Nachricht | Parteien / Wahlanalysen - Europa - Osteuropa Tschechien nach den Parlamentswahlen.

Wie geht es für die Linke nun weiter?

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Pressekonferenz mit Kateřina Konečná (MdEP, KSČM) am Wahlabend, den 9. Oktober 2021. Foto: Facebook Kateřina Konečná.

Die Ergebnisse der Parlamentswahlen in Tschechien lassen keinen Zweifel daran, dass die linksgerichteten Kräfte im Lande eine schwere Niederlage erlitten haben. Dies wird weitreichende Folgen haben, die heute noch gar nicht abzusehen sind. Seit Gründung der Tschechischen Republik 1993 wird zum ersten Mal keine linke bzw. linksorientierte Partei in der Abgeordnetenkammer mit ihren 200 Sitzen mehr vertreten sein. Sowohl die KSČM (Kommunisten) als auch die ČSSD (Sozialdemokraten) blieben weit unter ihren Erwartungen und scheiterten mit 3,6 Prozent (KSČM) bzw. 4,6 Prozent (ČSSD) an der Fünfprozenthürde. 

Paradoxerweise fiel auch das Wahlergebnis der alternativ ausgerichteten Piratenpartei überraschend schlecht aus. Sie wirken zwar beim ersten Blick auf das Wahlergebnis mit 15,6 Prozent wie ein strahlender Wahlsieger, aber die Tücken liegen im tschechischen Wahlsystem, das den Wähler*innen mit einer Vorzugsstimme die Möglichkeit gibt, Kandidat*innen auf der Wahlliste nach oben zu wählen. Da die Piratenpartei zusammen mit der Gruppierung Bürgermeister (Starostové) antrat und die Wähler*innen deren Kandidat*innen mit ihrer Vorzugsstimme wählten, entfallen von den 37 Mandaten nur ganze 4 Mandate auf die Kandidat*innen der Piratenpartei. Im Vergleich zur Wahl von 2017 ist das ein Verlust von 18 Abgeordnetensitze.

Für die KSČM zeichnete sich die Wahlniederlage bereits 2019 ab. Da die Wähler*innenschaft der KSČM traditionell eher EU-skeptisch ist, maß sie der Wahl zum Europäischen Parlament keine große Bedeutung zu und somit bestand die größte Herausforderung für die Partei darin, ihre eigenen Wähler*innen an die Urnen zu mobilisieren. Trotz dieser widrigen Umstände schaffte es Kateřina Konečná wenigstens, noch ein Mandat im EU-Parlament für die KSČM zu erringen. Damals verpasste die ČSSD bereits ein Mandat im Europäischen Parlament.

Der damalige Erfolg der KSČM konnte mit den Wahllisten errungen werden, die Kateřina Konečná für die EU-Wahl zusammengestellt hatte. Diese war allerdings in den eigenen Reihen nicht unumstritten. Die offene Liste „KSČM und tschechische Linke gemeinsam“ vereinte auch außerparteiliche linke Strömungen und Organisationen. Diese Wahlliste markierte einen wichtigen Bruch in der bisherigen Strategie der KSČM, die sich mit Veränderungen und Erneuerung schon seit längerem schwertat. Diese neue Strategie der Öffnung wurde aber gleich nach den Wahlen gestoppt. Die Partei fiel in alte Muster zurück, da diese laut Parteistrategen die sichersten seien, um den Einzug ins Parlament zu schaffen. Also entschied man sich lieber wieder die eigenen Reihen zu schließen angesichts der Unsicherheiten, die sich wegen des komplizierten tschechischen Wahlrechts aus offene Listen ergeben. Die Parteistrategen können jetzt zwar warnend auf das Resultat der Piratenpartei verweisen, denn so etwas wollten sie verhindern – aber der Einzug ins Parlament ist ihnen auch nicht geglückt.

