Nachricht | Parteien / Wahlanalysen - Südosteuropa Links-grüne Koalition erobert die kroatische Hauptstadt Zagreb

Die Bürger:innen der Hauptstadt haben sich klar für einen politischen Wandel ausgesprochen.

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Tomislav Tomašević (in der Bildmitte) zusammem mit Aktivistinnen und Aktivisten von Možemo! nach den ersten Hochrechnungen. Foto: Nina Đurđević

Einen Sieger bei den Kommunalwahlen in Kroatien zu bestimmen stellt durchaus eine Herausforderung dar. In Städten, Gemeinden und Bezirken werden Parlamente gewählt, die allesamt unterschiedlich groß sind und eine divergente lokalpolitische Geschichte aufweisen. Das Ganze erinnert ein bisschen an das Summieren unterschiedlicher Währungen, ohne ihren genauen Wechselkurs zu kennen. Wie dem auch sei, die kroatische Version der administrativen Aufteilung des Landes in 20 Regierungsbezirke zuzüglich der Hauptstadt Zagreb ist so konstruiert, dass die jeweils größte Partei des Landes, derzeit die konservative Kroatische Demokratische Union (HDZ), die die Macht auch auf nationaler Ebene hält, garantiert immer gewinnen kann. Diese Bezirke stellen eine Verwaltungseinheit dar, die zwar keinen übermäßigen Einfluss auf die Politik und das tägliche Leben der Menschen hat, aber geeignet ist, mithilfe eines klientelistischen Netzwerks die Kontinuität von Regierungen aufrechtzuerhalten. Dies geschieht zumeist durch Postengeschacher in der Partei und die Begünstigung loyaler Anhänger:innen aus dem lokalen Kleinbürgertum. Eine Strategie, die von der konservativen HDZ seit nun inzwischen 20 Jahren angewendet wird.

Marko Kostanić arbeitet als Redakteur bei Bilten, einem Online-Magazin mit Sitz in Zagreb. Er ist außerdem Mitglied und Mitbegründer des Zentrums für Arbeitsstudien in Zagreb.

Bei den gestrigen Kommunalwahlen konnte die HDZ erneut einen Sieg für sich verbuchen. Der Grund dafür liegt in den bereits erwähnten Bezirkseinteilungen und der Tatsache, dass die Partei schon vor geraumer Zeit Zagreb für sich als verloren aufgegeben hat. Dadurch zählt die Hauptstadt in ihrer Berechnung von Sieg und Niederlage nicht mehr mit. Doch gerade in Zagreb fand nun eine entscheidende Veränderung statt, die die nationale politische Landschaft maßgeblich beeinflussen könnte.

Großer Erfolg für Možemo!

Bei den Bürgermeister:innenwahlen in Zagreb hat in der ersten Runde Tomislav Tomašević von der politischen Plattform Možemo! (Wir können!) – einem Bündnis aus mehreren kleineren liberalen und linken Parteien - einen überwältigenden Sieg errungen.  Tomašević erhielt im ersten Wahlgang 45,15 % der Stimmen, während der Zweite im Ranking, Miroslav Škoro von der rechten „Heimatbewegung“ (Domovinski pokret), nur 12,16 % der Stimmen erhielt. Das Ergebnis der ersten Runde lässt erahnen, dass auch die zweite Runde, sollte nichts unerwartetes passieren, an Tomašević gehen wird. Die Koalition unter der Führung von Možemo! gewann auch die ebenso wichtigen Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung, wo sie 40,83% der Stimmen erhielten und damit 23 der 47 Sitze im Stadtparlament innehaben.

