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Spekulationen um Lithiumvorkommen in Mexiko

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Autorin

Carla Vazquez,

Lithium wird für die Produktion von Smartphones, Solarzellen und Batterien für Elektroautos benötigt. Die steigende Nachfrage nach dem Mineral verändert, wie das Beispiel Mexiko zeigt, geopolitische Beziehungen: Berichte über große Lithium-Vorkommen im Norden Mexikos haben das Interesse internationaler Bergbau-Unternehmen geweckt – während lokale Communities die sozialen und ökologischen Folgen der Bergbauprojekte fürchten. Die Debatte ist jetzt auch in der nationalen Politik angekommen: Präsident Andrés Manuel López Obrador hat im Oktober angkündigt, sämtliche Lithiumvorkommen verstaatlichen zu wollen.  

Lithium ist ein wichtiger Rohstoff für Smartphone, Elektrofahrzeuge und Solaranlage – und die zunehmende Bedeutung des Lithium-Abbaus führt zu einer Neugestaltung geopolitischer Beziehungen. Dabei zeigt sich: Die fortschreitende «Energiewende» belastet den globalen Süden. Sie geht mit einer Intensivierung von Spekulationsgeschäften durch Bergbauunternehmen einher, und einer Verschärfung der sozio-ökologischen Konflikte in den Regionen, in denen sich die Vorkommen befinden.

Standen bisher Länder wie Bolivien und Chile im Zentrum der Auseinandersetzungen um den Lithium-Abbau, wurde nun auch Mexiko in diese Konflikte hineingezogen. Laut Daten des integrierten Informationssystems zur Bergbau-Ökonomie (SINEM) der mexikanischen Regierung, liegen Konzessionen für mehr als 622.000 vor, verteilt auf 36 Projekte zur Exploration oder zum Abbau von Lithium. 84 Prozent dieser Projekte sind derzeit inaktiv – das könnte bedeuten, dass sie gestoppt werden wenn die Verfassungsreform durchkommt, die Präsident Andrés Manuel López Obrador im Oktober angekündigt hat und die vorsieht, dass nur noch staatliche Unternehmen Lithium abbauen dürfen.

Carla Vázquez ist Projektmanagerin im Regional-Büro Mexiko-Stadt der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Vor dem Hintergrund der Debatte um Lithiumabbau haben das Kollektiv GeoComunes, die NGO Mining Watch Canada und das mexikanische Netzwerk der vom Bergbau Betroffenen (Network of People Affected by Mining, REMA) einen Bericht herausgegeben, mit dem Titel El Litio: La nueva disputa comercial dinamizada por el falso mercado verde (Lithium: Der neue Handelskonflikt, der durch den falschen grünen Markt angeheizt wird). Die Untersuchung konzentriert sich auf mögliche Bedrohungen für die Gemeinschaften und Regionen, in denen diese Minen betrieben werden sollen, sowie auf Versuche, die Konflikte zu skizzieren, die damit verbunden sind. Ein Beispiel ist ein Gebiet in Sonora, nur 200 Kilometer von der US-amerikanischen Grenze entfernt, für das das Unternehmen Bacanora Lithium Konzessionen erhalten hat – Berichten zufolge könnte es sich mit geschätzten 243 Millionen Tonnen über das weltweit größte Lithiumvorkommen handeln. Diese Zahlen haben sowohl in der Bergbau- und Energiebranche als auch in der mexikanischen Regierung Aufmerksamkeit erregt – sie waren vermutlich auch der Auslöser für die Debatte in der mexikanischen Regierung, die zum Vorschlag der Verfassungsänderung führte und die zum Ziel hat, strategische Ressourcen wie Lithium zu verstaatlichen.

Soziale Bewegungen und die Bevölkerung der betroffenen Regionen hingegen befürchten, dass die Gewinnung des Rohstoffs die sozial-ökologische Krise und das Klima der Gewaltkriminalität verschärfen könnte, das in den nördlichen Regionen Mexikos herrscht. Mexiko hat in den letzten Jahren unter den schlimmsten Dürren seiner Geschichte und einem alarmierenden Anstieg der Verbrechensrate gelitten.

