Nachricht | Globalisierung - Sozialökologischer Umbau - Ernährungssouveränität Global Food Governance im Griff der Konzerne

Ein Kommentar zum UN-Welternährungsgipfel von Focus on the Global South

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Mit freundlicher Genehmigung von CSM4CFS

Während die COVID-19-Pandemie und Klimakatastrophen immer noch überall auf der Welt die Landwirtschaft und die Lebensmittelversorgung zerstören, könnten internationale Zusammenarbeit und Solidarität die Krisen der Gegenwart mildern und mit geeigneten politischen Maßnahmen eine bessere Zukunft in Aussicht stellen. In einer solchen Krisenlage würde es normalerweise als positiver und willkommener Schritt erscheinen, dass sich die internationale Gemeinschaft für ein nachhaltigeres und gerechteres Ernährungssystem auf einem UN-Gipfel für Ernährungssysteme (UNFSS) versammelt, wie es am 23. September 2021 geschieht. Doch warum stellen sich Hunderte bäuerliche Vereinigungen, soziale Bewegungen, Akademiker*innen und zivilgesellschaftliche Organisationen gegen den Gipfel?

Focus on the Global South ist eine aktivistische Denkfabrik in Asien, die Analysen erstellt und Alternativen für einen gerechten, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Wandel entwickelt. Sie arbeitet regelmäßig mit dem Südasienbüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung zusammen. Übersetzung von André Hansen & Tabea Magyar für Gegensatz Translation Collective.

Undemokratische und mangelhafte Verfahren

Gemäß einem Multi-Stakeholder-Ansatz versammeln sich auf dem Gipfel Teilnehmer*innen, die sich der Global Redesign Initiative des Weltwirtschaftsforums (WEF) verschrieben haben, einem kontroversen Projekt, das die Rolle des Privatsektors bei der Steuerung weltpolitischer Entscheidungen stärken will. Damit sehen sich etablierte Mitgliedstaaten und die multilateralen Prozesse unter dem Dach des Mechanismus für die Zivilgesellschaft und indigene Völker (CSM) an den Rand gedrängt. Im Vorfeld des Gipfels meldete sich der UN-Sonderberichterstatter zum Recht auf Nahrung Michael Fakhri mit seinen Amtsvorgänger*innen Hilal Ever und Olivier De Schutter in einem gemeinsamen Beitrag zu Wort. UN-Organe wie die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO und der Ausschuss für Welternährungssicherheit CFS seien erst viel zu spät in den Prozess einbezogen worden. «Zu spät und zu oberflächlich» sei es zu Zugeständnissen gekommen. Diese könnten «den Prozess nicht mehr sinnvoll beeinflussen». Führende Köpfe des weltweit größten kleinbäuerlichen Bündnisses La Via Campesina schreiben in ihrem Boykottaufruf, dass der Gipfel unter der Kontrolle der multinationalen Konzerne und der entwickelten Länder stehe, die sich für eine industrielle Landwirtschaft aussprächen. Diese Befürchtung teilt Fakhri, der in einer offiziellen Stellungnahme von August 2021 davor warnte, dass «Basisbewegungen, Indigene, Kleinbäuer*innen, Hirt*innen, Fischer*innen und Menschenrechtsgruppen nicht partizipativ und sinnvoll einbezogen wurden».

Der UNFSS rief das Champions Network ins Leben, um im Dialog mit einer breiteren Öffentlichkeit Ideen zu sammeln und eine Debatte über das Ernährungssystem anzustoßen. Auch hier fehlt es an Legitimität, denn die Mitglieder wurden entweder von der UN-Sondergesandten für den UNFSS Agnes Kalibata willkürlich nominiert oder direkt vom Champions Network ernannt. Für die Auswahl der Vertreter*innen in diesem Netzwerk und in den wissenschaftlichen Gremien gibt es keine transparenten Kriterien. Ein Großteil der Gipfelleitung hat Verbindungen zum Umfeld des Weltwirtschaftsforums und zu anderen Multi-Stakeholder-Plattformen. Viele haben sich öffentlich für vermarktbare urheberrechtlich geschützte Technologien und Produkte ausgesprochen, die Lösungen für den Klimawandel versprechen.

