Nachricht | Partizipation / Bürgerrechte - Ostafrika Demokratisierung in Tansania und ihre Grenzen

Beobachtungen aus Sicht einer Außenstehenden

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Dorothee Braun,

Der tansanische Präsident John Magufuli spricht auf einer Wahlkampfkundgebung der Chama Cha Mapinduzi in Dodoma, der Hauptstadt Tansanias, am 29. August 2020. picture alliance / Xinhua News Agency | CCM

Der 26. August 2020 markierte den Auftakt des Wahlkampfes in Tansania. Für zwei Monate ist seit dem 15 Parteien und ihren Präsidentschaftskandidaten erlaubt, politische Kundgebungen im ganzen Land abzuhalten, bis dann am 28. Oktober die tansanische Wählerschaft dazu aufgerufen ist, den Präsidenten des Landes, das Parlament sowie die politisch Verantwortlichen auf Bezirksebene zu bestimmen. Die Parteien unterscheiden sich neben ihrer ideologischen Ausrichtung auch in ihren ökonomischen und organisatorischen Voraussetzungen. Unter ihnen dominieren auf dem Festland Tansanias zwei Parteien mit unterschiedlicher Reichweite, die Bevölkerung anzusprechen und zu mobilisieren: Die Regierungspartei Chama Cha Mapinduzi (CCM; Partei der Revolution) mit John Pombe Joseph Magufuli an der Spitze, sowie die größte Oppositionspartei Chama Cha Demokrasia Na Maendelo (CHADEMA; Partei für Demokratie und Fortschritt), für die Tundu Anthipas Lissu als Präsidentschaftskandidat ins Rennen geht.

Dorothee Braun ist Büroleiterin im Ostafrika-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Dar es Salaam, Tansania.

Beiden Kandidaten wird internationale mediale Aufmerksamkeit zuteil. Magufuli von der CCM, 2015 in das Amt des Präsidenten gewählt, erhielt anfänglich großes Lob für sein hartes Durchgreifen gegen Korruption. Das änderte sich schnell aufgrund seines zunehmend autoritären Führungsstils, seiner Willkür in Entscheidungen und der Zunahme an Menschenrechtsverletzungen, wodurch sein Beiname „Bulldozer“ auch international bekannt wurde. 

Der Präsidentschaftskandidat von CHADEMA, Lissu, ist ein eloquenter und hervorragender Rechtsanwalt, der unter anderem für seine wiederholten Vorwürfe an die tansanische Regierung bekannt ist, sie würde nationale Gesetze (Verfassungsrecht) sowie internationales Recht brechen. Er wird als ein Kandidat wahrgenommen, der, sollte er gewählt werden, in der Lage wäre, die notwendigen demokratischen wie ökonomischen Veränderungen einzuleiten.

Allerdings gelingt es der internationalen Berichterstattung nicht, was nachfolgend zu zeigen sein wird, politische Entscheidungen in Tansania und insbesondere die des gegenwärtigen Präsidenten, vor dem Hintergrund gesellschaftlicher, historischer und institutioneller Entwicklungen sowie internationaler Einmischung und globaler Beziehungen, einzuordnen und zu bewerten. Dies spiegelt sich unter anderem darin wider, dass internationale Medien dazu tendieren, die Mehrparteiendemokratie Tansanias lediglich als eine rein politische Angelegenheit wahrzunehmen.

Der Weg zu den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2020

Während seit der Unabhängigkeit des Landes kontrovers darüber diskutiert wird, welche Rolle und Bedeutung den verschiedenen politischen Parteien in Tansania zukommt, dominiert insbesondere im Westen ein Verständnis, demzufolge Wahlen und Wettbewerb um politische Positionen innerhalb eines Mehrparteiensystems die direktesten und legitimsten Bindeglieder zwischen Staat und Gesellschaft sind. Damit einher gehen die Hoffnung und die Erwartung, dass sich mit dem Sturz des amtierenden Regimes positive Entwicklungen beinahe wie von selbst einstellen werden.

