Abstands- und Hygieneauflagen und Ausgangssperren prägten seit Beginn der Pandemie zunehmend auch den Alltag in zahlreichen ostafrikanischen Ländern, seit Covid-19 Fälle in Kenia, Ruanda, Süd-Sudan und Uganda bestätigt wurden. Auf Regierungsgeheiß wurden Grenzen geschlossen, Flüge gestrichen und die Menschen sollten zu Hause bleiben. Heute dominieren Abstandsregeln, Hygiene und sanitäre Grundversorgung das Handeln des Gesundheitswesens. Die Einschränkung der Mobilität hatte und hat weiterhin unmittelbare Auswirkungen auf die Versorgung mit Nahrungsmitteln und lebensnotwendigen Medikamenten. Doch auch im alltäglichen sozialen Miteinander hinterließen und hinterlassen die Auflagen gravierende Spuren: Die lokalen Märkte haben, wie auch andere kulturelle Praktiken, ihre Funktion als wichtiger sozialer Treffpunkt verloren. Gleichzeitig spekulieren skrupellose Händler in Erwartung weiter Restriktionen auf eine zunehmende Verknappung von Importgütern und verlangen selbst für lokal produzierte Nahrungsmittel überhöhte Preise. Damit steigt das Risiko von Mangelernährung insbesondere für diejenigen, die besonderes verletzlich (vunerabel) sind: Dazu zählen ältere Menschen, arbeitslose Jugendliche, Mütter, sowie Kinder aus Familien mit niedrigem Einkommen, sowie Menschen mit chronischen Erkrankungen.
Viele ostafrikanische Länder hatten bereits vor Corona mit wirtschaftlichen Fehlentwicklungen zu kämpfen. Kenya, so wird berichtet, hat während der ersten drei Monate der Krise täglich Kredite in Höhe von 42 Millionen US-Dollar aufgenommen. Multilaterale Finanz-Institutionen haben ihre Kreditpraxis erweitert und die Schuldenkrise in der Region weiter verschärft. Gleichzeitig führte die krisenbedingte Militarisierung dazu, dass die Handlungsspielräume von NGOs und lokalen Initiativen spürbar eingeschränkt sind. Partnerorganisationen berichten von der Zunahme von Gewalt, insbesondere gegen Frauen und Mädchen, von Korruption und rasanten Verschlechterungen der Lebensbedingungen, insbesondere der schwächsten gesellschaftlichen Gruppen.
Mittlerweile ist der Wahlkampf in Tansania in vollem Gang; in Kenya nimmt er Schwung auf – ganz ohne Hygiene und weitere Abstandsregeln. Anders als in Uganda, wo Wahlkampf entweder medial oder, was die Regierungspartei angeht, unter Einhaltung der Hygienevorschriften geführt wird. Interessanterweise sind Länder in Ostafrika von einer zweiten Welle der Corona-Pandemie bislang nicht betroffen – und dies trotz der so unterschiedlichen Handhabung mit Tansania, dem ersten Land, das die Schulen bereits im Juli öffnete, gefolgt von Ruanda und schließlich Kenya und Uganda, wo Schulen nun für Klassen mit Prüfungsvorbereitungen offen sind.
Reaktion der RLS-Partnerorganisationen
Für die Partner der Rosa-Luxemburg-Stiftung bedeutete das, ihre Lobby-, Trainings- und Bildungsprogramme, also den Kern ihrer Arbeit, der Situation entsprechend umzugestalten und weiterzuentwickeln. Vielfältige Ansätze wurden dafür entwickelt: Die ugandische Umwelt Organisation NAPE beispielsweise, die sich auf dem Land für nachhaltigen und fairen Umgang mit Ressourcen engagiert, hat ihre Mobilisierungsstärke vor Ort für Kampagnen zum Thema «Nahrungsmittel-Souveränität» genutzt, und thematisiert, wie sich die Abhängigkeit von wenigen Großproduzenten beenden lässt.
