Nachricht | Arbeit / Gewerkschaften - Globalisierung - Südosteuropa - Die Neuen Seidenstraßen Der «Kopf des Drachen» und die Suche nach dem Goldenen Vlies

Der Hafen von Piräus ist für China ein verheißungsvolles Gut

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Zentrale Büros der Piraeus Port Authority auf dem von COSCO betriebenen Piraeus Container Terminal in Piräus, Griechenland, 13. August 2018.
Zentrale Büros der Piraeus Port Authority auf dem von COSCO betriebenen Piraeus Container Terminal in Piräus, Griechenland, 13. August 2018. picture alliance / NurPhoto | Wassilios Aswestopoulos

In der chinesischen Kultur sind Drachen ein zentrales Symbol für verheißungsvolle und respekteinflößende Mächte. Den «Kopf des Drachen» beim Projekt der «Neuen Seidenstraße» repräsentiert nach den Worten des chinesischen Präsidenten Xi Jinping der Hafen von Piräus.

Despina Papageorgiou ist freie Journalistin und arbeitet in Athen.

Noch bevor die Troika das überschuldete Griechenland im großen Maßstab zum Ausverkauf öffentlichen Eigentums zwang, hatte sich China 2008 weitsichtig erste Anteile am Hafen gesichert. Dessen geografische Lage am Schnittpunkt dreier Kontinente bot einen idealen Zugang zu Europa, Chinas zweitgrößtem Handelspartner. Zumal über 80 Prozent des chinesischen Handels mit der EU über den Seeweg abgewickelt werden. Verglichen mit nordeuropäischen Häfen lässt sich so eine Woche Fahrtzeit – und viel Geld – sparen.

Seit 2008 hat sich die Zusammenarbeit so vertieft, dass Befürchtungen laut wurden, Griechenland könne Chinas Trojanisches Pferd für Europa werden. Verstärkt wurden sie durch Griechenlands Blockadehaltung gegenüber einer UN- und zwei EU-Erklärungen, die China kritisierten. Die bereits enge Zusammenarbeit wurde «besiegelt», als beide Länder 2018 eine Vereinbarung zur gemeinsamen Fortführung der Arbeiten an der «Neuen Seidenstraße» unterzeichneten und Griechenland ein Jahr später offiziell der chinesischen 16+1-Initiative mit zentral- und osteuropäischen Ländern beitrat. Der chinesische Kapitalfluss der letzten Jahre in die griechische Wirtschaft wird auf mehr als 7,5 Milliarden Euro geschätzt – davon 1,8 Milliarden Euro allein für den Hafen.

Im Jahr 2008 sicherte sich das chinesische Staatsunternehmen China Ocean Shipping Company (COSCO), der Gesamtkapazität nach die drittgrößte Container-Reederei der Welt, für 490 Millionen Euro einen 35-Jahre-Pachtvertrag für die Hälfte des Hafens von Piräus (Pier II und den später gebauten Pier III). 2016, als die Privatisierung in Griechenland bereits in vollem Gange war, verkaufte das Land schließlich seinen größten Hafen und überließ COSCO für 280,5 Millionen Euro 51 Prozent der Anteile. Das chinesische Unternehmen übernahm effektiv die Kontrolle über die Hafenverwaltung (OLP) und das verbliebene Containerterminal (Pier I) bis 2052. Der größte europäische Passagierhafen mit 20 Millionen Passagieren jährlich befand sich nun in chinesischer Hand. Der Vertrag über 368,5 Millionen Euro sieht vor, dass COSCO nach fünf Jahren weitere 16 Prozent der Anteile erhalten soll, wenn das Unternehmen im Zeitraum von zehn Jahren Investitionen von 350 Millionen Euro tätigt.

2019 stieg Piräus zum Mittelmeerhafen mit dem größten Containerumschlag auf, der griechische Staat strich 5,4 Millionen Euro an Konzessionsabgaben ein, und angeblich sind 3.000 Arbeitsplätze entstanden. Doch ist das auch für Arbeiter*innen eine Erfolgsgeschichte?

