Nachricht | Bildungspolitik - Bildung für alle Erwachsenenbildung unter linken Vorzeichen

Vor welchen Herausforderungen steht die Erwachsenenbildung und welche Handlungsmöglichkeiten haben die Länder? Eine Analyse am Beispiel Thüringens.

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Uwe Roßbach,

Bildungsreisen sind ein beliebtes Angebot der Erwachsenenbildung (Reise der RLS Hamburg nach Hebron, 2017) Foto: RLS Hamburg

Erwachsenenbildung hatte es in Thüringen lange Zeit schwer. Unter der CDU-Alleinregierung wurden ab 2005 Zuschüssen gestrichen und statt dauerhafter Förderung auf Konkurrenz zwischen den Anbietern gesetzt. Dagegen organisierten sich die Träger*innen von Erwachsenenbildung in einer «Erwachsenenbildungskoalition» und stießen bei den drei Parteien DIE LINKE, SPD und Grüne auf offene Ohren. Seit dem Regierungswechsel 2014 hat sich unter Rot-Rot-Grün viel Positives in dem Feld getan. Ein genauer Blick zeigt Erfolge, aber auch Probleme und offene Baustellen - und wie der Staat bessere Bedingungen für Erwachsenenbildung schaffen könnte.

Uwe Roßbach ist Geschäftsführer der Erwachsenenbildungseinrichtung «Arbeit und Leben Thüringen» und Mitglied im geschäftsführenden Landesvorstand der Thüringer «Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft».

Bessere Angebote der Erwachsenenbildung zu schaffen ist ein erklärtes Ziel der rot-rot-grünen Regierung in Thüringen. In dem 2014 beschlossenen Koalitionsvertrag der Parteien DIE LINKE, SPD und Grüne hieß es, die Angebote der Erwachsenenbildung seien eine «wichtige Säule des lebenslangen Lernens», auch für die «Innovations- und Zukunftsfähigkeit unserer Demokratie und des Wirtschaftsstandortes Thüringen». Wohnortnahe, vielfältige und bezahlbare Angebote müssten im ganzen Bundesland ausgebaut und besser gefördert werden als zuvor. Und auch in der Koalitionsvereinbarung für die seit 2020 regierende rot-rot-grüne-Minderheitsregierung wird die hohe Bedeutung der Erwachsenbildung betont, um «Menschen in den Herausforderungen der schnellen gesellschaftlichen Entwicklung zu unterstützen». Ein erster, wichtiger Baustein dafür war das Bildungsfreistellungsgesetz (Bildungsurlaub), das in den ersten 100 Tagen der neugebildeten rot-rot-grünen Regierung auf den Weg gebracht wurde.

Dieser Aufbruch in der Erwachsenenbildungspolitik unter Rot-Rot-Grün seit 2014 konnte sich auf ein gemeinsames  Ziel der Koalitionäre stützen, das während der vorhergehenden Oppositionszeit mit vielen Akteuren herausgearbeitet wurde: Die Abkehr von einer Sparpolitik im Bereich der Erwachsenenbildung, wie sie von der CDU in der  Thüringer Landesregierung seit 2004 betrieben wurde. Damals wurde der Erwachsenenbildungsetat um 50 Prozent gekürzt und parallel dazu eine stabile, auf festen Personalstellen und Unterrichtseinheiten basierende Förderung im Rahmen einer Gesetzesnovelle aufgeweicht. Im Ergebnis standen die Bildungsträger nun in «freier» Konkurrenz, und bei gleichbleibenden Haushaltsansätzen sank der unterrichtsbezogene Fördersatz.

Koalition für Erwachsenenbildung

Bis 2009 traf die Sparpolitik der CDU-Alleinregierung den Bereich Erwachsenensbildung in besonderem Maße, denn in den anderen Bildungsbereichen war der Widerstand deutlich besser organisiert.  Dies verweist auf ein grundlegendes Problem: Außerparlamentarischer Erwachsenenbildungspolitik fehlt der organisierte Massenprotest, da die Zielgruppen von Erwachsenenbildung sehr heterogen sind und sich kaum politisch mobilisieren lassen. Für politische Initiativen kommen somit nur Träger und Einrichtungen als organisierte Bündnispartner*innen in Frage. Um also Verbesserungen zu erreichen, war organisierte Lobbyarbeit notwendig.

