Nachricht | Geschlechterverhältnisse - Kommunikation / Öffentlichkeit - Iran Kampf an allen Fronten

#Metoo im Iran gegen die Macht-Allianz von Patriarchat und Staat

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#Metoo! Ein Hashtag aus den USA globalisierte 2017 urplötzlich eine längst überfällige Debatte um ein altbekanntes Phänomen: sexualisierte Gewalt und die Alltäglichkeit sexueller Belästigung. Doch während sich in Deutschland die Wirkmächtigkeit der ausgelösten Debatte nicht nur schnell erschöpfte, sondern es ihr auch hier und da an revolutionärem Potential mangelte, stellt sie in anderen Regionen bis heute einen wichtigen Impuls dar. Im Iran löst sie aktuell einen Sturm aus, der dem enttabuisierten und öffentlichen Sprechen über sexualisierte Gewalt eine neue Dimension verleiht. Dort ist die Debatte um das Hashtag nicht nur brandaktuell – sie steht auch im Angesicht des Agierens unter religiös-autoritären Regimen wie der Islamischen Republik (IR) anderen Potentialen und Dilemmata gegenüber.

Feministische Kämpfe im Iran 

Im Iran und im Farsi-sprachigen Raum hatte das Hashtag seit Mitte 2020, also zwei Jahre nach dem Anfang der Metoo-Debatte in den USA, eine Welle massiver Enthüllungen von sexualisierter Gewalt ausgelöst. Seitdem geben Frauen und transgeschlechtliche Personen ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt in anonymer Form zunehmend öffentlich preis und diskutieren sie breit. Berichte von transgeschlechtlichen Menschen sind dabei aufgrund vorhandener Transfeindlichkeit in den sozialen Medien sowie offline weniger sichtbar. Frauen* berichten vor allem auf Twitter von ihren Erlebnissen in der Familie, in ihren Beziehungen, im Berufsleben. Darunter tauchen auch Berichte sexualisierter Gewalt durch bekannte Persönlichkeiten aus der Kunst- und Kulturszene sowie einzelner politischer Aktivist*innen und Intellektueller auf.

In der völligen Abwesenheit staatlicher Verantwortungsübernahme im Umgang mit sexualisierter Gewalt sind es zivile, feministische Gruppen, die bei der Bekanntmachung dieser Erzählungen eine zentrale Rolle spielen. Sie bieten Plattformen durch ihre Websites und Twitter-Accounts zur Veröffentlichung der Berichte an, geben Interviews und diskutieren bloggend die verschiedenen Aspekte der Metoo-Bewegung. Auch Influencer*innen nehmen aktiv teil an diesen Enthüllungen und den damit verbundenen Auseinandersetzungen.

Bahar Oghalai ist Sozialwissenschaftlerin mit Fokus auf Intersektionen von Rassismuskritik und Feminismus. Sie promoviert zu Politisierungsbiographien diasporischer Feminist*innen aus dem Iran und der Türkei in Deutschland.

Maria Hartmann forscht, arbeitet und engagiert sich politisch zu Fragen von transnationaler Solidarität und Diaspora-Aktivismus im Kontext der neuen emanzipatorischen Bewegungen in Westasien/ Nordafrika.

Aber was macht eine feministische Bewegung, wenn das öffentliche Bloßstellen eines Vergewaltigers zum einen zur Kriminalisierung und Verunglimpfung des Opfers und zum anderen – im Fall einer tatsächlichen Verurteilung des Täters – zu seiner Hinrichtung durch das staatliche Justizsystem führen kann? Und dies, obwohl der Protest gegen Hinrichtungen im Iran tief mit feministischen Kämpfen verbunden ist. Gleichzeitig ist es eine altbekannte Strategie des Regimes, Feminist*innen mit dem Vorwurf sexueller Zügellosigkeit zu kriminalisieren und in ihrer Arbeit zu behindern, die in diesem Kontext fortgeführt werden kann. In einem Staat, der außereheliche sexuelle Beziehungen jeglicher Art kriminalisiert und seinen Justizapparat aktiv dagegen einsetzt, sind Betroffene durch die Debatte unter Umständen einer direkten Gefahr ausgesetzt, was den Aktivismus unterstützender feministischer Organisationen prekärer und gefährlicher macht als in Deutschland oder den USA.