2009 wurde die COSCO-Tochter Piraeus Container Terminal (PCT) gegründet, um Pier II und III zu betreiben. Die dort Beschäftigten wurden größtenteils per Outsourcing rekrutiert, Hafenarbeiten wurden an das chinesische Unternehmen D-Port vergeben, das seinerseits mehrere Subunternehmen unter Vertrag nahm – mit entsprechenden Konsequenzen für die Rechte der Arbeiter*innen. Ein ehemaliger Angestellter sprach öffentlich über fehlende Toilettenpausen, so dass sich die Betroffenen in Flaschen erleichtern mussten, haarsträubende Arbeitsschutzbedingungen und kurzfristig anberaumte Arbeitseinsätze. Berichte bestätigten seine Angaben, 2012 klagte er gegen COSCO. 2013 erhoben Hafenarbeiter*innen in einem offenen Brief an den griechischen Präsidenten ähnliche Vorwürfe. Im Juli 2014 traten COSCO-Angestellte erstmals in der Geschichte des Unternehmens in Streik. Wie sich zeigte, arbeiteten sie bis zu 16 Stunden am Tag, Arbeitsunfälle wurden nicht gemeldet, und Dutzende von ihnen waren als «Feigen- und Rosinenpacker» registriert.

Es gelang den Beschäftigten, die Gewerkschaft der Containerumschlagsarbeiter*innen im Hafen von Piräus (ENEDEP) zu gründen, die Pausen, einen Tagesmindestlohn und eine Mindestanzahl an Tageslöhnen pro Monat durchsetzen konnte. Bis dahin hatten die verschiedenen Subunternehmen nach unterschiedlichen Lohnsystemen gezahlt. Allerdings blieb das Tageslohnsystem ohne Anrechnung von Wochenenden und Feiertagen in Kraft.

2017, nachdem die Chines*innen die volle Kontrolle über OLP und Pier I übernommen hatten, dehnte eine neue allgemeine Regelung die Arbeitszeit von 7,5 Stunden am Tag/37,5 Stunden in der Woche auf 8 beziehungsweise 40 Stunden aus und sah eine Sieben-Tage-Arbeitswoche ohne Wochenend- oder Feiertagszulage, «flexible» Arbeitsformen und vereinfachte Entlassungen vor. Allerdings agiert COSCO nicht in einem Rechtsvakuum, denn die SYRIZA-Regierung hatte im Februar 2017 ein Gesetz verabschiedet, das Beschäftigte privatisierter Häfen vom Nationalen Hafenarbeiterregister ausnimmt. Dadurch sind sie von bestimmten Leistungen ausgeschlossen, da sie etwa nicht mehr zur Kategorie der schweren und gesundheitsgefährdenden Berufe (VAE) zählen. 2018 gelang es der ENEDEP nach einer Reihe von Streiks, alle Hafenarbeiter*innen per Ministerialerlass in diese Kategorie aufnehmen zu lassen. Allerdings hat sich nicht nur die Umsetzung verzögert, sondern der Hellenische Unternehmerverband hat beim Obersten Verwaltungsgericht Griechenlands auch einen Antrag auf Aufhebung des Erlasses für die Arbeiter*innen an Pier II und III gestellt.

Die Streiks sollten auch einen Tarifvertrag durchsetzen, doch D-Port weigerte sich, mit ENEDEP zu verhandeln. Die Arbeiter*innen warfen D-Port vor, eine eigene «Gewerkschaft» gegründet zu haben, die die Vereinbarung zum Erhalt des Status quo unterzeichnete und angeblich Gewerkschafter*innen an Leib und Leben bedrohte. Im April 2020 beschloss COSCO, die «operationale Zusammenführung» der Piere II und III mit Pier I weiter voranzutreiben und auch dessen Management PCT zu unterstellen. Die bis dahin bei OLP Beschäftigten befürchten eine Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen. Besonders nachdem COSCO im Juni 2020 eine offene Ausschreibung für ein Subunternehmen veröffentlicht hat, das Arbeiten an Pier I übernehmen soll.

