Nachricht | Erinnerungspolitik / Antifaschismus - Deutsche / Europäische Geschichte - Europa - Afrika Vergleiche vergleichen: Vom Historikerstreit zur Causa Mbembe

1986/87 diskutierten meist deutsche Intellektuelle die Frage der «Einzigartigkeit» oder der «Vergleichbarkeit» des Holocaust. In der Cause Mbembe haben sich die Fronten, die Beteiligten und Diskussionsverläufe grundlegend gewandelt – aber die politischen und ethischen Einsätze bleiben die gleichen.

Information

Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Berlin CC BY-NC 2.0, Flickr/^CiViLoN^

1986 und 1987 wurde die westdeutsche Öffentlichkeit zum Schauplatz einer dramatischen Debatte über Vor- und Nachteile des Vergleichens. In der Debatte, die als «Historikerstreit» bekannt werden sollte, diskutierten einige der prominentesten Intellektuellen und Journalisten – darunter Jürgen Habermas, Ernst Nolte, Michael Stürmer, Andreas Hillgruber, Rudolf Augstein und viele andere – in führenden Zeitungen über die – so der Untertitel der ersten Dokumentation über die «Kontroverse» – «Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung». Zur Debatte stand, was es bedeutete, ein Ereignis, das als einzigartig galt, mit einer anderen Geschichte besonderer Gewalt, in diesem Fall der des Gulags, zu vergleichen.

Michael Rothberg ist Professor für Holocaust Studies und Vergleichende Literaturwissenschaft an der University of California in Los Angeles (UCLA). Dieser Beitrag erschien zuerst in Geschichte der Gegenwart. Über­set­zung (leicht gekürzt): sh./phs.

Auf der rechten Seite des politischen Spektrums argumentierte insbesondere Nolte, dass die stalinistischen Verbrechen und eine angebliche jüdische «Kriegserklärung» gegen Deutschland als «Ursprung» von Hitlers Genozid zu verstehen seien – eine Erklärung, die offenkundig eine apologetische Funktion hatte. Für die Linken gehörte dieser Versuch, den Holocaust durch die Gegenüberstellung mit den stalinistischen Verbrechen zu relativieren, zum Bestreben in den konservativen Kohl-Jahren, die nationalen Narrative Deutschlands neu auszurichten. Insbesondere Habermas reagierte auf Noltes Geschichtsrevisionismus mit der Diagnose, dass dies ein gefährlicher neokonservativer Versuch sei, eine traditionelle, von jeder Verantwortung für den Völkermord gereinigte nationale Identität wiederaufleben zu lassen. In den darauffolgenden Jahren haben Historiker*innen innerhalb und außerhalb Deutschlands weiter daran gearbeitet, die übergeordnete Bedeutung dieser Kontroverse für die Bundesrepublik und die Erinnerungspolitik genauer zu verstehen.

Eine neue Erinnerungskultur

Während der Historikerstreit in den vergangenen fünfunddreißig Jahren ein Prüfstein für Debatten über den Nationalsozialismus geblieben ist, hatte sich die Welt schon bald nach der anfänglichen Kontroverse dramatisch verändert. Die Berliner Mauer fiel und die beiden Nachfolgestaaten des «Dritten Reichs» wurden in der neuen Berliner Republik vereinigt. Mit dem Ende des Kalten Krieges verschob sich die Bedeutung des Holocaust: Er nahm eine zentrale Rolle in der Erinnerungskultur ein, die wir heute als selbstverständlich ansehen, die aber – wie der Historikerstreit zeigt – in den 1980er Jahren erst im Entstehen begriffen war.