Die Hoffnung auf eine solche Veränderung und mit ihr die Bereitschaft, für sie zu kämpfen, erlebte ihren Höhepunkt im Jahr 2015, als sich eine große Anzahl insbesondere junger Menschen hinter den Präsidentschaftskandidaten von CHADEMA, Edward Lowassa, stellte, der erst kurz zuvor die CCM verlassen hatte. Dieser Wechsel beraubte die Partei CHADEMA ihres klugen Strategen Wilbrod Peter Slaa, der selbst bereits 1995 aus der Regierungspartei ausgetreten war. Nach den Parlamentswahlen von 1992, den ersten nach dem Übergang zu einem Mehrparteiensystem, nahm Slaa das Amt des Generalsekretärs von CHADEMA an. Eine politische Strategie entwickelnd, die unter der Bezeichnung «Movement for Change» bekannt geworden ist, trat die Partei mit der Bevölkerung quer durch das ganze Land in den Dialog, wobei sie eine neue Landesverfassung, transparente und verantwortungsvolle Regierungsführung, langfristige Planung und Wirtschaftswachstum als prioritäre Politikfelder auswies.

In Folge des Parteibeschlusses von CHADEMA, 2015 mit Edward Lowassa -trotz dessen Verwicklung in wirtschaftliche Korruptionsskandale- in den Wahlkampf zu ziehen, legte Slaa nicht nur sein Amt als Generalsekretär nieder, sondern trat auch aus der Partei aus. Erstmalig musste die Regierungspartei CCM seit der Unabhängigkeit empfindliche Verluste bei einer Wahl hinnehmen. Als jedoch für das Oppositionsbündnis unter der Führung von CHADEMA, welche der Regierungspartei Wahlfälschung vorwarf, der Zeitpunkt kam, diese Vorwürfe aufzuklären und den Willen der Wähler*innen gemeinsam durchzusetzen, geschah nichts. Somit wurde die Arbeit, eine wirksame politische Strategie herauszubilden und eine breite gesellschaftliche Oppositionsbewegung aufzubauen, Persönlichkeitskult, trotz fraglicher Parteiverbundenheit des Präsidentschaftskandidaten, sowie einer undemokratischen innerparteilichen Entscheidungsfindung untergeordnet.

Fünf Jahre später sind die Wähler*innen in Tansania mit einem öffentlichen Spektakel konfrontiert, das von der Regierungspartei dominiert wird. Deren Wahlkampfauftritte und Veranstaltungen, an denen zahlreiche religiöse Amtsträger christlicher wie islamischer Glaubensrichtung sowie Künstler*innen teilnehmen, werden live im Fernsehen übertragen. Für Oppositionsparteien dagegen bleibt der öffentliche Raum mit Kundgebungen, über die im Fernsehen nur hin und wieder berichtet wird und der Rückgriff auf soziale Medien und Radiosender begrenzt. Jedoch gibt es Anzeichen für eine politische Entspannung. Der staatliche Fernsehsender TBC1 berichtet inzwischen von den Wahlkampfauftritten aller Parteien. Wahlkampfprogramme wurden der Bevölkerung mittels Pressekonferenzen, Parteitagen oder Kundgebungen bekannt gemacht, und kursieren mittlerweile online in sozialen Medien, insbesondere WhatsApp. Bei ihren öffentlichen Auftritten arbeiten sich die Kandidat*innen meist an ihren politischen Hauptgegnern ab, während die Regierungspartei ihre Erfolge der vergangenen fünf Jahre betont, um die Argumente des Oppositionsführers Tundu Lissu zu entkräften.

