Nachricht | Krieg / Frieden - Zentralasien Nein zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan

Ein Rückblick auf zwanzig Jahre von Julia Wiedemann

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Julia Wiedemann,

In Afghanistan gesprengter Geländewagen der Bundeswehr (Militärhistorisches Museum in Dresden). CC BY-SA 2.0, Neuwieser/flickr

Als die Vereinigten Staaten am 11. September 2001 von Terroranschlägen getroffen wurden, hielt die Welt den Atem an. Aber nicht für lange, denn bereits am Tag darauf trat der UN-Sicherheitsrat zusammen. Er billigte der US-Regierung in einer Resolution das Recht auf Selbstverteidigung zu und erklärte seine Bereitschaft «alle erforderlichen Schritte zu unternehmen, um auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 zu antworten».[1] Am selben Tag bekundete der NATO-Rat seine Unterstützung und rief – erstmalig in seiner Geschichte – den Bündnisfall aus. Plötzlich war Krieg, auch wenn man noch nicht so genau wusste, gegen wen.[2] Was konkret unter «alle erforderlichen Schritte» zu verstehen sei, wurde in der Folgezeit maßgeblich durch die von George W. Bush geführte US-Regierung definiert.

Julia Wiedemann ist Mitarbeiterin des Bereichs Internationale Politik in der Bundesgeschäftsstelle der Partei DIE LINKE. Der regionale Schwerpunkt ihrer Arbeit sind Westasien und Nordafrika.

Rasch wurde bekannt, dass das von Osama bin Laden geführte radikalislamische Netzwerk Al-Qaida hinter den Attentaten steckte, das im von den Taliban beherrschten Afghanistan Unterschlupf gefunden hatte. Am 14. September verabschiedete der US-Senat dann ein Gesetz zum Einsatz militärischer Gewalt im Kampf gegen den Terrorismus,[3] das dem US-Präsidenten weitgehende Vollmachten gewährte und in der Folge zu mehreren Militärinterventionen führte.

Die Afghanistan-Debatte im Bundestag 2001

Als der Deutsche Bundestag am 19. September zusammenkam, um über den Kampf gegen den Terrorismus zu debattieren, war die Betroffenheit über die Anschläge deutlich spürbar.[4] Appelliert wurde jedoch auch an die Solidarität der sogenannten freien Welt. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sah die Anschläge in New York und Washington als eine «Bedrohung des Weltfriedens» und als «Kampfansage gegen die Zivilisation». Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) berief sich in seiner Rede auf das Wort des US-Präsidenten, demzufolge die terroristische Attacke auf die USA «ein Angriff auf uns alle» gewesen sei.

Zu diesem Zeitpunkt war noch offen, was hieraus folgen und was genau von Deutschland erwartet werden würde. Dennoch herrschte bereits große Einigkeit darüber, dass man den USA solidarisch beistehen müsse – notfalls auch militärisch und «ohne jeden Vorbehalt», wie es Friedrich Merz, der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, in seiner Rede formulierte. Immerhin Vorbehalte äußerte die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Kerstin Müller, die darauf verwies, dass das Völkerrecht keine Rache kenne und es nun Besonnenheit und Abwägung brauche.

Nur eine Partei im Bundestag sprach sich von Anfang an gegen diesen Kurs aus: die PDS, eine der beiden Quellparteien der Partei DIE LINKE. Roland Claus, der damalige Fraktionsvorsitzende, betonte in seiner Rede: «Wenn der globalisierte Terror den globalisierten Krieg zur Folge hätte, dann hätte nicht die Zivilisation, dann hätte der Terror obsiegt.»

Wenige Tage später machte die US-Regierung dann Nägel mit Köpfen und begann am 7. Oktober den Angriff auf Afghanistan. Im Zuge der «Operation Enduring Freedom» (OEF) wurde Kabul am 14. November von den Taliban befreit. Auf seiner Sitzung am 16. November entschied der Bundestag mit großer Mehrheit, sich im Rahmen der NATO als Bündnispartner an der Operation zu beteiligen.

Der Sturz der Taliban machte den Weg frei für eine neue politische Ordnung. Auf einer Konferenz in Petersberg bei Bonn kamen Vertreter*innen Afghanistans mit Repräsentant*innen der internationalen Gemeinschaft zusammen. Man verständigte sich am 5. Dezember auf ein Abkommen, das die Installation einer Übergangsregierung unter der Führung von Hamid Karzai und die vorübergehende Stationierung einer der UNO unterstellten internationalen Truppe zum Schutz dieser Regierung vorsah. In diesem Kontext folgte am 22. Dezember ein weiterer Antrag der Bundesregierung zur Beteiligung der Bundeswehr am internationalen ISAF-Mandat, der ebenfalls mit großer Mehrheit angenommen wurde.

