Nachricht | Kunsthistorikerinnen 1910 - 1980. Theorien, Methoden, Kritiken; Berlin 2021

Macht den Beitrag früher Kunsthistorikerinnen zur Entwicklung der Disziplin sichtbar

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Die Disziplin Kunstgeschichte hat einen besonders hohen Anteil an weiblichen Studierenden (2014/15 waren es 81 Prozent). Auch wenn sich die Situation bei den Neuberufungen verbessert, ist das Fach in der Lehre immer noch sehr stark männlich geprägt - und dies war schon so seit Frauen in deutschsprachigen Ländern (verspätet) zum Studium des Faches zugelassen wurden. Im gängigen Kanon und den einschlägigen Handbüchern kommen weibliche Kunsthistorikerinnen aber bis heute nicht oder kaum vor; viele die durchaus publiziert, und auch zur Innovation des Faches beigetragen haben, sind heute vergessen. Wer kennt heute etwa Hanna Levy-Deinhard (1912-1984), die in den 1970er Jahren kurzzeitig als Vorbild für kritische Kunstgeschichte und Konzepte alternativer Wissensproduktion wiederentdeckt wird?

Der relativ preiswerte Band resultiert aus einem DFG Projekt «Wege – Methoden – Kritiken: Kunsthistorikerinnen 1880–1970». Er stellt – exemplarisch - 23 Kunsthistorikerinnen vor, von denen jeweils ein beispielhafter (akademischer) Text (auszugsweise) dokumentiert wird. Dem vorgeschaltet ist immer eine kurze Einführung zu Leben, Werk und Bedeutung der vorgestellten Person. Einige seien kurz genannt: Rosa Schapire(1874-1954), die auch als Sammlerin engagiert ist und zur Popularisierung der Brücke-Maler beiträgt. Anna Teut (1926-2018), die 1967 (!) das erste fundierte Buch zur Kritik von NS-Architektur publiziert. Lu Märten(1879-1970), die besonders eng an der politischen Linken angedockt ist. Oder Anni Albers (1899-1994), Sibyl Moholy-Nagy (1903-1971) und Lucia Moholy (1894-1989), die alle drei vor allem durch ihre persönliche Verbindung zum bauhaus-Künstler Josef Albers bzw. László Moholy-Nagy bekannt sind, aber durchaus eigene Beiträge etwa zur Fotografie publizierten. Karen Hirdina (1941-2009) die in der DDR als Philosophin wichtige Texte zur Ästhetik, vor allem der der Neuen Sachlichkeit, veröffentlicht. Die Deutsch-Schweizerin Carola Giedion-Welcker (1893-1979), die etwa 280 Artikel in Zeitschriften über moderne Malerei, Plastik und Dichtung und 17 Bücher schrieb. Last but not least Jutta Held(1933-2007), die aus marxistischer Perspektive u.a. zu antifaschistischer Kunst forscht (und auch jahrelang im Bund demokratischer WissenschaftlerInnenaktiv ist).

Der Band zeigt den großen Bruch, den der Nationalsozialismus für Kunsthistorikerinnen bedeutete. Ein Drittel aller KunsthistorikerInnen die ins Exil gingen, waren Frauen (S. 25). Der Großteil der hier vorgestellten Frauen war lebenslang als Autorin und Wissenschaftlerin tätig, viele widmeten sich neuen Formaten (etwa der Fotografie oder dem Film), oder setzten sich schon sehr früh mit «außereuropäischer» Kunst auseinander. Weitere ausführliche Informationen bietet die Website www.kunsthistorikerinnen.de, die im Zusammenhang mit dem erwähnten DFG-Projekt entstand. Ein zweiter Band, mit etwas anderem inhaltlichen Zuschnitt, nämlich «Institutionen – Strukturen – Analysen» (Arbeitstitel), ist in Planung. Er soll dann die institutionellen und strukturellen Bedingungen des Wirkens dieser Kunsthistorikerinnen zwischen ca. 1850 und der Gegenwart rekonstruieren und, u.a. in Fallstudien, kritisch analysieren. Es wird aber wohl noch einige Jahre dauern, bis dieser erscheint, so die Auskunft des Verlages.

K. Lee Chichester und Brigitte Sölch (Hrsg.): Kunsthistorikerinnen 1910 – 1980. Theorien, Methoden, Kritiken, Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2021, 438 Seiten, 29,95 EUR

Diese Rezension erschien zuerst in der Zeitschrift Forum Wissenschaft, Heft 3/21. Ein erstmals 1988 erschienener Text der erwähnten Jutta Held ist: Das Ganze begreifen. Mit Marx die Kunstgeschichte neu lesen- und auf dem Blog der Zeitschrift LuXemburgdokumentiert.