Nachricht | Parteien / Wahlanalysen - Andenregion In 76 Tagen vom Verlierer zum Präsidenten

Neoliberaler Guillermo Lasso gewinnt die Wahl in Ecuador

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Guillermo Lasso spricht zu den Medien während einer Pressekonferenz am 13. April 2021 in Quito, Ecuador. picture alliance / ZUMAPRESS.com | Juan Diego Montenegro

In Ecuador gewinnt der Vertreter der traditionellen Rechten die Präsidentschaftswahl. Der Wahlprozess offenbart tiefgehende Widersprüche in der Linken Ecuadors und Lateinamerikas. Hoffnung auf Widerstand gegen eine Fortsetzung neoliberaler Reformen machen die sozialen Bewegungen des Landes.

Im dritten Anlauf hat es Guillermo Lasso geschafft: Am 24. Mai wird der langjährige Geschäftsführer einer der größten Banken des Landes die Präsidentschaft in Ecuador antreten. Er gewann die Stichwahl am 11. April mit 52,36 Prozent der gültigen Stimmen gegen den Vertreter des Correismus Andrés Arauz. Gleichzeitig stimmte ein historisch hoher Anteil ungültig – über 16 Prozent. Der Dachverband der Indigenen CONAIE und die ihr nahestehende Partei Pachakutik hatten dazu aufgerufen.

Deshalb werfen Teile der Linken der indigenen Bewegung, die die treibende Kraft bei den Protesten im Oktober 2019 gegen neoliberale Sparmaßnahmen war, nun vor, einem Neoliberalen zum Sieg verholfen zu haben. Aus der Ferne betrachtet schienen die Rollen klar verteilt: Links gegen rechts, Progressive gegen Neoliberale. Warum also unterstützten viele Linke − die indigene und andere soziale Bewegungen in Ecuador − Arauz nicht gegen den Kandidaten der Rechten, sondern riefen auf, ungültig zu wählen?

Vor allem wegen schlechter Erfahrungen mit dem Correismus, benannt nach dem langjährigen Präsidenten Rafael Correa. Dieser bekannte sich zum «Sozialismus des 21. Jahrhunderts», aber seine Politik setzte mehr auf eine Modernisierung des Kapitalismus mit einem starken Staat als auf ein gesellschaftsveränderndes Programm. In anderen Fragen ist er schlicht katholisch-konservativ: Als Teile seiner Partei die Legalisierung von Abtreibungen nach einer Vergewaltigung bereits 2013 durchsetzen wollten, drohte er mit Rücktritt.

Arauz selbst war vor den Wahlen in Ecuador weitgehend unbekannt. Gewählt und beworben wurde er als Kandidat Correas. Sein Versprechen: Nach vier Jahren Unterbrechung zurück zu den goldenen Jahren des Correismus. Angesichts der von der Pandemie noch verschärften Krise sehnten sich tatsächlich viele Bürger*innen nach stabileren Verhältnissen zurück und wählten Arauz. Die ersten Regierungsjahre Rafael Correas brachten für die meisten Ecuadorianer*innen sichtbare Errungenschaften, vornehmlich Bauprojekte, und spürbare Vorteile: sozialversicherte Jobs, Stipendien und Sozialprogramme.

Die Erinnerung an die fetten Jahre reichte für viele Wähler*innen aber nicht aus. Viele sahen die Verantwortung für die aktuelle Krise auch bei den Correisten. Und tatsächlich stiegen die Auslandsschulden trotz Rohstoffbooms und mit fallenden Ölpreisen mussten Sozialausgaben gekürzt werden. Ab 2015, also noch unter der Regierung Correas, gab Ecuador wieder mehr für den Schuldendienst aus als für Gesundheit und Bildung zusammen.

Vor diesem Hintergrund erreichte Arauz zwar bei der ersten Runde am 7. Februar die meisten Stimmen. Allerdings konnte er mit nur 32 Prozent nicht an frühere Erfolge seines politischen Ziehvaters anknüpfen. Die traditionelle Rechte wurde abgestraft. Lasso schaffte es nur knapp in die Stichwahl, trotz seines Bündnisses mit der wichtigsten Konkurrenz innerhalb des rechten Spektrums, der Sozial-christlichen Partei (PSC). Im Parlament kommen Lassos CREO und PSC zusammen nur auf knapp 22 Prozent der Sitze, ein historisch schlechtes Ergebnis. 2017 waren es noch fast 36 Prozent.

