Nachricht | Cono Sur - Andenregion - Gesellschaftliche Alternativen Chiles Weg zu einer neuen Verfassung

Die Hoffnung auf eine solidarischere Gesellschaftsordnung

Kampf für ein plurinationales Chile, Symbole der Mapuche. Bild: Ute Löhning

Von Leonel Yañez und Ute Löhning

Es war ein historischer Moment: am 4. Juli 2021 wählten die Mitglieder des chilenischen Verfassungskonvents die indigene Mapuche-Vertreterin Elisa Loncón Antileo zu ihrer Präsidentin. «Ich grüße alle Brüder und Schwestern, alle Menschen im Norden Chiles oder in Patagonien, vom Ozean bis zu den Anden und auch auf den Inseln», sagte die 58-jährige Linguistin und Aktivistin nach der ersten Sitzung dieses Gremiums, das seither von ihr geleitet wird und das bis zu einem Jahr Zeit hat, eine neue Verfassung für Chile zu schreiben.

Es ist möglich, Chile neu zu gründen

In einer bewegenden Rede richtete sich die neu gewählte Präsidentin des Verfassungskonvents auf Spanisch und auf Mapudungún, der Sprache der Mapuche, an alle Menschen in Chile und bedankte sich für das ihr entgegengebrachte Vertrauen. «Dieser Traum ist der Traum unserer Vorfahren. Dieser Traum wird jetzt Wirklichkeit», erklärte sie und hielt dabei die Fahne der Mapuche in der Hand, die sie selbst in den 1990er Jahren mit entworfen hat. Mit diesem Traum meint sie die Neugründung Chiles: «Der Verfassungskonvent, dem ich nun vorstehe, wird Chile zu einem plurinationalen, interkulturellen Chile machen, in dem die Rechte der Frauen und der Sorgearbeitenden geachtet, und in dem die Mutter Erde und das Wasser geschützt werden», kündigte sie an. Währenddessen demonstrierten etwa 40.000 Menschen auf den Straßen der Hauptstadt Santiagos. María Gaete Peñín war dabei. Sie ist selbst Mapuche und nach der Wahl Elisa Loncóns sehr bewegt: «Natürlich bin ich bin stolz» sagt sie. Elisa Loncón werde das gut machen. «Sie vertritt ja nicht nur die Mapuche, sondern auch andere indigene Gemeinschaften Chiles wie die Aymara, die Rapanui oder die Yagan», ergänzt María Gaete Peñín.

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Chile auf dem Weg zu einer neuen Verfassung

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Chile ist auf dem Weg zu einer neuen Verfassung – und damit zu einer solidarischeren Gesellschaftsordnung. Das Erbe der Pinochet-Diktatur soll abgeschüttelt und dem neoliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell ein Ende gesetzt werden. Breite und langanhaltende Proteste seit Oktober 2019 und die überwältigende Zustimmung der Bevölkerung bei einem Referendum am 25. Oktober 2020 haben den Weg dahin frei gemacht. Bei der Wahl des Verfassungskonvents, der die neue Verfassung schreiben wird, gewannen linke und parteiunabhängige Vertreter*innen im Mai 2021 die Mehrheit der Sitze. Tiefgreifende Veränderungen sind so in den Bereich des Möglichen gerückt. Inzwischen hat der Verfassungskonvent seine Arbeit aufgenommen.

Eine Podcast-Produktion von Leonel Yañez Uribe und Ute Löhning

Es geht in Chile darum, das Erbe der Pinochet-Diktatur abzuschütteln und dem neoliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell ein Ende zu setzen. Den Weg dahin freigemacht haben breite und langanhaltende Proteste seit Oktober 2019 und die überwältigende Zustimmung der Bevölkerung bei einem Referendum am 25. Oktober 2020. Bei der Wahl des Verfassungskonvents, der die neue Verfassung schreiben wird, gewannen linke und parteiunabhängige Vertreter*innen im Mai 2021 die Mehrheit der Sitze. Weitreichende Veränderungen sind so in den Bereich des Möglichen gerückt. Inzwischen hat der Verfassungskonvent seine Arbeit aufgenommen.

