Einführungen zur Geschichte Jordaniens erwecken häufig den Eindruck, es habe in Jordanien keine Frauen gegeben oder aber sie seien Zuschauerinnen gewesen, ohne aktive Beteiligung am sozialen und politischen Geschehen. Eine der wenigen Ausnahmen, «Die Geschichte der jordanischen Frauenbewegung» von Suheir Al-Tal[1], ist weitgehend auf die Geschichte von Mittelklassefrauen beschränkt und 2014 auf Arabisch erschienen[2]. Seit 2021 liegt mit der Studie von Rana Husseini ein weiterer Überblick über den Aktivismus von Frauen in englischer Sprache vor[3]. Daneben vermitteln alltägliche Gespräche die Beteiligung von Frauen aller Generationen am politischen Geschehen. Ob es eine Geschichte der Frauenbewegung in Jordanien gibt, hängt davon ab, was unter «Frauenbewegung» gefasst wird, und ob diese mit feministischen Forderungen oder emanzipatorischen Kämpfen gleichzusetzen ist.
Hanna Al-Taher ist Sozialwissenschaftlerin und arbeitet in Amman, Berlin und London.
Der folgende Überblick zeichnet entlang national- und regionalhistorischer Ereignisse die veränderlichen Geschlechterverhältnisse in Jordanien nach und bettet diese so in einen geopolitischen Zusammenhang ein. Insbesondere soll aufgezeigt werden, welche Potenziale und Möglichkeiten es im Laufe der Geschichte gab, vorherrschende vergeschlechtlichte Machtstrukturen und Normen zu unterwandern, und welche Rolle der Aktivismus von Frauen dabei einnimmt. Um gegenwärtige Konfliktlinien in den Auseinandersetzungen um Frauenemanzipation und Geschlechterverhältnisse in Jordanien einordnen zu können, ist es wichtig, die historische Genese von Widersprüchen innerhalb und zwischen unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen und politischen Organisationen wahrzunehmen.
Bereits vor der formalen Unabhängigkeit der (post-)kolonialen Staaten Syrien, Libanon, Ägypten und Jordanien nahmen Frauen durch die Arbeit in Wohlfahrtsorganisationen oder durch unbezahlte soziale Arbeit öffentlichen Raum ein. Diese Gruppen verfolgten zunächst keine politischen Ziele im Sinne nationaler Unabhängigkeiten oder der legalen Gleichberechtigung von Frauen und waren eher auf urbane Oberschichten begrenzt. Die Historikerin Nina Salouâ Studer[4]argumentiert allerdings, dass diese Gruppen zentral waren für spätere feministische Zusammenschlüsse, die sich für Frauenrechte einsetzten und Teil regionaler Frauenbewegungen wurden, weil solche Zusammenschlüsse oft von Frauen gebildet wurden, die bereits in diesen sozialen Projekten zusammengearbeitet hatten. Frauen der Mittelklasse waren vor der Gründung solcher Vereinigungen tatsächlich überwiegend auf die Familie beschränkt, im Gegensatz zu Frauen anderer Klassen, die stets in der Öffentlichkeit arbeiteten oder arbeiten mussten. Diese Frauen aus ärmeren Schichten und in ländlichen Gebieten waren schon immer Teil der Arbeiter*innenschaft und somit auch sichtbarer Teil des gesellschaftlichen Lebens. Brotunruhen in der spätosmanischen und euro-kolonialen Zeit wurden häufig von Frauen initiiert und fanden unter großer Beteiligung von Frauen statt.[5] Auch die polit-ökonomischen Proteste und Unruhen vergangener Jahre sind ohne die Beteiligung von Frauen, insbesondere aus der landwirtschaftlichen und der Arbeiter*innenklasse, nicht denkbar.
Mit der formalen Unabhängigkeit Jordaniens wurde die Bildung von Frauen seit den 1940er Jahren als Teil der Politik des nationalen Projektes gefördert und sollte die Modernität der neuen Staaten unterstreichen. Gleichzeitig wurde «weibliche Respektabilität», also als traditionell angesehene Normen, wichtiger und die Kontrolle weiblicher Körper und Performativität in der Öffentlichkeit reglementiert. Es waren vor allem Frauen der Elite und Mittelklasse, die in als unpolitisch geltenden sozialen und philanthropischen Projekten nun ebenfalls in der Öffentlichkeit tätig und sichtbarer wurden, die von der nationalen Bildungspolitik profitierten.
Nach der palästinensischen Nakbah von 1948 war ein Anstieg politischer Aktivitäten in Jordanien zu verzeichnen. Die Entwicklungen in Palästina politisierten die Bevölkerung, zudem kamen zahlreiche Organisationen der palästinensischen Gebiete unter jordanische Kontrolle, als Jordanien 1950 die West Bank annektierte. In den nun entstehenden jordanischen kommunistischen, nationalen, islamischen und pan-arabischen oder radikal-demokratischen Gruppen waren zunehmend auch Frauen aktiv, insbesondere in den aus Jordanien tätigen palästinensischen Gruppierungen. Ohne dass sie explizit für Themen einstanden, die als «Frauenthemen» galten und gelten, ermöglichte dieser Aktivismus, vorherrschende Geschlechterrollen, wie etwa die Vorstellung weiblicher Häuslichkeit, bewusst oder unbewusst, zu unterwandern. Neben den bereits bestehenden Wohlfahrtseinrichtungen oder Frauenverbänden innerhalb von Parteien entstanden auch unabhängige politische Frauengruppen, häufig angeführt von denjenigen Frauen, die im Zuge staatlicher Bildungspolitik studiert hatten. Unter der Lenkung von Jordaniens erster Anwältin, Emily Bisharat, wurde 1945, manchen Zeitzeuginnen zufolge 1954, die Jordanian Women’s Union gegründet. Die Union hat ihren Hauptsitz bis heute in Jabal Al-Hussein, ursprünglich in unmittelbarer Nähe der Treffpunkte verschiedener linker und nationaler Parteien, die inzwischen mehrheitlich geschlossen oder verboten sind. Die Jordanian Women‘s Union setzte sich für die Einführung des Frauenwahlrechts ein und leitete seit den 1950er Jahren eine nationale Kampagne dazu an. Das allgemeine Wahlrecht für Frauen wurde 1974 (für «gebildete» Frauen bereits 1955) eingeführt, allerdings fanden in Jordanien zwischen 1956 und 1989 keine Wahlen statt. Mit dem Verbot von politischen Parteien und Gewerkschaften 1957 wurde auch die Jordanian Women’s Union verboten. In den 1970er und 1980er Jahren wurde die Union mehrfach zugelassen und wieder verboten, um erst mit der Liberalisierung seit den 1990er Jahren die Arbeit wieder ununterbrochen aufnehmen zu können. Damit wird deutlich, dass die Jordanian Women’s Union für weitreichendere Forderungen stand als reine Wohlfahrtsprojekte, die das jordanische Regime nicht grundsätzlich in Frage stellen.
