Nachricht | Geschlechterverhältnisse - Südliches Afrika - Sozialökologischer Umbau - Ernährungssouveränität Ausbeutung und Geschlechterdiskriminierung in der südafrikanischen Weinindustrie

Colette Solomon und Carmen Louw im Interview mit Kim Naser

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Landarbeiterinnnen demonstrieren für ihre Rechte in der Provinz Westkap in Südafrika. Foto: Women on Farms Project

Eine globalisierte Welt braucht auch ein weltweit gültiges Lieferkettengesetz, um die Rechte von Landarbeiter*innen im Globalen Süden zu schützen.

Südafrika hat sich gerade in den letzten beiden Jahrzehnten zu einem der führenden Weinproduzenten weltweit entwickelt. Nach dem Ende der Apartheid und der Wiedereingliederung Südafrikas in die internationale Gemeinschaft konnten die Weinfarmer des Landes viel einfacher moderne Technologien einführen, ihre Produktion steigern und hatten erstmals Zugang zu globalen Exportmärkten. Heute ist Südafrika der neuntgrößte Weinproduzent der Welt.

Das rasante Wachstum der Weinindustrie hat einigen Farmern und Händlern Wohlstand beschert. Doch wie die aktuelle Studie «Günstiger Wein, bitterer Nachgeschmack» der Rosa-Luxemburg-Stiftung zeigt, sind die Lebens- und Arbeitsbedingungen der südafrikanischen Landarbeiter*innen nach wie vor prekär und ausbeuterisch. Besonders schwierig ist die Situation für Landarbeiterinnen, die täglich darum kämpfen müssen, einen existenzsichernden Lohn zu erhalten.

Kim Naser von der Rosa-Luxemburg-Stiftung sprach mit Colette Solomon und Carmen Louw vom Women on Farms Project (WFP), einer südafrikanischen Nichtregierungsorganisation, die sich für die Stärkung von Frauen einsetzt, die auf Weinfarmen in der Provinz Westkap leben und arbeiten. In dem Interview berichten Colette und Carmen von den Kämpfen der Landarbeiter*innen in Südafrika und über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf ihr Leben.  

Die meisten der Frauen, mit denen Ihr arbeitet, arbeiten auf Weinfarmen in Südafrika. Wie sieht ein typischer Arbeitstag auf diesen Farmen aus?

Carmen Louw: Ihr Tag beginnt früh morgens um 4:30 Uhr mit Arbeit im Haushalt, bevor sie um 6:00 Uhr auf die Farm gehen und um circa 18:30 Uhr nach Hause kommen. Nach der Lohnarbeit geht es wieder mit der Hausarbeit weiter. Die Arbeit und das Leben auf der Farm sind sehr patriarchal. Haus- und Pflegearbeit ruhen auf den Schultern der Frauen und ihrer Kinder.

Colette Solomon: Viele Landarbeiterinnen arbeiten nur während der Erntesaison und leben nicht unbedingt auf der Farm, auf der sie arbeiten. Am Arbeitsplatz wird den Frauen ein Ziel vorgegeben, normalerweise eine Anzahl von Traubenkörben, die sie an einem Tag pflücken müssen. Diese Ziele sind nicht verhandelbar. Sie werden entweder vom Farmer selbst oder dem Manager der Weinfarm festgelegt und sind sehr schwer zu erreichen. Die Frauen müssen sich den ganzen Tag hart arbeiten, um sie zu erreichen. Das bedeutet, dass sie oft keine Mittagspause oder nur eine kurze Teepause einlegen.

Unsere Studie hat gezeigt, dass die Mehrheit der Landarbeiterinnen während des gesamten Arbeitstages keinen Zugang zu Toiletten hat. Das hat Auswirkungen auf ihre Würde und ihre Gesundheit. Die Frauen sagen, weil sie mit Männern zusammenarbeiten, müssen sie eine weite Strecke laufen, um sich dann irgendwo in den Weinbergen zu erleichtern. Wenn sie ihre Periode haben, wird es zu einem noch größeren Problem, weil sie manchmal den ganzen Tag ihre Binde nicht wechseln können. Sie haben auch keinen Zugang zu sauberem fließendem Wasser, und gerade während der Corona-Pandemie kann Händewaschen über Leben und Tod entscheiden.

Colette Solomon ist die Direktorin des Women on Farms Project (WFP) in Südafrika und eine leidenschaftliche Feministin. Sie organisiert Frauen, die für ihre Rechte kämpfen, und nimmt selbst an ihren Protesten teil.