Das kollektive Gedächtnis

In Chile geht es in den aktuellen Debatten um die Umgestaltung der Gesellschaft nach solidarischen Kriterien. Für viele Chilen*innen mag die bewegende Antrittsrede Elisa Loncóns auch an die letzten Worte des sozialistischen Präsidenten Salvador Allende anknüpfen: jene Rede vom 11. September 1973, die sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt hat: «Seid gewiss, dass sich die Menschen eher früher als später wieder frei auf den großen Straßen versammeln werden, um eine bessere Gesellschaft aufzubauen», waren die letzten Worte Allendes am Tag des Putsches. Während diese noch im Radio ausgestrahlt wurden, bombardierten Militärs bereits den Regierungspalast. Sie setzten damit auch dem drei Jahre währenden Projekt des linken Bündnisses der Unidad Popular ein brutales Ende. Es folgten 17 Jahre Diktatur unter General Augusto Pinochet. Chile wurde zum Experimentierfeld neoliberaler Wirtschaftstheorien und weitgehender Privatisierungen.

In diesem Geist wurde 1980 auch die bis heute gültige Verfassung geschrieben, in der das Privateigentum mehr zählt als die Menschenrechte. Seit 1990 und dem sogenannten «Übergang zur Demokratie» wechselten sich rechte Regierungen mit Mitte-Links-Bündnissen ab. Aber keine dieser Regierungskonstellationen stellte das neoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell infrage. Stattdessen trieben sie die Privatisierung von Wasser und anderen natürlichen Ressourcen sowie der allgemeinen Daseinsvorsorge sogar weiter voran: so z.B. im Bereich der Autobahnen, der Strom-, Gas- und Wasserversorgung und auch des Bildungssystems.

Chile despertó – Chile ist aufgewacht

Desillusioniert von den politischen Parteien, gingen Millionen von Menschen seit Oktober 2019 mit der Parole „Chile despertó», auf Deutsch „Chile ist aufgewacht», auf die Straße und mit dem gleichnamigen Hashtag auch ins Netz. Am Anfang standen Proteste von Schüler*innen gegen eine Fahrpreiserhöhung in der U-Bahn in der Hauptstadt Santiago, doch schnell solidarisierten sich andere Bewegungen. Soziale Forderungen nach fairen Renten und Löhnen, nach Bildung, Gesundheit und Wohnraum für alle bestimmten das Bild der Proteste ebenso wie Fahnen der indigenen Mapuche und feministische Parolen und Performances, wie die der Gruppe Las Tesis, die weltweit bekannt wurde und zum Nachahmen animiert hat. Die Parole „No son 30 pesos, son 30 años» (auf Deutsch: Es ist nicht wegen 30 Pesos, sondern wegen 30 Jahren) brachte es auf den Punkt, dass die Kritik sich nicht nur gegen die Fahrpreiserhöhung von 30 chilenischen Pesos (umgerechnet weniger als 4 Euro-Cent) richtete, sondern gegen die Politik der Regierungen der letzten 30 Jahre, also seit dem Übergang zur Demokratie.

Eine Gesellschaft in Bewegung

Der Traum von einem «Leben in Würde» versetzte große Teile der chilenischen Gesellschaft in eine kollektive Bewegung. «Dass in den ersten Tagen der Proteste Millionen von Menschen auf die Straße gingen, gab uns ein Gefühl von Stärke», erinnert sich die Sprecherin der feministischen Dachorganisation Coordinadora 8M, Karina Nohales. Das habe sehr viel bedeutet, denn in diesem Moment hätten sie alle das Gleiche empfunden, sagt die Feministin und betont: «Später sahen wir, dass wir mit dieser Stärke auch in die Wahlen zum Verfassungskonvent gehen konnten, ohne uns den Parteien unterzuordnen, die Träger des neoliberalen Systems waren». Denn bereits im November 2019, während die Polizei brutal gegen die Straßenproteste vorging, vereinbarten Abgeordnete fast aller im Parlament vertretenen Parteien ein «Abkommen für den Frieden und eine neue Verfassung». Dieses zeichnete einen institutionalisierten Weg vor, der die aus der Diktatur stammende Verfassung durch eine neu zu schreibende ersetzen sollte. Es war ein Zugeständnis an die Protestbewegung und verschaffte Präsident Sebastián Piñera Luft. Dessen Zustimmungswerte fielen zwischenzeitlich auf sechs Prozent, dennoch konnte er sich weiter an der Regierung halten.

