Die hier versammelten Interviews zeigen Menschen, die in die DDR migriert sind und nicht nur den Arbeitsalltag der DDR-Staatsbürger*innen teilten, sondern jenseits dessen gemeinsame, aber auch unterschiedliche Erfahrungen machten.
Aus Anlass des friedlichen Umsturzes vor dreißig Jahren rückt das Projekt «Zeitzeugengespräche» die bisher wenig beachteten Perspektiven der in der DDR lebenden Migrant*innen ins Zentrum. Geöffnet wird so ein unbekannter und doch vertrauter Blick auf den Alltag der DDR, die Jahre 1989/1990 und auch auf die Ereignisse der Nachwendezeit. Während nach Willen der Staatsführung, jene Migrant*innen isoliert, möglichst abgetrennt von den DDRStaatsbürger* innen leben sollten, erlebten diese die Gesellschaft dennoch nicht «vom Rand», sondern mittendrin, waren also Teil von ihr und wurden zu aufmerksamen Beobachter*innen ihres Wandels.
Die hier versammelten Interviews zeigen entsprechend Menschen, die in die DDR migriert sind und nicht nur den Arbeitsalltag der DDR-Staatsbürger*innen teilten, sondern jenseits dessen gemeinsame, aber auch unterschiedliche Erfahrungen machten. Als Vertragsarbeiter*innen, Studierende oder politische Geflüchtete gekommen, erlebten sie, an der Seite der DDR-Staatsbürger*innen die Zeiten des Auf- und Umbruchs als rasche Folge von Sorgen und Hoffnungen, von Zuversicht und Enttäuschung sowie als Eröffnung neuer Möglichkeitshorizonte, aber auch neuer Ängste. So nahmen Diskriminierung und rassistische Vorfälle schon während der Montagsdemonstrationen zu, und während sich die heutige AfD als Vollenderin der Wende geriert, erscheint in Wahrheit schon jene Zeit, die Zeit um 1989, aus migrantischen Perspektiven in voller Ambivalenz.
Heute erscheinen die hier seh- und hörbaren Ergebnisse – Dokumente einer historischen, biographischen und nicht zuletzt politischen Spurensuche – aktueller denn je. Über die Erinnerungen an die persönlich und individuell erlebte Geschichte erleben wir den auch damals existierenden Rechtspopulismus/-extremismus. Gegenwärtig erstarkt er in unserer Gesellschaft neu, macht rassistische Äußerungen salonfähig und lässt Bedrohungen durch Handlungen und Übergriffe mit rassistischen Motiven wieder alltäglich werden. Gleichzeitig ermöglicht das Projekt den Zeitzeugen jedoch, ihre Sicht zur politischen Wende zu artikulieren und (kritische) Reflexionen anzuregen.
Ziel der Zeitzeugengespräche war es, Erfahrungen, Erinnerungen, Geschichten und Zeugnisse aus den besagten Zeiträumen zu sammeln, aufzubereiten und verfügbar zu machen. Die Interviews verbinden Bildmaterial und Erinnerungsstücke verschiedener persönlicher Erinnerungsorte mit aktuellen Aufnahmen. Das so (Mit)Geteilte komplettiert und individualisiert die «offizielle», häufig weiße Geschichte und verlinkt beides neu zu erlebter Erfahrung. Der entstandene interaktive Film erlaubt uns auf leichtem Wege, Geschichte aus anderen Perspektiven erlebbar zu machen und mit experimentellen Mitteln zu erzählen; Mitteln, die es ein Stück weit den Betrachter*innen überlassen, welchen Weg der Erinnerung sie einschlagen wollen.