Finanzialisierung und falsche Lösungen

Die Konsolidierung wirtschaftsfreundlicher Stimmen führte absehbar zu einer Forcierung falscher Lösungen. Ein Beispiel dafür sind die Empfehlungen des Action Track 1 des UNFSS mit den drei Handlungsfeldern «Kein Hunger», «Zugang zu nahrhaftem Essen» und «Lebensmittelsicherheit». Um den Hunger in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft zu verringern, sind Investitionen in die Bodengesundheit vorgesehen. Dabei sollen «Wirkungskredite (impact bonds) aus privatem Kapital bereitgestellt werden, um den Vertrieb und die Verbreitung bodenfreundlicher Betriebsmittel für Kleinbäuer*innen mit niedrigem Einkommen in Partnerschaft mit Regierungen, KMUs oder sozialen Unternehmen mit Vertriebsnetzwerken zu finanzieren». Dahinter steht die Idee, dass sich der Vertrieb landwirtschaftlicher Betriebsmitteln nicht mehr auf Subventionen stützen, sondern stattdessen finanzialisiert werden soll. Es sollen also bargeld- und kreditbasierte Systeme entstehen, in denen private Investor*innen oder halbstaatliche Körperschaften Kapital bereitstellen, das sie später wieder von den direkten Nutznießer*innen der verbesserten Bodengesundheit – meist den Bäuer*innen – zurückfordern. Die Lösung zielt auf die finanzielle Wertschöpfung aus gesunden Böden ab.

Eine weitere umstrittene Lösung ist der Einsatz von Marktmechanismen zur CO2-Sequestrierung im Boden. Dafür müsste die Bodengesundheit zertifiziert werden, was für kleine Erzeuger*innen gegenwärtig nicht zu leisten ist. Durch «kommerzielle Finanzierungsmechanismen in Wertschöpfungsketten» sollen Kleinbäuer*innen mit bodenfreundlichen Betriebsmitteln versorgt werden. Umsätze aus dem Anbau ertragreicher Hochleistungssorten sollen die CO2-Speicherung im Boden der Grundnahrungspflanzen gegenfinanzieren. Diese Idee stammt hauptsächlich aus den USA und der EU. In den USA wird CO2 meist durch das Verfahren der Direktsaat eingelagert, und zwar in über einem Drittel der Anbaufläche. Besondere Pflanzgeräte, chemische Herbizide und gentechnisch veränderte Saaten sorgen dafür, dass der Boden weniger oder überhaupt nicht mehr bearbeitet werden muss. Forscher*innen und Bäuer*innen in den USA und der EU äußern sich besorgt über die chemischen Unkrautbekämpfungsmittel und Dünger, die dafür erforderlich sind. Sie bezweifeln, dass die Effekte der CO2-Speicherung im Boden lange anhalten. Die Empfehlungen des Gipfels zur CO2-Einlagerung, zum Einsatz und den Typen von Betriebsmitteln für die Bodengesundheit scheinen allerdings nicht ausreichend kritisch diskutiert zu werden.

Die Interessenvertretung der Privatwirtschaft, die Private Sector Guiding Group (PSGG), spielt eine wichtige Rolle bei der Gestaltung des Gipfels und steht wesentlich für die Einführung dieser «bahnbrechenden» Lösungen. Die PSGG hat ein Bündnis für Bodengesundheit gegründet, das «die zentrale Rolle der Böden für Ernährungssicherheit und Nahrung, Wirtschaftsentwicklung, Klimawandel, Natur und resiliente Existenzgrundlagen anerkennt und in allen Gliedern der Wertschöpfungskette eine Kapitalrendite erzielen will». Die Gruppe möchte «eine Reihe von Finanzmechanismen und Investitionslösungen definieren, die Bäuer*innen bei der Anwendung besserer Praktiken zur Bodenerhaltung unterstützen, auf unterschiedliche Regionen angepasst und skaliert werden können und auch staatliche Anreize berücksichtigen».

