Nachricht | Kapitalismusanalyse - Wirtschafts- / Sozialpolitik - Libanon / Syrien / Irak - Gesundheit und Pflege - Westasien im Fokus Eine Krise jagt die nächste

Libanon: akuter Mangel an pharmazeutischen Produkten

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Autorin

Ulla Taha,

Apotheker in Apotheke in Beirut
Auch «Standardmedikamente» sind oftmals nicht verfügbar: Apotheke in Beirut. Foto: Ulla Taha

Als ich vergangenen Monat mit Magenbeschwerden einen Beiruter Arzt aufsuchte, schrieb mir dieser einige Medikamente auf und wies mich darauf hin, dass ich diese mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in den Apotheken finden werde und auf alternative Hersteller bzw. Substitute ausweichen soll; sofern überhaupt vorhanden. Eine kurze Übersicht über den libanesischen Markt: Die Produktion von pharmazeutischen Produkten ist so teuer, dass nur fünf Prozent davon im Libanon selber hergestellt werden. 95 Prozent der gesamten auf dem libanesischen Markt verkauften pharmazeutischen Produkte werden primär aus Frankreich, Deutschland, der Schweiz oder den USA importiert. Wie viele wichtige Waren werden im Libanon auch Medikamente vom Staat subventioniert.

Ulla Taha ist Libanesin aus dem Süden des Landes. Sie lebt und arbeitet in Hamburg und studiert im Masterstudiengang Staatswissenschaften – Public Economics, Law and Politics in Lüneburg. Sie ist aktiv in der feministischen Mädchenarbeit und ist Mitglied der Rosa-Luxemburg-Stiftung Hamburg.

Spürbarer Mangel

Viele Apotheken haben bereits geschlossen, denn ihre Regale sind leer. Vor allem gängige Medikamente zur Behandlung von chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck und psychischen Krankheiten aber auch Schmerzmittel fehlen. Apotheken sehen sich auch aufgrund einer Anordnung des libanesischen Gesundheitsministeriums gezwungen, Engpässe so lang wie möglich durch Beschränkungen der Abgabemengen hinauszuzögern. Medikamente werden also teilweise zurückgehalten oder in einzelnen Blistern verkauft. 

Wie konnte es dazu kommen?

Medikamente werden von Importeuren in Dollar gekauft. Die libanesische Zentralbank konnte diese zu dem festen Wechselkurs von 1.500 libanesische Pfund (LBP) = ein Dollar kaufen, doch die Reserven der Zentralbank schwinden durch die Finanzkrise allmählich. Somit ist die Zentralbank kaum noch in der Lage, diese Rechnungen zu begleichen und kündigte an, die Subventionen zum Ende des vergangenen Jahres einzustellen. Damit befinden sich die bestellten Medikamente im Land, können jedoch von den Importeuren nicht an die Apotheken ausgeliefert werden, da sie auf die Zuschüsse seitens des Staates warten. Diese Nachricht von Ende Mai dieses Jahres hat bei den Libanes*innen zu Demonstrationen aber auch Vorratskäufen geführt – aus Angst vor Lieferengpässen und Preissteigerungen. Denn die Preise der Medikamente, die noch vorrätig sind, sind ohnehin exorbitant gestiegen. Dies hängt mit der Geldentwertung in Höhe von 90 Prozent zusammen, denn die Preise sind an den Wechselkurs des Schwarzmarktes angeglichen und verfünffachen sich damit. Eine Packung Panadol (gängiges Schmerzmittel im Libanon) kostet fünf Dollar; dies entsprach vorher 7.500 LBP und jetzt über 100.000 LBP. Daher sind Libanes*innen zunehmend auf die Hilfe von Angehörigen im Ausland angewiesen und bitten diese um die Zusendung von Medikamenten. Wie so oft füllt die libanesische Diaspora Lücken, die der Staat bei der Versorgung seiner Bevölkerung hinterlässt.

Weitere negativen Auswirkungen

Nicht alle Importeure halten aus guten Absichten die Medikamente zurück. Viele von ihnen wittern dahinter die Chance, die Medikamente nach Ablauf der Subventionierung zu einem deutlich höheren Preis zu verkaufen und daraus Gewinne zu generieren. Die Knappheit wurde demnach zu einem gewissen Teil bewusst herbeigeführt; geleitet von kapitalistischen Profitinteressen. Darüber hinaus kommt es von Seiten der Importeure auch zur Hortung von subventionierten Medikamenten, die dann über den Schwarzmarkt für viel Geld verkauft oder über den Luftweg in andere Länder geschmuggelt werden, wo sie für das Dreifache verkauft werden. Die Medikamentenknappheit ist damit zu einem lukrativen Geschäft geworden. So wurden beispielsweise Medikamente gegen Bluthochdruck aus dem Libanon im Kongo und in Ägypten gefunden. Subventionierte Medikamente wurde aber auch in anderen afrikanischen Staaten sowie in Staaten des Mittleren Ostens aufgefunden. Die Frage ist, wie diese in großen Mengen das Land über den Flughafen verlassen konnten, werden sie hier doch dringend benötigt.

Die Notsituation zwingt die Apotheken zur alternativen Beschaffung von Medikamenten, was zunehmend über illegale Importwege abgewickelt wird. So gibt es mittlerweile Apotheken, bei denen Bestellungen für Medikamente aufgegeben werden können, die dann aus dem Nachbarland Syrien besorgt werden. Es finden sich auch zunehmend Gruppen als Tauschbörse in sozialen Netzwerken wie Facebook, in denen die Libanes*innen nach Medikamenten suchen und so die Beschaffung privat organisieren. Teilweise fahren sie dafür quer durch das ganze Land, viele geben nicht benötigte Medikamente kostenlos ab. Große Teile der Bevölkerung bleiben solidarisch und werden gezwungen, alternative Strukturen zum nach kapitalistischen Prinzipien organisierten staatlichen Gesundheitssystem aufzubauen, um das eigene Überleben zu sichern.