Als einzige Fraktion stimmte die PDS gegen beide Bundeswehreinsätze. Hellsichtig warnte Roland Claus vor einem unkalkulierbaren militärischen Abenteuer: «Sie bestimmen eine Einstiegsoption, ohne eine Ausstiegsoption zu haben.»[5] Genau das sollte sich als die Achillesferse des Einsatzes erweisen.

Der Antrag der PDS-Fraktion vom November 2001

Im November hatte die PDS einen eigenen Antrag zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Beendigung des Krieges in Afghanistan eingebracht, in dem Befürchtungen formuliert wurden, die sich später leider bewahrheiten sollten. Einer der Kritikpunkte war, dass die Kriegführung auf die Unterstützung der Nordallianz abzielte: «Diese Allianz trägt in einem hohen Maße Mitverantwortung für die Entrechtung und Unterdrückung von Frauen, für Mord, Terror, Drogen- und Waffenhandel in Afghanistan», heißt es in dem Antrag.[6]

Emran Feroz hat in seinem kürzlich erschienenen Buch «Der längste Krieg»[7] eindringlich beschrieben, welche Massaker die Führer der Nordallianz während des Bürgerkrieges und auch nach dem Einmarsch der USA verübten, wie sie sich an den Hilfsgeldern bereicherten – und eben gerade nicht zur Stabilisierung des Landes beitrugen.

Zwanzig Jahre Krieg in Afghanistan führten zu zehntausenden zivilen Opfern. In Deutschland in besonderer Erinnerung geblieben ist ein Luftangriff in der Region Kundus, der mehr als 100 Zivilist*innen das Leben kostete. Indem der Krieg den Tod unschuldiger Menschen in Kauf nehme, rufe er «weiter gesteigerten Hass und neue Empörung hervor», heißt es im Antragstext der PDS. Neben der Forderung nach dem Ende des Krieges stellte die PDS-Fraktion heraus, dass die von der Regierung vorgetragene Logik der Terrorbekämpfung falsche Prioritäten setze, da die finanziellen Mittel, die dringend für humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und den Wiederaufbau des zerstörten Landes benötigt würden, vor allem in den militärischen Bereich fließen. Die fiskalische Bilanz von 20 Jahren Krieg in Afghanistan bestätigt diese Annahme: Mindestens 12 Milliarden Euro für die Bundeswehr stehen lediglich 3,5 Milliarden Euro für die Entwicklungszusammenarbeit gegenüber.

Neben den Warnungen enthielt der Antrag auch konkrete Vorschläge. Die PDS befürwortete einen UN-Blauhelmeinsatz nach Kapitel IV und sprach sich für eine regionale Friedenskonferenz unter Einbeziehung der Nachbarländer – insbesondere Pakistan, Indien, China und Russland – aus. Der Antrag plädiert auch für eine Stärkung der Vereinten Nationen und vor allem für eine Stärkung der demokratischen Opposition in Afghanistan unter Einbeziehung von Frauenorganisationen in den Friedensprozess. Zum letztgenannten Punkt kam sogar ein gemeinsamer Antrag von FDP, Bündnis 90/Die Grünen und der PDS zustande.[8]

Die PDS mag im Bundestag die einzige Partei gewesen sein, die den Bundeswehreinsatz ablehnte; aber ein einsamer Rufer in der Wüste war sie dennoch nicht. Im Gegenteil, ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Friedensbewegung, Entwicklungshilfeorganisationen und Kirchen wandte sich gegen einen Kriegseintritt. Aber die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder schlug, ebenso wie die folgenden Regierungen unter Angela Merkel (CDU), die Warnungen immer wieder in den Wind.

«Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt»

In diesen Tagen wird ein Wort von Peter Struck (SPD), der Rudolf Scharping 2002 als Verteidigungsminister ablöste, wieder viel zitiert: «Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt», erklärte Struck, als die Bundesregierung im Dezember 2002 zum zweiten Mal eine Verlängerung des Mandates beantragte. Erneut war es lediglich die PDS, die den Antrag ablehnte – so wie auch alle folgenden Mandatsverlängerungen des Kampfeinsatzes. Später war es dann die aus der Vereinigung von PDS und WASG hervorgegangene Partei DIE LINKE, die im Deutschen Bundestag die Mandatsverlängerungen ablehnte und vielfältige Aktivitäten entwickelte, um der Öffentlichkeit und der Politik die Folgen des Einsatzes vor Augen zu führen.

In den Folgejahren verschoben sich die Argumente der Kriegsbefürworter*innen. Zunehmend wurde jetzt vor allem auf die zivilen Erfolge verwiesen, die es zu sichern gelte, und auf die Unterstützung afghanischer Sicherheitskräfte zur Stärkung der regionalen Stabilität. Die vielen Rückschläge – die getöteten Zivilist*innen und Soldat*innen, die immer wieder aufflammenden Gefechte mit den Taliban und mit Warlords, die schleppende wirtschaftliche Entwicklung, der Drogenhandel und die grassierende Korruption in der Regierung – führten nicht zur Hinterfragung des Bundeswehreinsatzes. Erst die plötzliche Auflösung der mit modernen Waffen milliardenschwer hochgerüsteten und seit Jahrzehnten ausgebildeten Armee sowie der anschließende Einzug der Taliban in den Präsidentenpalast haben dem Westen vor Augen geführt, wie fehlgeleitet die eigenen Einschätzungen dieses Kriegseinsatzes all die Jahre gewesen waren.

