Analyse | Arbeit / Gewerkschaften - Sozialökologischer Umbau - Commons / Soziale Infrastruktur - Spurwechsel Zwischen Korporatismus und Konversion

Zur Rolle der Gewerkschaften in der Mobilitätswende

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Warnstreik der IG Metall vor Mercedes-Benz 2019
«Für die IG Metall stellt sich die Frage, ob sie ausschließlich der Logik von Profiterzielung und Arbeitsplatzsicherung verhaftet bleibt oder ob es ihr gelingt, eine emanzipatorische Perspektive über die betriebliche Ebene hinaus zu formulieren, die auch den gesellschaftlichen Erfordernissen einer ökologisch nachhaltigen Produktion gerecht wird.» Warnstreik der IG Metall vor Mercedes-Benz 2019, picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Bernd Wüstneck

Als die IG Metall zur Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie öffentlich Kaufprämien für Autokonzerne forderte, schlug ihr ein Sturm öffentlicher Ablehnung entgegen. Der Grund: Ihrer Ansicht nach sollte nicht nur der Kauf vermeintlich ökologischer E-Fahrzeuge mit Steuergeldern gefördert werden, sondern auch der Erwerb emissionsärmere Verbrennungsmotoren. Die aus vielen Richtungen kommenden Kritik richtete sich vor allem an die industriepolitische Implikation dieser Forderung, schließlich würde damit eine nicht zukunftsfähige Antriebstechnologie, welche dem Klimaschutz alles andere als zuträglich ist, künstlich am Leben gehalten. Die IG Metall befürchtete wiederum, dass eine grundsätzliche Ausnahme konventioneller Antriebsformen von der Kaufprämie angesichts des Umstands, dass Verbrennungsmotoren in den gegenwärtigen Produktionskapazitäten nach wie vor dominant sind, zu Wertschöpfungs- und Arbeitsplatzverlusten führen würde. So suchte sie den Schulterschluss mit den Industrieverbänden und forderte weitreichende öffentliche Unterstützungsleistungen, um die Verwertung der überproduzierten Fahrzeuge sicherzustellen.

Philipp Köncke ist Doktorand am Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Rostock und forscht zur ungleichen Entwicklung in der Europäischen Union. 

Alexander Maschke ist Doktorand am Institut für Soziologie und Demographie der Universität Rostock und forscht zur Reproduktion der gesellschaftlichen Verhältnisse auf der Ebene des Subjektes. 

Diese Überschneidung von Interessen zwischen IG Metall und Kapitalverbänden ist kein neues Phänomen, sondern steht ganz in der Tradition vergangener Formen der Krisenbearbeitung. Bereits während der globalen Finanzkrise 2007ff., die die Säulen der deutschen Exportwirtschaft besonders hart traf, fand eine Einbindung der IG Metall in das kooperative Krisenmanagement von Staat und industriellem Kapital statt. Aus gewerkschaftlicher Perspektive hatte es dabei höchste Priorität, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Innerhalb der IG Metall setzte sich die Auffassung durch, dass dieses Ziel nur mit umfangreichen Zugeständnissen bei Löhnen, Arbeitszeit und Tarifstandards zu erreichen wäre, gepaart mit der Forderung an die Bundesregierung nach weitreichenden Konjunkturimpulsen. Gewerkschaft und Industrieverbände befanden sich bei wesentlichen Fragen – neben dem Verzicht auf Lohnforderungen betraf dies vor allem die Forderung nach einer «Abwrackprämie» sowie die Entlastung der Unternehmen von Sozialabgaben bei länger anhaltender Kurzarbeit – auf einer Linie. Die Regierung folgte den an sie gerichteten «Empfehlungen» kurzerhand. Interessenkonflikte und Klassengegensätze schienen überwunden; die Handlungslogik der beteiligten Parteien folgte dem gemeinsamen Leitgedanken einer reibungslosen Kapitalverwertung bei gleichzeitiger Beschäftigungssicherung. Zur Charakterisierung dieser zugespitzten Form eines korporatistischen Arrangements etablierte sich der Begriff «Krisen-Korporatismus»[1].