Gefahren und Kosten des Lithiumabbaus

Der Abbau des Leichtmetalls Lithum im Tagebau erfordert, wie im Bericht geschildet, chemische Reaktionsmittel und sehr viel Wasser. Der besonders hohe Wasserverbrauch beim Abbau in Salzlagerstätten[1] führt, wie die Projekte in Chile und Argentinien zeigen, zu akuten Dürreperioden. Der Bericht verweist zudem darauf, dass Lithium auf den internationalen Listen[2] der gefährlichen und der besonders gesundheitsgefährdenden Stoffe geführt wird.[3]

Paradoxerweise werden diese Kosten in Kauf genommen, um, wie argumentiert wird, die Klimakrise und die globale Erwärmung in den Griff zu bekommen. Die Umstellung auf erneuerbare Energien, die für eine Energiewende nötig ist, und die Elektrifizierung des öffentlichen und privaten Verkehrs, scheinen nicht zur Debatte zu stehen. Die Rohstoffindustrie hat sich dieser Forderung in all ihrer Dringlichkeit opportunistisch angeschlossen und präsentiert sich nun auf einmal als Heilsbringerin.

Im Fall der Lithiumgewinnung versuchen dabei Banken und Bergbaukonzerne, den Abbau als umweltverträglich und harmlos darzustellen. Doch «Abbauprojekte von Lithiumgestein wie im Norden Mexikos sind ebenso verheerend für die Umwelt wie für die Bevölkerung der Region. Sie unterscheiden sich nicht von einem beliebigen anderen Tagebauvorhaben», so Yannick Deniau, Geograf und Mitglied des Kollektivs GeoComunes.[4]

Mexikos Bergbauindustrie trägt lediglich 2,4 Prozent zum BIP bei. Das Land verfügt zudem nicht über die für die Lithiumgewinnung erforderlichen Technologien: Damit sind Abhängigkeitsbeziehungen zu anderen Ländern vorprogrammiert und die Rolle des Landes ist auf den Rohstoffexport beschränkt. Der Lithiumabbau verspricht so keine Vorteile für die Entwicklung des Landes.

Mexiko im Spannungsfeld zwischen Asien und Nordamerika

Dass Mexiko über vielversprechende Lithiumreserven verfügt, rückt das Land mitten hinein in das Spannungsfeld von Markt- und Rohstoffkontrolle. Miguel Mijangos von REMA bestätigt, dass «der Bergbau und die Steuerbegünstigungen der zuliefernden Betriebe für die Rüstungs-, Energie- und Automobilindustrie für Unternehmen aus den Vereinigten Staaten, Spanien und Deutschland sehr attraktiv sind. Große Unternehmen dieser Branchen haben sich wegen der billigen Arbeitskräfte und der geringen Umweltauflagen hier angesiedelt. Sie produzieren jedoch keine Güter, die der Entwicklung des Landes zugutekommen, sondern Konsumgüter, die in andere Länder exportiert werden.»[5]

Als neuer Wirtschaftsfaktor für den Energiesektor und die Automobilindustrie verändert Lithium die Rahmenbedingungen für die Beziehungen zu anderen Ländern. Hauptaktionäre des Unternehmens Bacanora Lithium, das im Norden des Landes Lithium abbauen will, sind die asiatischen Firmen Hanwa Co. (Japan) und Ganfeng Lithium (China). Ganfeng Lithium hat laut der Studie von Geocomunes Anspruch auf 50 Prozent des Lithiumkarbonats, das in der Anfangsphase gewonnen wird, und auf 75 Prozent des Lithiums als Endprodukt. 2018 unterzeichnete das chinesische Unternehmen eine Vereinbarung mit Tesla (USA), um die Versorgung mit Lithium für dessen Batterie- und Automobilwerk in Nevada (USA) zusammen mit dem Unternehmen Panasonic sicherzustellen.