Carmen Louw ist die stellvertretende Direktorin von WFP und arbeitet zur Organisierung von Landarbeiterinnen. Sie ist auch eine lebenslange Gender-Aktivistin.

Kim Naser arbeitet als Projekt Managerin für das südliche Afrika bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin.

Redaktion und Übersetzung vom Englischen ins Deutsche von Jan Urhahn, Rosa-Luxemburg-Stiftung in Südafrika.

Außerdem können die Temperaturen während der Erntesaison oft 40 Grad erreichen, und die Frauen haben weder einen schattigen Platz noch Kühlmöglichkeiten für ihr Mittagessen. Das kann zu ernsthaften gesundheitlichen Problemen führen. Eine weitere Gefahr für die Gesundheit der Frauen ist die Anwendung von Pestizide auf den Weinarmen. Den meisten Saisonarbeiterinnen wird keine Schutzkleidung zur Verfügung gestellt, und sie ist zu teuer um sie privat zu beschaffen. Landarbeiterinnen haben uns erzählt, dass die Farmer manchmal den Weinberg mit Pestiziden besprühen, während sie gleichzeitig dort arbeiten. 

Vor welchen spezifischen Problemen stehen Frauen im Vergleich zu Männern?

Colette Solomon: Der wichtigste Unterschied zwischen Männern und Frauen ist, dass Männer hauptsächlich als Festangestellte und Frauen als Saisonarbeiterinnen angestellt werden. Dieser Unterschied hat weitreichende Konsequenzen. Saisonarbeiterinnen erhalten im Vergleich zu Festangestellten weniger Sozialleistungen wie ihre männlichen Kollegen, obwohl sie die gleiche Arbeit verrichten. Zunehmend wissen Saisonarbeiterinnen nicht, wie lange sie beschäftigt sein werden und wie hoch ihr Lohn sein wird. Die Arbeit auf Weinfarmen ist für Frauen sehr prekär und unsicher, während für männliche Festangestellte eine größere Beschäftigungssicherheit besteht.

Carmen Louw: Hinzu kommt, dass Frauen auf den Farmen oftmals die niedrigsten Tätigkeiten verrichten – sie arbeiten als allgemeine Arbeiterinnen und erhalten keine Weiterbildungen, um zum Beispiel einen Traktor zu fahren oder neue Technologien anzuwenden. Ein weiteres Problem sind die Mietverträge für Wohnungen auf den Farmen: 95 Prozent der Verträge laufen auf den Namen des Ehemanns oder Sohnes. Damit sind Frauen oft abhängig von ihrem Partner oder gar mittellos. Deshalb unterstützte Woman on Farms Project eine Verfassungsklage, um die Wohnrechte von Frauen auf Farmen zu stärken.

Immer mehr Farmer in Südafrika ersetzen festangestellte Angestellte durch Leiharbeiter*innen, hauptsächlich saisonale Wanderarbeiter*innen. Was bedeutet es, ein(e) saisonale Wanderarbeiter*in zu sein?

Colette Solomon: Man unterscheidet zwischen südafrikanischen Saisonarbeiter*innen und saisonalen Wanderarbeiter*innen meist aus Simbabwe, Lesotho oder Malawi. Einige der Wanderarbeiter*innen kommen auf die Weinframen, um dort für die Saison zu arbeiten; andere haben sich mehr oder weniger dauerhaft in den verschiedenen Townships und informellen Siedlungen in Südafrikas Weinanbaugebieten niedergelassen. Die Farmer wissen, dass die saisonalen Wanderarbeiter*innen sehr oft ohne offiziellen Aufenthaltsitel und Arbeitserlaubnis im Land sind. Damit können sie von den Farmern noch mehr ausgebeutet werden als südafrikanische Saisonarbeiter*innen.

Saisonalen Wanderarbeiter*innen werden aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verzweiflung niemals einen Farmer beim Arbeitsministerium anzeigen, einer Gewerkschaft beitreten oder sich organisieren. Die Tatsache, dass Farmer es sehr oft vorziehen, Wanderarbeiter*innen zu beschäftigen, führt dazu, dass die ohnehin in Südafrika bestehenden Fremdenfeindlichkeit weiter zunimmt.