In dieser Initiative organisieren sich große Unternehmen wie Bayer, Nestlé, Syngenta, PepsiCo und CropLife International. Da diese multinationalen Konzerne die globalen Saat- und Betriebsmittelmärkte beherrschen und sich zudem für bestimmte Ansätze zur Bodengesundheit aussprechen, stellt sich die Frage nach Interessenkonflikten. Der CSM kritisiert insbesondere die privatwirtschaftliche Vereinnahmung der auf Menschen ausgerichteten nachhaltigen Ernährungssysteme.

Widerstand gegen eine wirtschaftsgesteuerte Welternährungspolitik

Über den bestehenden Mechanismus der Multi-Stakeholder-Zusammenarbeit für einen Systemwandel (Multi-Stakeholder Collaboration for Systemic Change, MSCFSC) sind schon erste Schritte eingeleitet worden, um die Ergebnisse des Welternährungsgipfels zu institutionalisieren. UN-Organisationen und das Weltwirtschaftsforum haben ein Dokument zur Zukunft der Zusammenarbeit in Ernährungssystemen erarbeitet. MSCFSC sei demnach «ein Prozess der partizipativen Governance, der Stakeholder*innen mit gemeinsamen Nachhaltigkeitsproblemen und unterschiedlichen Interessen in die Lage versetzt, sich zusammenzutun, gemeinsam zu lernen, Innovationen einzuführen und sich einer komplexen, im Wandel begriffenen Umwelt zu stellen». Die Umsetzung der Gipfelergebnisse wird im MSCFSC-Verfahren überwacht. Dieser neue Prozess ist damit eine existenzielle Bedrohung für die multilateralen und inklusiven Prozesse in den Strukturen des Ausschusses für Welternährungssicherheit und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation. Der Welternährungsgipfel und seine Ergebnisse sind als Instrumente zur Verdrängung des bestehenden Systems der Nahrungsmittelpolitik zu verstehen.

Angesichts derartiger Folgen für die Welternährungspolitik betont der UN-Sonderberichterstatter zum Recht auf Nahrung, wie wichtig multilaterales Handeln insbesondere angesichts von COVID-19 sei, um die schädlichen Auswirkungen der Pandemie auf das Recht auf Nahrung, insbesondere bei den Ärmsten, Schutzlosen und Marginalisierten anzugehen. Fakhri betont ebenfalls, dass die gleichzeitigen Krisen in der Ernährungssicherheit, im Gesundheitswesen und auf dem Arbeitsmarkt die Gesundheit und Sicherheit der Lebensmittelarbeiter*innen stark beeinträchtigt habe. Diese Themen hätten im Zentrum des Gipfels stehen sollen.

Offenbar meinen die Organisator*innen des Welternährungsgipfels, es wäre das Beste, zur Tagesordnung überzugehen. Sie wollen nicht anerkennen, dass 2020 nach Schätzungen der UNO über 800 Millionen Menschen mit Hunger leiden mussten, eine tragische Situation, die durch die Pandemie noch verschärft wurde. In der Erklärung der autonomen Völker in Reaktion auf den Gipfel heißt es: «Der einzige gerechte und nachhaltige Weg nach vorn ist ein sofortiger Stopp und ein augenblicklicher Wandel der wirtschaftsgetriebenen globalisierten Ernährungssysteme. Der erste Schritt ist die vollständige Anerkennung, Umsetzung und Durchsetzung des Menschenrechts auf hinreichende Nahrung.»

Beim Welternährungsgipfel 1996 haben soziale Bewegungen die Idee der Ernährungssouveränität vorgebracht, eine demokratische Bekräftigung des Rechts der Menschen, ihre Ernährungssysteme selbst zu bestimmen und zu formen. In den letzten 25 Jahren hat sich gezeigt, dass diese Idee nicht nur Widerstand gegen falsche, undemokratische Lösungen und Gipfel wie den UNFSS hervorruft, sondern auch eine Vision von einem gerechten Ernährungssystem erzeugt, in deren Zentrum Mensch und Umwelt stehen, nicht Konzernprofite.