Nachricht | Parteien / Wahlanalysen - Südostasien Vietnams Kommunistische Partei setzt auf Stabilität und bricht interne Regeln

Ergebnisse und Auswirkungen des 13. Nationalen Parteitages der Kommunistischen Partei Vietnams

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«XIII. Parteikongress – Kommunistische Partei Vietnam»
«XIII. Parteikongress – Kommunistische Partei Vietnam» Foto: Nguyen Tung

Der 13. Nationale Parteitag der Kommunistischen Partei Vietnams (KPV) sollte vom 25. Januar bis 2. Februar 2021 stattfinden. Doch die eingeladenen 1.587 KPV-Abgeordneten, die rund 5,1 Millionen KPV-Mitglieder repräsentieren, mussten ihr Treffen wegen eines neuen Covid-19-Ausbruchs in zwei nördlichen Provinzen um einen Tag verkürzen. Bei diesem wichtigsten politischen Ereignis der KPV versammeln sich die Delegierten alle fünf Jahre in Hanoi, um die politischen Spitzenpositionen zu besetzen und die Weichen für die nächsten fünf Jahre (2021-2026) und darüber hinaus zu stellen (2030 und 2045). Der diesjährige Kongress, seine Strategien, Diskussionen und Anträge standen unter dem Motto «Solidarität - Demokratie - Disziplin - Innovation – Entwicklung».

Der Kongress findet in einem aufgeladenen globalen Kontext statt, in der weltweiten Ausbreitung einer globalen Pandemie und weiter steigenden sicherheitspolitischen Spannungen im Südchinesischen Meer. Der Kongress muss eine vietnamesische Antwort auf die Polarisierung in den internationalen Beziehungen und die Großmachtrivalitäten zwischen den beiden wichtigen Handelspartnern und «Freundfeinden» China und USA finden.

Der diesjährige Parteitag steht hinsichtlich der wirtschaftlichen Ausrichtung in einer Linie mit den letzten sieben Parteitagen. Auf dem Parteikongress 1986 vollzog Vietnam die wichtigste politische Wende in seiner Geschichte und stellte die Weichen für die Doi Moi-Reformen, die das Land für eine «sozialistisch orientierte Marktwirtschaft» öffneten. Vietnam schaffte den Aufstieg von einem armen und politisch isolierten Land mit einem Pro-Kopf-BIP von 231 USD im Jahr 1985 zu einem Land mit mittlerem Einkommen und hoher wirtschaftlicher und politischer Integration mit einem Pro-Kopf-BIP von 2715 USD im Jahr 2019. Mit 14 aktiven Freihandelsabkommen (FTAs) hat Vietnam einen großen Schritt zur Integration seiner Wirtschaft in die globalen Wertschöpfungsketten gemacht und unterhält Handelsbeziehungen zu über 60 Volkswirtschaften, darunter 15 Mitglieder der G20.

Trotz dieser wirtschaftlichen Errungenschaften und einer wachsenden internationalen Integration steht das Land vor sozio-politischen, ökologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen. Dies beginnt mit einem arbeits- und ressourcenintensiven Wachstumsmodell, Umweltzerstörung, einer steigenden Ungleichheit in der Gesellschaft und reicht bis hin zu einem intensiven Korruptionsproblem im politischen Sektor und in der breiteren Gesellschaft.

Korruption wird von vielen vietnamesischen und internationalen Beobachter*innen als hauptsächliches Entwicklungsproblem Vietnams gesehen. Um dieses Problem anzugehen und das Vertrauen der Bevölkerung in das Einparteiensystem wiederzugewinnen, startete die KPV 2016 unter dem derzeitigen Generalsekretär Nguyen Phu Trong eine Anti-Korruptionskampagne, die zur Verhaftung und strafrechtlichen Verfolgung von Dutzenden hochrangigen Parteifunktionär*innen führte[1]. Die Kampagne, die auch als eine Kampagne zur Beseitigung ehemaliger politischer Rivalen angesehen wird, zielt außerdem darauf ab, ein tief verwurzeltes korruptes System in der politischen Sphäre und innerhalb der Gesellschaft zu bekämpfen. Generalsekretär Nguyen Phu Trong bezeichnet die Korruption als eine «Krankheit des Volkes und als einen andauernden Krieg».

Im aktuellen «Korruptionswahrnehmungsindex» CPI 2020 von Transparency International, der das wahrgenommene Ausmaß der Korruption im öffentlichen Sektor misst, fällt Vietnam von Rang 96 auf Rang 104 von 180 Ländern weltweit ab. Der Bericht zeigt auf, dass 64 Prozent der Bevölkerung der Meinung sind, dass Korruption in der Regierung ein großes Problem darstellt.