Das Schema des Krisen-Korporatismus reproduzierte sich kürzlich auch in der Bearbeitung der Corona-Krise. Mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie kamen die eigentlich für den März geplanten Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie zunächst zum Stillstand. IG Metall und die Kapitalverbände vereinbarten in Reaktion auf die Produktions- und Nachfrageeinbrüche, die mit dem Virus einhergingen, in Nordrhein-Westfalen am 20. März einen Pilotabschluss. Die Vereinbarung sieht keine Erhöhung der Löhne vor und geht demzufolge mit einem Kaufkraftverlust für die Beschäftigten einher; stattdessen wurde die Einführung von Kurzarbeit erleichtert, um so Arbeitsplätze zu sichern. Nach demselben Muster ging es dann auch weiter: Als wären Autos lebensnotwendige Güter, forderte die IG Metall – angesichts des zum Erliegen gekommenen Absatzes und der gewaltigen Ansammlung überproduzierter Fahrzeuge im Autohandel – in einem gemeinsamen Brief mit den Kapitalverbänden der Autoindustrie am 9. April die Bundesregierung auf, den stationären Autohandel schnellstmöglich wieder zu erlauben. Wenig überraschend folgte die Bundesregierung diesem Vorschlag ohne großes Zögern. Auch waren sich die Autokonzerne mit den Betriebsräten und der IG Metall darüber einig, dass die Produktion möglichst zügig wiederaufgenommen werden müsse. So beschloss beispielsweise VW Mitte April mit Unterstützung der IG Metall und dem Betriebsrat, die Bänder bereits ab dem 20. April wieder anlaufen zu lassen. Die Gesundheit der Belegschaft wurde damit leichtfertig aufs Spiel gesetzt.

Diese Entwicklung gipfelte schließlich in der erneuten Forderung nach öffentlichen Kaufprämien, die sowohl für Elektro- als auch konventionelle Fahrzeuge gelten sollten. Bekanntlich entschied sich die Bundesregierung dagegen, den Kauf von Autos mit Verbrennungsmotoren – über die allgemeine Senkung der Mehrwertsteuer hinaus – zu fördern. Während Klimabewegungen und die gesellschaftliche Linke diese Entscheidung begrüßten, kritisierten die IG Metall-Spitze und einige Betriebsräte die Einigung hingegen scharf. Insbesondere mit der SPD, deren Repräsentant*innen gegen die Förderung von Benziner und Diesel votierten, gingen die Belegschaftsvertreter*innen hart ins Gericht. Der Kerngedanke des Krisen-Korporatismus, dass Beschäftigungssicherung nur durch die Sicherstellung einer reibungslosen Kapitalverwertung ermöglicht werden kann, scheint sich tief in die gewerkschaftliche Strategie eingeschrieben zu haben; daraus resultierende (externalisierte) soziale und ökologische Kosten spielen bestenfalls noch eine marginale Rolle.

In Anbetracht der sich zuspitzenden Klimakrise wirft dies die Frage auf, welche Rolle die Gewerkschaften – allen voran die IG Metall – in einer Mobilitätswende spielen können. Bleibt sie Teil einer korporatistischen Allianz mit der Industrie, die dafür Sorge trägt, Besitzstände so weit wie möglich zu konservieren, wobei die Gewerkschaft ausschließlich der Logik von Profiterzielung und Arbeitsplatzsicherung verhaftet bleibt oder gelingt es ihr, eine emanzipatorische Perspektive über die betriebliche Ebene hinaus zu formulieren, die auch den gesellschaftlichen Erfordernissen einer ökologisch nachhaltigen Produktion gerecht wird? Wir wollen nachfolgend auf einige Probleme und Widersprüche hinweisen, die das Spannungsfeld zwischen Konservierung und Transformation im gewerkschaftlichen Handeln unseres Erachtens entscheidend prägen.

