Nachricht | Iran Krieg ums Wasser

Die Klimakrise im Iran spitzt sich zu

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Hamid Mohseni,

Der Karun-3-Staudamm in der iranischen Provinz Khuzestan: Der von der Regierung betriebene Bau von Staudämmen ist mitverantwortlich für die Wasserknappheit in der Region. Bildrechte: Ahura21, via Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0 CC BY-SA 3.0, Ahura21 via wikimedia

Die aktuellen, systemkritischen Proteste im Iran gegen den Wassermangel sind nur die Vorboten von vielen weiteren Aufständen gegen existentielle Krisen, die kommen werden. Die Islamische Republik Iran (IRI) trägt nicht nur Mitverantwortung für diese Zustände, sondern macht auf Kosten von Klima und Menschenleben damit Geschäfte.

Ein Mann füllt sich eine braune Flüssigkeit aus dem Wasserhahn in ein Glas und sagt: «Dies ist unser Trinkwasser. Soll ich dieses Wasser etwa meinen Kindern geben? Wir sollen Unruhestifter und Randalierer sein, nur weil wir für unser Grundrecht auf Wasser einstehen?»

Die Szene stammt aus einem Video aus Ahvaz, der Hauptstadt der Region Khuzestan im Westen Irans und an der Grenze zum Irak. Hier entstand im Juli eine sich schnell radikalisierende Protestwelle gegen Wasserknappheit. Insbesondere die von der Landwirtschaft lebenden schiitischen Araber*innen im Süden der Provinz beklagen, dass ihre Felder austrocknen, ihr Vieh verdurstet und sie für halbwegs sauberes Trinkwasser Kilometer weit gehen müssen. Die IRI reagierte wie immer: Sie verurteilte die Demonstrant*innen als Verbrecher*innen und Provokateur*innen, ging mit aller Härte gegen sie vor und tötete bereits mehrere von ihnen.

Hamid Mohseni ist im Iran geboren und in Deutschland aufgewachsen.
Er studierte Germanistik und Philosophie und ist freier Autor. Seit 2009 verfolgt er die Entwicklungen im Iran und beteiligt sich an linken Solidaritätsinitiativen, die die demokratischen und sozialen Proteste im Iran kritisch begleiten.

Lokale Regierungsbeamte ringen derweil um andere Antworten: Die Zustände seien bedauerlich, aber der weltweite Klimawandel treffe auch den Iran, Dürren und Regenknappheit seien saisonale Normalität. Das World Resources Institute wies in der 2015 publizierten Studie «World‘s Most Water-Stressed Countries in 2040» nach, dass Westasien ein globales Epizentrum für zukünftige Wasserknappheit werden würde – der Iran belegt weltweit Platz 13. Diese Probleme sind allerdings keine Botschaften «höherer Mächte», sondern das Ergebnis einer katastrophalen, inkompetenten und korrupten Politik – im Iran «das Business der Wasser-Mafia» genannt.

Wasserraub mit System

Es ist kein Zufall, dass der aktuelle Protestzyklus gegen Wasserknappheit ausgerechnet in Khuzestan ausbricht. Die Region ist im südlichen Teil reich an Erdöl und -gas – Irans mit Abstand wichtigste Einnahmequelle. Rund um die Millionenstadt Ahvaz prägen Förderanlagen das Stadtbild, es wurde in hochspezialisierte Technologien investiert, in der Küstenstadt Mahschahr wird die Ware verschifft. Im nördlichen Teil fließt der Fluss Karun, von dessen Armen der südliche Teil Khuzestans existentiell abhängig ist. Doch diese trocknen zunehmend aus, da im Karun mehrere Staudämme angelegt worden sind – der 2009 fertiggestellte Gotvand-Staudamm ist der höchste und zweitgrößte im Land. Seitdem fließt der Fluss nicht mehr bis in den Süden der Region. Auch die anderen großen Flüsse werden entweder durch Talsperren im Norden der Region gehalten oder durch Tunnelsystem bis weit ins Landesinnere umgeleitet.

