Trotz der grassierenden Pandemie entschied der US-Bundesstaat Georgia, die Präsidentschaftsvorwahl am 9. Juni 2020 in Georgia stattfinden zu lassen. Die Wahl verlief alles andere als gut: unzugestellte Briefwahlunterlagen, defekte Wahlgeräte, stundenlange Wartezeiten – ganz zu schweigen vom Risiko, sich ein tödliches Virus einzufangen. Die Wähler*innen sahen sich mit zahlreichen, teils unüberwindbaren Hindernissen konfrontiert. Es bleibt offen, inwieweit dieses Fiasko die Folge einer überlasteten Wahlinfrastruktur und stümperhaften Wahlleitung war und inwieweit es sich um absichtliche, gezielte Wählerunterdrückung handelte. Fraglos ist dagegen, dass bei der Wahl in Georgia offenkundige Inkompetenz einem faktischen Wahlausschluss in die Hände spielte.
James Hare ist ein Forscher und Autor aus Decatur, Georgia. Übersetzung von Utku Mogultay und Katharina Martl für Gegensatz Translation Collective.
Wahlrechtsgruppen beschrieben die Wahl als «inakzeptabel» und «totale Katastrophe». Da viele Wahllokale infolge der COVID-19-Pandemie geschlossen blieben mussten und es an Wahlhelfer*innen fehlte, hatte der Bundesstaat Georgia zu einer außergewöhnlichen und beispiellosen Maßnahme gegriffen: Allen registrierten Wähler*innen wurden unaufgefordert die Briefunterlagen zugesandt. Allerdings berichteten auch viele Wähler*innen, die Unterlagen hätten ihren Briefkasten nie erreicht. Selbst die frühere Gouverneurskandidatin Stacey Abrams sah sich zur persönlichen Stimmabgabe gezwungen, da ihre Wahlunterlagen einen unbrauchbaren Rückumschlag enthielten. Am Wahllokal angekommen mussten die Wähler*innen, insbesondere in afroamerikanisch geprägten Vierteln, bis zu fünf Stunden lang in Warteschlangen anstehen. In der Politik schob man sich gegenseitig die Schuld für das Chaos zu: Der republikanische Staatssekretär Brad Raffensperger, der auch die staatliche Wahlbehörde leitet, machte die Wahlausschüsse der Countys verantwortlich. Die Countys wiederum verwiesen darauf, dass es Probleme mit den Wahlgeräten gegeben habe, die ihnen die Wahlbehörde zur Verfügung gestellt hatte, und dass die technische und logistische Unterstützung völlig unzureichend gewesen sei. Wer auch immer Schuld trägt, das Ergebnis bleibt dasselbe, nämlich erhebliche Wahlrechtseinschränkungen. Für viele wirft das ein beunruhigendes Licht auf die Präsidentschaftswahlen im November, bei denen ein wesentlich höhere Beteiligung erwartet wird.
In Georgia ist Wählerunterdrückung nichts Neues. Von 1871 (als die Reconstruction in Georgia praktisch abgeschlossen war) bis 1965 hielt ein formalisiertes System der weißen Vorherrschaft Schwarze von der Teilnahme an Wahlen ab. Mit dem Voting Rights Act von 1965 endete der formelle Ausschluss – zumindest für Personen ohne Vorstrafen –, und eine Reihe wichtiger Vorkehrungen zum Schutz der Wahlrechte wurde eingeführt. Doch als der Supreme Court 2013 entschied, einige der sinnvollsten Regelungen aus dem Voting Rights Act zu streichen, kam es in den USA erneut zu massiver Wählerunterdrückung. In Georgia hatten wir es mit einer der vielleicht drastischsten Episoden von Wählerunterdrückung im gesamten Land zu tun. Dieser Aufsatz bietet zunächst einen historischen Rückblick auf die Situation in Georgia, um anschließend das Problem der Wählerunterdrückung im 21. Jahrhundert zu betrachten. Die historisch gewachsene Wählerunterdrückung gipfelte im Jahr 2018, als Brian Kemp, der damalige Staatssekretär Georgias, eine Wahl leitete, bei der er selbst als Gouverneurskandidat antrat und gegen Stacey Abrams ins Rennen ging – die erste schwarze Frau, die je von einer großen Partei als Kandidatin für das Gouverneursamt nominiert worden war. Kemps unrechtmäßiger Wahlsieg dürfte vielen Republikaner*innen in Georgia ein letzter Strohhalm im Machtkampf um einen sich rasant wandelnden Bundesstaat gewesen sein. Um dieser Form von Wählerunterdrückung etwas entgegenzuhalten, setzen sich die wiedererstarkte Demokratische Partei in Georgia und weitere unabhängige Bündnisse für die Stärkung der Wahlrechte und der Wahlgerechtigkeit ein.