COSCO hat auch Pläne zum Bau einer Werft in die Wege geleitet, obwohl dies Berichten zufolge sowohl dem Konzessionsvertrag als auch Umweltvorschriften widerspricht. Die lokale Industrie, bestehend aus rund 450 Schiffsreparaturbetrieben und 1.500 Zulieferern mit circa 27.000 Beschäftigten, ist COSCO entschieden entgegengetreten. Alle Gewerkschaften im Bereich Schiffsreparatur verbündeten sich mit der Hellenischen Vereinigung der Kurzstrecken-Schiffseigner, damit die OLP-Hafenverwaltung die kürzlich angehobenen Preise wieder senkt.

2018 hatte COSCO einen von den griechischen Behörden weitgehend genehmigten 600-Millionen-Euro-«Masterplan» für den Hafen von Piräus vorgestellt. Einschließlich eines 136 Millionen Euro teuren neuen Kreuzfahrtschiff-Terminals im Südareal. Allerdings werden 95 Prozent dieser Kosten über den Nationalen Strategischen Rahmenplan aus EU-Geldern bezahlt. Am Terminal könnten bis zu vier Kreuzfahrtschiffe der neusten Generation mit über 400 Meter Länge anlegen. Trotz entsprechender Umweltbedenken wurde im Februar 2020 der offizielle Startschuss gegeben, und im April, inmitten der Pandemie, begannen die Arbeiten. OLP erklärte, durch zwei Ministerialbeschlüsse (2013, 2018) die vollständige Genehmigung erhalten zu haben, obwohl Berichten zufolge die erforderliche Strategische Umweltprüfung (SUP) und die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) fehlen.

Am 6. Mai enthüllte das Meeresschutzinstitut Archipelagos: «Die unkontrollierte Entsorgung Tausender Tonnen giftiger Sedimente in die Fischereigebiete des Saronischen Golfs […] birgt ein beträchtliches Risiko für Ökosysteme und öffentliche Gesundheit.» Die meisten Oppositionsparteien (DiEM25, SYRIZA, KINAL) thematisierten das Problem im Parlament. Im Juni 2020 stoppte das Oberste Verwaltungsgericht vorübergehend die Baggerarbeiten – nicht aber die Entsorgung des ausgehobenen Materials. Zudem wandte sich der Archäologische Zentralrat Griechenlands 2019 gegen den «Masterplan», mit Verweis darauf, dass das Einkaufszentrum, das schwimmende Schiffsreparaturdock und das gigantische Luxushotel die Altertümer in diesem historischen Viertel beeinträchtigen könnten. Ein früheres Problem hat das Misstrauen noch verstärkt: Der 2017 abgeschlossene Bau des neuen Öl-Piers bedeutete – zusammen mit der starken Zunahme des Containerverkehrs – die bevorstehende Reaktivierung aller 149 Öltanks für Schiffsbetankung, einschließlich derer, die schon lange außer Betrieb waren. Die lokale Bevölkerung fordert seit Jahren deren Verlagerung, da sie nur wenige Meter von Wohnhäusern und Schulen entfernt stehen. Anwohner*innen atmen Gift, Dieselgase und Chemikalien ein, während sie die Angst vor der Brandgefahr begleitet.

Ein 2013 in der griechischen Finanzkrise eingeführtes Programm gewährt Bürger*innen aus Drittländern eine fünfjährige Aufenthaltserlaubnis, wenn sie Immobilien im Wert von mindestens 250.000 Euro erwerben. Bis März 2020 hatten 18.603 Chines*innen, weit mehr als Bürger*innen irgendeines anderen Landes, dieses «Goldene Visum» erhalten. Das Europäische Parlament und die Europäische Kommission haben sich gegen das aktuell wegen der Pandemie pausierende Programm gestellt. Der Markt wurde zwar wiederbelebt, doch Immobilienpreise und Mieten sind gestiegen. Hauseigentümer*innen haben davon profitiert, von der Krise getroffene Mieter*innen hingegen werden verdrängt.

Griechenland erlebt in der Tat eine Odyssee, doch am Goldenen Vlies, das der COSCO-Vorsitzende Xu Lirong versprochen hat, erfreuen sich offenbar andere.
 

Übersetzung: Daniel Fastner und Utku Mogultay für Gegensatz Translation Collective

Erschienen in maldekstra #9