«Die Vorhaben im Norden Mexikos liegen nahe der Grenze zu den Vereinigten Staaten. Das Kapital bewegt sich dorthin, kauft und verkauft Grundstücke, gründet Finanzgesellschaften usw., und kreiert damit eine Spekulationsdynamik, die sich staatlicher Kontrolle entzieht»,[6] warnt der Geograph Deniau. Vor allem chinesische Investitionen spielen bei diesen Bergbauprojekten weltweit eine immer größere Rolle und scheinen damit die Interessen der USA zu bedrohen, deren wirtschaftliche Beziehungen zu den asiatischen Volkswirtschaften ohnehin angespannt sind. Daher wurde in der letzten Aktualisierung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) festgelegt, dass zwischen 65 und 76 Prozent der Komponenten für Batterien und Automobilteile aus der Region stammen müssen, um zollfrei zu sein. Das schließt einen intensiveren Handel der mexikanischen Wirtschaft mit asiatischen Märkten für diese Wirtschaftsgüter aus.

Lithium-Vorhaben in Mexiko im Spannungsfeld zwischen asiatischen Ländern und den Vereinigten Staaten

Legende: Fortgeschrittene Phase von Projekten zum Abbau von Lithium / Hauptausfuhrhäfen Asien / Lithiumbedarf in den USA / Produktionsanlagen für elektrische Batterien / Photovoltaikanlagen /  Batteriespeicherkraftwerke / Asiatische Märkte / Japan, China, Südkorea

Weitere Informationen auf der Karte von links nach rechts: One World Lithium, Bacarona Lithium, OrganiMax Nutrient Corp., US-Markt Geocomunes-MininWatch-REMA

Spekulation und regionale Auswirkungen

Die Bergbauindustrie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie in den verschiedenen Phasen der Geschäftstätigkeit spekulative Dynamiken entwickelt. «Vorhaben werden von kleinen Bergbauunternehmen geplant, die vom Eigenkapital ihrer Aktionär*innen leben, aber nicht solide genug sind und nicht über ausreichend Ressourcen verfügen, um ein Projekt auch umzusetzen. Sie warten nur auf den Moment, in dem ihre Aktien steigen, um diese, ähnlich wie bei Vorhaben für erneuerbare Energien, an andere Unternehmen zu verkaufen», so Deniau vom Geocomunes Kollektiv. Die Maßnahmen zur Senkung des globalen CO2-Ausstoßes würden dabei die negativen Auswirkungen nur in den globalen Süden verlagern. «Opferzonen, die die wesentlichen Kosten tragen, sollen durch eine Art emotionale Erpressung legitimiert werden. Sie wollen uns davon überzeugen, dass negative Auswirkungen für bestimmte Regionen und Communitys zum Wohle zukünftiger Generationen unvermeidlich seien.»

Ähnlich sieht dies Viviana Herrera, Mitglied von Mining Watch Canada. Ihr zufolge sind diese Prozesse Teil kapitalistischer Spekulationsdynamiken, was sich unter anderem dadurch zeige, dass «es 218 Projekte in Lateinamerika gibt, von denen aber nur acht derzeit tatsächlich in Betrieb sind» [7]. Die Aktivistin und Wissenschaftlerin hat nachgewiesen, dass Litihium-Bergbau-Projekte in Lateinamerika keine Berichte zu den möglichen Folgen für die indigenen Gebiete und Gemeinschaften vorgelegt haben, wie es internationale Konventionen zu den Rechten indigener Gemeinschaften wie die ILO-Konvention 169 eigentlich vorsehen.  «Ein typischer Fall ist die Stadt Salinas in Argentinien, wo Litihum abgebaut wird, mit bedeutenden sozialen und ökologischen Folgen, wie Dürren und Wasserverschmutzung, und wo das Recht auf freie und vorherige Beratungen nach erfolgter Informierung nicht gewährt wurde, indem einfach willkürlich ignoriert wurde, dass es sich um eine indigene Gemeinschaft handelt.»