Die intensive Kommunikation der damaligen Oppositionsparteien DIE LINKE, SPD und Grüne mit den Institutionen der Erwachsenbildung ermöglichte es, eine breit geteilte Strategie gegenüber dem Land zu erarbeiten, die mehr als nur der kleinste gemeinsame Nenner war: Weg von der Förderung nach Haushaltslage, hin zu einem stabilen Wachstumspfad. Das Ziel: Ein Prozent des Geldes aus dem Bildungsetat für Erwachsenenbildung, Einführung von Bildungsurlaub und Förderung von festen Stellen. Hinzu traten im Lauf der Zeit Forderungen nach Förderung bislang vernachlässigter Bildungsbereiche und Zielgruppen, zum Beispiel Alphabetisierung, Integration, Digitalisierung und politische Bildung. Zunächst stand aber die strukturelle Unterfinanzierung der Erwachsenenbildung und die Forderung nach einem Bildungsurlaubsgesetz («Bildungsfreistellung») im Vordergrund.

Die Mühen der Ebene 2009-2021

Die Koalition von CDU und SPD in Thüringen von 2009 bis 2014 brachte zwar erste Verbesserungen der bisherigen Förderpolitik. Aber weder Bildungsurlaub noch ein substanzieller Aufwuchs der Finanzierung wurden realisiert. Erst mit der Regierungsübernahme von Rot-Rot-Grün 2014 tat sich für die Beteiligten der Thüringer Erwachsenenbildungskoalition ein neuer Horizont auf. Interessanter Weise war das Bildungsfreistellungsgesetz das erste Gesetz, das die Regierung «in den ersten hundert Tagen» umsetzte. Bewegung in der Finanzierungsfrage dagegen ließ auf sich warten. Immerhin hatte die Fraktionsvorsitzende der Linken, Susanne Hennig-Wellsow, vor den Wahlen öffentlich erklärt, dass man sich vorstellen könne, sich in der Legislaturperiode dem Ziel zu nähern, ein Prozent der Bildungsausgaben für Erwachsenenbildung zu verwenden. Dies wurde aber nicht erreicht, unter anderem weil es sich um ein «Moving-Target» handelte: Die Bildungsausgaben stiegen unter Rot-Rot-Grün insgesamt, und so verschob sich auch das Ziel in absoluter Summe. Gleichwohl gab es einen substanziellen Zuwachs an Fördermitteln. Doch im Vergleich zum Stand der Förderung im Jahr 2004, also vor Beginn des Sparkurses der CDU-Regierung 2004, verblassen die derzeitigen Fördersummen immer noch. Grob überschlagen müsste die Grundförderung der 38 Bildungseinrichtungen heute um ein Drittel höher sein.

Zuletzt wuchsen die Mittel für spezielle Förderbereiche wie Alphabetisierung, Digitalisierung, Integration und politische Bildung im Rahmen des Erwachsenenbildungsgesetzes (ThürEBG) seit 2014. Und auch die Absicherung einer Grundförderung im Rahmen der Neufassung des Gesetzes gelang, wenn ihr auch allenfalls symbolische Bedeutung zukommt, denn  sie umfasst nur jeweils eine halbe Leitungs- sowie Verwaltungsstelle.

Das ehemals «liberale» Finanzierungskonzept der Erwachsenenbildung ist mittlerweile in weiten Teilen passé. Die zusätzlichen Mittel jenseits der Grundförderung werden via Projektförderung jährlich mit unsicherer Finanzierungsperspektive verausgabt. Dies erfordert im Ministerium und in den Einrichtungen zusätzliches Personal für Antragstellung, Abrechnung und Kontrolle. Immer noch befindet sich das ThürEBG im generellen Status einer Projektfinanzierung. Die Projektlogik fördert zudem die weitere Bürokratisierung.

«Es ist eben nicht egal, wer regiert»

Für die Erwachsenenbildung ist die Bilanz der bisherigen rot-rot-grünen Jahre positiv und ambivalent zugleich. Die Ambivalenzen betreffen die zeitlichen Abläufe, die Umsetzung in Gesetze und die mangelnde Akzeptanz des Themas bei anderen Fachressorts in den Fraktionen. Außerdem ist die Fachexpertise und Gestaltungskompetenz der Ministerien in diesem Feld nach wie vor sehr schwach.

Die Erwachsenenbildungspolitik war ein Regieren auf Sicht. Die praktische Umsetzung der Ziele war so mühevoll, da es weder Strategie noch Konzeption in dem Themenfeld gab und die verantwortlichen Bildungspolitiker*innen durchsetzungsschwach waren. Beides wurde schon beim Bildungsfreistellungsgesetz offenbar, das deutlich hinter den Erwartungen zurückblieb, was die Rechtsansprüche der Arbeitnehmer*innen betraf. So gelang es Wirtschaftspolitikern, vornehmlich dem SPD-Minister Wolfgang Tiefensee, den Gesetzgebungsprozess frühzeitig zu Lasten der Arbeitnehmer*innen zu kapern. Und das damals durchsetzungsschwache Bildungsministerium war in dieser Frage als mögliches Korrektiv kaum vernehmbar. Zu einem späteren Zeitpunkt wäre ein besseres Gesetz gelungen. Der Fluch der frühen Geburt des Vorhabens, die symbolische Aufladung durch das Versprechen der schnellen Realisierung durch den Ministerpräsidenten angesichts einer noch nicht stabilisierten Regierungskoalition und das nicht einheitliche Agieren der Gewerkschaften taten ein Übriges, dass das Gesetz hinter seinen Möglichkeiten zurückblieb.

