Kommentar | Migration / Flucht - Europa - Europa solidarisch - Corona-Krise Das Ende von Moria

Die Brände in Moria haben ein Camp dem Erdboden gleichgemacht und zugleich der menschenverachtenden Politik von Entrechtung und Abschottung eine Grenze gesetzt.

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Autorin

Maria Oshana,

Migrant*innen fliehen aus dem Flüchtlingslager Moria während eines zweiten Brandes auf Lesbos am 9. September 2020.
Migrant*innen fliehen aus dem Flüchtlingslager Moria während eines zweiten Brandes auf Lesbos am 9. September 2020.
  picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Petros Giannakouris

Bis hierhin und nicht weiter. Alle Versuche der EU-Regierungen, Migrationsbewegungen zu kontrollieren, «unerwünschte» Migration zu verhindern oder wenigstens von den Zentren der Europäischen Union fernzuhalten, sind gescheitert. Moria auf Lesbos ist zum Symbol dieser Politik und ihres Scheiterns geworden.

Über Jahre mussten bis zu 20.000 Menschen in einem Camp leben, dass für nur 3.000 und als temporäre Einrichtung gebaut wurde. Ein Camp, in dem es von je her an einem Mindestmaß an sozialer Infrastruktur fehlte. In dem Menschen zwischen Müllbergen, Containern und selbstgebauten Verschlägen eingepfercht waren, die Tage mit stundenlangem Warten an der Essensausgabe und wenigen Wasserstellen zubringen mussten, der Zugang zu juristischem Beistand und medizinischer Versorgung stets erkämpft werden musste. Während hin und wieder Vertreter*innen der EU, wie Ursula von der Leyen, einen kurzen Besuch absolvierten, um Interesse zu heucheln und die Lage schön zu reden, hat die seit Juli 2019 in Griechenland regierende Nea Dimokratia nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie Zustände wie die in Moria wollte – als Abschreckung und Warnung an alle, die den gefährlichen Weg über das Meer oder den Grenzfluss Evros in der Hoffnung auf ein sicheres Leben auf sich zu nehmen bereit oder gezwungen waren.

Maria Oshana leitet das Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Athen.

Mit dem Ausbruch der Pandemie wurde Moria endgültig zur Zeitbombe. Allen Warnungen zum Trotz, dass ohne eine umgehende Evakuierung und Maßnahmen zum Schutz aller die Infektion von tausenden Menschen auf Lesbos und eine weitere Eskalation droht, wurde NGOs der Zugang zum Camp untersagt, die Bewegungsfreiheit der Camp-Bewohner*innen über Monate weitgehend eingeschränkt, gefolgt von der vollständigen Abriegelung („Quarantäne“) des gesamten Camps nach dem ersten offiziellen Infektionsfall. Keine*r rein, keine*r raus.

Noch ist ungeklärt, ob die Feuer im Camp versehentlich entfacht sind oder Teil eines Aufstands von Bewohner*innen waren. In jedem Fall markieren sie den vorläufigen Höhepunkt einer von der EU ausgeübten Gewalt gegen Menschen und ihre grundlegenden Menschenrechte.

«Wir haben Platz»

Ob das wahrscheinliche Ende von Moria zu einem Wendepunkt in der EU-Migrations- und Asylpolitik wird und in welche Richtung diese Wende vollzogen wird, wird maßgeblich von dem gesellschaftlichen Druck auf die EU-Staaten abhängen. Die Mobilisierung auf die Straße steht. Der Kampf um Aufnahmeprogramme wird auch in den Parlamenten weitergeführt. Über einhundertsiebzig Städte und Gemeinden in Deutschland haben sich zu sicheren Häfen erklärt und wollen Menschen aus Moria und anderen Lagern aufnehmen.  Die 13.000 Menschen aus Moria, darunter viele unbegleitete Minderjährige, sollten die ersten sein, die in Deutschland und anderen EU-Ländern aufgenommen werden.

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