Jim Crow und der Voting Rights Act
In Georgia – einer patriarchalen, weißen Siedlerkolonie, die auf geraubtem Land errichtet und deren Wirtschaft durch die Arbeit versklavter Menschen am Laufen gehalten wurde – war die Demokratie schon immer wenigen Privilegierten vorbehalten. Mit dem Bürgerkrieg und der Reconstruction schien diese Gesellschaftsordnung an ihr Ende gekommen. Zwischen 1865 und 1870, also unmittelbar nach Ende des Bürgerkriegs, wurden der 13., 14. und 15. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten verabschiedet. Die Sklaverei war damit abgeschafft, den Schwarzen wurden Bürgerrechte gewährt, und alle Bürger, unabhängig von Hautfarbe und Abstammung, erhielten das Wahlrecht (die Wahlbeschränkungen für Frauen wurden jedoch erst 1920 durch Verabschiedung des 19. Zusatzartikels aufgehoben, und schwarze Frauen in den Südstaaten konnten ihr Wahlrecht erst ab 1965 wirksam ausüben).
Die Phase der Reconstruction dauerte in Georgia nicht so lange wie in einigen anderen Südstaaten. Während der sogenannten «Congressional Reconstruction» – als radikale Republikaner gegen den Widerstand von Präsident Andrew Johnson im Kongress Pläne zur Umsetzung der Rassengerechtigkeit vorbrachten – stellte die US-Regierung ihre militärische Stärke in den Dienst des Schutzes der bürgerlichen und politischen Rechte von Schwarzen. Ein Verfassungskonvent, an dem sowohl Weiße als auch Schwarze beteiligt waren, verabschiedete 1868 dann die Verfassung des Bundesstaats Georgia. Die Verfassung verlieh Schwarzen das Wahlrecht, gewährte verheirateten Frauen Eigentumsrechte, schuf ein frei zugängliches öffentliches Bildungssystem und sah Schuldenerleichterungen vor. Weiße und schwarze Republikaner (die Partei von Lincoln) gingen in Georgia als stärkste politische Kraft hervor und übernahmen vorsichtig die Regierungskontrolle, die sie gegen den gewaltsamen Widerstand und rassistischen Terror des Ku-Klux-Klans verteidigen mussten. Die Reconstruction in Georgia endete 1871, als konservative weiße Demokraten, die sogenannten «Redeemer» (die Partei der Konföderierten), beide Kammern der Legislative übernehmen konnten, wobei sie sehr davon profitierten, dass republikanische Wähler durch rassistische Gewalt unterdrückt worden waren. Die politischen Errungenschaften der Reconstruction wurden 1877 durch Verabschiedung einer Redeemer-Verfassung wieder rückgängig gemacht, woraufhin schwarze Bürger*innen in Georgia fast ein ganzes Jahrhundert lang faktisch von Wahlen ausgeschlossen waren.
Nachdem sich die Hoffnungen der Reconstruction zerschlagen hatten, begann in Georgia eine lange Phase der gesetzlich erzwungenen Segregation und Entrechtung, die als Jim-Crow-Ära bekannt ist. Die Jim-Crow-Gesetze begründeten ein umfassendes System der rassistischen Kontrolle, wobei die Beschränkung des Wahlrechts nur ein Teil davon war. Das System bestand aus einer Reihe restriktiver Gesetze und Regelungen, die Schwarzen faktisch das Wahlrecht entzogen. Dazu gehörten Maßnahmen wie Wahlsteuern, Alphabetismus-Tests, erhöhte Anforderungen bei der Vorlage von Wohnsitznachweisen, die Zulassung ausschließlich weißer Kandidaten zu den Vorwahlen der Demokraten – ganz abgesehen von Formen der gewaltsamen Unterdrückung, darunter etwa das Massaker von Atlanta im Jahr 1906 und zahlreiche Lynchmorde. All das führte dazu, dass Schwarze von der Teilhabe am öffentlichen politischen Leben ausgeschlossen waren. Da ihnen infolge dieser gezielten Unterdrückungsmaßnahmen die Mitwirkung an der staatlichen Politik versagt blieb, fanden auch die wirtschaftlichen und sozialen Belange schwarzer Communities kein Gehör.
Das als «Wiege der Bürgerrechtsbewegung» bekannte Georgia war von zentraler Bedeutung für den schwarzen Freiheitskampf. Bereits als die Jim-Crow-Gesetze Ende des 19. Jahrhunderts eingeführt wurden – und auch schon lange zuvor –, hatten schwarze Menschen Widerstand gegen die Rassentrennung und ihre Entrechtung geleistet, doch nach dem Zweiten Weltkrieg begann eine neue Phase dieses Kampfes. Die gesellschaftlichen Fortschritte in den 1940er Jahren veranlassten die Verfechter der weißen Vorherrschaft zu einem organisierten Backlash. Dazu gehörte eine verschärfte Segregationspolitik, aber auch die Einschüchterung von Aktivist*innen durch gewaltsame Racheaktionen, was dann zu den Massenprotesten der 1950er und 60er Jahre führte. In den Städten konnten die Proteste trotz einiger Rückschläge Erfolge verzeichnen; nur in den ländlichen Gebieten, die von großer Armut und gewaltsamer Unterdrückung geprägt waren, tat sich die Bewegung mit ihrem Zusammenhalt schwer. Als 1964 der Civil Rights Act verabschiedet wurde, gefolgt vom Voting Rights Act im Jahr 1965, bedeutete das nicht Ende der Bewegung, sondern läutete ein neues Kapitel ein, denn die Kampagnenarbeit für die Repräsentation bei Wahlen, die Desegregation des Bildungssystems und die wirtschaftliche Stärkung der schwarzen Bevölkerung wurden fortgesetzt.