Den Kuchen backen, …

Der (krisen-)korporatistische Kompromiss folgt einer Logik, die sich aus den Handlungsbedingungen ergibt, mit denen die Gewerkschaften im Kapitalismus konfrontiert sind. Sie sind in dreierlei Hinsicht gezwungen, dafür zu sorgen, dass die Unternehmen – insbesondere die gewerkschaftlichen Hochburgen in der exportorientierten Industrie – existieren können und ihre Kapitalakkumulation möglichst reibungslos sichergestellt ist. Erstens sichert dies – zumindest kurzfristig – Arbeitsplätze. Eine kontinuierliche Produktionsexpansion und Kapitalakkumulation auf erweiterter Stufenleiter, die bei tendenziell sinkenden Profitraten auf eine zunehmende Ausbeutung von Arbeitskraft und Natur angewiesen ist, liegt letztlich auch im Interesse der Lohnabhängigen und der Gewerkschaften selbst, da nur so Arbeitsplätze aufrechterhalten werden können. Der Konflikt zwischen dem Ökologischen und dem Sozialen liegt somit in der widersprüchlichen Interessenkonstellation der Lohnabhängigen unter den Bedingungen der Lohnarbeit selbst begründet: Solange der Verkauf der eigenen Arbeitskraft die einzige Möglichkeit zum Erwerb der materiellen Lebensgrundlage darstellt, ist eine Übernutzung von Ressourcen und Senken notwendig für die Verwertung der Ware Arbeitskraft, und damit auch der Sicherung der Existenz der abhängig Beschäftigten. Ökologische und soziale Ziele blockieren sich daher gegenseitig bzw. schließen einander aus; die Gewerkschaften stehen unter diesen Bedingungen vor einem Dilemma.

Dieser Widerspruch zwischen sozialen und ökologischen Interessenlagen kommt vor allem beim gegenwärtigen Strukturwandel im Automobilsektor zur Geltung. Die Einführung regulatorischer Maßnahmen zur Durchsetzung der E-Mobilität in nahezu allen bedeutenden automobilen Absatzmärkten (insbesondere in China und der EU) restrukturieren hier ganze Wertschöpfungssysteme. Die Herstellerkonzerne und Zulieferbetriebe reagierten darauf bereits mit umfangreichen Stellenabbauprogrammen. Wenngleich das Kapital – vor allem die großen Hersteller wie VW oder Daimler – die ökologische Krise instrumentalisiert, um Rationalisierungsmaßnahmen durchzusetzen, zeigt dies auch, dass die (vermeintlich) ökologische Modernisierung[2] unter den aktuellen Kräfteverhältnissen bereits in ihrem Anfangsstadium überwiegend zulasten der Lohnabhängigen geht. Insofern ist es wenig überraschend, dass sich bei den Beschäftigten und ihren Repräsentationsorganen Konservierungstendenzen durchsetzen und die Bereitschaft zur Durchsetzung einer Produktionstransformation zugunsten von Sicherheitsinteressen sinkt. Für die Gewerkschaften erschwert dies wiederum eine Politisierung von Konflikten jenseits der Arbeitsplatzsicherung, insbesondere den Kampf um die Konversion in Richtung einer ökologisch und sozial nachhaltigeren Produktion[3].

… den Kuchen verteilen …

Ein zweites Problem, das sich für die Gewerkschaften aus dem Niedergang dieses Wirtschaftssektors bzw. einer stockenden Kapitalakkumulation ergeben würde, wäre der Verlust von Verteilungspotentialen. Deshalb besteht eine Abhängigkeit von der Produktion eines gesellschaftlichen Mehrproduktes. Allerdings steht nicht erst seit dem Klimawandel die Frage im Raum, ob es egal ist, wie dieses Mehrprodukt zustande kommt. Die Bedeutung dieser Verteilungsabhängigkeit wurde jüngst von Detlef Gerst von der IG Metall in den WSI-Mitteilungen hervorgehoben[4]. Dort führte er aus, dass in der Mehrzahl der Betriebe weder Management noch Eigentümer*innen über Strategien verfügen würden, wie ihre Betriebe mit den gegenwärtigen und kommenden Herausforderungen um Industrie 4.0 und Ökologisierung der Produktion umgehen sollten. Dies wurde vorher bereits im Transformationsatlas 2019 der IG Metall festgestellt. Dies erstaunt in Anbetracht der unzähligen Gipfel und Papiere zum Thema Industrie 4.0 und des zunehmenden zivilgesellschaftlichem Drucks, eine zumindest partielle Produktionstransformation mit dem Ziel der ökologischen Verträglichkeit und Nachhaltigkeit durchzuführen. Deshalb sei es nun an den Betriebsräten und ihrem gewerkschaftlichen Backoffice, die Fehler der Kapitalfraktionen auszugleichen und den Fortbestand der Produktionsbetriebe in der BRD zu gewährleisten.

