Nachricht | Wirtschafts- / Sozialpolitik - Globalisierung - Zentralasien - China - Die Neuen Seidenstraßen Im geographischen Zentrum: Zentralasien

Nur Impulse für eine Transitstrecke oder aktive Brücke zwischen verschiedenen Teilen der Welt?

Information

Autorin

Marlies Linke,

Die 2010 gegründete Nasarbajew-Universität ist das «Flagship» unter den akademischen Einrichtungen Kasachstans.
Chinas Präsident Jinging wählte nicht zufällig die Nasarbayev-Universität in der kasachischen Hauptstadt Astana, um im September 2013 vorzuschlagen, China und Zentralasien sollten gemeinsam einen Wirtschaftsgürtel Seidenstraße (Silk Road Economic Belt) aufbauen. Die 2010 gegründete Nasarbajew-Universität ist das «Flagship» unter den akademischen Einrichtungen Kasachstans., CC BY-SA 4.0, Beshbarmak, via Wikimedia Commons

Über die historische Seidenstraße tauschten Menschen Waren und Informationen, Kulturgüter und Technologien aus. Selten waren Reisende wie Güter dabei die gesamte Strecke unterwegs. Das Bild dieses menschlichen Austausches wäre nicht nur um leuchtende Farbtupfer ärmer, wenn die Stationen in Zentralasien «herausgedacht» würden: Bereits damals waren sie ein essenzieller Teil der Landverbindung zwischen China, anderen Teilen Asiens und Europa.

Marlies Linke ist Politikwissenschaftlerin und leitet das Zentralasienbüro der Rosa Luxemburg Stiftung in Almaty.

Xi Jinping, Präsident der Volksrepublik Chinas, wählte nicht zufällig die Nasarbayev-Universität in der kasachischen Hauptstadt Astana, um im September 2013 vorzuschlagen, China und Zentralasien sollten gemeinsam einen Wirtschaftsgürtel Seidenstraße (Silk Road Economic Belt) aufbauen. Er ergänzte diese Vision einen Monat später in Djakarta durch die Initiative einer Maritimen Seidenstraße (Maritime Silk Road). Damit war der Anfang für die Vielzahl von Projekten und Verbindungslinien gelegt, die heute als Neue Seidenstraßen diskutiert und verwirklicht werden. Nicht nur, aber auch in Reaktion auf die chinesische Initiative wurden in Zentralasien eigene größere Planungen vorgelegt, die von einheimischer Seite Andockpunkte zum BRI deutlich machen. So zielt der 2014 vom Präsidenten Kasachstans initiierte Plan «Nurly Zhol» (Heller Pfad) ebenfalls darauf, Infrastruktur in den Bereichen Transport, Logistik, Industrie, Energie, öffentliche Vorsorge, Wohnen und Soziales zu entwickeln.

Wie auch in anderen Regionen, die ihr Interesse für BRI bekundet haben, wird in Zentralasien oft nicht klar abgegrenzt, welche älteren Projekte unter dem Schirm BRI positioniert werden, ob er so weit gespannt ist, dass fast alles in den bilateralen Beziehungen der jeweiligen Staaten und China unter ihm platziert wird. Auch hier fallen die Reaktionen auf die Interaktion mit China nicht eindeutig aus.

Auf der Liste der BRI-Projekte in Kasachstan stehen 55 Projekte im Gesamtumfang von 27,5 Milliarden USD in den Bereichen Maschinenbau, Industrie, Landwirtschaft, Chemie, Pharmazie und Energie.

Kirgistan ist das einzige Land Zentralasiens, in dem kein BRI-Projekt umgesetzt wird, dennoch verknüpfen auch hier viele Menschen Hoffnungen z.B. mit den Infrastrukturprojekten, die mit chinesischer Unterstützung errichtet werden. Dazu zählt neben anderen Straßen und Brücken die Nord-Süd-Autobahn. Zwischen beiden Landesteilen bestehen große Entwicklungsunterschiede. Stärkere Verbindungswege könnten desintegrativen Tendenzen zwischen ihnen entgegenwirken. 