Verfassungskonvent versus verfassungsgebende Versammlung

Kritik kam aus weiten Teilen der Bewegung. Die hatte Piñeras Rücktritt und eine verfassungsgebende Versammlung als einen basisdemokratischen Prozess gefordert. Dabei sollte die Bevölkerung über Nachbarschaftsversammlungen, die sogenannten cabildos oder asambleas, direkt in die Diskussion einbezogen werden. Die Sorge war groß, dass in dem institutionalisierten Prozess nur die politischen Parteien bestehen könnten und die Unabhängigen verlieren würden.

Das Ende der Glaubwürdigkeit des neoliberalen Modells

Doch schon das überwältigende Ergebnis des Referendums vom 25. Oktober 2020 ging weit über die Erwartungen und Prognosen hinaus. Über 78 Prozent stimmten dabei für den Weg zu einer neuen Verfassung und machten damit klar, dass das neoliberale Modell jede Glaubwürdigkeit verloren hat. Ebenso viele Menschen stimmten dafür, dass der Konvent, der die neue Verfassung schreiben wird, nur mit extra dafür gewählten Personen besetzt würde. Parlamentsabgeordnete sollten außen vor bleiben: eine klare Absage an die Politik der Parteien in den vergangenen Jahren.

Kein Vetorecht für die Rechte

Die Journalistin Sophia Boddenberg lebt in Chile und beobachtet die Entwicklung seit Jahren. In den Ergebnissen der Wahl zum Verfassungskonvent am 15. und 16. Mai sieht sie eine «deutliche Verschiebung der politischen Mehrheiten nach links». Eines der wichtigsten Ergebnisse der Wahl sei, dass die rechte Wahlliste Vamos Por Chile weniger als ein Drittel der Sitze erhalten habe. Damit hatten sie «von Anfang an geplant und gehofft, um anschließend im Verfassungskonvent tiefgreifende Veränderungen blockieren zu können, weil alle Aspekte der neuen Verfassung mit einer Zwei-Drittel Mehrheit befürwortet werden müssen». Die rechte Liste erreichte nur 37 von 155 Sitzen. Selbst falls einzelne Vertreter*innen anderer Listen mit ihnen kooperieren sollten, bleiben sie somit weit entfernt von dem benötigten Drittel der Sitze für ein Veto-Recht bei Abstimmungen.

Starke Repräsentanz sozialer Bewegungen

Die in der Mitte bzw. links verorteten Parteien hatten sich auf zwei Wahllisten verteilt, die 25 bzw. 28 Sitze erzielten. 48 Sitze gingen an «unabhängige», also parteilose Kandidat*innen, die auf eigenen Listen wie der Lista del Pueblo antraten. Sophia Boddenberg betont, dass «nicht irgendwelche parteiunabhängige Kandidaten und Kandidatinnen» gewählt wurden, «sondern Vertreter und Vertreterinnen sozialer Bewegungen, unter anderem der feministischen Bewegung oder verschiedener Umweltbewegungen in verschiedenen Teilen Chiles». 17 Sitze des Konvents waren für Vertreter*innen indigener Gemeinschaften reserviert, die auf separaten Listen zur Wahl antraten. Auch die meisten dieser Plätze gingen an Aktivist*innen, die sich schon seit Jahren für die Rechte von Indigenen einsetzen.

«Der Sieg der sozialen Bewegungen und der parteiunabhängigen Kandidaten und Kandidatinnen und der linken Parteien ist sehr bemerkenswert», erklärt Sophia Boddenberg weiter, «weil die Wahlausgangsbedingungen extrem ungleich waren. Zum Beispiel in der offiziellen Fernsehwahlwerbung hatten parteiunabhängige Kandidat*innen und indigene Völker nur eine Sekunde Zeit für ihren Wahlwerbespot im Vergleich zu mehreren Minuten von den traditionellen Parteien». Auch die finanzielle Ausgangslage – sowohl von der staatlichen Finanzierung als auch von den Wahlspenden – sei extrem ungleich gewesen, beschreibt die Journalistin.