Die Niederlage im Krieg von 1967 zwischen Israel, Jordanien, Syrien und Ägypten schwächte das jordanische Regime und führte schließlich zu bürgerkriegsähnlichen Kämpfen zwischen dem jordanischen Militär und der PLO (Palestinian Liberation Organization) in Jordanien in den Jahren 1970-71, an deren Ende die palästinensischen Einheiten, Parteien und Widerstandsgruppen des Landes verwiesen wurden. Im Nachgang des Schwarzen September wurde massiv gegen progressive und liberale Gendernormen vorgegangen, die mit linken und palästinensischen Gruppierungen verbunden wurden. Die jordanische Regierung ging gegen politischen Dissens vor, hunderte Personen wurden verhaftet oder exiliert. Verstärkte soziale Kontrollen erschwerten zunehmend auch die politische Beteiligung von Frauen. Aktivismus für die Rechte von Frauen wurde in der Folge entpolitisiert, wieder in den Bereich von Wohlfahrt gerückt und von radikaleren politischen Forderungen abgetrennt. Dies kann als ein Versuch der Rückkehr zur Politik konservativer Modernität der 1920er Jahre interpretiert werden, verstärkt im Zuge neoliberaler wirtschaftlicher Entwicklungen seit den späten 1980er Jahren. Soziale Aufgaben des Staates wurden im Zuge westlich unterstützter Wirtschaftsliberalisierungen ausgehöhlt und zunehmend auf NGOs ausgelagert. In diesem Kontext ist insbesondere seit dem Ende des Kalten Krieges auch eine NGOisierung von Frauenpolitik zu verzeichnen, das heißt, die Anzahl von NGOs stieg stark an und Forderungen wurden vom Politischen hin zu sozialen Fragen verschoben. Diese Form der Sichtbarkeit von Frauen in der Öffentlichkeit knüpft an die Frauenarbeit der 1920er Jahre an, ist Teil des staatlichen Projektes – state feminism – und heute vor allem in regierungsnahen Quasi-NGOs sichtbar. Es ist häufig diese Art von Projekten, die von internationalen Stiftungen und ausländischen Regierungen gefördert wird. Kann eine solche Arbeit feministisch sein, machtkritisch, radikal? Wie viel Feminismus und Reformpotential passt in staatlich geförderte oder tolerierte Frauenpolitik, wenn dieser Staat weder demokratisch ist noch Frauen juristisch oder sozial die gleichen Rechte wie Männern zugesteht? Wie weit können Forderungen gehen, die in einer Binärität der Geschlechter verhaftet bleiben? Bestimmte Forderungen gelten als politisch und damit gefährlich, etwa dass Frauen ihre Staatsbürgerschaft an ihre Kinder weitergeben können, und bleiben somit weithin ein tabuisiertes Thema, welches die Aktivistinnen potentiell in eine Reihe mit Staatsfeinden stellt. Gleichzeitig ist in Jordanien wie anderswo eine Kommerzialisierung oder NGOisierung feministischer Themen zu verzeichnen, diese erhalten somit finanzielle Unterstützung, geben dadurch aber auch teils radikalere Forderungen nach Veränderung auf. Radikalere feministische Forderungen stehen hier in einem Spannungsverhältnis mit staatlicher Frauenförderung und der Arbeit von Nichtregierungsorganisationen. In diesem Spannungsverhältnis navigieren Akteurinnen und Aktivistinnen durch die Widersprüche von Aneignung und Widerstand.
[1] Al-Tal, Suheir Salti (2014): Tarikh Al-Harakah Al-Nisaiya Al-Urdoniyya. Munz Aam 1944 hatta Aam 2008. Geschichte der jordanischen Frauenbewegung zwischen den Jahren 1944 und 2008. Eine Studie.
[2] Siehe auch: Pratt, Nicola (2020): Embodying Geopolitics. Generations of Women’s Activism in Egypt, Jordan, Lebanon. University of California Press.
[3] Husseini, Rana (2021) Years of Struggle. The Women’s Movement in Jordan, Friedrich Ebert Stiftung Ammman.
[4] Studer, Nina Salouâ: Petitions, Demonstrations and Unrest: The French Reaction to Protesting Women in Mandate Syria and Lebanon (Arbeitstitel), Habilitationsprojekt.
[5] Thomson, Elisabeth (2000) Colonial Citizens: Republican Rights, Paternal Privilege, and Gender in French Syria and Lebanon. Columbia University Press.