Auch in Bezug auf transregionale Zusammenarbeit wird geprüft, welche Chancen aus einem Zusammendenken von BRI und anderen Kooperationsplattformen entstehen, welche konkreten Voraussetzungen dafür bestehen oder geschaffen werden können.  Wie würde sich z.B. durch eine verstärkte Digitalisierung der Zollabfertigungen in der Eurasiatischen Wirtschaftsunion EAWU die Zollabfertigung von Warenströmen zwischen Asien und Europa beschleunigen? Noch vor dem Entstehen der Freihandelszone RCEP hatte z.B. Kasachstan bei Treffen mit ASEAN-Vertretern verdeutlicht, dass Zentralasien über die Transportwege in China für Handel mit den ASEAN-Ländern offen sei und sich dabei als Drehscheibe im Transportnetz in weitere Richtungen anbietet.

Nicht alle Pläne, die Warentransporte in der Region beschleunigen könnten, werden umgesetzt. Dies u.a. aus Sicherheitsbedenken nicht nur von Akteuren aus der Region: So wurden z.B. in Kirgistan 400 Kilometer der Eisenbahnstrecke, die den bereits 1966 angedachten Korridor China-Kirgistan-Usbekistan vervollständigten, bisher nicht gebaut. Aus den Seehäfen Chinas kommende Waren werden deshalb im Transportknotenpunkt Kashgar in der chinesischen Provinz Xinjiang für den Weitertransport nach Westen auf LKWs umgeladen.

Welche Erwartungen gibt es an die Projekte, die unter BRI eingeordnet werden bzw. an Projekte, die in der Region mit bzw. durch China realisiert werden? Mit BRI verknüpfen viele Menschen in Zentralasien Hoffnungen auf Entwicklungs­chancen für ihre Länder und für sich selbst. In Zentralasien beträgt das Durchschnittsalter der Bevölkerung 27 Jahre, allein in Usbekistan drängen jährlich ca. 700.000 junge Menschen erstmals auf den Arbeitsmarkt. Damit sind wirtschaftliche Entwicklung und die Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen Schlüsselmomente für die Zukunft der Region.  

Usbekistan zum Beispiel sieht der Kooperation mit China mit großen Erwartungen entgegen – hier versprechen sich viele aus einem gezielten Ausbau von Angeboten für chinesische Touristen Impulse für mehrere Wirtschaftszweige. Das Land baut zudem darauf, dass in gemeinsamen Projekten ein Transfer von modernen Technologien erfolgt. Ob ein Technologietransfer so erfolgt, dass die Wirtschaften der Länder der Region nachhaltig stimuliert werden, ist ein Punkt, an dem die Wirksamkeit der Kooperationen gemessen wird. In Kasachstan wurde diskutiert, ob in den 55 BRI-Projekten veraltete Technologie transferiert werde, was von offizieller kasachstanischer Seite dementiert wurde.

Im ursprünglichen Konzept der BRI wird Migration nicht erwähnt, der Begriff «Mobilität» einmal, «Arbeitsmarkt» und «Arbeitskräfte» werden je fünfmal verwendet. «Bewegung» wird auf Kapital und Ressourcen bezogen. Wie steht es also um Beschäftigungsmöglichkeiten in den BRI-Projekten? Werden für die Realisierung von Projekten chinesischer Investoren in der Region Arbeitskräfte aus China eingesetzt, erfüllen sich die Erwartungen der lokalen Bevölkerung nicht, hier selbst eine gute Arbeit zu finden. Nach kirgisischen Quellen waren 6.711 der 2019 im Land tätigen 8.757 ausländischen Spezialist*innen Bürger*innen Chinas. Ethnische Kasachen, die aus China nach Kasachstan übersiedelten (Oralmane), haben wegen ihrer Chinesischkenntnisse oftmals zuerst eine Chance auf eine Anstellung in einem der Betriebe mit Chinabezug.