Neben der Anti-Korruptionskampagne hat die KPV im letzten Jahr durch ihren schnellen, klaren und effektiven Umgang mit der Covid-19-Pandemie das politische Vertrauen in der Gesellschaft wiedergewonnen. Mit 1.882 Fällen und 35 Toten (Stand 3.2.2021) ist Vietnam eines der weltweit führenden Länder im Umgang mit der Covid-19-Krise. In der letzten Woche wurden zehntausende Menschen getestet und zwei Provinzen, in denen der neue Ausbruch begann, abgeriegelt. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels hat der neue Ausbruch die Zahl der Infektionen um mehr als 300 Fälle erhöht. Der Ausbruch begann am 28. Januar und markierte die ersten Übertragungen außerhalb von Quarantänezentren nach 55 Tagen. Er führte zu einer Verkürzung des Parteitags um einen Tag.

In Vorbereitung auf den 13. Parteitag und unter Berücksichtigung der globalen Herausforderungen und internen Machtverhältnisse der KPV hat das Zentralkomitee, eines der wichtigen Entscheidungsgremien der KPV, die Delegierten und Positionen für hochrangige Kader in der neuen Wahlperiode aufgestellt und diskutiert. In ihrer letzten Sitzung der vorangegangenen Wahlperiode legten sie damit den Grundstein für die Wahlergebnisse des 13. Nationalen Parteitages. Bereits auf dieser letzten Sitzung des Zentralkomitees zeichnete sich somit ab, dass die internen Regeln für die Besetzung wichtiger Ämter in der neuen Wahlperiode gebrochen werden.

Änderungen auf dem 13. Parteitag der KPV

Die zuvor durchgesickerten Informationen der letzten Sitzung des Zentralkomitees der KPV bestätigend, wird der 2011 und 2016 gewählte Generalsekretär Nguyen Phu Trong in seine dritte Amtszeit wiedergewählt. Er wird damit der älteste gewählte und Dienstälteste Parteichef seit Le Duan sein, der von September 1960 bis 1986 als erster Generalsekretär und Parteichef amtierte. Diese Entscheidung steht im Widerspruch zu den Parteiregeln, die nur eine maximale Dauer von zwei Amtszeiten für die Position des Generalsekretärs erlauben. Aus seiner Position heraus war er zu dieser Entscheidung gezwungen, weil sein Wunschkandidat und rechte Hand im Kampf gegen die Korruption Tran Quoc Vuong keine Mehrheiten innerhalb der Partei auf sich vereinen konnte. Ein weiterer Kandidat für den Posten wäre der bisherige Premierminister Nguyen Xuan Phuc gewesen, was Trong aufgrund dessen liberaler politischer Haltung und einer möglichen Lockerung der Anti-Korruptionskampagne verhinderte.

Neben der «Zwei-Amtszeiten-Regel» sieht die Parteisatzung eine Altersgrenze von 65 Jahren für eine Nominierung in die obersten vier Positionen, die «vier Säulen»[2], vor, die mit Sondergenehmigungen in einem längeren Prozess durch das Zentralkomitee und hochrangige Parteiführer*innen aufgehoben werden kann. Normalerweise wird maximal eine Sondergenehmigung für den Generalsekretär erteilt. Dieses Mal wird es zwei solcher Sondergenehmigungen geben. Eine, die bereits für Generalsekretär Trong (77) erteilt wurde und eine höchstwahrscheinlich für den zukünftigen Staatspräsidenten Nguyen Xuan Phuc (67), der in der ersten konstituierenden Sitzung des neu gewählten Zentralkomitees bestätigt wird.

Die Ernennung von Pham Minh Chinh zum Premierminister verstößt gegen eine weitere ungeschriebene Norm, nämlich, dass der Premierminister zuvor die Position des stellvertretenden Premierministers innegehabt haben sollte. Pham Minh Chinh wird jedoch seine Erfahrungen im Umgang mit chinesischen Partnern einsetzen können. Er war von 2011 bis 2015 Parteichef von Quang Ninh, eine an China grenzenden Provinz im Nordosten Vietnams.