Gleichzeitig hat NAPE die neuen Herausforderungen angenommen und unterstützt Multiplikator*innen ebenso wie Dorfgemeinschaften dabei, einfache Lösungen zu finden, um beispielsweise Alltagsmasken herzustellen oder Trinkwassertanks hygienisch sicher zu machen. Solche „frugalen Innovationen“ haben sich als neues Arbeitsfeld herausgestellt, mit deren Hilfe sich zukünftig hoffentlich auch komplexere sanitäre Anlagen errichten lassen, oder Systeme zur Verbesserung der Ernährungssicherheit, indem man Ernteverluste reduziert.
Auch der Arbeitsbereich kollektive Selbsthilfe wurde ausgeweitet: So kümmern sich NAPE-Mitarbeiter*innen und unbezahlte Helfer*innen beispielsweise vor Ort um Schulungen für Gesundheitsmaßnahmen im Zusammenhang mit Covid-19 aber auch darum, dass Mitarbeiter*innen die an HIV erkrankt sind, auch während des Lockdowns Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten haben. Dabei profitierte NAPE von seiner guten lokalen Verankerung und hat Dienst an der Gemeinschaft als politische Partizipation neu gedacht: Durch ein starkes Netzwerk von Multiplikator*innen und Trainer*innen unterstützen sich Dorfgemeinschaften gegenseitig.
Andere Partner, wie Ndabaga Impact in Ruanda, haben die Form ihrer Aktivitäten umgestellt: Bei dem von High-School Absolvent*innen gegründeten Verein, der sich um politische Bildung, Leadership-Training und gesellschaftliche Aussöhnung kümmert, standen vorher persönliche Treffen im Zentrum. Jetzt erreicht Ndabaga ihre Zielgruppen über Radio- und TV-Beiträge. Durch Call-in Slots können sich die Zuhörer*innen beteiligen. SEATINI, bei denen es vorrangig um alternative Wirtschaftskonzepte geht und ILEPA, mit ihrem Fokus auf kommunale Gesundheitspolitik, bieten ihre Informationen statt in Workshops wie ursprünglich geplant, in gedruckter Form an.
In Tansania suchen Wissenschaftler*innen, die ihre Forschung ursprünglich als Feldforschung angelegt hatten, Wege, wie sie ihre Arbeit trotz aller gegenwärtigen Beschränkungen realisieren können: Ein Forschungsvorhaben, das sich der Ideengeschichte Ostafrikas widmet, wertet nun bereits früher gesammelte Materialien aus. Ein anderes, das eigentlich auf gesammelten O-Tönen von größeren Gruppen beruhen sollte, hat sich stattdessen auf Telefoninterviews und Einzelgespräche verlegt. Diese Umstellung vom Gruppentreffen zu Einzelgesprächen und Telefoninterviews nutzt auch TOAM, eine Partnerorganisation, die sich für die Rechte von Kleinbauern und -bäuerinnen sowie alternative Methoden in der Landwirtschaft einsetzt.
Viele zivilgesellschaftliche Akteure in der Region haben Wege gefunden, Informations- und Kommunikationstechnologien für sich zu nutzen. Auch wenn Lockdowns und Mobilitätseinschränkungen natürlich alle Gruppentreffen unmöglich gemacht haben, bedeutet das nicht, dass die inhaltliche Arbeit die auf diesen Treffen hätte stattfinden sollen, ebenfalls unmöglich wäre. Auch NGO`s nutzen für ihre geplanten Aktivitäten jetzt vermehrt online-Technologien wie Skype und Zoom, beispielsweise HAKIMADINI, die auf diesem Weg politische Dialoge zu ihren Themen Bergbau und gerechtere Nutzung der Bodenschätze Tansanias veranstalten und verbreiten.