Die neue Zentralität des Holocaust-Gedenkens in Deutschland, Europa, den USA und – in unterschiedlichem Ausmaß – im globalen Bewusstsein lässt sich leicht an ein paar exemplarischen lieux de mémoire («Erinnerungsorten») festmachen: die Eröffnung des United States Holocaust Memorial Museum in Washington D.C. und Steven Spielbergs weltweite Filmsensation Schindlers Liste (1993); die Stockholmer Erklärung von 2000, die das Gedenken an den nationalsozialistischen Völkermord in den Mittelpunkt der europäischen Identität rückte; und schließlich, nach jahrelangen Debatten und Kontroversen, die Einweihung des riesigen Denkmals für die ermordeten Juden Europas im Zentrum von Berlin (2005). In der rasch wachsenden Holocaust-Gedächtniskultur der 1990er und frühen 2000er Jahre kann man den Sieg der Habermas’schen Perspektive sehen: Die Singularität des Holocaust wurde mit einer kosmopolitischen Erinnerungskultur und einem universellen Menschenrechtsregime verbunden, um genau jene Form eines engem Nationalismus zu unterlaufen, die Habermas in der neokonservativen Position Noltes erkannte.

Ein Sprung ins Jahr 2020, und der intellektuelle und politische Kontext hat sich erneut dramatisch verändert. Obwohl das Holocaust-Gedenken seinen Status als Prüfstein der amerikanischen, israelischen, deutschen und europäischen politischen Kultur behalten hat, koexistiert es nun auf unbehagliche Weise mit einem neuen, globalen Rechtsruck. Der Brexit, die Wahl von Trump, der Aufstieg der AfD, die anhaltende Herrschaft Netanjahus über die israelische Politik und die offen revisionistischen Regierungen in Polen und Ungarn sind nur einige der jüngsten Erscheinungen, die zeigen, wie sehr sich der Kontext verändert hat, in dem wir heute über die Bedeutung der Vergangenheit nachdenken.

Während die Verteidigung Israels in der Rechten weit verbreitet ist, blühen dort, und häufig am gleichen Ort, auch Antisemitismus und Holocaust-Relativierung. Dass sich die Bedeutung des Holocaust-Gedenkens geändert hat, liegt jedoch nicht nur am Aufstieg der populistischen Rechten. Indem der Ruf nach einer größeren Aufmerksamkeit für die Geschichte des Kolonialismus, der Sklaverei und des anti-schwarzen Rassismus in der Öffentlichkeit immer lauter wurde, haben auch Strömungen, die mit der Linken verbunden sind, die Frage nach der Zentralität der Schoah verkompliziert. Mit anderen Worten: In den letzten Jahren konnte man eine – sowohl durch rechte als auch linke Einflüsse bewirkte – Verschiebung dessen beobachten, was nach dem Historikerstreit und nach dem Kalten Krieg die Erinnerungskultur definiert hatte.

In diesem veränderten und spannungsgeladenen Umfeld hat sich in Deutschland etwas ereignet, das einige bereits als «Historikerstreit 2.0» bezeichnet haben: die Kontroverse um das Werk des in Südafrika lebenden kamerunischen Intellektuellen Achille Mbembe. Wie weit lassen sich nun diese beiden Kontroversen über das Vergleichen ihrerseits vergleichen? Ich möchte zeigen, dass die Causa Mbembe helfen kann, nicht nur der heutigen Politik des Vergleichens auf die Spur zu kommen, sondern auch ein neues Licht auf den damaligen Historikerstreit zu werfen.

Historikerstreit 2.0

Mbembe, einer der weltweit prominentesten Theoretiker von «Rasse», Kolonialismus, Gewalt und menschlichen Abgründen, sollte im August 2020 in Deutschland auf der Ruhrtriennale sprechen. Der kulturpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Lorenz Deutsch, versuchte Mbembes Auftritt mit einem offenen Brief zu verhindern, der eine Handvoll Zitate aus Mbembes Werk enthielt, in denen der Holocaust, die Apartheid und die israelische Besatzung Palästinas erwähnt wurden. Auf der Grundlage dieser kurzen und aus dem Zusammenhang gerissenen Auszüge beschuldigte Deutsch Mbembe der «antisemitische[n] ‹Israelkritik›, Holocaustrelativierungen und extremistische[n] Desinformation». Deutschs Interpretation von Mbembes Werk – die ich für tendenziös, parteiisch und irreführend halte –, wurde von Felix Klein, dem Beauftragten der Bundesregierung «für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus», aufgegriffen. Deutsch und Klein verlangten, dass Mbembe von der Ruhrtriennale ausgeladen werde, da dieser angeblich den Holocaust profanisiere, Israel dämonisiere und die BDS-Kampagne unterstütze (eine gewaltfreie Kampagne, die das Ende der Besatzung, die Rückkehr der Flüchtlinge und die Gleichberechtigung der Palästinenser fordert). Mbembe behauptete, «kein Mitglied oder Unterstützer des BDS» zu sein, aber selbst eine mögliche Berührung mit der Bewegung reicht im heutigen Deutschland aus, den Ruf von jemandem zu schädigen – was auch Peter Schäfer, der Direktor des Jüdischen Museums Berlin, im vergangenen Jahr erfahren musste.