Kritik an Klientelismus und Korruption

Der Erfolg von Tomašević und der Plattform Možemo! kam nicht über Nacht, er ist das Ergebnis einer langen und engagierten Arbeit. Erste aktivistische Erfolge erzielte das Bündnis in seinem Kampf gegen Gentrifizierung und Korruption in Zagreb. Die damit gewonnene politische Glaubwürdigkeit, ihre street credibility, mündete zunächst in vier gewonnenen Sitzen bei den letzten Kommunalwahlen 2017, und später in sieben Sitze bei den Nationalwahlen im letzten Jahr. Die politische Situation in Zagreb war in den vergangenen zwei Jahrzehnten sehr spezifisch. Die Stadt wurde zwanzig Jahre lang von Milan Bandić regiert, der zu Jahresbeginn plötzlich verstarb. In seinen beiden ersten Amtszeiten regierte er zunächst als Mitglied der Sozialdemokratischen Partei (SDP), jahrelang die wichtigste Oppositionskraft im Land, später dann als Unabhängiger mit einem eigenen politischen Netzwerk und einer populistischen ideologischen Plattform. Im Laufe der Zeit personifizierte Bandić das Korruptionsproblem im Land, eine beträchtliche Anzahl von Prozessen wurde gegen ihn geführt. Seine Regierungsform basierte auf drei Schlüsselfaktoren: erstens eine klientelistische Beziehung zu ausgewählten Unternehmern in der Stadt, zweitens eine selektive Sozialtransferpolitik, mit der er sich Unterstützung bei den Wahlen verschaffte, und drittens auf einer Koalition mit der HDZ. Da Zagreb die mit Abstand reichste Stadt des Landes ist, fungierte der Stadthaushalt als politischer Geldautomat für die Aushandlung von Deals mit seinen Koalitionspartnern.

Ideologische Positionierung

Im Laufe der Jahre haben sich Tomašević und seine Mitstreitetenden als die überzeugendste Opposition zu Bandić profiliert. Und sie hätten auch gewonnen, wenn Bandić am Leben geblieben wäre. Nachdem sie zunächst auf der Straße an Glaubwürdigkeit gewonnen hatten, arbeiteten sie seit 2017 auch in der Stadtverordnetenversammlung nicht minder überzeugend. Die Wahlkampagne war außerdem flankiert durch die weitere kontinuierliche Organisierungsarbeit und einen starken Wahlkampf, der viele neue Wählerstimmen generieren und die Unterstützung der Bevölkerung für einen Wandel sichern sollte. Gerade die Tatsache, dass Možemo! in der Zagreber Stadtverwaltung auf viele kommunale Fragen die richtigen Antworten gab und die Korruption entschieden bekämpfte, ermöglichte es ihnen, umstrittene ideologische Themen zu vermeiden. Sie konnten somit ein Ergebnis erzielen, das für eine strikt linke politische Option wohl nicht erreichbar gewesen wäre. Ihr politisches Programm setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen und ließe sich in einer traditionellen Einordnung als sozialdemokratisch mit einer ausgeprägten ökologischen Komponente beschreiben. Dazu gehören auch das Eintreten für eine Stärkung von Arbeiter- und Arbeiterinnenrechten, der Rolle von Gewerkschaften sowie Vorschläge für eine progressive Besteuerung und einen großzügigeren Sozialstaat. Die Verwirklichung dieser Vorschläge ist jedoch nicht als Ergebnis sozialer Konflikte gedacht, sondern als rationale Idee, die unabhängig von sozialer und klassenmäßiger Herkunft für alle akzeptabel sei.

Aussichten für die zweite Runde

Trotz dieser vorsichtigen programmatischen Profilierung wurden Tomašević und das Bündnis während des Wahlkampfes als linksextrem denunziert. Bisher hat ihnen das offensichtlich nicht geschadet. Für die Stichwahl in vierzehn Tagen werden diese Angriffe aber zunehmen, vor allem auch weil der direkte Konkurrent Miroslav Škoro aus den Reihen der extremen Rechten kommt. Im Rest des Landes hat Možemo! nicht annähernd so gute Ergebnisse erzielt wie in Zagreb, aber in mehreren Städten einen beachtlichen Schritt nach vorne gemacht. Dies ist sicherlich der größte Erfolg der Linken in Kroatien, der in den letzten dreißig Jahren seinesgleichen sucht.