Es geht in den Reden und Wahlkampfstatements im Großen und Ganzen um die Persönlichkeiten der Kandidat*innen, es ist auffallend, wie wenig ideologische und programmatische Fragen eine Rolle spielen. Man fühlt sich an den Politikwissenschaftler Samuel Mushi erinnert, der von einem «deutlichen Ungleichgewicht in den Oppositionsparteien zwischen Persönlichkeitskult und inhaltlichem Programm» sprach. Bereits 1998 hatte er diese Kluft als Hindernis für die Weiterentwicklung und Institutionalisierung von Parteien in Tansania ausgemacht. Es scheint, dass dies auch heute noch, ganze 20 Jahre später, zutrifft. Nach den ersten zehn Wahlkampftagen werden die diesjährigen Wahlen in den Medien als ein Rennen zwischen Magufuli und Lissu dargestellt. Mit Magufuli verbindet man den Ausbau öffentlicher Infrastruktur und die Verteidigung der nationalen Souveränität, wohingegen Lissu mehr Demokratie verspricht und Kredit aus den Klagen der Öffentlichkeit über Unrecht zieht, dass das amtierende Regime zu verantworten hat. Allerdings, so gibt der Kolumnist M.M. Mwanakijiji in der Wochenzeitung Raia Mwema Tissu und seinen Anhänger*innen zu bedenken: «gegenüber Lissu und seinen Kollegen kann angemerkt werden, dass die Demokratie bereits auf dem Prüfstand stand. Beinahe 20 Jahre lang haben die Menschen in Tansania (unter der Führung der Präsidenten Mkapa und Kikwete) Demokratie erlebt, wobei Entwicklung ausblieb. » Hinzu kommt, dass die Rückkehr von Tundu Lissu nach Tansania, nachdem er einen Mordanschlag überlebt hatte, zwar ein Publikum anzieht, das gern Zeuge dieses Wunders sein will, der Mann aber auch einige Skepsis hervorruft. Hierzu Mwanakijiji: «Lissu wird verdächtigt, die Marionette ‹imperialistischer› Interessen zu sein und unter staatlicher Geheimhaltung stehende Informationen, etwa über die Beschlagnahmung tansanischer Flugzeuge im Ausland, der Öffentlichkeit preiszugeben und damit dem Land zu schaden.»

Mehrparteienpolitik: Ringen um Demokratisierung oder Schmieden neuer Allianzen zur Absicherung der europäischen Dominanz?

Der Blick aus dem Westen tendiert dazu, die Mehrparteiendemokratie auf ein politisches Projekt zu reduzieren. Damit geraten nicht nur deren Widersprüche, sondern auch ihre Schattenseiten – das ökonomische Projekt – aus dem Blick. In den 1990er Jahren, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, wurden mit Durchsetzung der IWF-Strukturanpassungsmaßnahmen in vielen afrikanischen Ländern Forderungen nach guter Regierungsführung, der Einhaltung von Menschenrechten und der Stärkung der Zivilgesellschaft zum neuen politischen Begleitgepäck von internationaler Wirtschaftshilfe. Die "Spender" (und das Finanzkapital) behaupteten, die Umsetzung solcher Auflagen würde die Transparenz staatlichen Handelns und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes stärken, weil damit die bis dahin unterdrückte Produktivkraft der Bevölkerung ebenso wie fehlgeleitete Hilfsmittel nun endlich ihre Wirkung entfalten könnten. Viele Beobachter*innen aus dem Globalen Süden jedoch kritisieren, dass die Ideologie des Pluralismus, der Demokratie und des freien Marktes vor allem den wirtschaftlichen und politischen Interessen der westlichen Mächte dient und dazu, deren Hegemonie über andere Länder aufrechtzuerhalten, die ihnen wirtschaftlich wie politisch von Nutzen waren.

In Tansania entwickelte sich die CCM, die über beinahe 30 Jahre an der Regierung war, im Laufe der Zeit zu einer Staatsbürokratie, deren Bindung zu ihrer traditionellen sozialen Basis – den Bäuer*innen und Arbeiter*innen – immer schwächer wurde. Sie übernahm bereitwillig die Doktrin des freien Marktes, offener Handelspolitik und des Privateigentums, weil ihr dies neue Bündnisse eröffnete. Der Politikwissenschaftler Rwekaza S. Mukandala beschrieb diesen Prozess folgendermaßen: «Die staatliche Bourgeoisie war bereit, sich die Bühne mit der privaten Bourgeoisie zu teilen und gemeinsame Sache zu machen. Die private Bourgeoisie wurde angeworben, um die Verwaltung des enorm großen Sektors der Staatsunternehmen zu unterstützen, vor allem als Vorstandsvorsitzende und Mitglieder in den Aufsichtsräten. Man erlaubte schließlich den Privatkapitalisten, nationale Landwirtschafts-, Handels- und Industriekammern zu gründen, was ihnen eine ganz neue Bedeutung zukommen ließ. » Die große Mehrheit der Bevölkerung – die kleinen Landwirt*innen, Händler*innen, informellen Arbeiter*innen, Bergarbeiter*innen und in besonderem Maße die Frauen – blieb von dieser Entwicklung ausgeschlossen, wenn nicht weiter ausgebeutet, in ihren Rechten beschnitten und in ihrer Existenz bedroht.