Auf diese Weise kann ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum als Grundlage einer Integration einzelner, in Hinblick auf die von ihnen verwirklichte Wertschöpfung relevanter Klassenfraktionen der Lohnabhängigen in den gesellschaftlichen Machtblock weiterhin gewährleistet werden. Dabei gilt, dass je größer und profitabler ein Unternehmen ist, desto mehr ist es auf eine gut organisierte Ordnungsmacht angewiesen. Gleichzeitig werden dieser dafür auch Verteilungsoptionen jenseits des Bruttolohns eröffnet, wie z.B. vergünstigte Verpflegungen, Zusatzversicherungen und nicht zuletzt mehr betriebliche Mitbestimmung. Die damit für die gewerkschaftliche Seite einhergehende Machtposition bleibt dabei nicht auf das Unternehmen beschränkt, sondern verbessert auch die branchenspezifische und regionale Verhandlungssituation, und erlaubt so die Hoffnung auf entsprechende positive Spill-Over-Effekte. Deswegen laufen auch diejenigen Positionen ins Leere, welche in Gewerkschaften nur das notwendige Gegenüber des Kapitals bei der Sicherung ihres Fortbestandes sehen. Aus der Ordnungsfunktion heraus kann nämlich das Machtpotential entwickelt werden, welches eine Determination der gewerkschaftlichen Strategie verhindert und die Option eröffnet, den korporatistischen Kompromiss wieder aufzulösen.

… oder das Backverfahren ändern.

Das dritte Problem besteht hinter der Verteilungsebene und betrifft die Existenz des gewerkschaftlichen Apparates. Dieser ist nicht nur auf den unmittelbaren Lohnkampf ausgerichtet, sondern finanziert Forschung, Bildung, Zusammenarbeit etc. Dies ist aber nur möglich, solange die Höhe der Mitgliedsbeiträge dies erlauben. Das bedeutet, dass es aus dem Interesse am eigenen Überleben heraus nur schwer möglich ist, einen radikalen Kurswechsel zu vollziehen. Denn dabei besteht die Gefahr, dass entweder die Mitglieder diesen nicht mitmachen – und die oben beschriebenen Entwicklungen wie auch der Ruf nach Öffnungsklauseln um die Jahrtausendwende hat gezeigt, dass Belegschaften lieber den Grad der Ausbeutung erhöhen als die Option der Verwertung ihrer Arbeitskraft verlieren – oder tatsächlich die Nachfrage nach Arbeitskraft sinkt und dadurch die Mitgliedsbeiträge wegbrechen.

Von daher muss die Aussage von der ökonomischen Krise als Sturmgeschütz dahingehend erweitert werden, dass sie nicht einfach nur den Taktikwechsel vom Stellungskrieg nach Gramsci hin zu einem Versuch der Erweiterung gewerkschaftlicher Handlungsfähigkeit ermöglicht. Stattdessen ist sie auch eine existenzielle Herausforderung für die Organisierung von Lohnabhängigenmacht, deren Ziel in der Aufhebung der gegenwärtigen Eigentumsordnung liegen mag, aber deren Organisationsstruktur nicht nur auf den Stellungskrieg ausgerichtet ist, sondern in ihrem Bestehen von diesem abhängt. Die Komplexität der Frage nach einer gewerkschaftlichen Strategie in Hinblick auf die Mobilitätswende zeigt sich somit an der Herausforderung, beide Optionen bedienen zu können – den Frontverlauf zwischen Lohnarbeit und Kapital zugunsten der ersteren zu verschieben, um anschließend einen neuen Status quo zu etablieren.