Darüber hinaus sind auch Leiharbeiter*innen mit vielen Unsicherheiten konfrontiert. Wenn sie auf den Farmen zum Beispiel nicht den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn erhalten, beschuldigt der Arbeitsvermittler oft den Farmer, nicht genug zu zahlen, während der Farmer behauptet, der Arbeitsvermittler habe abgesahnt und nicht den vollen Lohn an die Leiharbeiter*innen ausgezahlt.

Wie genau wirkt sich die Corona-Pandemie auf den Weinsektor in Südafrika aus und wie sind die Landarbeiter*innen davon betroffen?

Carmen Louw: Es gab seit Frühjahr 2020 wiederholte Verbote des Alkoholverkaufs; das erste Verbot beinhaltete sowohl ein Verkaufsverbot für Alkohol in Südafrika als auch ein Exportverbot für Wein. Die Weinindustrie gab an, dass in den ersten drei Monaten des «harten» Lockdowns im Jahr 2020 18.000 Landarbeiter*innen ihren Job verloren haben, darunter auch Beschäftigte im Gastgewerbe und im Tourismus. Viele Saisonarbeiter*innen wurden zwar wiedereingestellt, arbeiten aber insgesamt für eine kürzere Saison. Darüber hinaus hatten viele Farmer ihre eigenen «Lockdowns» auf ihren Farmen eingeführt, die manchmal strenger waren als die gesetzlichen Maßnahmen.

Colette Solomon: Die südafrikanische Regierung hat während der Pandemie im Jahr 2020 einige soziale Hilfen eingeführt, darunter eine spezielle Sozialhilfe und das Verteilen von Lebensmittelpaketen. Die Mehrheit der Landarbeiter*innen, vor allem diejenigen, die auf Farmen leben, hatten aufgrund der Anspruchsvoraussetzungen oder technischer Probleme keinen Zugang dazu – für die Beantragung der Hilfen waren ein Smartphone und Internetzugang erforderlich, die Mehrheit der Landarbeiter*innen haben beides nicht. Lebensmittelpakete wurden in Townships und informellen Siedlungen verteilt, aber fast nie auf den Farmen, was teilweise auch daran liegt, dass der legale Zugang zu den privaten Farmen sehr schwierig ist.

Sogenannte «systemrelevante Arbeitskräfte» haben während der Pandemie viel öffentliche Aufmerksamkeit erhalten. Gilt das auch für Landarbeiter*innen?

Carmen Louw: Es war sehr herzerwärmend zu hören, dass Landarbeiter*innen in Zeiten der Pandemie als «systemrelevant» eingestuft werden, zumal sie zusammen mit Hausangestellten und privatem Sicherheitspersonal die am schlechtesten bezahlten Arbeiter*innen in Südafrika sind. Landarbeiter*innen werden für ihren wertvollen Beitrag nicht angemessen entlohnt – eine Tatsache, die während des Lockdowns nicht ausreichend diskutiert wurde. Landarbeiter*innen arbeiten meist in ländlichen Gebieten, auf kommerziellen Betrieben, die weit von den Städten und den Medienhäusern entfernt sind. Sie erhielten in der Anfangsphase von Corona und generell sehr wenig Aufmerksamkeit. Die Medien sind nicht erpicht darauf, in ländliche Gebiete zu reisen und dort Geschichten von Landarbeiter*innen zu erzählen.

Manche Menschen sehen in Krisen auch Chancen. Glauben Sie, dass gerade Landarbeiter*innen und Wanderarbeiter*innen die aktuelle Krise als Chance nutzen könnten?

Carmen Louw: Corona hat die Gefahren einer exportorientierten Landwirtschaft gezeigt. Es besteht also die Chance, sich für eine Transformation der Landwirtschaft einzusetzen. Vor allem eine Umgestaltung, bei der die Ernährungssouveränität über den Profit gestellt wird. Einer der Gründe für das langsame Tempo der oder das Ausbleiben der Transformation sowie für die wichtige Landumverteilung ist, dass die Weinindustrie so viele Einnahmen generiert.

