Nachricht | Michel: Die Pariser Commune; Wien 2020

Bericht über eine Utopie der Freiheit

Die Autorin Louise Michel war Lehrerin, Dichterin, Kämpferin, vor allem aber «eine Revolutionärin par Excellence», wie es in einer zeitgenössischen Zeitschrift hieß. Sie selbst bezeichnet den Freiheitskampf als ihre «wahre Bestimmung».

Als Ausgangspunkt für ihre Aufzeichnungen wählt sie den Staatsstreich, mit dem Napoleon III. die zweite Republik beendet, sich selbst zum Kaiser gemacht und mit einem «Bollwerk aus Terror» umgeben hatte. Sie erzählt von der Entstehung der (Ersten) Internationale und vom deutsch-französischen Krieg, in dem Napoleon abdanken musste. Die darauffolgende «Republik des 4. September» jedoch war nur dem Namen nach eine, weil die Verwaltungsstrukturen der Monarchie übernommen worden waren. Das war der Grund für die Revolution, die in der kurzen Zeit der Pariser Commune1871 gipfelte, damals «die Form, mit der man am leichtesten Freiheit sicherstellen konnte». Nach wenigen Wochen schon holte die Regierung zum Gegenschlag aus, der in einem Massaker endete. Ausführlich beschreibt sie die Leistungen und den Mut von Frauen in den Kämpfen. Sie selbst geht freiwillig ins Gefängnis um ihre Mutter auszulösen, und wird schließlich zur Verbannung nach Neukaledonien verurteilt. Das Buch entstand nach ihrer Rückkehr, etwa 25 Jahre später, erstmals erschienen ist es 1898.

Louise Michel nimmt uns mit in die Diskussionen in den Clubs, in die Proteste auf der Straße, in die bewaffneten Kämpfe mit unzähligen Toten, in die Lazarette und die Gerichtsverhandlungen. Das bringt der Leserin das Denken der damaligen Revolutionär_innen näher, das manchmal mitreißt, manchmal aus heutiger Sicht auch verstört. So etwa die Selbstverständlichkeit, mit der Töten als ebenso alternativlos angesehen wird, wie die Notwendigkeit das eigene Leben seinen Idealen zu opfern.

Die Autorin verwendet eine Vielzahl an Textsorten und Stilmitteln. Sie zitiert ausführlich aus Zeitungen, Manifesten, militärischen Depeschen, Verordnungen und den Aufzeichnungen anderer Zeitgenossen. Über lange Strecken listet sie detailliert Namen, Orte und Kampfhandlungen auf, deren Verständnis das dankenswerterweise vom Verlag zusammengestellte Glossar erleichtert. Ihre schriftstellerischen Qualitäten werden sichtbar in der liebevollen Begeisterung, mit der sie ihre Mitstreiter*innen in der Commune beschreibt – als tapfer und ehrenvoll, wie sie betont, oft zu ehrenvoll, denn zu rücksichtsvoll gegenüber ihren Feinden –, im Zynismus und der Verachtung, wenn sie über Feiglinge oder über die offizielle Regierung spottet, und in den unvermutet zwischen Kampfszenen auftauchenden stimmungsvollen Naturbeschreibungen und Gedichten. Wegen der langen Aufzählungen und der Detailverliebtheit ist das Buch manchmal langatmig und nicht einfach zu lesen. Es ist aber auf jeden Fall ein wichtiges Zeitdokument aus der Anfangszeit jener Kämpfe, denen wir die Freiheiten und Möglichkeiten verdanken, die für uns heute so selbstverständlich sind.

Brigitte Kratzwald

Louise Michel: Die Pariser Commune; Mandelbaum Verlag, Wien 2020, 416 Seiten, 28 EUR