In Hinblick auf die Mobilitätswende ergibt sich deshalb das Problem, dass mit der Automobilindustrie eine der Stützsäulen der bundesrepublikanischen Wirtschaft und der IG Metall ins Wanken gerät. Mögen die Konzerne überwiegend noch stabil stehen und mittels Lobbyismus die Produktionstransformation aufschieben – verhindern können sie diese nicht mehr. Gleichzeitig ist der zivilgesellschaftliche Gegenpol zur Automobilindustrie zu divers, um ein Modell künftiger Mobilität durchzusetzen. Die Mehrheit gibt sich noch damit zufrieden, den Antriebsstrang auszuwechseln. Dies räumt sowohl der Automobilindustrie als auch den Gewerkschaften gegenüber eines weitestgehenden Verzichts auf den Individualverkehr eine Pause ein, würde doch eine solche Transformation zumindest mittelfristig das stabile System der industriellen Beziehungen in diesem Sektor durch die Neubemessung von Personalbedarfen und Produktionskapazitäten ins Wanken bringen. Gleichzeitig ist noch nicht absehbar, ob es diese Pause wirklich geben wird – denn aus ökologischer Sicht ist diese untragbar. Es ist politisch nur eine Frage der Zeit, bis der Individualverkehr gänzlich in Frage gestellt wird und die Produktion mit neuem Antriebsstrang (ob auf Wasserstoffbasis oder mit E-Batterie) überwiegend Busse und Lastkraftwagen verschiedener Größen und Einsatzzwecke hervorbringt. Die IG Metall ist gut beraten, die Fehler der IG BCE in den Kohleabbauregionen zu vermeiden und die politisch notwendige Transformation nicht einer ökonomischen Lösungsstrategie des kurzfristig geringsten Widerstandes unterzuordnen.

Gleichzeitig kann aber von den DGB-Gewerkschaften nicht einfach eingefordert werden, die Forderungen der Klima- und Umweltbewegung zu übernehmen. Auch wenn die Zeit noch so drängt, würde eine so gestrickte Zusammenarbeit unter den gegenwärtigen Voraussetzungen das zentrale gewerkschaftliche Kampffeld ins Abseits rücken. Denn dass eine sozial-ökologische Transformation gegenwärtig mehr sein kann als ein kapitalistischer Green New Deal, geben die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nicht her. Dies bedeutet allerdings, dass die Umstellung der Produktion noch nicht mit einer grundsätzlichen Umstellung von Organisation und Zweck einhergehen kann. Es ist aus gewerkschaftlicher Perspektive aber äußerst relevant, zu welchen Konditionen sich das Verhältnis von Kapital und Arbeit im grünen Kapitalismus strukturiert. Das Machtpotential, welches sich aus der Verankerung in der Automobilindustrie für die IG Metall ergeben hat, sowie die Arbeitsbedingungen dürfen im Interesse aller Lohnabhängigen durch eine solche Transformation nicht gefährdet werden. Das gleiche Problem konnte man bei der IG BCE beobachten, deren gefährdete Machtposition durch das Auslaufen der Kohlegewinnung und -verstromung zu keinem Zeitpunkt durch die Solarbranche ausgeglichen werden konnte. Das ist eine Sache, die die Klimabewegungen lernen müssen[5]. Die andere ist, dass Menschen, die zwangsläufig einen Großteil ihrer Zeit mit dem Montieren und Konstruieren von Fahrzeugen verbringen, die Basis der Produktionstransformation in den Betrieben sind, da sie erstens das Know-How für die Umsetzung der Transformation besitzen und zweitens auch morgen und übermorgen in den Betrieben stehen und die Transformation Wirklichkeit werden lassen.