Männliche Kandidaten profitieren von Geschlechterparität

Bemerkenswert ist auch, dass sich die weltweit zum ersten Mal vereinbarte Geschlechterparität im Verfassungskonvent schließlich zugunsten der männlichen Kandidaten auswirkte. Damit gleich viele Männer wie Frauen einen Platz im Konvent erhielten, rückten insgesamt – über alle Wahlbezirke verteilt – elf Männer trotz niedrigerer Wahlergebnisse vor, im Gegensatz zu lediglich fünf Frauen. Elisa Gustinianovich ist gewählte Vertreterin im Verfassungskonvent. Die Öko-Feministin erwartet, dass es möglich sein wird, wichtige Forderungen in der Arbeit des Verfassungskonvents durchzusetzen: «Es geht um die Sicherung der grundlegenden sozialen Rechte, die in unserem Land bis heute nicht garantiert sind», sagt sie. Die neue Verfassung solle aber auch «die gesellschaftliche Diversität abbilden: ethnisch und kulturell. Verschiedene Erfahrungen und Kämpfe treffen ja auch im Verfassungskonvent aufeinander». Jedenfalls – ergänzt Elisa Gustinianovich – sei sie sehr gespannt darauf, diese Fragen im Verfassungskonvent gemeinsam anzugehen.

Transformation zu einem solidarischen Staat

Alondra Carrillo ist Sprecherin der feministischen Dachorganisation Coordinadora 8M und eine der jüngsten Vertreterinnen im Verfassungskonvent. In ihrer Organisation und den asambleas, den Versammlungen in ihrem Wahlbezirk, wurde erst diskutiert und dann gemeinsam entschieden, dass sie sich an dem verfassungsgebenden Prozess beteiligen wollten: «Wir erwarten, hier mehr als nur einen Text zu schreiben. Wir wollen darüber hinaus eine breite politische Debatte anstoßen, die seit dem Ende der Diktatur immer noch aussteht,» sagt Alondra Carrillo und erklärt: «Es geht um echte Demokratisierung und um eine soziale Alternative. Wir wollen eine Transformation von einem subsidiären Staat, der die neoliberale Ordnung stützt, zu einem solidarischen Staat, der Rechte garantiert, der plurinational, demokratisch und von einer feministischen Perspektive geprägt ist».

Der in der Verfassung von 1980 verankerte subsidiäre Staat steht für ein Gesellschaftsmodell, in dem der Markt alles regelt und der Staat nur eingreift, wenn der Markt versagt. Zwar garantiert die Verfassung das Recht auf scheinbar freie Wahl zwischen privaten und öffentlichen Anbietern, aber nicht den Zugang dazu. So stehen schlecht finanzierte öffentliche Schulen und überlastete kommunale Krankenhäuser den gut ausgestatteten, aber sehr teuren privaten Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen gegenüber. Die jedoch können viele sich nicht leisten, denn über die Hälfte der Menschen in Chile haben trotz hoher Lebenshaltungskosten ein Monatseinkommen von weniger als 500 Euro oder arbeiten im informellen Sektor ohne jegliche Renten- oder Krankheitsversorgung.

Die Journalistin Sophia Boddenberg sieht eine Mehrheit für grundlegende Veränderungen in der neuen Verfassung. Dabei geht es um die «Verankerung der sozialen Rechte in der Verfassung, wie Bildung, Gesundheit, also ein öffentliches und funktionierendes, und staatlich finanziertes Bildungs- und Gesundheitssystem». Große Rollen spielen auch die Konstituierung Chiles als plurinationaler Staat in Anerkennung der verschiedenen indigenen Völker und ein Ende der Kommerzialisierung und Privatisierung des Wassers, also eine öffentliche Trinkwasserversorgung.