Lithium-Vorhaben: Bacanora Lithium / One World Lithium / OrganiMax Nutrient Corp. / andere spekulative Vorhaben / Vorhaben des Mexikanischen Geologischen Dienstes (SGM) / Bundesstaaten mit Lithium-Konzessionen oder Abtretungen / Bundesstaaten mit Abtretungen an den SGM / Bundesstaaten mit privaten Abbaukonzessionen / Bundesstaaten mit privaten Konzessionen und SGM- Abtretungen / Lithium Verarbeitung und Export / Pilotanlage Bacanora Lithium / Hauptausfuhrhäfen Asien

Unternehmensnamen (ohne Wiederholungen) Karte von links nach rechts:  Pan American Lithium / Rock Tech Lithium / ZEOX Corporation / Infinite Lithium / Bacanora Lithium / Radius Gold / OrganiMax Nutrient Corp. / Alien Metals Limited / Zenith Minerals Limited
  Geocomunes-MininWatch-REMA

Ungleiche Chancen in der Energiewende

Die von der kapitalistischen Logik getragene Energiewende verschärft die Enteignung und Zwangsumsiedlung der mexikanischen Bevölkerung. Es gibt keine genaue Zahlen zu den Menschen, die durch Energieprojekte vertrieben wurden, nach Angaben der mexikanischen Kommission zur Verteidigung und Förderung der Menschenrechte sind jedoch seit 2006 insgesamt rund 350 000 Menschen im Land vertrieben worden. Gemeinschaften, die sich gegen Gewalt und die marktwirtschaftliche Logik der Energiewende wehren, haben vor diesem Hintergrund kaum Chancen, sich alternative Lebensgrundlagen aufzubauen. «Das Problem ist, dass der Widerstand gegen Bergbauprojekte viel kollektive Kraft erfordert, die für eine Organisierung außerhalb der kapitalistischen Praktiken eingesetzt werden sollte», erklärt Miguel Mijangos von REMA. Die lokale Macht in den Gemeinden und bäuerlichen Gemeinschaften in Mexiko, die Land kollektiv nutzen, kann dabei ein strategisches Instrument zur Abwehr von Bergbauprojekten sein. So gibt es zum Beispiel lokale «bergbaufreie Gebiete», die Reflexion, Organisation, Selbstverwaltung und Selbstbestimmung in Form von offenen Versammlungen auf kommunaler Ebene fördern.

Nichtsdestotrotz verbreitet die strukturelle Gewalt, zu der das organisierte Verbrechen ebenso beiträgt wie Gewalt durch die Bergbauindustrie, in betroffenen Regionen Angst, dass sich neue Bergbau- und Energiemärkte mit starken Interessen etablieren. Die Gemeinschaften fürchten, nicht ohne Grund, dass sich ihre Situation verschäft, wenn es zu einer Energiewende ohne Wandel des derzeitigen Produktions- und Konsummodells kommt – eine Energiewende, deren tatsächliche Kosten unsichtbar bleiben.

Inmitten der Klimakrise ist es zentral, dass die Meinungen der Gemeinschaften gehört werden, die von Erkundungs- und Bergbauprojekten für erneuerbare Energien betroffen sind. «Die Gemeinschaften fordern, dass sie in den Entscheidungsprozess einbezogen werden», sagt Viviana Herrera. Das ist das Mindeste, das jedes Transformationsprojekt, das über rein technokratischen Wandel hinausgehen soll, berücksichtigen muss.


[1] Lithium liegt in gelöster Form zusammen mit anderen Stoffen in Salzlagerstätten vor. Der Lithiumgehalt kann von Lagerstätte zu Lagerstätte variieren, sodass die Gewinnung unterschiedliche Methoden erfordert.

[2] Die Right to Know Hazardous Substance List (Liste gefährlicher Stoffe gemäß Aufklärungspflicht) von New Jersey enthält über 2000 gefährliche Stoffe, darunter auch solche, die auf der Special Health Hazard Substance List (Liste besonders gesundheitsgefährdender Stoffe) stehen. (Anm. d. Ü.)

[3] Lithium ist hochentzündlich und leicht explosiv, wenn es mit Luft und insbesondere Wasser in Berührung kommt. Außerdem ist es ätzend und erzeugt giftige Gase.

[4] Interview mit Yannick Deniau, 24. Mai 2021.

[5] Interview mit Miguel Mijangos, 26. Mai 2021.

[6] Interview mit Yannick Deniau, 24. Mai 2021.

[7] Interview with Viviana Herrera, May 24, 2021.