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Autorin Lou Zucker wendet sich mit dem «Oldschool»-Feminismus Clara Zetkins an die junge Generation

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Autorin

Shaya Zarrin,

Lou Zucker mit ihrem Buch «Clara  Zetkin: Eine rote Feministin»
«Ich will nicht nur, dass ‹Power to the Girls› auf H&M-T-Shirts steht, ich will auch faire Arbeitsbedingungen für die Arbeiterin, die es in Bangladesh genäht hat.» Lou Zucker mit ihrem Buch «Clara  Zetkin: Eine rote Feministin» Foto: Simone Uthleb

Wie weiter mit Clara Zetkin? In der DDR wurde sie als Kommunistin und Frauenrechtlerin der ersten Generation verehrt, in der BRD ignoriert. Wie kann ihr modernes Vermächtnis aussehen? Gibt es etwas, das Feminist*innen heute von Clara Zetkin lernen können?

Die Autorin Lou Zucker hat darauf in ihrem Buch «Clara  Zetkin: Eine rote Feministin» eine klare Antwort. In Zeiten des spätkapitalistischen Feminismus, wo «Girl Power» als Ware angeboten wird und die unrealistischen Anforderungen an Frauen keine Grenzen kennen, will sie an den «Oldschool»-Feminismus erinnern: an Vorreiterinnen der Bewegung, die die Freiheit der Frau bedingungslos an die Freiheit aller Ausgebeuteten knüpften. Lou Zucker fordert mehr als «glitzernden Karrierefeminismus» – und wendet sich damit an eine neue Generation von Feminist*innen, die nach Antworten sucht.

Shaya Zarrin, geboren 1992, ist Politologin, Lektorin und Übersetzerin. Seit 2020 unterstützt sie die Vorstandsarbeit der Clara-Zetkin-Stiftung, einer Treuhandstiftung der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Aus dieser jüngeren Generation werden vielleicht die wenigsten schon von Clara Zetkin gehört haben. Umso erfreulicher, dass die neue Biografie alles andere als trocken daherkommt, und das in jeder Hinsicht: Sowohl das herausragend moderne Design, das mit bewussten Brüchen im Textfluss und starker Bebilderung arbeitet, als auch Zuckers lockerer Erzählton eignen sich hervorragend für einen ersten Zugang zum Leben Zetkins, auch für diejenigen, die es neu aufbereitet wiederentdecken möchten.

Auch wenn sich das Buch als Biografie einordnet, hat es doch nicht den Anspruch, lückenlos von der Geburt bis zum Tod zu berichten. Lou Zucker hat sich vielmehr für eine liebevolle Annäherung entschieden, mit imaginierten Szenen und ausgemalten Einzelheiten das Leben einer Frau rekonstruiert, die sie unbedingt in erster Linie als Mensch zeigen will. Wir gewinnen Einblicke in das Seelenleben Clara Zetkins – im Buch konsequent einfach nur «Clara» –, die sich aus Briefen und anderen Quellen ergeben. Clara ist von Zweifeln geplagt und eigentlich immer an der Grenze ihrer Belastbarkeit. Sie erlebt herbe Schicksalsschläge, privat wie politisch. Aber sie baut sich immer wieder neu auf, stellt ihr ganzes Dasein in den Dienst der Sache.

Das Buch setzt mit der jungen Clara Eißner ein, die in Leipzig von russischen Exilant*innen und den Errungenschaften der Pariser Kommune politisiert wird, sich der Arbeiter*innenbewegung anschließt und dadurch mit den Plänen bricht, die andere für sie hatten; unter anderem ihre Lehrerin Auguste Schmidt, eine der Führerinnen der bürgerlichen Frauenbewegung, von der sich Clara später entschieden abgrenzt. Sie ist aufrührerisch und unbequem, sucht ihren Platz in der Männerwelt des politischen Aktivismus. Es ist die Zeit der Sozialistengesetze, der gnadenlosen Repressionen gegen die Sozialdemokratie. In Claras Leben ist es auch eine Zeit voll jugendlicher Leidenschaft. Lou Zucker gelingt es, stets einfühlsam zu erzählen, wie Clara ihre Mutter anlügt, um zu heimlichen politischen Treffen zu gehen, sich in ihren Genossen Ossip Zetkin verliebt, der wenig später des Landes verwiesen wird. Die Leserin kommt nicht umhin, sich in der jungen Frau wiederzufinden, voller Hoffnung auf eine bessere Welt und für ihr eigenes Glück.