Weil jetzt wieder die Singularität des Holocaust im Zentrum einer hochpolitischen Debatte steht, ist «Historikerstreit 2.0» ein nachvollziehbares Kürzel für die aktuelle Kontroverse. Das sollte jedoch nicht den Blick dafür verstellen, wie sehr die neue Debatte von der alten abweicht – und diese sogar in ein neues Licht rückt. Wie beim ursprünglichen Historikerstreit, warfen auch hier prominente Intellektuelle ihr Gewicht in die Waagschale und wurden scharfe Trennlinien gezogen. Fast vollständig verändert hatte sich jedoch die personelle Besetzung (wahrscheinlich nur Micha Brumlik hat an beiden Debatten teilgenommen): Während die Beteiligten am Historikerstreit von 1986/87 sich in erster Linie auf eine Kohorte deutscher männlicher Intellektueller beschränkte, die die Nazizeit erlebt hatten, bezog die jüngste Debatte die Nachkriegsgenerationen ein und war auch prominent mit Frauen besetzt, darunter Aleida Assmann, Susan Neiman und Eva Illouz. Darüber hinaus war die Debatte internationaler geworden, nicht nur wegen der Beteiligung von Mbembe selbst, sondern auch, weil sich eine Reihe israelischer Intellektueller sowie britischer und US-amerikanischer Wissenschaftler – etwa der Autor dieses Beitrags – in die Diskussion einbrachten.

Die prominente Rolle, die Israel in der Causa Mbembe spielt und die in der früheren Debatte keine Parallele hat, verweist auf zwei weitere Unterschiede. Angesichts des breiten Konsenses in Deutschland, als Teil der deutschen Verantwortung hinter Israel zu stehen, war die klare Unterscheidung von rechts und links, die die frühere Debatte kennzeichnete, in der neueren einigermaßen verwischt. Ich werde weiterhin von links und rechts, von fortschrittlichen und konservativen Lagern sprechen, obwohl zweifellos wahr ist, dass einige, die Mbembe kritisierten, sich als Linke verstehen, während mir keine Linken einfallen, die sich auf Noltes Seite gestellt hätten. Und schließlich zeigte der Bezug auf Israel, zusammen mit der Bedeutung, die Apartheid und das koloniale Erbe in der Mbembe-Debatte hatten, inwieweit die Geschichten, die hier verhandelt wurden, weit über die Grenzen des europäischen Kontinents hinausgehen.

Eine vorläufige Einschätzung

Auch wenn die Debatte noch nicht abgeschlossen ist, lässt sich jetzt schon festhalten, dass 1986 der Akt des Vergleichens eindeutig zum Arsenal der konservativen Denker gehörte, im Jahr 2020 hingegen von Konservativen verspottet und von Progressiven wie Brumlik und Assmann verteidigt wurde. Was hat sich geändert? Ich glaube nicht, dass es einen grundlegenden Wandel der historischen Methodologie gegeben hat. Schließlich war der Vergleich schon immer zentral für die Geschichtsschreibung, auch wenn sich das Fachgebiet der vergleichenden Völkermordforschung gerade erst in den Jahren zwischen Historikerstreit 1.0 und Historikerstreit 2.0 entwickelt hat. Eher müsste man sagen, dass sich die Erinnerungskultur in diesen Jahren veränderte.

Denn tatsächlich ging es beim Historikerstreit, wie Jeffrey Olick bemerkte, weniger um Geschichte als um Erinnerung, d.h. um die Bedeutung der Vergangenheit für die Gegenwart. Bezeichnenderweise waren die 1980er Jahre die Zeit, in der Bürgerinitiativen für die Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Erbe wegweisend waren und dazu beitrugen, das zu schaffen, was heute als «deutsches Modell» der Erinnerung und Vergangenheitsbewältigung bekannt ist. Seit den 1990er Jahren ist die Aufarbeitung jedoch zur offiziellen Staatspolitik geworden und hat ihre aufrührerische Qualität verloren.