Jurist*innen und Haushälter*innen können ebenfalls mächtige Gegner*innen einer Erwachsenenbildungspolitik sein, deren Verankerung in den Parteien und Fraktionen oft nur randständig bleibt und somit auf «windows of opportunities» – also den passenden Moment zur Umsetzung - angewiesen ist. Die zunehmende Entwicklung des Erwachsenbildungsgesetzes in Richtung Projektförderung macht Finanzministerien und Rechnungshöfen die Kritik an einzelnen Maßnahmen leicht und den Legitimationsdruck von Bildungsministerien größer. Auch die Einrichtungen werden damit vor Probleme gestellt. Sie sind möglicherweise nicht in der Lage, zuströmende Fördergelder schnell genug unter den restriktiven (Förder-)Bedingungen umzusetzen. Das wäre unter stabilen Fördergrundsätzen, wie sie vor den Veränderungen durch die CDU 2004 bestanden, deutlich anders. Ein komplexes und flexibles Finanzierungsmanagement, das heutzutage größere, auf Projektfinanzierung basierende und angewiesene Einrichtungen unterhalten, erfordert ein ganz anderes Handlungs- und Verhaltensrepertoire von den Einrichtungen. Träger, wie Kommunen und Landkreise, aber auch Vereine, sind aufgrund ihrer institutionellen Verfassung häufig nicht darauf eingestellt und es widerspricht auch oft ihren internen Strukturen. Interessanterweise waren in der Thüringer «Erwachsenenbildungskoalition» nach 2004 auch keine Kommunalpolitiker*innen vernehmbar aktiv, und das Thema Volkshochschule taucht in der Kommunalpolitik kaum auf. Für Weiterbildungspolitiker*innen lohnte sich gerade daher ein Innenblick in die Einrichtungen, um deren Probleme zu verstehen und bessere Lösungen zu finden.

Ergebnissicherung?

In den ersten sieben Jahren der rot-rot-grünen Landesregierung wurde vieles realisiert, was auf der politischen Agenda zum Ausbau der Erwachsenenbildung stand. Ein Problem ist, dass die Erwachsenenbildung als eigenständiger Bildungsbereich noch immer kaum wahrnehmbar ist und sie nur einen kleinen Bereich der Weiterbildung repräsentiert. So rücken Strukturen aus dem Blickfeld von Politik und Öffentlichkeit rücken, die die berufliche Fort- und Weiterbildung, und damit den größten Bereich der Erwachsenenbildung, betreffen. Es entspricht der bildungsbürgerlichen Grundtönung, das Erwachsenenbildung häufig kein attraktives Feld für Bildungspolitiker*innen ist. Und in linken Diskursen und unter Erwachsenenbildner*innen wird es häufig mit dem Makel der «Nützlichkeit» belegt. Das wiegt umso schwerer, als es bislang in Thüringen außerhalb der Gewerkschaften kaum ein Bewusstsein für die Notwendigkeit einer Gestaltung der Arbeitsverhältnisse in der Erwachsenenbildung inklusive der beruflichen Weiterbildung gibt. Das betrifft auch Regulierungen der Zugangsvoraussetzung und Begünstigtenstruktur (Betriebe, Arbeitnehmer*innen, …) von öffentlicher Förderung. Hier blieb es nur bei positiven Akzenten durch die Landesregierung, die Kontinuität gegenüber vorherigen Legislaturperioden überwog.

Für die zuständigen Gewerkschaften bleibt besonders ärgerlich, dass die Förderbedingungen des pädagogischen Personals chaotisch sind, da sie je nach Programm variieren. Pädagog*innen werden nicht einheitlich nach der üblichen Eingruppierung, sondern gern nach Gutsherrenart bezahlt. Dadurch wächst die sowieso schon vorhandene Distanz der Gehälter zu vergleichbaren Lehrkräften in Schule und Hochschule. Für diese Einkommenslücke gibt es keine Sensibilität und bisher keine angemessene ressortübergreifende Veränderung, die auf die Deregulierungen der frühen 2000er Jahren reagiert. Eher scheint es so, dass man die Situation in diesem zersplitterten und gewerkschaftlich kaum zu organisierenden Sektor aus Kleinbetrieben als gegeben hinnimmt - auch aus Angst vor der als übermächtig erscheinenden und mit einer klaren Spar-Agenda ausgestatteten SPD-Finanzministerin, die als Abgeordnete bei einer knappen Mehrheit und als Ministerin bis 2020 ein doppeltes Veto bei Entscheidungen einlegen konnte.