Ein Zeitsprung bringt uns nach Paris, wohin Clara Ossip ins Exil gefolgt ist, und wo sie nun mit ihm ihre gemeinsamen Söhne großzieht. Sie hat sich ein völlig anderes Leben ausgesucht als jenes, das ihr ihre Kontakte in Leipzig ermöglicht hätten. Die junge Familie lebt in einer ärmlichen Wohnung, Clara und Ossip schreiben und übersetzen Artikel für Parteipublikationen, aber es reicht hinten und vorne nicht. Clara hält die Familie zusätzlich als Wäscherin über Wasser. Doch in der Nachbarschaft hilft man sich gegenseitig: In der Pariser «russischen Kolonie» hat niemand viel, und alle teilen, was sie haben, schieben sich hier eine Gelegenheitsarbeit, dort einen Laib Brot zu.

In dieser Zeit beginnt Clara, die Arbeiterinnen des Viertels zu organisieren, beruft die ersten Frauenversammlungen ein, denn: «Die Revolution konnte nicht auf die Hälfte des Proletariats verzichten!» Langsam überwindet sie, die später zur begnadeten Rednerin wird, ihr Lampenfieber und ihre starken Selbstzweifel. Gerade diese Lebenswelt, von der Clara Zetkin noch viele andere haben sollte, leuchtet von den Seiten, denn sie ist mit so vielen freundlichen Gesichtern, so viel Trotz und Trubel gezeichnet, dass es wehtut, sich von dieser Welt wieder verabschieden zu müssen. Denn so schwer ihr Leben in Paris auch ist, es wird erst von Unglück gezeichnet, als Ossip schwer erkrankt. Nun muss Clara aus eigener Kraft den Unterhalt der Familie verdienen, für die Kinder sorgen, den Haushalt erledigen, die politische Arbeit weiterführen und für die Pflege ihres Lebensgefährten aufkommen. Es sind, wenn man so will, die Mehrfachbelastungen der modernen Frau, die auch in der heutigen Gesellschaft viel zu oft mit ihren Verantwortungen allein gelassen wird.

Nach kurzem, schweren Leiden stirbt Ossip Zetkin. «Manche Menschen trinken Alkohol gegen den Schmerz. Clara arbeitete», kommentiert Lou Zucker den Umgang mit diesem Verlust. Diese Darstellung Zetkins als Workaholic zieht sich wie ein roter Faden durch den Rest ihrer Biografie: Sie arbeitet wie eine Getriebene, bis zu ihrem letzten Atemzug, wie man lesen wird. Wer von ihren entbehrungsreichen Jahren weiß, in denen sie völlig auf sich gestellt war, kann um einiges besser begreifen, warum.

Als 1890 die Sozialistengesetze aufgehoben werden, lässt sich Zetkin mit ihren Kindern in Stuttgart nieder, denn in Württemberg gilt, im Gegensatz zu weiten Teilen des Deutschen Reiches, das Recht auf Versammlungsfreiheit auch für Frauen. Sie übernimmt als Chefredakteurin die Zeitschrift Die Gleichheit, die den Interessen der Arbeiterinnen gewidmet ist, und versucht selbige für die Gewerkschaften zu gewinnen. Im Kampf für die politische Gleichberechtigung der Frauen reist sie durch das ganze Land, schreibt und redet gegen die Unterdrückung an, und muss nicht selten mit Verboten ihrer aufrührerischen Tätigkeit rechnen. «Ihre Arbeitstage hatten 16 bis 20 Stunden» – ergeht es so mitunter nicht allen Vollzeit-Aktivistinnen?