Mit dem Voting Rights Act von 1965, einer der wichtigsten rechtlichen Errungenschaften der Bewegung, bekräftigte die US-Regierung erneut das Wahlrecht der schwarzen Bürger*innen. Dieses Gesetz enthielt allgemeine, landesweit geltende Regelungen, wie etwa das Verbot von Alphabetismus-Tests, aber auch spezielle Regelungen für Gebiete, in denen es in der Vergangenheit zu Verstößen gegen das Wahlrecht gekommen war, darunter auch Georgia. In den betreffenden Bezirken wurde eine Vorabgenehmigung («preclearance») erforderlich, d. h. vor der Änderung von Wahlverfahren musste zunächst eine Genehmigung beim Justizministerium oder den Bundesgerichten eingeholt werden.
Der Voting Rights Act war ein großer Erfolg und führte dazu, dass die Zahl der registrierten afroamerikanischen Wähler*innen und ihre Wahlbeteiligung enorm anstieg. Außerdem trug das Gesetz dazu bei, dass wesentlich mehr Schwarze in Ämter gewählt wurden. 1972 wurde Andrew Young als erster Schwarzer seit der Reconstruction zum Kongressabgeordneten von Georgia gewählt, und 1973 wurde Maynard Jackson der erste schwarze Bürgermeister von Atlanta. Bei seiner konservativen – und sogar rassistischen – Kampagne als Gouverneurskandidat für Georgia im Jahr 1970 erhielt Jimmy Carter nur wenige Stimmen von Schwarzen. Unmittelbar nachdem er sein Amt angetreten hatte, sprach sich Carter jedoch gegen rassistische Diskriminierung aus und wurde zu einem wichtigen Verteidiger der Bürgerrechte. Es waren die Stimmen der schwarzen Wähler*innen aus den Südstaaten, die Carter zu dem knappen Vorsprung verhalfen, der ihm bei den Präsidentschaftswahlen von 1976 den Sieg gegen Gerald Ford sicherte.
Moderne Wählerunterdrückung und die Aushöhlung des Voting Rights Act
Obwohl der Voting Rights Act die Diskriminierung bei Wahlen erfolgreich eindämmte, läutete er nicht das goldene Zeitalter der Wahlbeteiligung ein. Bei Präsidentschaftswahlen macht nur knapp die Hälfte der registrierten Wähler*innen von ihrem Wahlrecht Gebrauch, und bei Vorwahlen und allen anderen Wahlen, die nicht in einem Jahr mit Präsidentschafts- oder Midterm-Wahlen stattfinden, ist die Beteiligung noch weitaus geringer. Dennoch beendete der Voting Rights Act die meisten Formen des rassistischen Wahlausschlusses und richtete sinnvolle Schutzmechanismen ein. Dies änderte sich jedoch schlagartig im Jahr 2013, nämlich mit dem berüchtigten Urteil des Obersten Gerichtshofs im Fall Shelby County v. Holder. Darin wurde entschieden, dass die Bedingungen, die ursprünglich das Verfahren zur Vorabgenehmigung legitimierten, nicht mehr gegeben sind, und dass diese zentrale Gesetzesregelung daher keine Legitimation mehr hat. Für den Obersten Gerichtshofs schien der Erfolg des Voting Rights Acts Grund genug, das Gesetz auszuhöhlen.
Schon vor diesem Urteil war es in manchen Bundesstaaten zu neuen Formen der Wählerunterdrückung gekommen, doch mit Shelby County v. Holder brachen alle Dämme. Ungefähr zur Zeit der Midterms im Jahr 2010 erließen einige Staaten neue Gesetze und Regelungen, die die Teilnahme an den Wahlen erschweren und unterrepräsentierte Gruppen von der Wahlurne fernhalten würden. In den USA ist Wählerunterdrückung im 21. Jahrhundert keine Randerscheinung, sondern ein weitverbreitetes und koordiniertes Vorgehen, um ganze Bevölkerungsgruppen von Wahlen fernzuhalten. Und mehr noch als in den Vereinigten Staaten insgesamt ist Wählerunterdrückung in Georgia – wie Bill Fletcher, Jr. und Carl Davidson argumentieren – eine «Verleugnung sich wandelnder demografischer Strukturen». In Georgia zeigte sich die Wählerunterdrückung in Form von strengen Identifikationsanforderungen, Löschungen aus Wählerverzeichnissen, Hindernissen bei der Registrierung, Schließungen von Wahllokalen, Einschränkungen bei der vorzeitigen Stimmabgabe, Aberkennungen des Wahlrechts von Vorbestraften sowie Schiebungen bei der Festlegung von Wahlkreisgrenzen (Gerrymandering).