Es gilt also bei der Durchsetzung der Strukturanpassungsmaßnahmen einen inhärenten Widerspruch zu beachten, nämlich den zwischen einem Wirtschaftsprogramm, das eine Reihe von negativen Folgewirkungen für die besonders verletzlichen Bevölkerungsgruppen mit sich bringt, und einem viel zu engen Pluralismuskonzept, das sämtliche gesellschaftlichen und ideologischen Dimensionen negiert. Hierbei wird nicht nur der Klassenkontext vollkommen ignoriert, sondern auch, dass Freiheit und die Befreiung von autokratischer Herrschaft ebenso wenig wie Demokratie und gutes Regieren von oben verordnet werden können. Freiheit und Demokratie bedürfen einer gesellschaftlichen Basis, die sie hervorbringt, stützt und mit Leben erfüllt. Mit Beginn seiner Einführung war das mit den Strukturanpassungsprogrammen verbundene Demokratisierungsvorhaben ein Projekt der Eliten, das zu einem großen Teil die Entstehung etlicher zivilgesellschaftlicher Initiativen sowie den Abzug intellektueller Kapazitäten aus Hochschulen und Forschungseinrichtungen zur Folge hatte. Wie elitär die politische Oppositionsbewegung in Tansania ist, zeigt sich in ihrer sozialen Zusammensetzung, also in der Klassenzugehörigkeit ihrer Gründungsmitglieder und Führungsfiguren, ihrer nur mäßig aktiven Anhängerschaft, sowie in ihrer starken Abhängigkeit von Spenden oder Finanzmitteln nationaler und internationaler Geber oder Privatsektorkapital. Allen Parteien, bis auf die Regierungspartei, die nach wie über vertikale Strukturen verfügt und Beziehungen bis ganz nach unten in die Bevölkerung unterhält, fehlt es an einer breiten sozialen Basis. Julius Nyerere, der erste Präsident von Tansania und Vater der Nation, kritisierte bereits 1998 in seiner Rede auf dem fünften Kongress der Befreiungsfront FRELIMO das «mosambikanische Politikmodell». Diese Rede ist in der kürzlich veröffentlichten dreibändigen Biografie mit dem Titel «Development as Rebellion» dokumentiert. Vermutlich hatte Nyerere auch seine eigene Partei im Sinn, als er erklärte: «Die Partei, eigentlich alle unsere Parteien müssen die ganze Zeit in den Dörfern präsent sein. Sie müssen mit den Menschen gemeinsam arbeiten. Wir müssen ein Teil von ihnen sein. Eine Mahlzeit, die ohne Salz zubereitet ist, ist geschmacklos. Ein Brot, ohne Hefe gebacken, geht nicht auf. Gerät dir jedoch ein Klumpen Salz oder Hefe in den Mund, so spuckst du es aus. Unsere Parteien müssen wie Salz oder Hefe wirken – im Bund mit den Menschen sein und in ihnen gären, um sie in etwas zu verwandeln, was sie zuvor noch nicht waren.»

Progressive Wege bahnen: Angriff auf wirtschaftliche Ungleichgewichte?