Die größte Überraschung des ersten Wahlgangs war der Erfolg von Pachakutik und ihrem Kandidaten Yaku Pérez, der sich als ökologischer Linker bezeichnet. Pérez kam landesweit auf 19,39 Prozent. Und seine Partei Pachakutik, die als parlamentarischer Arm der CONAIE gilt, wird als zweitgrößte Fraktion ins Parlament einziehen (siehe LN 561).

Während der Auszählung der Stimmen lag Pérez zunächst an zweiter Stelle, konnte also mit einem Platz in der Stichwahl rechnen. Im offiziellen Endergebnis überflügelte ihn dann Lasso mit einem Vorsprung von gut 32.000 Stimmen. Pachakutik reichte über 27.000 Akten mit Unstimmigkeiten ein. Von diesen Akten ließ der Wahlrat aber nur 31 zur Überprüfung zu. Diese verringerten den Abstand von Pérez zu Lasso tatsächlich um 485 Stimmen − viel für 31 Wahltische, viel zu wenig um den Abstand zu Lasso aufzuholen. Ob es Wahlbetrug gab oder nur Schlamperei bei einem von der Pandemie erschwerten Wahlprozess, bleibt offen. Den Antrag auf eine weitere Nachzählung lehnte das Wahlgericht am 14. März ab.

Eine weitere Überraschung war das gute Abschneiden der sozialdemokratischen Traditionspartei Izquierda Democrática (Demokratische Linke) mit ihrem Kandidaten Xavier Hervas. Von dem Frust über den korrupten Politikbetrieb konnten in Ecuador keine Rechtspopulisten à la Bolsonaro profitieren, sondern Pachakutik und Sozialdemokraten.

Im Wahlkampf für die zweite Runde begannen beide Kandidaten ihre Wahlkampfrhetorik zu ändern, um Wähler*innen von Pérez und Hervas zu gewinnen. Arauz nahm in sein Wahlprogramm die Einrichtung von Frauenhäusern auf sowie die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Binden und Tampons. Auch Lasso sah sich gezwungen, sein Image als erzkonservativer Opus-Dei-Anhänger abzuschwächen und sprach vom «unermüdlichen Kampf der Frauen für Gleichberechtigung und gegen Gewalt». Auch ökologische Themen hatte er auf einmal im Programm.

Entscheidender für den Wahlsieg von Lasso waren aber vermutlich andere Faktoren. So schaffte er es, sein steifes Image weitgehend loszuwerden. Sein erneuertes Wahlkampfteam verordnete ihm Tiktok-taugliche Sprüche statt langer wirtschaftspolitischer Belehrungen. Außerdem trug er auf einmal rote Turnschuhe.

Auch Arauz versuchte sein Image zu ändern. Er sprach jetzt von Fehlern in der Regierung Correas und viel von Liebe, um sich vom konfrontativen und arroganten Stil seines Ziehvaters abzusetzen. So ließ er Wahlkampfmützen mit dem Slogan «Más amor, menos hate» (mehr Liebe, weniger Hass) produzieren. Die meisten Wahlanalysen sind sich aber einig, dass er es letztlich nicht schaffte, aus dem Schatten Correas zu treten.

Nach der ersten Wahlrunde reagierten einige, vor allem internationale, Unterstützer*innen des Correismus auf den Überraschungserfolg des indigenen Kandidaten Pérez mit persönlichen Angriffen auf diesen. So wurde beispielsweise insinuiert, er sei von den USA gekauft oder vom Machtwillen seiner brasilianischen Partnerin Manuela Picq getrieben. Als Antwort riefen Intellektuelle und Akademiker*innen aus den USA, Lateinamerika und Europa in einem offenen Brief dazu auf, die «frauenfeindlichen und rassistischen Angriffe auf eine entstehende indigene und ökofeministische Linke in Lateinamerika» zu stoppen. Ihre Hoffnung war, dass der relative Wahlerfolg von Pachakutik in der ersten Runde eine Tendenz markiert: Hin zu einer neuen Linken und weg von den progressiven Regierungen und ihren Erb*innen, geführt von autoritären Persönlichkeiten und gestützt auf die Umverteilung der Einnahmen aus dem Extraktivismus.

