Nachricht | Globalisierung - Westafrika - Sozialökologischer Umbau - Spurwechsel - Klimagerechtigkeit In Theorie und Praxis

Gemeinsam von unten und international vernetzt

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Autorin

Franza Drechsel,

Fridays for Future in Nigeria
Demonstrant*innen in Lagos, Nigeria fordern Maßnahmen gegen den Klimawandel. Foto: picture alliance/AP Photo | Sunday Alamba

Ein sozialökologischer Umbau kann nicht einseitig im Globalen Norden geplant und umgesetzt werden, wie die Debatte um e-Autos exemplarisch zeigt. Die vermeintliche Verkehrswende fördert massenhaften Lithiumabbau für Autobatterien, externalisiert nach wie vor die Risiken und Nebenwirkungen des Kapitalismus und lässt die bereits Marginalisierten damit weitestgehend alleine. Es führt kein Weg daran vorbei, gemeinsam in Nord und Süd an der sozialökologischen Transformation zu arbeiten. Denn es gibt weitere Fallen, die es zu vermeiden gilt.

Den Rohstoffabbau beenden reicht nicht

So richtig die Forderung nach weniger Ressourcenverbrauch ist, reicht ein Stopp von Rohstoffabbau nicht. Eine sozialökologische Transformation muss auch dort stattfinden, wo Rohstoffe abgebaut werden. Nach 60 Jahren Ölproduktion in Nigerias Niger Delta ist genauso wie beim Schließen deutscher Kohleminen wichtig zu überlegen, wie es für diejenigen weitergeht, die ihre Anstellung verlieren.

Franza Drechsel ist Projektmanagerin und Referentin für Westafrika in der Rosa Luxemburg Stiftung.

Eine gerechte Transition muss aber auch die Sanierung der Hinterlassenschaften mitdenken, um die Umwelt langfristig zu entlasten. Jeder Abbau von Rohstoffen hinterlässt giftige Krater und Landschaften, Seen und Flüsse. Ken Henshaw der NGO We the People fordert dafür Umweltreparationen. Darüber hinaus hält er ein Abkommen für nötig, das Reparationen für die Enteigneten, Leidtragenden und Betroffenen vorsieht. Durch die Ölproduktion im Niger Delta haben nicht nur Bäuer*innen ihre Äcker verloren. Fischerfamilien können nicht mehr vom Fisch leben, weil Ölkatastrophen und giftige Abwässer die Bestände in den Seen und Flüssen töten. Nicht umsonst fordert die NGO Health of Mother Earth Foundation: «Fish Not Oil!» Darüber hinaus wird die jetzt schon begrenzte Ressource Land knapp bleiben, da das verschmutzte Land für Jahrhunderte nicht mehr für landwirtschaftliche Erzeugung genutzt werden kann. All das bedarf der Berücksichtigung.

Großprojekte schaden

Der berechtigte Wunsch eines Großteils der Bevölkerung im Globalen Süden, ihren Lebensstandard zu verbessern, sozusagen «aufzuholen», macht eine global und sozial gerechte Transition nicht leichter. Weder haben bisher staatliche, noch privatwirtschaftliche Großprojekte Vorbildcharakter, wie das malische Bewässerungsprojekt Office du Niger (ON) zeigt.

Seit der Kolonialzeit charakterisiert sich die staatliche Verwaltung des ON-Gebiets durch fehlende Mitbestimmung, Enteignung, Vertreibung und die Verschärfung von Konflikten um Land. Immerhin wurde das Projekt bis 1980 zumindest im Hinblick auf die Nahrungsmittelproduktion als Erfolgsgeschichte betitelt. Seit der Nahrungsmittelkrise 2008 versucht sich die Verwaltung nun mit einem neuen Modell: Immer mehr ausländische Investor*innen erhalten Pachtverträge über Teile des Gebiets, mit dem Ziel, die Nahrungsmittelproduktion – auch für den malischen Markt – wieder zu steigern. Doch in den meisten Fällen werden Ansässige und Landnutzer*innen nicht konsultiert und ohne ausreichende Entschädigung enteignet. Ihnen fehlt fortan eine alternative Einkommensquelle, die nur wenige in Lohnarbeit auf den Farmen der Agrobusiness-Unternehmen finden. Andere klagen seit der Großflächenbewirtschaftung über zu wenig Wasser, um ihr Land zu bestellen.

Auch wenn sich die Kleinbäuer*innen in Gewerkschaften und Kooperativen organisieren, führen Perspektivlosigkeit und Ohnmacht dazu, dass fundamentalistische Gruppen Zulauf erfahren (ohne dass zwangsläufig alle ideell mit ihnen übereinstimmen). Was eigentlich ein Konflikt um Land ist, äußert sich hier im islamischen Fundamentalismus, andernorts ist er (auch noch) ethnisch aufgeladen. Dass derartige Konflikte weltweit zunehmen, je mehr Land für Rohstoffabbau, Agribusiness-Projekte und (unsaniert) hinterlassene Minen reserviert ist – egal ob staatlich oder privatwirtschaftlich organisiert –, liegt auf der Hand. Der Lebensstandard wird verringert statt ihn, wie proklamiert, durch Landvergabe an Großprojekte zu erhöhen.