Anstatt Erneuerung und einer notwendigen Verjüngung der Partei, schlossen sich also die Reihen wieder. Die Partei wollte sich besonders um ihre traditionellen Wähler*innen kümmern, gleichzeitig aber auch Perspektiven für jüngere Menschen bieten. Letzteres erfolgte aber nur halbherzig, die KSČM setzte ihre Hoffnung allein in ihre bisherigen Stammwähler*innen, die immer treu zur Partei gestanden hatten. Andere linke Organisationen wurden zurückgesetzt, wie viele Beobachter*innen kritisch anmerkten, nur als soziale Bewegungen aber nicht als politische Partner der KSČM gesehen.

In der Wahlkampfstrategie der Partei wurde jedoch ein wichtiger Punkt übersehen: Die Lage hatte sich durch die Tolerierung der Regierung von Ministerpräsident Andrej Babiš (ANO) für die Partei fundamental geändert. Die KSČM, die immer auch eine Protestpartei war und sich von allen Skandalen der Regierung fernhielt, war nun in den Augen vieler Wähler*innen zu einer Unterstützerin der offiziellen Regierungspolitik geworden. Sie wurde also für Entscheidungen der Regierung mitverantwortlich gemacht. Die Kommunikationsstrategie der Partei, die erst spät entwickelt wurde, dass auf diese Weise auch viele eigene und wichtige Programmpunkte durchgesetzt werden konnten, erwies sich im zugspitzten Wahlkampf – für oder gegen Babiš – als zu unklar und letztlich wenig erfolgreich.

Eine noch stärkere politische Polarisierung als bei diesen Wahlen ist nur schwer vorzustellen. In der tschechischen Parteienlandschaft haben sich zwei größere Blöcke herausgebildet: auf der einen Seite ANO, die Partei des Ministerpräsidenten, und auf der anderen Seite zwei Wahlkoalitionen der Opposition. Kleinere Parteien, die alleine antraten und sich in dieser Polarisierung nicht klar verorteten, hatten wenig Aussicht, sich durchzusetzen. Das wurde der KSČM zum Verhängnis, traf aber auch die kleinere Regierungspartei ČSSD, die versuchte, sich an dieser Frage vorbeizumogeln.

Am Ende der Legislaturperiode versuchte die KSČM sich zu retten, indem sie die Tolerierung der Regierung aufgekündigte und sich im Wahlkampf bewusst von dem zugespitzten Streit zwischen ANO und ihren konservativ-liberalen Herausforderern fernhielt. Viele Wähler*innen, für die vor allem soziale Themen wahlentscheidend waren, stimmten in der polarisierten Situation, wo es eben „um alles geht“, direkt für ANO. ANO schnitt besonders gut in den einstigen Hochburgen der KSČM ab, die nun auch dort einbrach.

Die KSČM versuchte im Wahlkampf, die sich abzeichnenden Verluste zu minimieren. Sie führte eine eher traditionelle Kampagne auf lokaler Ebene. Bunte Kandidat*innen, wie sie bei den EU-Wahlen auf der offenen Liste angetreten waren, fehlten nun. Stattdessen führte Vojtech Filip, der langjährige Vorsitzende, die Partei in den Wahlkampf.

Als nach Schließung der Wahllokale die ersten Ergebnisse aus den einzelnen Landesteilen kamen, wurde allen klar, dass der Einzug ins Parlament deutlich verfehlt wurde und die Wahlstrategie der Partei gescheitert war. Daraufhin trat die gesamte Parteiführung zurück. Über die weitere Zukunft der KSČM wird nun am 23. Oktober ein Sonderparteitag entscheiden. Viele Beobachter*innen meinen jetzt, dass die Chancen für eine Rückkehr ins Parlament bei den nächsten Wahlen noch schlechter seien als für die ebenfalls gescheiterten Sozialdemokraten.

Am Wahlabend erklärte Kateřina Konečná ihre Bereitschaft, die Parteiführung zu übernehmen, um die Arbeit der Partei fortzuführen. Sie kündigte ein breites Bündnis linker Parteien und Organisationen an und will dazu bald in Gespräche eintreten. Doch welchen Weg die KSČM in Zukunft nehmen wird, bleibt noch offen. Die Aufarbeitung der Niederlage wird schwieriger als sonst sein. Denn durch die konservativ-liberale Mehrheit, die künftig den Ton in der tschechischen Politik vorgeben wird, werden linke Themen nun an den Rand gedrängt.