Aber auch Linke, die Pérez nicht als Rechten abstempeln, kreiden ihm an, in der Stichwahl nicht Arauz unterstützt zu haben. Ein Beispiel ist der brasilianische Soziologe und Linksintellektuelle Emir Sader. Yaku Pérez und Xavier Hervas stellten, so Sader, «zweitrangige Widersprüche mit der Regierung Correa – Konflikte mit der indigenen Bewegung, Fragen des Umweltschutzes – vor den fundamentalen Widerspruch unserer historischen Periode, den zwischen Neoliberalismus und Post-Neoliberalismus.» Zweifellos war der Kampf gegen den Neoliberalismus eine wichtige ideologische Klammer für die «Pink Tide» (rosa Flut), die in den frühen 2000er Jahren viele progressive Regierungen in Lateinamerikas hervorbrachte.

Aus der Perspektive großer Teile der indigenen Bewegung, von Feminist*innen und Öko-Aktivist*innen in Ecuador sind jedenfalls Naturzerstörung, Menschenrechte oder das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper keine Nebensache. Auch werfen sie den Regierungen unter Correa vor, die Justiz für politische Zwecke missbraucht zu haben, etwa um Proteste gegen Bergbauprojekte als Terrorismus abzustempeln. Diese Erfahrungen machen es für sie schwer, zu der von Sader geforderten Einheit zurückzukehren.

Auch ohne diese Vorgeschichte bliebe der Grundkonflikt zwischen den verschiedenen Zukunftsvorstellungen bestehen. Karikaturenhaft werden die beiden Entwicklungsfantasien eingefangen in zwei Tiktok-Videos von Arauz und Pérez: Während sich Pérez filmen lässt, wie er mit seiner Mutter eine Kuh melkt, jongliert Arauz wie im Werbefilm eines Telefonanbieters mit leuchtenden Icons und verspricht Internet für alle, bevor er in einer beschleunigten Welt aus Leuchtziffern verschwindet. Hier eine agrarökologische, kleinbäuerliche Idylle, dort der Sprung in eine Hochtechnologiegesellschaft.

Könnten sich zumindest jetzt, nach Lassos Wahlsieg, beide Lager von den Karikaturen verabschieden und sich als Teil einer pluralen Linken sehen, und so die Niederlage der Rechten in der ersten Wahlrunde mittelfristig in einen Sieg für eine linke, sozial-ökologische Perspektive umzumünzen? Danach sieht es nicht aus.

Und so können sich bisher die internationalen Gläubiger*innen über die Wahl von Lasso freuen und auf regelmäßige Überweisungen hoffen: Die Risikobewertung Ecuadors verbesserte sich sofort, wenn auch bescheiden. Denn bei aller weichgespülten Rhetorik in der zweiten Wahlrunde hat Lasso ein Programm, das den Finanzmärkten gefällt: Er verspricht zwar eine Erhöhung des Mindestlohns, will aber privatisieren, Steuern senken, setzt auf Freihandelsverträge, auf Ankurbelung des Exports und damit auf mehr Extraktivismus. Ob er dieses Programm durchsetzen kann, ist eine andere Frage: Er hat keine Mehrheit im Parlament und wurde vor allem als kleineres Übel gewählt.

Ein Teil der Linken und Aktivist*innen sozialer Bewegungen hoffen jetzt auf Straßenproteste – wie im Oktober 2019 –, um Lassos Politik zu verhindern. Correa sendet dagegen versöhnliche Töne aus seinem belgischen Exil. In einer Ansprache an das ecuadorianische Volk bot er Lasso die Zusammenarbeit zum Wohle Ecuadors an: «Zählen Sie auf uns für alles, was positiv für unser Vaterland sein könnte. (...) Zählen Sie auf unsere Fraktion im Parlament, um die Regierungsfähigkeit zu erhalten.»

Dieser Artikel erschien zuerst in den Lateinamerika Nachrichten.