.

Auf regionaler Ebene halten wir die Landwirt*innen mithilfe unserer Netzwerke auf dem Laufenden über die Situation in anderen Ländern – und wir informieren auch im Ausland über die Lage in Kambodscha. Wir haben einen offenen Brief unterzeichnet, der fordert, dass die Lebensbedingungen von Landwirt*innen langfristig verbessert werden müssen.

Sehen Sie in dieser Krise auch die Möglichkeit einer positiven Entwicklung?

Kambodscha weiß um seine Bedeutung als Agrarland und trotzdem wird ein Großteil der Lebensmittel aus Nachbarstaaten importiert. Der Ausbruch von Covid-19 wäre für Kambodscha ein guter Anlass, um sich damit auseinanderzusetzen, wie man nachhaltige Landwirtschaft und Ernährungssouveränität fördern könnte, zum Beispiel durch ökologische Landwirtschaft oder gute landwirtschaftliche Praxis – das ist etwas, das die Regierung bereits jetzt unterstützt.

[Übersetzung von Charlotte Thießen und Tabea Xenia Magyar für Gegensatz Translation Collective]