Nachricht | Parteien / Wahlanalysen - Partizipation / Bürgerrechte - Türkei Kein Platz für die linke Opposition in der Türkei

Zunehmende Repression gegen die HDP

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Solidaritätsdemonstration für die vom Verbot bedrohte türkische Oppositionspartei HDP im September 2020 in Brüssel
Solidaritätsdemonstration für die vom Verbot bedrohte türkische Oppositionspartei HDP im September 2020 in Brüssel
  Quelle: GUE/NGL

Fast täglich werden Mitglieder und Anhänger*innen der linken Oppositionspartei HDP in der Türkei festgenommen. Demnächst wird im Parlament über die Aufhebung der Immunität von 20 HDP-Abgeordneten abgestimmt, womit eine Inhaftierung dieser Abgeordneten möglich wäre. Es scheint fast so, als plane die türkische Regierung die Zerschlagung der HDP.

Seit den Parlamentswahlen im Juni 2015, bei der die HDP 13 Prozent der Stimmen erhielt und die AKP ihre alleinige Regierungsmehrheit im Parlament verlor, steht die linke Oppositionspartei stärker im Visier staatlicher Repressionen. Die türkische Regierung setzt seitdem darauf, auf verschiedenen Wegen die HDP zu schwächen und zu marginalisieren. Dazu diente und dient die Wiederaufnahme des Krieges in den kurdischen Gebieten der Türkei, um Spielräume für eine friedliche und demokratische Opposition zu beschneiden. Und auch der verstärkte Rückgriff auf den türkischen Nationalismus wird regelmäßig dazu genutzt, einen gemeinsamen türkischen Block aus Regierungs- und Oppositionsparteien unter Ausschluss der HDP zu bilden. So wurde 2016 die Immunität von zwölf HDP-Abgeordneten, darunter die beiden Co-Parteivorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, mit Stimmen der Oppositionspartei CHP aufgehoben. Diese Entscheidung ermöglichte die anschließende Verhaftung der zwölf HDP-Abgeordneten, wobei Demirtaş, Yüksekdağ und fünf weitere ehemalige HDP-Abgeordnete bis heute inhaftiert sind. Auch bei den Abstimmungen im Parlament über die türkischen Militärinterventionen in Rojava / Nordsysrien und Kurdistan / Nordirak zeigt sich eine gemeinsame türkisch-nationalistische Front über alle Parteien unter Ausschluss der HDP.

Nach einer Zwischenbilanz der HDP von Dezember 2020 wurden seit den Parlamentswahlen im Juni 2015 16.490 HDP-Mitglieder, darunter Co-Parteivorsitzende, Abgeordnete, Kreisvorsitzende und einfache Parteimitglieder, festgenommen und 3.695 HDP-Mitglieder verhaftet.

Neben diesen Masseninhaftierungen als Maßnahme gegen die Gesamtpartei finden weitere Repressionen statt, die auf die kommunalen Strukturen der HDP zielen. So wurden in den letzten Jahren verstärkt Co-Bürgermeister*innen der HDP abgesetzt und durch staatliche Zwangsverwalter, die von der türkischen Regierung ernannt wurden, ersetzt. Dies betrifft 48 von 65 Kommunen, in denen die HDP die Kommunalwahlen gewonnen hatte und die Bürgermeister*innen stellte. Dabei wurden 72 Co-Bürgermeister*innen festgenommen und 39 von ihnen verhaftet. Neben dieser illegitimen Verdrängung der Bürgermeister*innen wurden auch zahlreiche unter den HDP-Bürgermeister*innen initiierte Maßnahmen und Projekte von den staatlichen Zwangsverwaltern wieder eingestellt. Dies betrifft etwa Projekte gegen sexistische Gewalt und Maßnahmen für eine Gleichberechtigung der verschiedenen Muttersprachen (wie etwa mehrsprachige Straßenschilder). So wurden etwa Frauenzentren in Sur, Özalp und Muradeyi und die Hotline gegen sexualisierte Gewalt in Mardin von staatlichen Zwangsverwaltern geschlossen.

Allerdings gelang es der türkischen Regierung trotz der massiven staatlichen Repression nicht, die HDP entscheidend zu schwächen oder gar zu zerschlagen. Auch wenn die Stimmenanteile für die HDP bei den späteren Wahlen etwas niedriger ausfielen als im Juni 2015, konnte sich die linke Oppositionspartei insbesondere in den kurdischen Gebieten der Türkei halten. Trotzdem setzt die türkische Regierung in Zeiten einer Mehrfachkrise – der andauernden Wirtschaftskrise und der Coronakrise ­– verstärkt auf Repression gegen die HDP. So wurden allein am 15. Februar 2021 insgesamt 718 HDP-Mitglieder und HDP-Anhänger*innen festgenommen. Polizeirazzien und Festnahmen gibt es beinahe täglich. Als eine weitere Zuspitzung ist die geplante Immunitätsaufhebung gegen 20 HDP-Abgeordnete, darunter die Co-Parteivorsitzende Pervin Buldan, zu nennen. Dieser Schritt würde die Inhaftierung der HDP-Abgeordneten ermöglichen. Es ist gut möglich, dass dies die Vorzeichen eines größeren Angriffs auf die Gesamtpartei sind, mit dem Ziel die HDP faktisch zu zerschlagen.

In dieser Situation wird es entscheidend sein, wie sich die übrigen Oppositionsparteien und die Zivilgesellschaft in der Türkei verhalten werden. Bis jetzt hat es die türkische Regierung immer wieder geschafft, die türkische Opposition mithilfe des türkischen Nationalismus und einer Feindschaft gegenüber politisch aktiven Kurd*innen auf ihre Seite zu ziehen. Viele eher moderate zivilgesellschaftliche Akteur*innen wie etwa Gewerkschaften haben sich ebenfalls nicht gegen die Angriffe der türkischen Regierung auf die HDP gestellt – sei es aus Angst selbst Opfer der Repression zu werden, sei es, weil sie in der HDP eine prokurdische Kraft sehen und sie deswegen ablehnen. Aber solange die türkische Regierung es schafft, die HDP an den Rand zu drücken und von anderen Oppositionskräften zu isolieren, wird die gesamte Opposition nicht erfolgreich sein können.