Gesetze zur Wähleridentität sind eines der beliebtesten Rechtsmittel, die zur Wählerunterdrückung eingesetzt werden. Sie verlangen von Wähler*innen, im Wahllokal einen staatlich ausgestellten Lichtbildausweis vorzuzeigen, was angeblich Identitätstäuschungen verhindern soll. In Georgia wurde 2005 ein solches Gesetz verabschiedet, und 2007 wurde es in geänderter Fassung von den Bundesbehörden genehmigt. Für Wähler*innen, die über einen Führerschein oder Ausweis verfügen, stellen dieses und weitere ähnliche Gesetze keine große Hürde dar. Doch ohne diese Dokumente müssen Bürger*innen mühsam eine Reihe von Antragsformularen zusammensuchen und sich damit zu einer staatlichen Behörde begeben, die zur Ausstellung von Ausweisdokumenten befugt ist – was in Georgia kostenfrei geschieht, denn diese Bedingung war eine der Auflagen der Genehmigung des Gesetzes zur Wähleridentität (einer solchen Genehmigung bedarf es seit Shelby County aber nicht länger). Studien haben gezeigt, dass die vom Gesetz betroffenen Wähler*innen tendenziell eher jung oder alt sind, in Armut leben oder der Arbeiterklasse angehören und zur afroamerikanischen oder hispanoamerikanischen Bevölkerung zählen. Anders gesagt: Es sind wahrscheinlich demokratische Wähler*innen (ältere Wähler*innen stimmen zwar tendenziell eher für die Republikaner, doch ältere, geringverdienende Wähler*innen bilden hier eine Ausnahme). Eine Untersuchung von Atlanta Journal-Constitution aus dem Jahr 2012 hat ergeben, dass die Zahl der afro- und hispanoamerikanischen Wähler*innen zwar trotz des Gesetzes gestiegen ist, doch ebenso zeigte sich, dass Tausende von Wähler*innen aufgrund dieses Gesetzes abgewiesen wurden, und das, obwohl die Wahlaufsicht keinen einzigen verhinderten Täuschungsfall meldete.
Dass Nichtbürger*innen angeblich an Wahlen teilnehmen würden, diente in mehreren Staaten als Rechtfertigung für Streichungen aus Wählerverzeichnissen. Wie auch im Fall der Gesetze zur Wähleridentität gibt es kaum Belege dafür, dass unberechtigte Personen tatsächlich an Wahlen teilgenommen hätten. Dennoch wurden Abhilfemaßnahmen eingeführt, die vor allem afro- und hispanoamerikanische Wähler*innen vor unverhältnismäßig große Schwierigkeiten stellen. Dieses Vorgehen speist sich oft aus rassistischen Stereotypen über kriminelle Ausländer, die das «wahre Amerika» übernehmen und abschaffen wollen. Mit solchen Ansichten wurden in Florida und anderen Staaten Streichungen aus dem Wählerverzeichnis und die Einführung zahlreicher Anti-Immigrations-Gesetze legitimiert, ganz abgesehen davon, dass sie auch die Präsidentschaftskampagne des amtierenden Präsidenten prägten. Im Dezember 2019 wurden in Georgia 309.000 Wähler*innen aus dem Wählerverzeichnis gestrichen, was fast vier Prozent der registrierten Wähler*innen entspricht. Ein Teil davon war tatsächlich verzogen oder wurde aus anderen legitimen Gründen aus dem Verzeichnis gestrichen, und Zehntausende verblieben aufgrund von rechtlichen Hürden auf den Listen. Letztendlich wurden aber trotz der von Wahlrechtsgruppen vorgebrachten Einwände fast 100.000 Eintragungengestrichen. Bundesgesetze schreiben sinnvollerweise vor, dass Staaten ihre Wählerverzeichnisse regelmäßig aktualisieren, doch das Wahlgesetz von Georgia enthält eine «Use-It-or-Lose-It»-Klausel (dt. «Nutze es oder verliere es»), die dazu führt, dass Wähler*innen aus dem Verzeichnis gestrichen werden, wenn sie fünf Jahre lang nicht gewählt haben. Angesichts der geringen Beteiligung abseits der Präsidentschafts- oder Midterm-Wahlen ist es daher gut möglich, dass viele Wähler*innen erst bei den Präsidentschaftswahlen 2020 erfahren werden, dass sie nicht mehr registriert sind. Zudem haben auch schon regelmäßige Wähler*innen berichtet, sie seien aus dem Verzeichnis gestrichen worden, ohne auch nur eine Wahl verpasst zu haben.
Wählerunterdrückung äußert sich außerdem häufig über die zahlreichen Hindernisse bei der Wahlregistrierung. 2016 waren landesweit rund 67,6 Millionen potenzielle Wähler*innen bzw. 30 Prozent der Bevölkerung im wahlberechtigten Alter nicht registriert. In den USA, wo die Registrierung komplett in individueller Verantwortung liegt, haben communitybasierte Projekte wichtige Unterstützung im Umgang mit den Schwierigkeiten des Registrierungssystems geleistet. Im Vorfeld der Gouverneurs- und Senatswahlen in Georgia im Jahr 2014 startete das von Oppositionsführerin Stacey Abrams vorangebrachte New Georgia Project eine Initiative, um Hunderttausende unregistrierter Bürger*innen eintragen zu lassen – und zusammen mit verschiedenen Partnergruppen gelang es auch, fast 120.000 Neuwähler*innen zu registrieren. Staatssekretär Brian Kemp, der die republikanische Mehrheit dadurch gefährdet sah, beschuldigte das Projekt, gefälschte Anträge eingereicht zu haben, und ließ daraufhin zahlreiche Vorladungen anordnen und blockierte Zehntausende von Registrierungen. Die Ermittlungen beeinträchtigten unmittelbar die Arbeit des New Georgia Project, schüchterten viele Community-Initiativen zur Wählerregistrierung ein und hielten Zehntausende von Neuwähler*innen an der rechtzeitigen Registrierung ab. 2017 wurden die Ermittlungen eingestellt, ohne irgendwelche Belege für ein Fehlhandeln des New Georgia Project gefunden zu haben.