DIE LINKE und zuvor die PDS haben sich zwanzig Jahre lang gegen den Kriegseinsatz in Afghanistan ausgesprochen. Rückblickend fällt es leicht zu sagen, dass man das Scheitern habe kommen sehen. Doch es geht in der Politik nicht darum, recht zu behalten. Es geht jetzt vielmehr darum, konsequent aufzuarbeiten, warum die Bundesregierungen so lange an einer militärischen Strategie festhielten, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Und nur wenn es eine ehrliche Aufarbeitung gibt, kann ein Paradigmenwechsel der deutschen Außenpolitik vollzogen werden. In diesem Prozess muss sich auch DIE LINKE der Frage stellen, warum ihre berechtigten Argumente all die Jahre nicht mehr Zuspruch erfahren haben, warum es – jenseits einzelner Umfragen – nicht gelungen ist, eine gesellschaftliche Mehrheit für ihr «Nein zum Krieg» zu gewinnen.

Aktuell kommt es darauf an, den Menschen zu helfen, die vor den Taliban fliehen. DIE LINKE war auch hier wieder die erste Partei, die sich im Juni mit einem eigenen Antrag im Bundestag für den Schutz der afghanischen Ortskräfte der Bundeswehr eingesetzt hat.

Auch ihr Abstimmungsverhalten zum Evakuierungseinsatz der Bundeswehr hat die Fraktion sehr ernst genommen; schließlich galt es, Menschenleben zu retten.[9] Dabei kam die Fraktion mehrheitlich überein, dass der Antrag der Bundesregierung nicht den Willen erkennen ließ, möglichst vielen Menschen (also nicht nur deutschen Staatsbürger*innen und Bundeswehrangestellten vor Ort) zu helfen – was die Evakuierungsmaßnahmen über den Flughafen Kabul inzwischen dramatisch bestätigt haben. Zudem ließ der Mandatstext den Einsatz militärischer Mittel offen, Gewalt gegen Zivilist*innen war also nicht ausgeschlossen. Unter diesen Bedingungen konnte DIE LINKE nicht vorbehaltlos zustimmen und enthielt sich mehrheitlich.

Es ist deshalb schlicht zynisch, wenn ausgerechnet diejenigen, die zwanzig Jahre lang für den Kampfeinsatz mit all seinen Folgen verantwortlich waren und jetzt – bis zuletzt – auf Zeit gespielt haben, mit dem Finger ausgerechnet auf die Partei zeigen, die als einzige nicht für den Schlamassel verantwortlich ist. Denn fest steht: Nur wenn die deutsche Politik aus dem Scheitern der Intervention die richtigen Schlüsse zieht, werden wir derartige Desaster künftig vermeiden können.


[1]     UN Security Council, Resolution 1368 (2001). Adopted by the Security Council at its 4370th meeting, on12 September 2001, www.un.org/ga/search/viewm_doc.asp?symbol=S/RES/1368(2001.

[2]     Sibylle Tönnies (2001), Krieg oder Weltpolizeiaktion, in: «Blätter für deutsche und internationale Politik», 11/2001, www.blaetter.de/ausgabe/2001/oktober/krieg-oder-weltpolizeiaktion.

[3]     Public Law 107–40, 107th Congress, Sept. 18, 2001, www.govinfo.gov/link/plaw/107/public/40?link-type=pdf&.pdf.

[4]     Alle folgenden Zitate aus dieser Sitzung sind dem Plenarprotokoll entnommen, Drucksache 14/187, 187. Sitzung des Deutschen Bundestags, 19. September 2001, https://dserver.bundestag.de/btp/14/14186.pdf.

[5]     Plenarprotokoll, Drucksache 14/210, 210. Sitzung des Deutschen Bundestags am 22. Dezember 2001, https://dserver.bundestag.de/btp/14/14210.pdf.

[6]     Drucksache 14/7500, Antrag der Fraktion der PDS vom 15.11.2001, https://dserver.bundestag.de/btd/14/075/1407500.pdf.

[7]     Emran Feroz, Der längste Krieg. 20 Jahre War on Terror, Frankfurt a.M. 2021.

[8]     Drucksache 14/7815, 12.12.2001, https://dserver.bundestag.de/btd/14/078/1407815.pdf.

[9]     Vgl. auch Julia Wiedemann, Linke Außenpolitik heißt Menschenleben retten, https://www.links-bewegt.de/de/article/383.linke-au%C3%9Fenpolitik-hei%C3%9Ft-menschenleben-retten.html.