Nachricht | Globalisierung - Krieg / Frieden - Westafrika - Sozialökologischer Umbau - COP26 - Green New Deal Verseucht, verarmt, militarisiert, terrorisiert

Das Niger-Delta wurde jahrzehntelang von Konzernen wie Shell ausgebeutet. Ein Green Deal muss deshalb Wiedergutmachung beinhalten.

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Ken Henshaw,

Das Shell-Logo und ein Junge
Foto: picture alliance / REUTERS | George Esiri

Die Ölförderung im Niger-Delta war von Beginn an eine tödliche Mischung aus unternehmerischer Profitgier und staatlich unterstützter Repression. Seit die Ölgewinnung in den frühen 1950er Jahren Fahrt aufnahm, wurden die Produktionsbeziehungen entsprechend den Handelsmustern aufgebaut, die westliche Händler und Kolonialmächte etabliert hatten: die Vermählung von Profitgier und bewaffneter Unterdrückung. So hatte die britische Marine schon 1895 – über 60 Jahre bevor Nigeria das erste Rohöl lieferte – den prosperierenden Handelsplatz Brass im Niger-Delta niedergebrannt, um das Palmöl-Monopol der britischen «Royal Niger Company» zu sichern. Über 2.000 Menschen starben dabei. Als 1960 zur Unabhängigkeit der Union Jack gegen die grün-weiße Landesflagge ausgetauscht wurde, änderte das nichts daran, dass Nigerias souveräne Sicherheitskräfte das Ölgeschäft mit den gleichen Methoden am Laufen hielten.

Kein Mitspracherecht für die Betroffenen 

Diejenigen, auf deren Ländereien, in deren Flüssen und Bächen das Rohöl im Niger-Delta gefunden wird, die indigene Bevölkerung, waren zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner Weise an Entscheidungen beteiligt. Diese wurden von Beginn an zwischen Staat und Unternehmen getroffen, und zwar immer nach Maßgabe des größtmöglichen Profits und rückhaltloser Ausplünderung.

Ken Henshaw ist Aktivist bei Social Action Nigeria und war u.a. Mitglied der RLS-Delegation bei der COP21 2015 in Paris.

Die Geschichte der Ölgewinnung ist vollgemüllt mit Staats- und Unternehmensvergehen an Menschen, deren einziges Verbrechen darin besteht, dass sie neue und faire Bedingungen verlangen.

Die Umuechem, auf deren Gebiet Shell seit 1958 Rohöl fördert, demonstrierten 1990 friedlich für einen neuen Vertrag mit dem Konzern und der nigerianischen Regierung. Shell hatte Straßen, Krankenhäuser, Schulen, Elektrizität und Arbeitsplätze versprochen, als der Konzern dort 30 Jahre zuvor eingetroffen war. Doch keines dieser Versprechen war eingelöst worden – stattdessen mussten die von Landwirtschaft und Fischfang lebenden Einheimischen Umweltverschmutzung, Enteignungen und den Verlust ihrer Lebensgrundlagen hinnehmen. Als Reaktion auf die friedlichen Proteste der Umuechem rief Shell die Sondereinsatzkommandos der Polizei, die alles niederbrannten und 100 Menschen umbrachten. Für dieses Massaker an Umuechem ist bis heute niemand zur Verantwortung gezogen worden, und Shell fördert dort weiter zu seinen Bedingungen Rohöl.

Gewaltvoller Einsatz des Militärs

Im gleichen Zeitraum bekamen auch die Ogoni dieses Maß an staatlich unterstützter Repression zu spüren: In ihrem Fall setzte die nigerianische Armee die Interessen Shells durch. Und auch hier hatte sich die lokale Bevölkerung mit friedlichen Mitteln für einen neuen Vertrag mit Shell und dem Staat eingesetzt. Dabei wurden Tausende ermordet, vergewaltigt und vertrieben. Die Anführer der Bürger*innen-Bewegung «Movement for the Survival of the Ogoni People» wurden auf Empfehlung eines inszenierten Militärtribunals hin hingerichtet.

Die nigerianische Regierung verteidigt die Ölkonzerne und deren rücksichtslose Ausbeutungsstrategie weiterhin, indem sie militärische Spezialeinheiten auf die Gemeinden des Niger-Deltas hetzt. Im November 1999 tötete das Militär im Dorf Odi 2.500 Menschen. 2005 wurden in Odioma 17 Personen umgebracht, weil sie verlangt hatten, dass die Gemeinden vor Ort von der Ölförderung profitieren. 2008 wurden die Gemeinden Twon-Brass, Epebu, Agge und Uzere angegriffen. 2019 gab es mindestens drei Vorfälle, bei denen das Militär Gemeinden im Niger-Delta überfallen und niedergebrannt hat.

Gekürzte und bearbeitete Fassung. Originaltext in «Perspectives on a Global Green New Deal», kuratiert von Harpreet Kaur Paul und Dalia Gebrial, Rosa-Luxemburg-Stiftung 2021, www.global-gnd.com

Nach sechs Jahrzehnten Ölförderung zählt das Niger-Delta heute zu den verseuchtesten, ärmsten und am stärksten militarisierten Gebieten der Welt. Jeglicher Versuch, die Vertragsbedingungen zu verändern, hat der indigenen Bevölkerung bislang Tod und Verderben beschert. Für sie geht es darum, sich endlich von der Fixierung auf Arbeitsplätze zu lösen und die Folgen der jahrzehntelangen rücksichtslosen Ölforderung in den Blick zu nehmen. Ein gerechter New Deal bedeutet Wiedergutmachung für die durch die Ölverschmutzung im Niger-Delta angerichtete ökologische Katastrophe, die den Menschen ihre Lebensgrundlage geraubt hat. Gerechter Umbau bedeutet auch Gerechtigkeit für die zahllosen Opfer der von Ölkonzernen initiierten und staatlich sanktionierten Gewalttaten. Nicht zuletzt geht es um Reparationszahlungen für jahrelange rücksichtslose Enteignung.

Ein New Deal im Niger-Delta muss nicht nur grün und umweltfreundlich, sondern von den Menschen vor Ort inspiriert und auf sie bezogen sein. Ein New Deal der Bevölkerung, ausgehend von ihren realen Erfahrungen und zugeschnitten auf ihre speziellen Bedürfnisse. Denn die unheilige Ehe zwischen Öl-Multis und Regierungen mit ihrer Fixierung auf Profite hat die Menschen lange genug terrorisiert.

Dieser Artikel ist im Original in der maldeskstra erschienen – Globale Perspektiven von links: Das Auslandsjournal

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