In mehreren Staaten, darunter auch in Georgia, wurde aber nicht nur die Registrierung, sondern auch die eigentliche Stimmabgabe erschwert. Zwischen 2012 und 2018 wurden in Georgia 214 Wahllokale geschlossen, also fast acht Prozent aller Wahllokale im Bundesstaat. Die betreffenden Wahlbezirke liegen überproportional häufig in ländlichen und verarmten Gebieten. Bei den Vorwahlen im Juni 2020 wurden aus Sorge vor Virusübertragungen viele weitere Wahllokale geschlossen, was den bestehenden Trend noch verstärkte. In Fulton County – das bevölkerungsreichste County, in dem auch Atlanta größtenteils liegt – blieben 30 von 198 Wahlbezirken gesperrt. Bei diesen Vorwahlen wurde allen Wähler*innen der Antrag für die Briefwahlunterlagen, nicht aber der eigentliche Stimmzettel, per Post zugesandt, was viele Wähler*innen zur Briefwahl ermutigte und eine positive Entwicklung darstellt. Die republikanische Regierung des Bundesstaats hat sich aber dagegen entschieden, die Antragsunterlagen auch bei den Präsidentschaftswahlen im November zu versenden, sodass Briefwähler*innen einen müßigen Prozess durchlaufen müssen, um einen Stimmzettel zu erhalten. Die Stimmabgabe per Briefwahl bietet auch keine Garantie dafür, dass die abgegebene Stimme gezählt wird. Georgia weist eine beunruhigende Bilanz auf, was die große Zahl an Briefwahlstimmen betrifft, die dort aufgrund von Abweichungen bei der Unterschrift, fehlenden Geburtsangaben oder anderen Kleinigkeiten nicht berücksichtigt wurden.
Auch die Aberkennung des Wahlrechts von verurteilten Straftäter*innen ist weder neu noch einzigartig für Georgia. Die 1877 neu eingeführte Verfassung zielte darauf ab, den ehemaligen Sklav*innen ihre während der Reconstruction erworbenen Rechte zu verwehren. Eine Verfassungsregelung besagte daher, dass «eine Person, die für eine Straftat, einschließlich einer moralischen Verwerfung [moral turpitude], verurteilt worden ist, weder registriert bleiben noch an Wahlen teilnehmen darf.» Der Begriff der «moralischen Verwerfung» wurde nie klar definiert, und in der Praxis verlieren alle Bürger*innen Georgias, die für eine Straftat verurteilt wurden, so lange ihr Wahlrecht, bis sie ihre Haftstrafe abgesessen haben, ihre Bewährungsstrafe abgelaufen ist und sämtliche offenen Bußgelder beglichen sind. Die Zahl der strafrechtlich verfolgten Menschen in Georgia ist erschreckend hoch, alleine 404.000 sind auf Bewährung – mehr als in jedem anderen Bundesstaat. Mit Stand von 2018 war mehr als 260.000 Bürger*innen von Georgia das Wahlrecht aufgrund strafrechtlicher Verurteilungen entzogen. In 20 anderen Bundesstaaten gibt es ähnliche Regelungenwie in Georgia. In elf Staaten sind die Bestimmungen sogar noch drastischer. In 16 Staaten können inhaftierte Bürger*innen nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Nur in den zwei Staaten Maine und Vermont dürfen Inhaftierte an Wahlen teilnehmen.
Beim Gerrymandering werden die Grenzen von Wahlbezirken so manipuliert, dass eine bestimmte politischen Partei oder Gruppierung gegenüber anderen davon profitiert. Nachdem die Republikaner 2011 erstmals die alleinige Kontrolle über die Neuverteilung der Bezirke erlangten, zogen sie die Grenzen so, dass möglichst viele demokratische Wähler*innen, vor allem Schwarze, auf möglichst wenige Bezirke verteilt sind. Das Ergebnis war eine Wahlbezirkskarte, die der jüngst verstorbene Kongressabgeordnete und Bürgerrechtler John Lewis «eine Beleidigung von Buchstabe und Geist des Votings Rights Act» nannte. Infolgedessen gehören die Wahlen in Georgia zu den am wenigsten kompetitiven von allen Bundesstaaten: Bei 81 Prozent der Sitze ist auf dem Stimmzettel nur jeweils ein einziger Kandidat der großen Parteien gelistet. Wahlentscheidungen sind aber bedeutungslos, wenn es keine Auswahl gibt! Präzisere demografische Daten und Kartentechnologien tragen dazu bei, dass das Gerrymandering immer raffinierter wird, doch zum Glück wurde es noch nicht perfektioniert. Der demografische Wandel, der sich seit 2011 abzeichnet, und der suburbane Backlash gegen die von den Republikanern geführte Administration in Washington verhalfen Lucy McBath, einer afroamerikanischen Anti-Waffen-Aktivistin, im Jahr 2018 zu einem Sitz im Kongress, den einst der ultrakonservative Sprecher des Repräsentantenhauses Newt Gingrich innehatte, gefolgt von Tom Price, der dann den Sitz aufgab, als er als Gesundheitsminister ins Trump-Kabinett berufen wurde, aber nach kurzer Zeit in Ungnade fiel und zurücktrat. Trotz des Überraschungserfolgs von McBath und trotz der Stimmengleichheit von republikanischen und demokratischen Wähler*innen besteht Georgias Vertretung im Repräsentantenhaus aus neun – ausschließlich weißen – Republikaner*innen und fünf – ausschließlich schwarzen – Demokrat*innen (die alle bis auf eine Ausnahme die Metropolregion Atlanta vertreten).