Des Weiteren gibt es eine ungeschriebene Regel, dass die «vier Säulen» im Verhältnis mit je einer Person aus Nord-, Zentral- und Südvietnam besetzt werden. In der aktuellen Situation stammt der Generalsekretär aus Nordvietnam, die drei anderen kommen geografisch aus Zentralvietnam und der Süden würde leer ausgehen. Die beiden Kandidaten Pham Minh Chinh, der sehr wahrscheinlich neuer Premierminister wird und Vuong Dinh Hue, der sehr wahrscheinlich neuer Vorsitzender der Nationalversammlung wird, gelten als der «nördlichen Art Politik zu machen» nahstehend. Es wird spekuliert, dass ein*e Politiker*in aus dem Süden die fünftwichtigste Position, die Position des ständigen Mitglieds des Parteisekretariats, einnehmen wird. Diese Entscheidung steht noch aus.

Neben dem regionalen Anteil gab es die große Hoffnung, dass mit der letzten Vorsitzenden der Nationalversammlung Nguyen Thi Kim Ngan - der ersten Frau seit über 40 Jahren in einer der vier wichtigsten Positionen - eine neue Geschlechterregel etabliert wird. Leider wurde diese Hoffnung zerstört und auch die weiteren Top-200-Kader-Entscheidungen können als Rückschritt in Fragen der Gleichberechtigung der Geschlechter in der politischen Repräsentation gesehen werden[3].

Das hiesige staatliche Mediensystem erklärt die Regelbrüche auf dem Parteitag damit, dass die Interessen der Nation und des Volkes über alles gestellt werden müssen und bei der Auswahl neuer Führungskräfte die Kompetenz über andere Faktoren gestellt wird.

Der Umsturz der Normen und bisher geltenden Regeln kann als Zeichen mangelnder Einigkeit über neue Führungspersonen in den bestehenden Machtblöcken der KPV gesehen werden. Um eine stabile Führungsstruktur aufbauen zu können, stützt sich die KPV daher auf die altgedienten Kader.

Das verhindert allerdings das Aufrücken jüngerer Kader und verzögert somit den Erneuerungsprozess der KPV. Durch den Bruch der «Zwei-Amtszeiten-Regel» können zukünftige Parteiführer*innen dies als Präzedenzfall nutzen, um sich ebenfalls an die Macht zu klammern. Der parteiinterne «Demokratisierungsprozess von unten nach oben» gerät ins Stocken zugunsten des alten, bewährten Konzepts des «demokratischen Zentralismus».

Die Auswirkungen

Die Auswahl der Führung und die strategischen Entscheidungen, die auf dem 13. Nationalen Parteitag beschlossen wurden, haben wichtige Auswirkungen auf die KPV und die Politik Vietnams in den kommenden Jahren. Der 13. Nationale Parteitag hat mit seinen Entscheidungen auf Stabilität, Kontinuität und Beständigkeit gesetzt. Es sind keine großen Umbrüche, Kehrtwendungen oder Neuausrichtungen der Innen- oder Außenpolitik zu erwarten.

Im Bereich der Außenpolitik hat Vietnam in den letzten Jahren bewiesen, dass sie eine ausgeprägte Balance zwischen den Großmächten dieser Welt zu halten vermögen und die Kontakte weiter diversifizieren können. China ist nach wie vor der wichtigste Handelspartner mit einem Anteil von 15,6 Prozent an den Exporten und einem Anteil von 29 Prozent an den Importen im Jahr 2019 . Die zunehmenden Spannungen im Südchinesischen Meer und der wachsende Einfluss Chinas in der Region zwingen Vietnam dazu, den chinesischen Einfluss weiter auszubalancieren. Mit dem «EU-Vietnam Free Trade Agreement» (EVFTA) hat Vietnam ein hochkomplexes Handelsabkommen mit der EU unterzeichnet und knüpft durch hochrangige politische Austauschbesuche Beziehungen zu mehreren europäischen Staaten. Während des letzten Jahrzehnts haben Vietnam und die USA ihre politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit immens ausgebaut. Japans Premierminister Yoshihide Suga, ein weiterer wichtiger Akteur in der Region, unterstrich die Bedeutung Vietnams, indem er Vietnam seinen ersten Auslandsbesuch nach seiner Vereidigung als Premierminister im Jahr 2020 abstattet. Weitere wichtige Partner sind Russland und Südkorea, mit denen Vietnam bereits eigene Freihandelsabkommen unterzeichnet hat. Vietnams Rolle in der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) nimmt stetig zu. Die neue und mit viel Kraftaufwand erreichte internationale Integration und Anerkennung Vietnams wird von vielen hochrangigen Besuchen auf allen Seiten begleitet und in den lokalen Medien stolz präsentiert.