Wirtschaftliche Interessen und internationale Abkommen

Doch je stärker wirtschaftliche Interessen privater Unternehmen berührt würden, desto schwieriger seien Änderungen an der Verfassung. Außerdem hänge eine Abkehr vom Neoliberalismus auch von den internationalen Wirtschaftsbeziehungen ab. Denn Chile sei eines der Länder der Welt, das die meisten Freihandelsabkommen unterschrieben hat, ergänzt die Journalistin. Sie verweist dabei auch auf Chiles Assoziierungsabkommen mit der EU, das 2003 unterschrieben wurde und das gerade neu aufgelegt wird: «Zu diesen Aktualisierungen gehört ein neues Kapitel über Rohstoffe, das der EU den Zugang zu den chilenischen Rohstoffen erleichtern soll. Außerdem gehört ein Kapitel über Energie dazu und ein Artikel über Investitionsschutz und Mechanismen zur Streitbeilegung», erklärt sie und bemerkt: «Natürlich könnte so ein Abkommen den Prozess beeinträchtigen». Denn als Voraussetzung des verfassungsgebenden Prozesses wurde definiert, dass internationale Verträge einzuhalten sind. Und die wirtschaftliche Abhängigkeit ist groß. Die chilenische Wirtschaft basiert neben dem Dienstleistungssektor hauptsächlich auf dem Export von Agrargütern und Rohstoffen wie Kupfer oder Lithium.

Autoritäre Regierung bremst Gestaltung einer neuen Verfassung

Alondra Carrillo sieht darüber hinaus von Anfang an ein grundsätzliches Problem, einen «Konflikt, der sich durch den gesamten Verfassungsprozess ziehen wird: Die sozialen Bewegungen sind stark geworden und gestalten die Gesellschaft und die Verfassung neu», erklärt die Feministin. Die autoritäre Regierung sei jedoch weiterhin an der Macht und müsse nun den verfassungsgebenden Prozess formell organisieren, den sie eigentlich ablehne. «Man könnte sagen: Das Alte ist noch nicht gestorben und das Neue ist noch nicht geboren», so Carrillo, «und solange das so ist, wird dieser grundsätzliche politische Konflikt zu Spannungen führen». Ein Ausdruck dieser Spannung und dieses Interessenkonflikts ist auch das brutale Vorgehen der Carabineros, der militarisierten Polizei Chiles, gegen die Straßenproteste. Dadurch gab es seit Oktober 2019 über 30 Tote. Über 460 Menschen erlitten Augenverletzungen durch Schrot- oder Gummimetallkugeln, die gezielt in Kopfhöhe abgeschossen wurden. Viele verloren ein Auge, einige sogar beide. Es kam zu Tausenden Festnahmen und zahlreichen Berichten von Folter und Vergewaltigung in Haft. Hunderte Personen sitzen – teils seit 2019 – noch immer im Gefängnis.

Noch bis 30. August 2021 werden hier Spenden gesammelt für Personen, die im Rahmen der Proteste aufgrund von Polizeigewalt ihre Augen verloren haben.

Als erste öffentliche Aktion nach der Einrichtung des Verfassungskonvents unterschrieben mehr als hundert seiner Mitglieder eine Erklärung für die Freilassung der politischen Gefangenen der Revolte von 2019: Ein Ausdruck der Verbundenheit mit den Protesten seit Oktober 2019, die den verfassungsgebenden Prozess erst ermöglichten. Die von der Bevölkerung gewählten Repräsentant*innen aus dem politischen, sozialen und kulturellen Leben haben nun die Chance, Chile neu zu gestalten. Inwieweit sie die Bewegung und die Debatten außerhalb des Verfassungskonvents dabei einbeziehen, wird entscheidend sein für den Erfolg dieses gesellschaftlichen Projekts. Ändern könnten sich die Bedingungen mit der Präsidentschaftswahl im November. Die Zeit des amtierenden Präsidenten Piñera geht zu Ende. Und möglicherweise bekommt Chile dann eine linke Regierung, die mit der Mehrheit im Verfassungskonvent an einem Strang zieht, um das Erbe der Diktatur wirklich abzuschütteln.