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Irans Beziehungen zu den USA

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Daniel Walter,

Iran-Sanktionen
Was würde ein US-Präsident Biden für das amerikanisch-iranische Verhältnis bedeuten? In Teheran hofft man auf Sanktionserleichterungen. CC BY 4.0, Fars News Agency

Das Ende der Politik des «maximalen Drucks» rückt näher. Unter dem neuen US-Präsidenten wird eine Rückkehr zur Iran-Politik der Obama-Regierung erwartet. Wie blickt man in Iran auf die Wahl Joe Bidens?

«Rote Pille oder Blaue Pille?» Die berühmte Frage aus dem Filmklassiker Matrix machte vor Kurzem als Meme unter Iraner*innen die Runde. Biden oder Trump? Doch statt in unterschiedliche Welten zu führen, machen die Pillen kaum einen Unterschied. «Was ist mit der roten Pille?» (Biden) fragt Neo. «Dasselbe nur mit Erdbeergeschmack», antwortet ihm Morpheus.

Daniel Walter hat Politikwissenschaft und Middle Eastern Studies in Bonn, Schweden und Teheran studiert. Derzeit promoviert er am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) zu internationaler Wirtschaftsgeschichte der 1980er-Jahre mit einem Schwerpunkt auf Irans Beziehungen zur Bundesrepublik.

Joe Biden als nur etwas attraktiverer Donald Trump? So fatalistisch (oder anti-amerikanisch, je nachdem) sind sicher nicht alle 80 Millionen Iraner*innen. Immerhin hat der kommende US-Präsident angekündigt, zum Atomabkommen zurückkehren zu wollen, den travel ban aufzuheben und die Sanktionen in einem ersten Schritt so zu ändern, dass sie Irans Kampf gegen das Coronavirus nicht erschweren.

Dennoch gibt es, bei aller Erleichterung über eine der Diplomatie zugeneigte US-Regierung, nicht nur Skepsis gegenüber einer Besserung der internationalen Beziehungen, sondern vor allem sehr viel konkretere Probleme im Leben der meisten Iraner*innen.

Die zweite Welle schlägt durch

Da wäre zunächst die noch immer schwierige Lage in der Corona-Pandemie. Die Titelseiten iranischer Zeitungen erinnern dieser Tage an die Bilder menschenleerer Einkaufsstraßen in europäischen Großstädten aus dem Frühling. Aufgrund drastisch steigender Infektionszahlen sah sich Präsident Hassan Rohani dazu gezwungen, das öffentliche Leben in 159 Städten einzuschränken. Die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen liegt derzeit bei rund 13.000 pro Tag. Zwischen Juni und September waren es noch etwa 2.000 gewesen. Offiziell sind bislang über 47.000 Menschen an Covid-19 gestorben – diese Angaben glaubt jedoch sowieso niemand.

Seit dem 21. November sind die meisten Geschäfte geschlossen. Behörden haben ihre Arbeit auf ein Minimum reduziert, der Unterricht an Unis und Schulen soll digital stattfinden. Die Entscheidung für den zunächst zweiwöchigen Lockdown steht am Ende eines undurchsichtigen Schlingerkurses der Verantwortlichen. Präsident Rohani war bislang stets darum bemüht, ein Herunterfahren des Landes zu vermeiden.

Wirtschaftliche Lage ist noch immer desolat

Das hat gute Gründe. Denn Rohani wird sich darüber im Klaren sein, dass es für die vielen Iraner*innen unterhalb der Armutsgrenze keine Option ist, der Arbeit fernzubleiben. Die noch immer desolate wirtschaftliche Lage, die unter anderem zu hohen Lebensmittelpreisen geführt hat, erschwert vielen Menschen den Alltag enorm. Wie schnell dieser Unmut in Proteste umschlagen kann, wurde zuletzt bei den Aban-Protesten deutlich, die sich derzeit jähren.

Im November 2019 waren landesweit Tausende Demonstrant*innen auf die Straßen gegangen, um gegen einen starken Anstieg der Benzinpreise zu protestieren. Der Staat schlug die Kundgebungen mit massiver Gewalt nieder. Derzeit halte eigentlich nur Corona die Leute von erneuten Protesten ab, gab eine Teheraner Studentin in der Tageszeitung «nd.DerTag» jüngst ihre Einschätzung zu Protokoll.

Der Diplomatie rennt die Zeit davon

Zwar ist die wirtschaftliche Schieflage auch auf Misswirtschaft und Korruption zurückzuführen. Vor allem die Sanktionen, die die USA unter Donald Trump gegen Iran verhängt haben, erschweren die Lage für die Mittel- und Unterschicht aber zusätzlich. Sollte eine Regierung unter Joe Biden die Sanktionen zumindest teilweise zurückdrehen, wäre dies also nicht zuletzt der für die Teheraner Eliten komfortabelste Weg zu einer wirtschaftlichen Erholung.

Zumindest personalpolitisch stehen die Zeichen für eine Rückkehr zum Status quo ante Trump nicht schlecht. Mit Jake Sullivan wird einer der Verhandlungsführer des Atomabkommens Bidens Nationaler Sicherheitsberater. Auf iranischer Seite gab es zudem vor allem aus dem Lager der sogenannten Reformer vorsichtige Annäherungssignale. Kurz nach der Verkündung des Wahlergebnisses sagte Präsident Rohani, die neue US-Regierung könne «Fehler der Vergangenheit wiedergutmachen».

Doch wie groß die Unwägbarkeiten sind, wurde zuletzt vor wenigen Tagen auf einer Landstraße etwa 60 Kilometer östlich von Teheran deutlich. Das Attentat auf den führenden Atomwissenschaftler Mohsen Fakhrizadeh hat das Potenzial, die Rückkehr an den Verhandlungstisch unmöglich zu machen. Sollte der israelische Auslandsgeheimdienst Mossad für das Attentat verantwortlich sein, worauf vieles hindeutet, so könnte dies eine Art Abschiedsgeschenk von Israels Premier Benjamin Netanjahu für seinen Freund Donald Trump gewesen sein.

Auch die Hardliner in der iranischen Führung schließlich könnten das Attentat propagandistisch ausschlachten, um Stimmung gegen Verhandlungen mit den USA zu machen – und nebenbei davon abzulenken, dass ein mindestens zwölfköpfiges Team aus Attentätern den wichtigsten Atomphysiker des Landes am helllichten Tag umbringen konnte.

Das Zeitfenster für Verhandlungen ist extrem klein. Zwischen der Amtseinführung Joe Bidens am 20. Januar und den iranischen Präsidentschaftswahlen Mitte Juni, bei denen Rohani nicht wieder antreten kann, liegen nur fünf Monate. Das Meme aus der Matrix-Reihe wird dann jedoch höchstwahrscheinlich besser passen als im Fall der US-Wahlen.