Innenpolitisch soll die Wiederwahl Trongs zum Parteichef die Fortsetzung der laufenden Anti-Korruptionskampagne mit dem Ziel der Umgestaltung der Partei, des Aufbaus eines sozialistischen Rechtsstaates sowie der Reform des Regierungssystems auf allen Ebenen sicherstellen. Diese Aufgabe wird im politischen Bericht dieses Kongresses als erste Priorität festgelegt. Die anderen fünf Top-Aufgaben sind: (2) Erneuerung des Wachstumsmodells und Umstrukturierung der Wirtschaft, (3) Aufrechterhaltung der nationalen Unabhängigkeit und Selbstbestimmung, kontinuierliche Verbesserung der internationalen Beziehungen und Integration, (4) Erweckung des Strebens nach nationalem Wohlstand und Glück, Förderung der kulturellen Werte der Vietnames*innen beim Aufbau und Schutz des Vaterlandes, (5) Synchronisierung des Rechtssystems, der Vorgänge und der Politik zur Förderung der sozialistischen Demokratie und des Volkseigentums, (6) Strenge Verwaltung und effektive Nutzung von Land und Ressourcen, Verbesserung der Umwelt, aktive Umsetzung von Lösungen zur Anpassung an den Klimawandel.

Darüber hinaus wird Vietnam in den nächsten fünf Jahren im Rahmen der neu unterzeichneten Freihandelsabkommen (insbesondere EVFTA und CPTTP) entscheidende institutionelle Reformen durchführen, um zum Beispiel den rechtlichen Rahmen für die Arbeit alternativer Gewerkschaften zu etablieren. Diese Entwicklungen sind von der politischen Führung bereits manifestiert und sollen weiter verstärkt werden. Der zukünftige Plan für ausländische Direktinvestitionen (FDIs) zielt auf eine Verlagerung von arbeitsintensiven und umweltschädlichen Projekten hin zu einem qualitativeren Ansatz, der die Umweltauswirkungen dieser Projekte berücksichtigen soll. Inwieweit diese Kehrtwende gelingt, bleibt abzuwarten.

Fazit

Ähnlich wie die früheren Parteitage war der 13. Parteitag der KPV für Außenstehende eine Demonstration von Macht und Einheit. Eine große Feier der inneren und äußeren Errungenschaften der KPV und eine Bestätigung des vom vorherigen Zentralkomitees eingeschlagenen Kurses. Bestimmte interne Diskussionen und Entscheidungsfindungsprozesse konnten durchsickern, wobei die meisten Informationen und Diskussionen hinter verschlossenen Türen blieben.

Vietnam wird sich weiter als verantwortungsbewusste Mittelmacht in der Weltpolitik positionieren. Es wird von vielen westlichen Ländern als verlässlicher Partner auf verschiedenen Ebenen hochgeschätzt. Vietnam wird seinen Kurs der internationalen Integration, des Multilateralismus und des Ausgleichs und der Diversifizierung politischer und wirtschaftlicher Verbindungen proaktiv fortsetzen, nicht zuletzt um dem Einfluss des großen Nachbarn im Norden entgegenzuwirken. Intern gerät der Erneuerungsprozess der Partei ins Stocken. Solange aber der wirtschaftliche Aufstieg weitergeht, die KPV die Pandemie unter Kontrolle hält und der Frieden gesichert ist, wird die Machtposition der KPV nicht in Frage gestellt werden.


[1] Darunter das ehemalige Politbüromitglied und Parteisekretär von Ho-Chi-Minh-Stadt Dinh La Thang, die ehemaligen Minister für Information und Kommunikation Nguyen Bac Son und Truong Minh Tuan, sowie die ehemaligen stellvertretenden Minister für öffentliche Sicherheit Bui Van Thanh und Tran Nhat Tan.

[2] Namentlich: Generalsekretär (Parteichef und mächtigste politische Position in Vietnam), Premierminister (Regierungschef), Präsident (Staatsoberhaupt) und Vorsitzende*r der Nationalversammlung (Chef des nationalen Parlaments).

[3] Verglichen mit dem Frauenanteil in der Gesellschaft von etwas über 50% ist das Auftreten von Frauen im Zentralkomitee (10 Prozent) und im Politbüro (5,5 Prozent) sehr gering. Im Politbüro sank der Anteil der weiblichen Teilnehmer von 3 von 19 in der vorherigen Wahlperiode auf 1 von 18 im neu gewählten Politbüro. Im Zentralkomitee stieg der Frauenanteil leicht von 17 von 180 im Zeitraum 2016-2021 auf 18 von 180 im Zeitraum 2021 bis 2026.