Ausblick

Opposition ist leichter als regieren. Aber regieren lohnt sich allemal, das zeigt auch das Beispiel der Entwicklungen im Bereich Erwachsenenbildung. Es lohnt sich, wenn Zielmarken gesetzt werden und eine klare Agenda verfolgt wird. Erwachsenenbildner*innen, die seit zwei Jahrzehnten in «Projektitis» geschult sind, können dies an die verursachenden Politiker*innen getrost zurückgeben: Ziele setzen, sich einen Zeitplan geben, Meilensteine terminieren, evaluieren und korrigieren. Was steht also an im Bereich Erwachsenenbildung?

Zuallererst sollte die Frage nach einer neuen Politik für Chancengleichheit, wie sie in den 1970er Jahren in Westdeutschland aufgeworfen wurde, neu gestellt und auch im Feld der Erwachsenenbildung Antworten gegeben werden. Angesichts der arbeitsweltlichen Umbrüche, die sich gerade vollziehen, und die eine noch größere Dynamik entfalten werden, muss die berufsbezogene Fort- und Weiterbildung deutlich stärker in den Fokus rücken. Es scheint geradezu aberwitzig, zu den Förderkonstellationen der Nachwendezeit zurückzukehren. Laut dem damals geltenden Erwachsenenbildungsgesetz durfte maximal die Hälfte der erbrachten Unterrichtstunden eines anerkannten Bildungsträgers dem Bereich der beruflichen Bildung zugeordnet sein, und nur dieser Teil war förderfähig. Im Nachhinein kann man die bildungsbürgerliche Attitüde dieser Regelung nur aus dem bürgerlichen Charakter der damaligen Zeit erklären. Das Selbstbild einer auf Zweckfreiheit und Menschenbildung orientierten Erwachsenbildung war aber schon damals zweifelhaft, da diejenigen, die dieses Bild proklamierten, in der Regel selbst gute Zugänge zu Weiterbildung hatten, verbunden mit einer daraus resultierenden Besserstellung in Arbeit und Beruf. Zudem sollte ein neues Thüringer Erwachsenenbildungsgesetz als Zielmarke einen Rechtsanspruch auf Förderung beinhalten, der sich nicht an der Haushaltslage orientiert, wie es seit 2004 gilt. Dafür ist aber ein Blick hinter die Fassaden der Erwachsenenbildung notwendig. Die unter Rot-Rot-Grün erstmals gesetzlich verankerte Berichtspflicht des zuständigen Ministeriums gegenüber dem Landtag bietet erste Anhaltspunkte. Allerdings sollten die Erwachsenenbildungspolitiker*innen nicht allein hierauf vertrauen. Es gilt auch die inneren Strukturen und inhaltlichen Profile der Bildungsanbieter in den Blick zu nehmen, wie sonst könnten Defizitbereiche identifiziert und politisch bearbeitet werden?

Und schließlich: Ohne ein Blick über die Landesgrenzen hinaus und jenseits der abgesteckten Pfade des jeweiligen  Mainstreams der Einrichtungen –  sei es  bei Volkshochschulen, freien Trägern oder privaten Weiterbildungsunternehmen –  wird man nur bedingt einen umfassenden und gestaltungsorientierten Zugang zu notwendigen Veränderungen bekommen. Erwachsenenbildungspolitik wird mindestens auf drei Ebenen gemacht: auf der kommunalen, der Landes- und der Bundesebene - allein auf der Bundesebene in mindestens vier Ministerien und Bundesämtern und –anstalten. Diese Politikverflechtung und Unübersichtlichkeit gilt es für die Erwachsenbildungspolitiker*innen, in den Blick zu nehmen. Nur so können programmatische Positionen sinnvoll für die reale Praxis erarbeitet werden. Die Konsultation erfahrener Praktiker*innen und Wissenschaftler*innen sollte gesucht und systematisch gepflegt werden. Am besten fernab jener Politiker*innen, die sich mit Kita, Schule und Hochschule befassen. Die Erwachsenenbildung als «vierte Säule des Bildungssystems» hat es verdient, den Status als fünftes Rad am Wagen zu verlieren!