Neue Arbeitsschwerpunkte und Fokussierung
Was die Inhalte der Arbeit angeht, so haben einige Partner aus Gründen der Relevanz und Nützlichkeit ihre Arbeitsschwerpunkte verändert oder neue Aktivitäten entwickelt, um auf die Pandemie und ihre Auswirkungen auf einzelne gesellschaftliche Gruppen oder die gesamte Nation zu reagieren. Partner wie SEATINI haben Zoom-Konferenzen mitorganisiert, in denen die Situation von kleinen und mittleren Unternehmen in der Folge von COVID-19 und Lockdown diskutiert wurde. Mit einer solchen Herangehensweise stellen Partnerorganisationen sicher, dass sie von ihren Zielgruppen weiterhin als relevant wahrgenommen werden, und stellen gleichzeitig zur Verfügung, was dringend benötigt wird – unter anderem essenzielle Informationen zur Bewältigung der Covid-19 Krise und darüber hinaus weisende Perspektiven. Derart flexible Reaktionen nützen also beiden, den Partnerorganisationen wie deren Zielgruppen.
Unser kenianischer Partner PALIACT verbreitet progressive Schriften unter Menschen, die sonst wenig Zugang zu solcher Lektüre haben. Jetzt nutzt er Zoom-Konferenzen für seine wöchentlichen Lesekreise, parallel wird live auf Facebook und Instagram gestreamt. Als YouTube Videos sollen die Angebote zeitversetzt abrufbar sein, und die Organisation verschickt online einen vierteljährlichen pdf-newsletter mit Analysen und Lektüreempfehlungen. Die erste Ausgabe beschäftigte sich mit Reaktionen und Aktionen zu Corona vor dem Hintergrund des Neoliberalismus. Aus einer progressiven Perspektive werden unterschiedliche Auseinandersetzungen beleuchtet und wird gefragt, wie diese durch die Pandemie erzeugt, bzw. verstärkt werden. Dabei zielt der Newsletter vor allem darauf ab, die Kämpfe unterschiedlicher Gruppen zueinander in Bezug zu setzen.
Die Organisationen ILEPA in Kenia und HAKIARDHI in Tansania haben sich während der Krise auf die Vorbereitung und Herstellung von Publikationen in einfacher Sprache konzentriert. Inhaltlich werden die Themen behandelt, mit denen sich die Organisationen schon lange beschäftigen. Die Publikationen werden sowohl digital als auch analog vertrieben. HAKIARDHI, deren Schwerpunkt Landbesitz und Landrechte sind, nutzt die Zeit außerdem, um die Agenda inhaltlich zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Mit Hilfe eines externen Beraters wurde im Review-Prozess identifiziert, auf welche Bedürfnis- und Konfliktfelder in der bisherigen Arbeit noch nicht ausreichend eingegangen wurde.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die meisten zivilgesellschaftlichen Organisationen in dieser Krise, die alle Lebensbereiche betrifft, als äußerst resilient erwiesen haben. Dieser Anpassungsfähigkeit und Flexibilität unserer Partnerorganisationen ist es zu verdanken, dass wir weiterhin als Rosa-Luxemburg-Stiftung Ostafrika mit unseren Partner*innen in guter Kooperation miteinander arbeiten können. Bisher haben unserer Partnerorganisationen auf vielfältige Weise sehr kreativ und praxisorientiert auf die unterschiedlichen Aspekte und Facetten der Pandemie reagiert. In engem Austausch mit ihnen wird das Regionalbüro Ostafrika auch weiterhin alles daransetzen, so gut wie möglich durch diese Krise zu kommen.
Dieser Beitrag entstand unter Mitarbeit von Dorothee Braun, Leiterin des Regionalbüros Ostafrika der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Dar es Salaam.
Die Partnerorganisationen:
- NAPE
- SEATINI
- TOAM
- HAKIMADINI
- HAKIARDHI
- ILEPA
- PALIACT
- NDABAGA IMPACT