Nachricht | Arbeit / Gewerkschaften - Sozialökologischer Umbau - Spurwechsel - GK Zukunft Auto Umwelt Mobilität - Klimagerechtigkeit Wir müssen reden!

Aber weniger über die Industriegewerkschaften als vielmehr mit ihren Mitgliedern.

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Autorin

Fanny Zeise,

Wir streiken, bis ihr handelt. Hamburg, 14.08.2020 ©verdi
Um bessere Arbeitsbedingungen und den Ausbau des öffentlichen Verkehrs durchzusetzen, arbeiten ver.di und Fridays for Future anlässlich der Tarifkampagne Nahverkehr schon seit über einem halben Jahr zusammen. «Wir streiken, bis ihr handelt.» Hamburg, 14. August 2020, ©ver.di

Die lautstarke Schelte der SPD-Vorsitzenden, die sich einer Kaufprämie für PKW mit Verbrennungsmotoren im Konjunkturpaket verweigerte, durch den IG Metall Vorsitzenden Jörg Hofmann entsetzt Klimaaktive – und nicht nur die – mit Recht. Hier wird anscheinend als brüske Zurückweisung empfunden, wenn die Politik der mächtigen Autoindustrie einmal einen Wunsch ausschlägt. 

Fanny Zeise ist Referentin für Arbeit, Produktion, Gewerkschaften bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Dennoch ist es verfehlt, von einer strukturellen Feindschaft zwischen Klimabewegung und Industriegewerkschaften zu sprechen. Stattdessen gilt zu ergründen, wo die Spannungen ihren Ursprung haben und wie die sozial-ökologische Linke produktiv damit umgehen kann.

Der Vorfall zeigt zweierlei:

  1. Teile der IG Metall sind so nah an den Autokonzernen dran, dass sie die Interessen der Autoindustrie und diejenigen der Beschäftigten nicht immer sauber sortiert bekommen. Das liegt daran, dass die Betriebsräte der großen Konzerne seit Jahren einen – immer wieder von kleineren Konflikten durchbrochenen – Co-Management-Kurs verfolgen, der trotz Abbau übertariflicher Leistungen und zunehmender Arbeitsverdichtung immer noch relativ hohe Löhne und Sicherheit für den Kern der Beschäftigten bedeutet. Allerdings versperrt er den Weg für eine eigene, alternative sozial-ökologische Konversionsstrategie. So trägt die IG Metall mittlerweile den von den wichtigen deutschen Autokonzernen beschlossenen Ausbau der E-Mobilität mit, obwohl mit dem neuen Antriebsstrang Beschäftigungsabbau und Dequalifizierung drohen. Immerhin wurde damit die Bekämpfung des Klimawandels als ein wichtiges Ziel der IG Metall in der Organisation gesetzt und Offenheit gegenüber der Klimabewegung demonstriert.
  2. DIE IG Metall gibt es so nicht, wie auch die ambivalente Haltung ihres Vorsitzenden hinsichtlich des Antriebsstranges zeigt. In ihr kommen unterschiedliche unmittelbare Interessen, politische Überzeugungen und Gewerkschaftsstrategien zusammen. Es lohnt sich, bei ihren Mitgliedern – auch den potentiellen – nach Anknüpfungspunkten zu suchen. Denn auch Beschäftigte in der Autoindustrie haben Angst vor der Klimakatastrophe oder die Einsicht, dass immer mehr Autos zum Verkehrskollaps führen. Gleichzeitig wissen die Kolleg*innen im Betrieb aber am besten um die technischen und ökologischen Probleme der E-Mobilität sowie der Absatzkrise und fürchten um ihre Jobs. Sie als Bewahrer oder Co-Manager abzuschreiben und möglicherweise an die AfD zu verlieren, wäre fatal und würde die Klimabewegung gesellschaftlich schwächen.

Stattdessen sollte die Linke mit ihnen in den Dialog über ein kohärentes, sozial-ökologisches Transformationskonzept treten, das ihre Interessen nicht hinten runter fallen lässt und Möglichkeiten zum Erhalt von Jobs und Wege alternativer Produktion aufzeigt. Denn Beschäftigte werden nur für eine Verkehrswende eintreten und mit der Klimabewegung kooperieren wenn sie sich sicher sind, dass die soziale Dimension ernst gemeint ist.

Auch wenn Demonstrationen, Proteste und ein verändertes gesellschaftliches Bewusstsein gegenüber dem Auto einiges bewirken kann: Ohne eine offensive Strategie der IG Metall wird es in absehbarer Zeit keine Durchsetzungsperspektive für ein Transformationsprojekt geben, das sich gegen die Profitinteressen der Autoindustrie stellt.

Immerhin stehen angesichts der tiefen Krise in der Autoindustrie und der bevorstehenden Kämpfe gegen Entlassungen und Betriebsschließungen die Chancen gut, eine ernsthafte Diskussion mit den Kolleg*innen zu beginnen und sich aus der bloßen Beobachterposition zu lösen.

Rückenwind kann die Kooperation von Klimabewegung und Gewerkschaft in einer anderen Branche, dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), geben. Hier arbeiten ver.di und Fridays for Future anlässlich der Tarifkampagne Nahverkehr schon seit über einem halben Jahr zusammen, um bessere Arbeitsbedingungen und den Ausbau des öffentlichen Verkehrs durchzusetzen. Nach einer gemeinsamen Pressekonferenz Ende Juli sind unter anderem Straßenaktionen, Fotopetitionen und ein gemeinsamer Aktionstag am 18. September geplant.

Die Klimabewegung macht mit diesem Engagement klar, dass ein Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs nicht auf dem Rücken der Beschäftigten durchgesetzt werden kann. Im ÖPNV wurde seit 1998 18 Prozent des Personals abgebaut, obwohl die Verkehrsleistung im gleichen Zeitraum um 24 Prozent gestiegen ist. Damit ist schon der Regelbetrieb im Nahverkehr angesichts der dünnen Personaldecke und dem hohem Arbeitsstress der Beschäftigten kaum zu gewährleisten. Ein Ausbau des ÖPNV ist deswegen nur mit deutlich mehr Personal und besseren Arbeitsbedingungen denkbar.

Für ver.di bedeutet die in über 40 Städten stattfindende Kooperation mit Fridays For Future deutlich machen zu können, dass dieser Tarifkonflikt ein gesellschaftliches Kernanliegen verhandelt: es geht darum, Weichen für eine sozialgerechte und nachhaltige Zukunft zu stellen. So führt die Zusammenarbeit dazu, dass über die konkreten Tarifforderungen hinausweisende Ziele nach einem massiven Ausbau des ÖPNV angegangen werden und die dafür notwendigen gesellschaftlichen Bündnisse aufgebaut werden.

Wenn es ver.di und der Klimabewegung gelingt in der Tarifkampagne substanzielle Erfolge zu erzielen, wird auch für Beschäftigte in der Autobranche eine sozial-ökologische Verkehrswende greifbarer. Statt eines Projekts ökologischer Träumer und städtischer Besserverdiener kann sie als gemeinsame Auseinandersetzung gegen Klimawandel, für sichere und gute Jobs und Mobilität für alle, wahrgenommen werden, in der die Beschäftigten der Mobilitätsbranchen eine zentrale Rolle spielen.