Mit der Konsolidierung der offiziellen Holocaust-Gedächtniskultur in den zwei Jahrzehnten nach der Wiedervereinigung drangen andere Fragen an die Oberfläche, die in den Debatten der 1980er Jahre nicht zur Sprache gekommen waren. Vor allem gab es neue Vergleichspunkte. Zwar ist die Gegenüberstellung von Nationalsozialismus und Stalinismus, zumindest in Osteuropa, nach wie vor ein heißes Thema. Doch in anderen Teilen der Welt – und auch in Deutschland – stehen koloniale Gewalt, Sklaverei und allgemeiner: anti-schwarzer Rassismus heute in den Diskussionen um die Vergangenheitsbewältigung ganz oben auf der Tagesordnung.

Während Mbembe selbst den Holocaust nur selten mit kolonialem Rassismus vergleicht und seine wichtigsten Texte wohl auch nicht als Beiträge zum Problem des kulturellen Gedächtnisses versteht, wurde in der Debatte um sein Werk und anlässlich seiner Ausladung häufig auf diese Themen Bezug genommen. Der Vergleich von kolonialer Gewalt mit dem Völkermord der Nationalsozialisten hat – wie ich in meinem Buch Multidirektionale Erinnerung zeige – eine Tradition, die bis in die frühen Nachkriegsjahre zurückreichtAber der Aktivismus namibischer und Schwarzer deutscher Aktivist*innen hat ihn inzwischen zu einer unvermeidlichen, wenn auch immer noch häufig marginalisierten Verweis in den öffentlichen Debatten in Deutschland gemacht.

Es ist genau diese Verschiebung der Erinnerungskultur weg von der allein bilateralen Gegenüberstellung Nationalsozialismus vs. Stalinismus hin zu einem offeneren und globaleren Rahmen des Vergleichens, die den Unterschied zwischen den beiden historischen Debatten ausmacht. Aus der Perspektive der postkolonialen Kritik und einer globalisierten Erinnerungskultur wirft die Causa Mbembe daher ein erhellendes Licht auf den Historikerstreit 1.0und die Grenzen der in den 1980er Jahren artikulierten progressiven Position. Habermas‘ explizites Ziel bei der öffentlichen Verurteilung von Nolte und anderen Konservativen war der Schutz dessen, was er «die größte intellektuelle Errungenschaft unserer Nachkriegszeit» nannte: «die vorbehaltlose Öffnung der Bundesrepublik gegenüber der politischen Kultur des Westens». Für Habermas bedeutete dies, sich einen «Verfassungspatriotismus» zu eigen zu machen und «verbindliche universalistische Verfassungsprinzipien» zu bejahen. Der US-amerikanische Literaturkritiker Vincent Pecora war einer der wenigen frühen Kommentatoren, der feststellten, dass Habermas’ «Rhetorik auf subtile Weise dazu dient, […] den Westen von seiner eigenen offensichtlichen Mitschuld nicht nur an den deutschen Kriegsverbrechen, sondern auch an dem langen Narrativ der westlichen Imperialherrschaft freizusprechen». Ohne den Wert der Verfassungsprinzipien, die Habermas im Rückblick auf eine faschistische Diktatur artikuliert hatte, in Abrede stellen zu wollen, muss gesagt werden, dass ein vorbehaltloses Bekenntnis zum «Westen» für diejenigen hohl klingen muss, deren Gesellschaften Jahrhunderte europäischer und US-amerikanischer imperialer Herrschaft erfahren haben.