Wenn internationale Medien den Präsidenten Tansanias als Diktator darstellen oder sich gar über ihn lustig machen, dann zeigt dies vor allem eines: Die Politik des Land wird immer noch fast ausschließlich und recht einseitig nach dem Kriterium Menschenrechte und gute Regierungsführung bewertet. Dabei bleiben die spezifische historische Entwicklung des tansanischen Nationalstaates, die Stellung des Landes innerhalb globaler Verflechtungen sowie geopolitischer Machtverschiebungen völlig unbeachtet. Im Laufe der letzten fünf Jahre hat die amtierende Regierung bemerkenswerte Angriffe auf bestehende asymmetrische Wirtschafts- und Handelsbeziehungen verantwortet, darunter Auslandsdirektinvestitionen, Energieversorgung durch multinationale Konzerne, oder Privatisierung von Land und Saatgut. Sie hat zudem einen Umbau des Bergbausektors vorgenommen, um den massiven Rohstoff- und Kapitalabfluss aus dem an Mineralien reichen Land zu begrenzen. Der Kampf richtet sich gegen mächtige ausländische Interessen, gegen unkontrollierte internationale Kapitalflüsse sowie gegen den zunehmenden Einfluss internationaler Forschungseinrichtungen, von Konsumgüterherstellern und Mediengiganten, was auch in der eigenen Regierung zu Verwerfungen führt. Die sogenannte «Grüne Revolution» in der Landwirtschaft ist ein Beispiel, die EU-Handelsabkommen mit Ostafrika (EAC-EU Economic Partnership Agreements) ein weiteres. Was die Regierungspartei jedoch nicht geschafft hat, ist, für ihr Ziel der größeren nationalen Souveränität ausreichend Unterstützung in der Bevölkerung zu mobilisieren – was wiederum mit ihrem autokratischen und willkürlichen Regierungsstil zu tun hat, der von den internationalen Medien argwöhnisch beäugt und mitunter auch übertrieben dargestellt wird.

CHADEMA auf der anderen Seite scheint die Rezepte des Westens vollständig internalisiert zu haben, indem sie dem Privatsektor und dem Finanzkapital die führende Rolle zugesteht und das nicht nur bei der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes, sondern auch im Gesundheits- und Bildungswesen und bei der Wasserversorgung. Bedauerlicherweise gibt es keinerlei öffentliche Diskussionen über die damit verbundenen potentiellen Konsequenzen oder Gefahren. Man könnte an dieser Stelle einwenden, dass die Regierung mit dem Verbot von politischen Kundgebungen und ihren vielfältigen Angriffen auf CHADEMA und ihre Mitglieder in den zurückliegenden fünf Jahren solche Auseinandersetzungen in Form von «Diskussionsforen auf Nachbarschaftsebene» (wie im benachbarten Südsudan geschehen) verhindert hat.  Es bleibt jedoch ein Versäumnis von CHADEMA, nicht die Zeichen der Zeit erkannt und ihre Taktik geändert zu haben, um in die Mobilisierung ihrer gesellschaftlichen Basis zu investieren.

Nach den ersten zehn Tagen Wahlkampf gibt es kaum Anzeichen dafür, dass diese entstandenen neuen Möglichkeiten für eine Diskussion mit Wähler*innen genutzt würden, die Richtung des Regierungshandelns zu beeinflussen.

Wieder einmal gerät der Klassenkontext des Demokratisierungsprojekts aus dem Blick. Der Kampf um die politische Führung unter der tansanischen Elite im Jahr 2020 lässt sich folgendermaßen kennzeichnen: Er ist geprägt von einem Personalgerangel um die Macht und vom Anliegen des Stimmenfangs, wobei nicht selten programmatische Punkte auf der Strecke bleiben – immer dann, wenn die Kluft zwischen den Parteien und den Working Poor unüberbrückbar zu werden droht. Es versteht sich von selbst, dass dies nicht den Bedürfnissen der Bevölkerung nach mehr Demokratie und politischem Wandel entspricht.

Es scheint so, als würde sich hier Geschichte wiederholen. Bereits 1993 schrieb der ugandische Rechtswissenschaftler John-Jean Barya über das Machtstreben von Berufspolitikern aus der Mittelschicht: Dabei ginge es «vorwiegend um persönliche Macht und selten um die Stärkung von Organisationen, die Durchsetzung von Inhalten und Programmen sowie die Demokratisierung eines bis dato undemokratischen Staatswesens. Man sollte sich daher nicht täuschen: Die Kombination aus einem undemokratischen internationalen System und einer neuen Sorte von Führungsfiguren lässt keinen wirklichen Demokratisierungsschub erwarten. Solange die Mehrheit der Bevölkerung nicht eingebunden wird und die Kontrolle über die Definition der zentralen politischen Themen und Programme erhält, wird sich über Wahlen wenig ändern. Sie haben dann eher den Zweck einer geordneten Wachablösung.»