Die Wahlen von 2018
In diesem von Wählerunterdrückung und Wahlausschluss geprägten politischen Klima trat also Stacey Abrams ihre Kandidatur für das Gouverneursamt an. In so mancher Hinsicht begann diese Wahl schon Jahre zuvor, nämlich mit dem New Georgia Project und seiner großangelegten Kampagne zur Wählerregistrierung. Diese von Stacey Abrams im Jahr 2014 gestartete Initiative dient vor allem der Förderung der Wählerregistrierung und der «bürgerschaftlichen Einbeziehung» der «Neuen Amerikanischen Mehrheit», d. h. «People of Color, 18- bis 29-Jährige und unverheiratete Frauen.» So gelang es, meldete das New Georgia Project, bis September 2019 fast eine halbe Millionen Wähler*innen in allen Countys von Georgia zu registrieren.
Die Grundlage von Abrams’ Kampagne war die aufsuchende Arbeit und die Einbeziehung vernachlässigter Wähler*innen. Schon lange bevor sie die Vorwahlen der Demokraten klar für sich entschied, baute Abrams im gesamten Bundesstaat eine Graswurzel-Initiative auf, die darauf abzielte, frühere Nichtwähler*innen zu mobilisieren, ebenso wie traditionelle demokratische Wähler*innen und weiße Wähler*innen aus den Vororten, die sich enttäuscht über die extreme Politik ihres Gegners gezeigt hatten. Ein Kennzeichen der Graswurzel-Initiative waren die quer über den Bundesstaat verteilten Büros sowie die Tür-zu-Tür-Kampagne, um «unwahrscheinliche» Wähler*innen zu erreichen und ihr Interesse für bestimmte Themen zu wecken. Abrams ist keine Radikale, doch ihre progressive Kampagne mit Fokus auf die Themen Gesundheitsversorgung, öffentliche Bildung und Strafrechtsreformen stand in deutlichem Kontrast zur Strategie von Brian Kemp, der in TV-Spots mit Waffen herumwedelte und Ängste vor Immigranten schürte. Angesichts der sehr unterschiedlichen Kampagnen und des unglaublich knappen Stimmenunterschieds bei den Wahlen beschrieben manche Beobachter*innen Georgia als den am stärksten polarisierten Bundesstaat der USA.
Abrams’ Ansatz erwies sich als erfolgreich und war vielleicht auch ausschlaggebend für ihren Wahlsieg. Sie erhielt mehr Stimmen als jede*r andere Demokrat*in in der Geschichte Georgias. Vier Jahre zuvor, als Jason Carters als Gouverneur kandidierte und Michelle Nunn als Senatorin, ging es vor allem darum, die Stimmen moderater weißer Wähler*innen zu gewinnen. Die Kampagnen beider Kandidat*innen waren stark von Nostalgie geprägt, einerseits für die Amtszeit von Gouverneur Jimmy Carter (Jasons Großvater) und andererseits für die von Senator Sam Nunn (Michelles Vater). Beide scheiterten mit einem Rückstand von rund 300.000 Stimmen. Stacey Abrams konnte den Abstand zu ihrem Rivalen auf nur 54.000 Stimmen verringern. In Anbetracht der Tatsache, dass die Wahl von 2018 von Wählerunterdrückungen und Wahlausschlüssen überschattet war, lässt sich nur schwer bestreiten, dass Brian Kemp seinen Wahlsieg erstohlen hat.
In seiner Rolle als Staatssekretär war Kemp für jene Wahl verantwortlich, bei der er selbst kandidierte, was ihn in eine ideale Position versetzte, um die Wähler*innen seiner Gegnerin zu unterdrücken. Wie bereits erwähnt waren Abrams und Kemp schon Jahre zuvor aneinandergeraten, nämlich als Kemp versucht hatte, die Kampagne des New Georgia Project zu stoppen oder zumindest zu bremsen.
Letztendlich weigerte sich Stacey Abrams, ihrem Gegner ein Zugeständnis zu machen. Nachdem sie die vielen Unregelmäßigkeiten aufgezählt hatte, die vor und während der Wahl vorgefallen waren, bestätigte sie lediglich, dass Kemp der nächste Gouverneur wird:
Doch mitanzusehen, wie ein gewählter Amtsträger – der zwar behauptet, die Bürger*innen dieses Staats zu vertreten – seine Chancen auf den Wahlsieg dadurch erhöht, indem er ungeniert das demokratische Wahlrecht des Volkes unterdrückt, das war wirklich eine Zumutung. Damit wir uns also richtig verstehen: Diese Rede ist kein Zugeständnis.