Ein Zugehen auf die Klimabewegung und die Umstrukturierung zu roten Gewerkschaften mit ökologischen Kernthemen muss zugleich Teil der Erneuerung der Gewerkschaften sein. Der Jenaer Machtressourcenansatz[6] betont die Notwendigkeit des gewerkschaftlichen Aufbaus gesellschaftlicher Macht. Diese setze sich aus Kooperations- und Diskursmacht zusammen, wobei erstere unter anderem auf eine Problemlösungskompetenz der Gewerkschaften aufbaue. Gerade unter der von Gerst aufgezeigten Kopflosigkeit der Kapitalseite sind doch die Voraussetzungen gegeben, dem wachsenden ökologischen Bewusstsein in der BRD mit offenen Armen entgegenzutreten und Konzepte für eine künftige Produktion in diesen Betrieben vorzulegen – dabei darf gerne auf die bisherigen erfolgreichen Transformationsmodelle verwiesen werden – und dann in eine entsprechende Debatte mit potenziellen Bündnispartnern einzutreten[7]. Gerade die noch bestehende Uneinigkeit über künftige Mobilitätskonzepte eröffnet der IG Metall die Möglichkeit, mit einem eigenen Konzept zu überzeugen. In einer solchen Initiative läge aber nicht der einzige Vorteil. Wenn die Aktivist*innen in der Klimabewegung nicht nur als solche, sondern in ihrer Mehrzahl auch als (künftige) Lohnabhängige betrachtet werden, kann eine solche Kooperation auch dazu dienen, gewerkschaftlich organisierte Lohnabhängigenmacht als Selbstverständlichkeit in deren Leben zu verankern. Dies würde die gesellschaftliche Bedeutung von Gewerkschaften nicht nur steigern, sondern kann diese neue Rolle auch mit einer breiteren organisatorischen und vor allem konflikterprobten Basis unterfüttern. Teilweise wird dies bereits – vor allem von ver.di – praktiziert[8]. Dies würde es erlauben, die gegenwärtige Problemlage auch als Möglichkeit zur Erweiterung gewerkschaftlicher Handlungsfähigkeit zu betrachten. Und wer weiß – vielleicht kommt das gewerkschaftliche Entwickeln von Betriebsstrategien zu dem Punkt, an dem niemand mehr weiß, warum Management und Eigentümer*innen überhaupt noch in den Produktionsprozess miteinbezogen werden sollten.


[1] Urban, H.-J. (2012): Krisen-Korporatismus und gewerkschaftliche Revitalisierung in Europa, in: Lehndorff, S. (Hrsg.), Ein Triumph gescheiterter Ideen, VSA: Hamburg, S. 226-246.

[2] Natürlich sind die gegenwärtigen regulatorischen Maßnahmen, die auf eine bloße Elektrifizierung des Antriebsstrangs abzielen, völlig unzureichend, um der ökologischen Krise adäquat zu begegnen. Dazu ist vielmehr ein radikaler Bruch mit dem hegemonialen Mobilitätskonzept der Individualmobilität nötig.

[3] Dass die IG Metall nichtsdestotrotz über ihre Forderung nach einem Transformationskurzarbeitergeld hinausgehen und z.B. den emanzipatorischen Kampf um eine kollektive Verkürzung von Arbeitszeit stärker ins Zentrum stellen muss, steht dabei außer Frage. Die jüngste Forderung nach der Einführung einer Vier-Tage-Woche bei zumindest teilweisem Lohnausgleich geht in die richtige Richtung.

[4] Gerst, Detlef (2020): Geschäftsmodelle mitentwickeln - ein neues Handlungsfeld der Betriebsräte. In: WSI-Mitteilungen 4/2020. S. 295-299.

[5] vgl. Candeias, M. (2011): Konversion – Einstieg in eine öko-sozialistische Reproduktionsökonomie, in: ders., R.Rilling, B.Röttger, St.Thimmel (Hg.), Globale Ökonomie des Autos. Mobilität.Arbeit.Konversion, Hamburg, S. 253-74.

[6] Schmalz, S. & Dörre, K. (2014): Der Machtressourcenansatz: Ein Instrument zur Analyse gewerkschaftlichen Handlungsvermögens. In: Industrielle Beziehungen 21 (3). S. 217-237.

[7] Auch von anderer Seit wird längst an solchen Konzepten gearbeitet, vgl. Riexinger, B. (2020): Die Autoindustrie umbauen. Vorschlag für einen linken Green New Deal, in: Zeitschrift LuXemburg, H.1; und Candeias, M. (2020): Der Mietendeckel der Mobilität?, in: LuXemburg, H.1.

[8] Wohin die eine solche Kooperation führen kann, wurde deutlich als Fridays for Future angekündigt hat, die Streiks der Beschäftigten im ÖPNV zu unterstützen, da es sich hierbei nicht nur um einen Tarifstreit, sondern um die Verknüpfung des Klimaschutzes mit der sozialen Frage handele (ver.di PUBLIK 5/2020: 4).