Gegen den andauernden Widerstand ihrer männlichen Genossen organisiert sie die sozialistische Frauenbewegung, setzt durch, dass die SPD sich das Frauenwahlrecht auf die Fahne schreibt. Ab 1911 wird der von ihr initiierte Internationale Frauentag begangen; ein Tag, der vor allem für die Arbeiterinnen ein Tag zur Befreiung aus ökonomischen und sozialen Zwängen sein soll. Seither hat sich der Frauentag auf der ganzen Welt als zentraler Aktionstag etabliert – warum er ausgerechnet am 8. März begangen wird, und was die Russische Revolution damit zu tun hat, auch das kann man in Zuckers Buch nachlesen.

Ihren Erfolg verdankte Clara Zetkin sicher auch einer besonderen Mitstreiterin an ihrer Seite: Rosa Luxemburg, mit der sie eine enge Freundschaft verband. Seite an Seite stellten sie sich den großen Umbrüchen ihrer Zeit, dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, der Spaltung ihrer Partei. Passend zum 150. Geburtstag von Rosa Luxemburg bietet uns das Buch einen sehr persönlichen Blick auf die Revolutionärin, die zur Legende wurde. Die beiden Frauen schrieben sich unzählige Briefe, für einige Zeit führte Rosa eine Beziehung mit Claras Sohn Kostja, immer wieder besuchte Clara Rosa, wenn diese mal wieder im Gefängnis saß. Die Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts 1919 hinterlässt ein tiefen Riss in Claras Leben. Doch sie ist entschlossen, den Kampf nicht aufzugeben, «dafür zu sorgen, dass der Geist der Gemeuchelten führend bleibt.»

Lou Zucker:
Geschichte im Brennpunkt – Clara Zetkin: Eine rote Feministin
Das Neue Berlin, 152 Seiten, broschiert, 18 Euro

Die letzte, beeindruckende Episode, die das Buch liefert, beschreibt den letzten öffentlichen Auftritt Zetkins bei ihrer Rede als Alterspräsidentin des Reichstages 1932. Clara ist 75 Jahre alt, vor ihr sieht sie die Reihen der Nazis, deren Einschüchterungsversuche ihr Erscheinen nicht verhindern konnten. Sie hat keine Angst davor, zum Widerstand gegen den Faschismus aufzurufen, vor den Gräueltaten zu warnen, die über Europa kämen, sollte der Widerstand scheitern. Auch diese Furchtlosigkeit sollten wir uns zum Vorbild nehmen. Wir wissen, dass eingetreten ist, wovor sie warnte, und dass die Zeichen der Zeit auf Wiederholung stehen könnten.

Durch Zuckers starke Besinnung auf Claras Gefühlswelt gewinnt die Leserin eine große emotionale Nähe zu ihr, ist um sie besorgt. Man könnte nun fragen: Ist das nicht ein Mangel an nötiger Distanz zu einer Persönlichkeit, die viele im historischen Kontext auch durchaus streitbar finden? Als Antwort darauf sollte man sich an die Prämisse dieses Buches erinnern: Zetkin sollte ein Vorbild für Feminist*innen heutzutage sein. Sie gehörte zu denjenigen, die den Kampf aufgenommen haben, den wir heute immer noch mit aller Macht führen – unter anderem um denselben Paragraphen 218 wie vor über 100 Jahren – und sie hat vorgemacht, was es bedeutet, «rote» Feministin zu sein. Da ist es durchaus sinnvoll, sich mit ihr zu identifizieren, nicht nur, weil sie mit denselben Widerständen und Vorurteilen gerungen hat, wie wir es heute tun, sondern auch, weil der Feminismus heute eine gute Portion Klassenbewusstsein vertragen könnte.