Ein Zugeständnis würde bedeuten, anzuerkennen, dass ein Handeln richtig, wahr oder angemessen war. Als Frau mit Gewissen und Überzeugungen kann ich hier kein Zugeständnis machen. Doch ich bin zu der Einschätzung gekommen, dass das Gesetz derzeit keine andere gangbare Lösung bietet.
Nachdem Abrams angemerkte hatte, dass man im politischen Normalbetrieb nun von ihr erwarten würde, die Niederlage gleichmütig anzuerkennen und ihrem Gegner alles Gute zu wünschen, erwiderte sie: «Doch Gleichmut ist ein Luxus, ebenso wie Schweigen für diejenigen eine Waffe ist, die die Stimme des Volkes zum Verstummen bringen wollen. Ich werde hier kein Zugeständnis machen, denn die Aushöhlung unserer Demokratie ist nicht richtig.»
Acht Jahre im Amt des Staatssekretärs haben es Kemp ermöglicht, die mit dem demografischen Wandel in Georgia einhergehende politische Dynamik aufzuhalten und sicherzustellen, dass die Republikaner in Georgia für mindestens eine weitere Legislaturperiode an der Macht bleiben.
Voting Rights Now
Trotz Kemps Wahlsieg geht der Kampf um die Stärkung des Wahlrechts in Georgia weiter. In ihrer Rede im Anschluss an die Wahl gab Abrams die Gründung von Fair Fight Georgia bekannt. Seitdem hat sie mehrere zehn Millionen Dollar an Geldern eingeworben, darunter auch große Spenden von Persönlichkeiten wie Michael Bloomberg. In organisatorischer Hinsicht hat Abrams mehrere unterschiedliche, aber miteinander verbundene Initiativen ins Leben gerufen: Fair Fight, Fair Fight Action, Fair Fight PAC und Fair Count.
Fair Fight verfolgt das Ziel, «faire Wahlen in Georgia und im ganzen Land zu fördern, die Wahlbeteiligung zu stärken und Wähler*innen über den Wahlprozess und ihre Wahlrechte zu informieren.» Fair Fight Action «fördert die Mobilisierung von Wähler*innen, entwickelt Bildungsprogramme und setzt sich für progressive Themen ein; zudem organisiert Fair Fight Action wichtige Initiativen zur Beendigung der Wählerunterdrückung in Georgia und landesweit.» Fair Fight PAC «hat Initiativen zur Förderung von Wählerschutzprogrammen in den Landesverbänden der politischen Parteien im ganzen Land entwickelt und beteiligt sich an Kooperationen, um progressive Kräfte, die sich für die Stärkung des Wahlrechts einsetzen, zu fördern und ihnen zur Wahl zu verhelfen.» Das, was Fair Fight für die Wahlen ist, ist Fair Count für die Volkszählung: Eine Initiative, um sicherzustellen, dass «schwer zählbare» Communities in der Volkszählung berücksichtigt werden und bei der Verteilung von Bundesmitteln und im Bereich der politischen Interessenvertretung nicht zu kurz kommen.
Fair Fight und die damit verbundenen Initiativen haben mit Abrams eine charismatische Führungsfigur, verfügen über ausreichende Mittel und sind gut vernetzt mit etablierten demokratischen Politiker*innen und Spender*innen im ganzen Land. Fair Fight nimmt daher eine prominente Rolle im Kampf gegen die Wählerunterdrückung in Georgia ein, wobei sie nicht die einzige Organisation ist, die sich dort für die Rechte von Wähler*innen einsetzt.
Zahlreiche landesweite Organisation unterstützen die Wählerrechte in Georgia und anderen Bundesstaaten, darunter auch seit langem bestehende progressive NGOs wie Common Cause und die American Civil Liberties Union (ACLU). Common Cause initiierte Kampagnen gegen Wahlkreisschiebungen, organisierte Freiwillige zur Unterstützung von Wähler*innen und rief dazu auf, den Wahlausschluss von strafverurteilten Personen zu beenden. Neben vielen anderen Arbeitsfeldern setzt sich die ACLU Georgia für eine Reform des Wahlrechts im Bundesstaat ein, geht gegen Wahlkreisschiebung vor und bemüht sich, das Wahlrecht durch Kampagnen- und Lobbyarbeit und auf dem Rechtsweg zu verteidigen.
Auch viele thematisch breit gefächerte Graswurzel-Gruppen haben das Thema Wahlgerechtigkeit für sich entdeckt und verknüpfen das Wahlrecht mit radikaleren Forderungen. Seit 2014 finden die als Moral Mondays bekannten Proteste in Georgia statt. Die von Reverend William J. Barber II in North Carolina ins Leben gerufenen Proteste brachten ein multiethnisches Bündnis hervor, dessen umfangreiche Forderungen für eine gerechte Gesellschaft auch das Wahlrecht miteinbeziehen. Aus dem Bündnis entwickelte sich dann die Georgia Poor People’s Campaign, die einer landesweiten Bewegung angehört. Diese Kampagne zielt darauf ab, «diejenigen, die am stärksten von strukturellem Rassismus, Armut, Kriegsindustrie und Umweltzerstörung betroffen sind, zu unterstützen und ihnen Verantwortung zu geben», und arbeitet daran, mit Direktaktionen eine moralische Erneuerung zu fördern – wobei sie das Wahlrecht als einen wichtigen Teil ihrer Arbeit betrachtet.