Wissenstransfer von China nach Zentralasien wird nicht nur erwartet, wenn es um Technologie und Arbeit geht. China legte besondere Stipendien- und Bildungsprogramme zur Förderung der Neuen Seidenstraßen auf. Ob und von wem diese genutzt werden, ob dabei ein wirklicher Wissenszuwachs stattfindet, ist auch von Ausbildungsbedingungen an konkreten Hochschulen, dem Grad der Einbindung der ausländischen Studierenden in den Ausbildungsprozess abhängig – und nicht zuletzt davon, wie gut die chinesische Sprache erlernt wurde.

Aus dem mit 33 Millionen Einwohner*innen bevölkerungsreichsten Land Zentralasiens Usbekistan studierten 5000 Menschen 2020 in China. Auch für junge Kirgistaner*innen hat China als Bildungsort in den letzten 20 Jahren an Attraktivität gewonnen: ihre Zahl stieg von 100 auf ca. 3.000 im Jahr 2018. Die Mehrzahl der Studierenden aus Kasachstan z.B. nimmt ihr Studium in China entweder auf eigene Kosten oder finanziert durch andere als die BRI-Stipendien auf. 2018 studierten 11.784 Kasachstaner*innen in China. Bei einer Landesbevölkerung von ca. 18,3 Millionen Menschen war dies keine geringe Anzahl. Allerdings sank die Anzahl kasachstanischer Studierender in China in den letzten Jahren. Eine der Ursachen dieser Tendenz ist es, dass es vielen der nach ihrer Ausbildung Zurückkehrenden nicht gelingt, zu Hause eine adäquate Beschäftigung zu finden.

Den hohen Erwartungen an die Potenziale der BRI stehen in mehreren Ländern der Region gleichzeitig auch skeptische bis ablehnende Haltungen von Teilen der Bevölkerung gegenüber China gegenüber.

Solche chinakritischen Perzeptionen speisen sich besonders in Kasachstan und Kirgistan aus der Wahrnehmung von Ungleichgewichten in den wirtschaftlichen, politischen, militärischen Potenzialen, aus Erfahrungen geteilter Geschichte und der Beobachtung des Umgangs der Führung der VR China mit moslemischen Minderheiten im Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang. In den ebenfalls moslemisch geprägten Ländern Zentralasiens wird aufmerksam vermerkt, dass in Xinjiang nicht nur Uiguren, sondern auch moslemische Minderheiten wie Kasachen, Kirgisen wegen ihres Glaubens «umerzogen» werden.

Gerade wegen der Geschichte der Region werden Ansprüche auf eigene Territorien argwöhnisch beobachtet und entsprechend kommentiert: So richtete der Vize-Außenminister Kasachstans nach der Veröffentlichung des Beitrages «Warum Kasachstan danach strebt, nach China zurückzukehren» auf der Plattform sohu.com im April 2020 eine Protestnote an den chinesischen Botschafter in seinem Land.

Kirgistan verdeutlicht, welche Probleme daraus erwachsen, wenn über Jahre hinweg von unterschiedlichen Beteiligten Verträge mit chinesischen Akteuren über Projekte und bzw. deren Finanzierung abgeschlossen werden, über deren Gesamtsumme und konkreten Rückzahlungsbedingungen aber Unklarheit besteht. Auch für künftige Regierungen kann es zu einer Belastung werden, wenn Ressourcen des Landes als Sicherheiten für Kredite eingesetzt wurden, deren Rückzahlung nicht anderweitig gesichert werden kann.

Auch das Fehlen von negativen Erfahrungen durch weniger direkte Kontakte kann zum Faktor werden, der die China-Perzeption mitprägt: In Usbekistan und Tadschikistan gibt es weniger Befürchtungen, sondern werden mit China eher Chancen auf die Entwicklung des eigenen Landes verbunden.

Manche Kritik wird auf informierter Grundlage vorgebracht. Nicht immer basieren chinakritische Proteste auf Tatsachen, wird die Frage gestellt, wem nützen Chinaphobien und wer hat ein Interesse an ihrer Verbreitung.