Kleinbäuer*innen bleiben vereinzelt

Doch die Lösung kann nicht darin liegen, Land künftig kleinbäuerlich zu bewirtschaften. Obwohl sich die Menge an Niederschlag in der Sahelzone nach der lang anhaltenden Dürre der 1970er und 80er Jahre wieder eingependelt hat, regnet es mittlerweile stärker und andauernder. Das führte 2019 im ON-Gebiet zu starken Überschwemmungen. Derartige Wetterextreme verschärfen die eh schon prekäre Lage der Kleinbäuer*innen weltweit. Auch wenn kleinbäuerlicher Anbau klimafreundlicher ist und oftmals zumindest eine Mahlzeit am Tag garantiert, birgt er Risiken: Familien bleiben vereinzelt, wenn sie von Wetterkatastrophen betroffen sind. Sie haben wenig Alternativen und werden nicht selten zu Migration gezwungen, ohne die Perspektive zu haben, dass es anderswo besser wird. Klimaforscher*innen warnen davor, dass Wetterextreme erst noch zunehmen, vor allem im Globalen Süden. Eine Romantisierung traditionellen Anbaus ist einer gerechten globalen sozialökologischen Transformation darum nicht zuträglich.

Weder groß, noch klein, am liebsten kollektiv

Dass es produktiver und effizienter ist, kooperativ zu wirtschaften, zeigt die Aneignung der Oase Jemna in Tunesien auf beeindruckende Weise. Seit der französischen Kolonisierung bewirtschafteten verschiedene (kolonial-)staatliche Unternehmen das Land. Insbesondere in den 1970er und 80er Jahren sollte mittels intensiver Nutzung von Chemikalien die Produktion gesteigert werden. Nachdem der tunesische Staatskonzern 2002 pleiteging, wurde die Oase an Investor*innen aus dem Umfeld des Präsidenten Ben Ali verpachtet. Dem setzte die Besetzung und Aneignung durch die Bewohner_innen aus Jemna 2011 im Zuge der so genannten Arabischen Revolution ein Ende.

Im Gegensatz zu anderen Landbesetzer*innen entschieden sie sich, die Dattelplantage kollektiv zu bewirtschaften. Nach kurzer Zeit konnte die Association de Protection des Oasis de Jemna (APOJ) 150 Angestellte bezahlen – während vorher ein Großteil der dort Lebenden erwerbslos war. Mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit wurden neue Dattelbäume angepflanzt und die Produktion gesteigert. Die APOJ-Mitglieder investierten die Einnahmen in öffentliche Daseinsfürsorge, darunter eine Ambulanz, Marktstände, Schulen und Kulturangebote. Tatsächlich führte die kollektive Bewirtschaftung also zu einer Verbesserung des Lebensstandards für die Bewohner*innen. Hierin liegt ein Schlüssel für einen gerechten sozialökologischen Umbau. Doch so einfach ist das leider nicht.

Von unten, innerhalb des Staates und international

Widerstandsbewegungen und Initiativen von unten, die Alternativen leben wollen, wurden und werden weltweit niedergeschlagen und ausgeblutet. Die Oase in Jemna, das Niger Delta und das Office du Niger zeichnen sich allesamt durch staatliche Repression aus, begonnen in der Kolonialzeit und weitergeführt von den jeweiligen unabhängigen Staaten. Um erfolgreich zu sein und eine sozialökologische Transformation im Globalen Süden anzustoßen, braucht es darum hier wie im Globalen Norden neben der Bewegung von unten die Etablierung staatlicher Strukturen, die den Neoliberalismus unterwandern, statt ihn zu stärken.

Die drei Beispiele stehen auch dafür, dass es die internationale Vernetzung ist, die die Widerstände und den Ausbau von Handlungsspielräumen gegenüber staatlicher Repression stärkt. Das macht umso klarer: Nicht nur die theoretischen Fragen eines globalen Gesellschaftsabkommens müssen gemeinsam im Globalen Süden wie Norden besprochen werden, um es gerecht zu gestalten. Ein globaler Umbau hin zum solidarischen, nachhaltigen Wirtschaften kann auch nur im Miteinander von progressiven Bewegungen aus Nord und Süd gelingen.

Weiterlesen

Bendix, Daniel (2019): Ein ewiges Hin und Her. Widerstand gegen Vertreibung durch «Entwicklung» im Bewässerungsprojekt Office du Niger, Mali, in: PERIPHERIE 154/155, 39.

Henshaw, Ken (2021): Corporate Profiteering in the Niger Delta, in: Kaur Paul, Harpreet & Dailia Gebrial: Perspectives on a Global Green New Deal.

Mahmoud, Ines (2020): «Common Good before Private Profit!” A Peasant Struggle for Land in Jemna, in: Guilengue, Fredson: Action Matters. Six Success Stories of Struggles for Commons in Africa.

Dieser Artikel ist im Original in der maldeskstra erschienen – Globale Perspektiven von links: Das Auslandsjournal

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