Gegenwind aus verschiedenen Richtungen

Auch darüber hinaus wird die Debatte nicht unkontrovers begrüßt: das öffentliche Bloßstellen von Kernfiguren aus Kreisen, die ohnehin unter großem Druck seitens des Regimes stehen, löst Kritik und Widerstand aus. Einige Täter*innen framen die Enthüllungen gegen sich als ein systematisches Mittel der IR, um die Diffamierung, Kontrolle und Unterdrückung von säkularen und regimekritischen Kräften voranzutreiben. Der autoritär-patriarchale Staat öffnet somit einen Raum für Täter*innen, durch Selbstviktimisierung von ihrer Täter*innenschaft abzulenken und die Metoo-Bewegung zu delegitimieren. Die IR instrumentalisiert diese Enthüllungen durchaus, um das sexistische Bild der höchst sexualisierten Feministin einerseits und das des moralisch verdorbenen, vergewaltigenden Regimegegners andererseits zu verfestigen. Dass gerade Schreie über sexualisierte Gewalt aus diesen vermeintlich aufgeklärten Intellektuellenkreisen laut werden, zeigt dabei lediglich das Ausmaß des Problems sexualisierter Gewalt in der iranischen Gesellschaft. Denn ausschließlich dort können Versuche enttabuisierten Sprechens über das Thema überhaupt erst einmal gewagt und angestoßen werden.

Trotz aller genannten Schwierigkeiten hat die iranische Metoo-Bewegung zu mehr Solidarität und Zusammenarbeit unter Feminist*innen geführt. Und von der Komplexität, die die Debatte in der Konfrontation mit dem autoritär-religiösen Regime erfährt, lassen sich Bögen zu bedeutsamen global-feministischen Fragen spannen.

Die Debatte macht die Notwendigkeit einer Suche nach feministischen Konzepten von Strafe und transformatorischer Gerechtigkeit sichtbar: Wenn wir die Dynamiken von Patriarchat in seiner Macht-Allianz mit «Vater Staat» als Ursache von Gewalt beschreiben, dann muss Strafe im Umkehrschluss einen gesellschaftsverändernden, gewalt-eliminierenden Sinn mit sich bringen, statt nur die kollektive Gewalt auf straffällig gewordene Täter*innen abzuwälzen. Was kann eine feministische Position gegen individualisierte Formen von Strafe und Strafverfolgung sein, die dies nicht als vermeintliche Lösung für das Gesellschaftsproblem Patriarchat akzeptiert, gleichzeitig aber auch Gewalttäter*innen nicht schützt oder relativiert? Weiter zeigt die Widerspruchstoleranz, mit der sich die Metoo-Bewegung im Iran im Umgang mit anderen gesellschaftlichen Kämpfen und emanzipatorischen Forderungen behauptet, dass das Aushalten und Aushandeln von Ambiguitäten des «Kämpfens an unterschiedlichen Fronten» eine Kernherausforderung, aber auch Kernkompetenz feministischer Praxis ist: Wie zeitgleich gegen sexualisierte Gewalt UND die Hinrichtung des/der Täter*in aufbegehren? Wie an keiner Stelle Abstriche machen? Wie sich von Patriarchat und Staat nicht gegeneinander ausspielen lassen? Wie entgegen pragmatischer Kompromisse eine Kultur des Konflikts als Bewegungspraxis etablieren und aushalten? All das sind jene Fragen, die sich feministische Bewegungen auch hierzulande in der tatsächlichen Praxis intersektionaler Kämpfe stellen müssen und für die wir dringend Antworten brauchen.