Mitunter werden allgemeine Ängste in Bezug auf die Auswirkungen einer stärken Zusammenarbeit mit China formuliert. Proteste werden auch durch Menschen getragen, die ihre Erwartungen auf positive Effekte daraus nicht erfüllt sehen.

Sie werden genährt durch Personen, die innere Gegner bekämpfen. So wurden antichinesische Auftritte in Kasachstan im September 2019 oft Mukhtar Ablyasov, dem exilierten Führer der verbotenen Partei Demokratische Wahl Kasachstans, zugeschrieben. Sie fanden im Vorfeld der Chinareise des kasachischen Präsidenten Kassym-Jomart Tokayev statt, während der er und der chinesische Präsident eine «permanent umfassende strategische Partnerschaft» beider Länder vereinbarten.

Nicht vergessen werden sollte, dass die Region auch für weitere globale Akteure bedeutsam ist. Proteste zum Beispiel in Kasachstan oder Kirgistan gegen China, Mistrauen gegenüber den Intensionen Chinas in Zentralasien bremsen mögliche Kooperation mit China und lenken die Aufmerksamkeit auf die Angebote anderer Seiten.

Die Länder der Region leiden unter einer hohen Korruption. Vorwürfe, BRI-Projekte oder andere Vorhaben der bilateralen Zusammenarbeit mit China hätten eine korrumpierende Wirkung, werden deshalb nicht nur an die (potenziellen) Investoren gerichtet, sondern gehen häufig auch an Entscheider unterschiedlicher Ebenen in den Ländern der Region.

Die Anzahl von Projekten, die von chinesischen Akteuren oder mit chinesischer Beteiligung in Zentralasien realisiert werden, ist seit 2013 stark gestiegen. Nicht alle diese Projekte, die der Politik des «Going Out» folgen, sind ausreichend gut vorbereitet, nicht alle Akteure verfügen über ein realistisches Bild der Spezifik ihrer Gastgeberländer oder auch die notwendigen Mittel ihrer Finanzierung. Projekte, die fehlschlagen, enttäuschen Erwartungen und verstärken vor Ort die Skepsis gegenüber China.

Negative Auswirkungen von Projekten in chinesischer Hand oder mit chinesischer Beteiligung auf die Ökologie triggern mitunter ebenfalls Proteste. Aus China wurden Zementwerke älterer Technologien nach Tadschikistan exportiert. Tadschikistan kann jetzt nicht nur den Bedarf für seine eigenen Bauvorhaben decken, sondern wurde vom Zementimporteur zum -exporteur. Die Bevölkerung im Umfeld dieser Werke verbucht dies nicht als Zuwachs von Lebensqualität. Viel diskutiert wurde 2018 die fehlgeschlagene Modernisierung des Heizkraftwerks der Hauptstadt Kirgistans. Das Vorhaben wurde mit Hilfe chinesischer Kredite finanziert. In seinem Zusammenhang wurden Vorwürfe laut, dass es zu teuer sei, von Korruption geprägt, veraltete Technik eingekauft wurde. Auch wegen der Emissionen des Kraftwerkes zählt Bischkek bis heute zeitweise zu den Städten mit der höchsten Luftverschmutzung der Welt.

Auch am Gelingen der Kooperationen wird in den Ländern Zentralasien gemessen werden, wie weit die Zusammenarbeit mit China tatsächlich einer anderen Philosophie und Praxis des internationalen Mitanders folgt, wie sie Xi Xinping auf dem 19. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas am 18. Oktober 2017 anbot:

«Der Eintritt des Sozialismus chinesischer Prägung in das neue Zeitalter bedeutet ferner, dass …. der Modernisierungsweg für die Entwicklungsländer erweitert wurde, den Ländern und Völkern der Welt, die hoffen, sowohl ihre eigene Entwicklung zu beschleunigen, als auch ihre Unabhängigkeit zu wahren, eine neue völlig Wahlmöglichkeit und der Menschheit weise chinesische Ideen für Problemlösungen und chinesische Konzepte zur Verfügung gestellt werden.»(Inoffizielle Übersetzung des Berichts von Xi Xinping)

Erschienen in maldekstra #9