Jenseits aller Vergleiche: Die Frage der Verantwortung

Hinter der Kontroverse um den Vergleich lauern noch wichtigere Fragen: Das Problem war nie das Vergleichen als solches, das Problem war die politische und historische Verantwortung. Eine Gegenüberstellung von Gulag und Auschwitz ist an sich nicht undenkbar. Doch wie sie jemand macht und warum: Darin liegt in ethischer und politischer Hinsicht der springende Punkt. Ein Denken in ethischen und politischen Begriffen zeigt sowohl Kontinuitäten als auch die Umkehrung der Positionen, die Konservative und Progressive in den beiden Debatten eingenommen hatten. Wo der Historikerstreit 1.0 ein Versuch Noltes und andere Konservativer war, die Verantwortung für den Völkermord der Nationalsozialisten zu relativieren, so stellte der Historikerstreit 2.0 den Versuch von Kritikern Mbembes dar, die Verantwortung dafür zwar zu übernehmen, sie aber gezielt dazu einzusetzen, um weitere Verantwortlichkeiten und ihre ethischen und politischen Implikationen zu vermeiden. Insbesondere die Verteidigung der Einzigartigkeit des Holocaust und die Überwachung der Grenzen dessen, was seltsam genug als «Israelkritik» bezeichnet wird, tragen dazu bei, die Verantwortung für andere deutsche Gräueltaten wie den Völkermord an den Herero und Nama und allgemeiner die Beteiligung am Kolonialismus zu verdrängen und von der deutschen Verstrickung in die Enteignung der Palästinenser abzulenken. Gerade diese Verstrickung – zunächst gekennzeichnet durch die Entstehung eines neuen Flüchtlingsproblems in Palästina – hat Hannah Arendt in Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft festgehalten, einer Studie, die als eine der ersten eine koloniale Herkunft der Naziverbrechen nahelegte.

Die veränderte Haltung der Linken zur Vergleichbarkeit unterscheidet sich von jener der Rechten grundlegend: In der Mbembe-Affäre begrüßte die Linke den Vergleich, statt wie im ursprünglichen Historikerstreit davor zu warnen. Doch diese Verteidigung des Vergleichs mit der kolonialen Vergangenheit bedeutete für sie keine Verschiebung in der Frage der Verantwortung für den Holocaust. Die progressive Position wie jene von Assmann und Brumlik zielt nicht darauf ab, Deutschland von dem in den 1980er Jahren entstandenen Erinnerungs- und Verantwortungsregime zu befreien. Vielmehr lässt sie sich davon inspirieren, um den Blick für weitere Verstrickungen zu öffnen. Die Logik der progressiven Position ist kein Nullsummenspiel und kein Entweder-Oder; sie ist eine Erweiterung der deutschen Erinnerungskultur, die auch das Potenzial für eine multidirektionale Revision der Erinnerung jenseits des Rest-Eurozentrismus birgt.

Das auf beiden Seiten begrenzte Terrain des Vergleichs im Historikerstreit 1.0 deutet auf den produktiven Fortschritt hin, der in der neuen Debatte über einen primär nationalen Rahmen hinaus erzielt wurde. Die Gegenüberstellung der Versionen 1.0 und 2.0 – sowie die in Deutschland und anderswo anhaltenden, breit geführten Diskussionen über die Erinnerung an den Holocaust, Kolonialismus, Sklaverei und Israel/Palästina – verdeutlicht die Notwendigkeit, Erinnerung mit Solidarität und historischer Verantwortung zu verbinden, d.h. mit den ethischen und politischen Verpflichtungen, wie öffentliche Formen des Gedenkens sie voraussetzen. Jenseits des Vergleichens liegt daher in jedem Fall die Verstrickung der Intellektuellen in die Geschichten, über deren Vergleichbarkeit sie streiten. Vereinfacht ausgedrückt kann man sagen, dass der ursprüngliche Historikerstreiteine Auseinandersetzung der Deutschen über die besondere Verantwortung Deutschlands für den Holocaust beinhaltete. In den neuen Diskussionen sind die Teilnehmer nicht alle Deutsche, und die Geschichten, um die es geht, sind mehr als europäisch. Weit davon entfernt, die Verwicklung der Teilnehmer in historische und gegenwärtige Ungerechtigkeiten zu verwässern, schärft diese Erweiterung des Vergleichsfeldes jedoch die Frage nach der Verantwortung. Der neue Historikerstreit ist eine Kontroverse nicht nur für Deutsche und Europäer – es ist aber auch eine, der sie sich nicht entziehen können.