Dieser Wasserraub hat System. Hauptverantwortlich für die aus dem Boden sprießenden Talsperren ist «Sepahsad» (Dämme der Garden), ein Unternehmen des Ingenieursbüros der Revolutionsgarden, also des politisch-militärisch-industriellen Komplexes der IRI. Dieses wuchs insbesondere unter dem als «Reformer» geltenden ehemaligen Präsidenten Rafsanjani (1989-1997) zu einem der mächtigsten und einflussreichsten Unternehmen heran. Kein Wunder, denn Rafsanjani nahm sich die Talsperren und das «aggressive Wassermanagement» Chinas zum Vorbild und strebte – getrieben von der Sehnsucht nach nationaler Unabhängigkeit – eine Umsetzung im Iran an. Profiteure dieses Wasserraubs sind ideologisch nahestehende Unternehmen, wie das Stahlwerk Mobarakeh, auf das die Bassij-Milizen großen Einfluss haben. Auch Präsident Raisi war in die Strukturen von «Sepahsad» involviert.

Die Machenschaften der «Wasser-Mafia» sind außerdem ein wichtiger Bestandteil im Kulturkampf des Regimes gegen sämtliche ethnische und religiöse Minderheiten im eigenen Land: Kurd*innen im Westen des Landes, Baluch*innen im Südosten oder Araber*innen im in Khuzestan werden regelmäßig als Staatsfeind*innen und Provokateur*innen gebrandmarkt, ihre Sprachen und kulturellen Traditionen repressiv verfolgt, die Regionen werden sich selbst überlassen, die Flucht in benachbarte Länder wird provoziert. Aus ökonomisch lukrativen Branchen werden sie ferngehalten: die gutbezahlte Öl-Branche in Khuzestan kommt eben nicht jenen protestierenden schiitischen Araber*innen zugute. Die Region ist außerdem schwer gebeutelt durch den Golfkrieg mit dem Irak in den 1980er-Jahren. In Khuzestan sind bis zu 2000 Dörfer verlassen oder quasi nicht bewohnt; Gründe hierfür sind Lebensgefahr durch Minen, Dürre und Wasserknappheit und Landgrabbing zugunsten der Machenschaften von «Sepahsad» und ähnlichen Unternehmen.

Unterdrückung durch das Regime

Khuzestan ist keine Ausnahme, sondern die Regel. Die Wasserknappheit in diesem wohl seit langem trockensten Sommer wird Schätzungen zufolge 71% der Gesamtbevölkerung betreffen. Lebensgefährliche Feinstaubbildung in den größeren Städten, Artensterben, Starkregen und Überschwemmungen, Wüstenbildung und eben Dürre und Wasserknappheit betreffen das ganze Land. Außerdem verfolgt und unterdrückt das Regime Umweltschützer*innen im Iran hart, denn es fürchtet eine verbindende Resonanz aus der Bevölkerung: «Wenn man über Religion, den Hijab diskutiert, gibt es auf jeder Seite Unterstützer*innen. Etwas gegen die Klimakrise zu tun hingegen vereint die Menschen. Deswegen wird es seitens des Regimes als Problem gesehen», befindet Kaveh Madani, ein geflüchteter iranischer Klimaaktivist.

Das zeigt sich auch an den Protesten in Khuzestan. Die Strategie der harten Unterdrückung hatte in erster Linie zur Folge, dass innerhalb der sozialen Bewegungen landesweit Solidarität geübt wurde. Schon seit Jahren stattfindende, kleine, wilde Streiks von Lehrer*innen, Rentner*innen, oder auch die Aktionen der selbstorganisierten Arbeiter*innen der Zuckerrohfabrik «Hafttappeh» tragen in diesem Sommer eine gemeinsame Botschaft: «Khuzestan – Du bist nicht allein».