Fazit: Politische Teilhabe in Zeiten der Pandemie
Wahlen bleiben nicht folgenlos – während ich diese Zeilen verfasse, erlebt Georgia die tragischen Konsequenzen von Brian Kemps Wahlsieg. Kemps Umgang mit der COVID-19-Pandemie war kriminell fahrlässig: Er zögerte viel zu lange mit der Einführung von Maßnahmen zur räumlichen Distanzierung und ließ dann bereits vor allen anderen Staaten die nicht-systemrelevanten Geschäfte wiedereröffnen. Er lehnte eine Maskenpflicht ab, legte sich mit Gemeinden an, die strengere Schutzmaßnahmen einführen wollten, und ging sogar so weit, die Stadt Atlanta und ihre Bürgermeisterin Keisha Lance Bottoms wegen der Maskenpflicht und weiterer Maßnahmen zur Pandemieeindämmung verklagen zu wollen. Wie viele Bürger*innen von Georgia sind wohl infolge von Kemps unfähigem Krisenmanagement erkrankt oder gestorben?
Inmitten einer Pandemie, die in Georgia überproportional häufig People of Color betrifft, setzte sich auch die epidemische Polizeigewalt gegen schwarze Menschen fort. Als Ahmaud Arbery im Februar bei Brunswick in Georgia durch einen Lynchmord ums Leben kam, wurden seine Mörder zunächst weder festgenommen noch angeklagt. Als George Floyd im Mai von vier Polizisten in Minneapolis getötet wurde, erfasste die anschließende landesweite Protestwelle auch Georgia. Im ganzen Bundesstaat, von Atlanta bis hin zu Kleinstädten wie Madison, Cartersville, Newnan und Loganville, fanden wie überall in den USA Proteste von Black Lives Matter statt, die sich der Gewalt und Unterdrückung durch die Polizei entgegenstellten. In Atlanta wurde am 12. Juni Rayshard Brooks, ein afroamerikanischer Mann, der am Steuer seines Autos in einem Wendy’s Drive-In eingeschlafen war, von Polizisten erschossen. Am folgenden Tag, als sich Protestierende am Tatort versammelten, wurde die Wendy’s-Filiale niedergebrannt. Nachdem die Täter angeklagt worden waren, trat der Polizeidirektor von Atlanta zurück, während der Polizeibetrieb krankfeierte und sich davor drückte, irgendeine Form von Verantwortung zu übernehmen. Anfang Juli rief Kemp die Nationalgarde ein, angeblich um Regierungsgebäude beschützen zu lassen.
Nach der verpfuschten Wahl am 9. Juni könnte man nun erwarten, dass sich die Staatsbehörden um ein koordiniertes Vorgehen bemühen, um sicherzustellen, dass alle Bürger*innen bei den Stichwahlen im August und der Präsidentschaftswahl im November von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen können. Doch stattdessen haben sie einen Schritt in die entgegengesetzte Richtung getan. Anstatt den registrierten Wähler*innen wie im Juni die Briefwahlunterlagen zuzusenden, wurde ein kompliziertes Verfahren eingeführt, bei dem ein Antrag im PDF-Format auf der Website des Staates heruntergeladen, ausgedruckt, ausgefüllt und an den Wahlausschuss des zuständigen County geschickt werden muss. Und wenn bei einer Vorwahl mit einer Rekordzahl von Briefwahlstimmen wie im Juni die persönliche Stimmabgabe schon dermaßen schiefgelaufen ist, dann können wir uns hinsichtlich der Präsidentschaftswahl, bei der die Wahlbeteiligung erwartungsgemäß viel höher ausfallen wird, auf noch viel Schlimmeres einstellen.
Vom Verlauf der November-Wahlen in Georgia hängt sehr viel ab. Im November findet nämlich nicht nur die Präsidentschaftswahl statt – bei der Georgia heiß umkämpft sein wird –, sondern auch die beiden Senatssitze Georgias stehen zur Wahl, ganz abgesehen von den Sitzen im Repräsentantenhaus. Georgias Bevölkerung wird jedes Jahr junger und diverser. Es ist davon auszugehen, dass die Demokraten vom demografischen Wandel profitieren werden, allerdings nur dann, wenn ihre Wähler*innen auch an der Wahl teilnehmen. Indem sie potenziell demokratische Wähler*innen von der Wahl fernhielten, konnten sich die Republikaner in Georgia die Macht in einem sich rasant wandelnden Bundesstaat sichern. Wenn es ihnen im Herbst gelingt, die Wähler*innen des gegnerischen Lagers zu unterdrücken, dann könnte das nicht nur für die Zukunft von Georgia dramatische Folgen haben, sondern für die Zukunft des gesamten Landes.