Colette Solomon: Unsere Untersuchungen zeigten, dass die häusliche Gewalt zurückging, als die Männer wegen der Corona bedingten Alkoholverbote im Land keinen Zugang zu Alkohol hatten. Es war eine sicherere Zeit für Frauen in missbräuchlichen Beziehungen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die Weinsaison in diesem Jahr später begann, weil die Regenfälle und Temperaturen im Jahr 2020 nicht förderlich für den Anbau von Trauben waren. Das zeigt, dass der Klimawandel einen Einfluss auf die Branche hat – oder besser gesagt, schon immer hatte. Südafrika ist ein dürreanfälliges Land und für diese Art der landwirtschaftlichen Produktion nicht gut geeignet. Die derzeitige landwirtschaftliche Produktion, einschließlich derer für Wein, ist sehr pestizid- und kapitalintensiv. Corona hat die Schwachstellen dieser Agrarindustrie, einschließlich ihrer Exportorientierung, aufgezeigt. Wir sollten nun innehalten, um unser ausbeuterisches Modell der landwirtschaftlichen Produktion zu hinterfragen. Wie können wir in diesem Land Tausende und Abertausende Liter Wein produzieren, während gleichzeitig Tausende von Menschen hungern?

Was muss getan werden, um die Arbeitsbedingungen für Landarbeiterinnen und saisonale Wanderarbeiterinnen zu verbessern?

Colette Solomon: Wir müssen das Thema sowohl kurz- als auch langfristig betrachten. Geht man vom aktuellen ausbeuterischen Systems aus, brauchen die saisonalen Wanderarbeiterinnen erst einmal einen existenzsichernden Lohn, Arbeitsplatzsicherheit, Zugang zu Trinkwasser und Toiletten im Weinberg, Schutz vor Pestiziden und darüber hinaus ein Verbot hochgefährlicher Pestizide in Südafrika.

Aber wenn wir feststellen, dass das System falsch ist, dass das System kaputt ist, dass das System für saisonale Wanderarbeiterinnen nicht funktioniert, dann müssen wir es grundlegend in Frage stellen und nach transformativeren Lösungen suchen. Im Zentrum solcher Lösungen stehen der Zugangs für Frauen zu Land und anderen Ressourcen, die es ihnen ermöglichen, ihren Lebensunterhalt unabhängig von Lohnarbeit zu bestreiten und so zumindest Ernährungssicherheit im eigenen Haushalt zu erreichen.

Carmen Louw: Um die Arbeitsbedingungen für Arbeitsmigrant*innen zu verbessern, sollten wir uns auf die strukturellen Ungleichheiten in Südafrika und der Region im Allgemeinen konzentrieren, um zum einen Stabilität zu schaffen und zum anderen die Ursachen für Migration anzugehen. Viele der Arbeitsmigrant*innen verlassen ihre Heimat entweder aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen. Ein ganzheitlicher Ansatz wäre es, das Patriachat in Frage zu stellen, das einen negativen Einfluss auf Frauen im Allgemeinen hat.

Wie können wir als internationale Gemeinschaft zusammenarbeiten?

Colette Solomon: Wir können auf verschiedenen Ebenen zusammenarbeiten. Deutsche Bürger*innen, die südafrikanischen Wein und Trauben kaufen und genießen, haben viel wirtschaftliche Macht und müssen diese nutzen. Sie müssen sich für faire Arbeitsbedingungen der Landarbeiter*innen einsetzen. Sie müssen dazu beitragen, dass die südafrikanischen Arbeiter*innen gerecht behandelt werden und einen existenzsichernden Lohn erhalten.

Außerdem können die deutschen Bürger*innen Druck auf ihre Supermärkte ausüben. Sie müssen Lidl, Aldi und andere Supermärkte fragen: Woher kommt dieser Wein? Wie sind die Arbeitsbedingungen auf diesen Farmen? Die Supermärkte haben auch eine unternehmerische Verantwortung dafür zu sorgen, dass ihre Lieferanten in Südafrika die Gesetze einhalten und mehr tun, indem sie für faire und menschenwürdige Arbeitsbedingungen für die Arbeiter*innen in Südafrika sorgen, insbesondere für Frauen. Der einzige Weg dahin, ist eine deutsche oder noch besser europäische Gesetzgebung, die die Supermärkte dazu zwingt, diese Vorschriften entlang der gesamten Lieferkette durchzusetzen. Letztlich müssen sie dafür sorgen, dass die Landarbeiter*innen in Südafrika sicher sind und ein würdiges Leben führen können.

Deutsche können mit der Zivilgesellschaft und den Gewerkschaften in Südafrika gemeinsame Sache machen. Gemeinsam können wir uns einsetzen und sagen: «In einer globalisierten Welt muss es eine weltweites Lieferkettengesetzt geben, welches die Arbeits- und Menschenrechte der Landarbeiter*innen im Globalen Süden schützt.»