Nachricht | COP26 - Klimagerechtigkeit «Atomkraft basiert auf der massiven globalen Ungerechtigkeit»

Ein Gespräch mit Patrick Schukalla vom Kollektiv Beyond Extraction

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Die Spekulationen um Atomenergie als Lösung für die Klimakrise haben schon heute Auswirkungen auf Gemeinschaften im globalen Süden.

Gibt es ein Revival der Atomenenergie? Angesichts der sich verschärfenden Klimakrise schlagen mehrere Staaten vor, wieder vermehrt Atomenergie zu nutzen, um Emissionen einzusparen. Zuletzt hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron prominent vorgeschlagen, Atomenergie im Rahmen des Green Deal der EU zur «erneuerbaren Energie» zu erklären. Das ist nicht nur fatal, weil Atomstrom unkalkulierbare Risiken für die Umwelt mit sich bringt und Fragen wie die sichere Lagerung radioaktiver Abfälle bis heute ungeklärt sind. Sondern auch, weil die Debatte schon heute Auswirkungen auf Gemeinschaften im globalen Süden hat, wie das Kollektiv Beyond Extraction in einer Publikation anlässlich der Klimaverhandlungen in Glasgow zeigt. Was Atomenergie mit globaler Gerechtigkeit zu tun hat, erklärt Patrick Schukalla, einer der Autoren, im Interview.

Vor einigen Jahren hatte es den Anschein, die Zeit der Atomenergie sei endgültig vorbei. Nun ist sie auf einmal wieder in aller Munde – hat das mit der Verschärfung der Klimakrise zu tun?

Patrick: Das Motiv, Atomkraft als klimafreundliche Technologie darzustellen, ist nicht neu: Es tauchte zum ersten Mal in den 2000ern auf, in der Zeit der «nuklearen Rennaissance», als auf einmal viele Länder planten, neue Atomkraftwerke zu bauen, etwa auch die USA. Der Reaktorunfall in Fukushima hat die Pläne durchkreuzt und der Debatte einen Dämpfer versetzt. Scheinbar ist der Unfall lange genug her, dass sie von Neuem beginnt – auch vor dem Hintergrund der Verschärfung der Klimakrise.

Mehrere Länder wollen, um Emissionen einzusparen, auf eine neue Art von Reaktoren setzen, sogenannte Small Modular Reactors (SMR).

Versuche, eine neue Generation kleinerer Reaktoren zu bauen, gibt es seit Längerem, bisher allerdings ohne großen Erfolg. Bis die Technologie tatsächlich einsatzfähig wäre, würde es mindestens 10 bis 15 Jahre dauern – viel zu spät, um den Klimawandel einzudämmen. Das ist also eher eine Art utopischer Placebo: Es ist klar, wir haben ein Riesenproblem, und um es zu lösen, müssen wir eigentlich unser Leben total umstellen. Und weil viele das nicht wahrhaben wollen, werden dann Technologien vorgeschlagen, die es noch gar nicht gibt.

Und die selbst höchst dramatische Auswirkungen auf die Umwelt haben.

Nicht nur auf die Umwelt. Dass Atomenergie keine Lösung für die Klimakrise sein kann, dass sie teuer ist und es bis heute keine Lösung für die Endlagerung radioaktiver Materialien gibt – all das ist bekannt. Was in der Debatte oft vergessen wird ist, dass die Nutzung von Atomkraft auch massive Auswirkungen auf Gemeinschaften im globalen Süden hat. Atomkraft wird vor allem als ein Problem wahrgenommen, das Gefahren für die Bevölkerung in den Ländern bedeutet, wo der Strom erzeugt wird. Aber für Atomkraft ist Uran nötig. Und Uran wird vor allem im Globalen Süden abgebaut, mit häufig verheerenden Folgen für die Umwelt und die betroffenen Gemeinden. Und diese Auswirkungen nehmen zu, wenn die Debatte um Atomkraft zunimmt.

Patrick Schukalla ist Geograph und beschäftigt sich unter anderem mit Ressourcenpolitiken und Atomindustrie, insbesondere am Beispiel der Geschichte und Gegenwart der Uranexplorationen in Tansania.

as Kollektiv Beyond Extraction arbeitete bislang schwerpunktmäßig zur Rolle des internationalen Finanzplatzes Toronto im Kontext extraktiver Industrien und der Prospectors and Developers Association of Canada (PDAC).

Weil die Spekulation dazu führt, dass der Uranabbau vorangetrieben wird?

Beim Rohstoffabbau geht es immer zu einem ganz großen Teil um Spekulation. Die großen Konzerne strecken ihre Fühler aus, um bereit zu sein, wenn der Aufschwung tatsächlich kommt. Aber da sind auch kleinere Firmen beteiligt, sogenannte Junior Miners, die hoffen, von der Chance profitieren zu können. Eine große Rolle spielen auch Akteure und Unternehmen an der Schnittstelle von Finanzbranche und Bergbau. Die treiben das voran – gar nicht unbedingt um Atomenergie voranzubringen, sondern weil sie Investitions- und Spekulationsmöglichkeiten sehen. Das ist natürlich Hochrisiko-Kapital, und da sind oft auch sehr windige Akteure dabei.

Die Spekulation hat aber dennoch ganz reale Auswirkungen vor Ort.

Es lässt sich historisch und auch anhand der letzten «Renaissance der Atomkraft» in den 2000er Jahren zeigen, dass jedes Mal, wenn die Debatte um Atomkraft an Fahrt gewinnt, der Druck auf Orte, wo Uran vermutet wird oder nachgewiesen ist, zunimmt. Projekte werden vorbereitet, es kommt zu Vertreibungen, Enteignungen. Und selbst wo dies noch nicht passiert, entsteht ein Klima der Unsicherheit. Die Menschen vor Ort fragen sich: Was passiert mit unserem Land, unseren Weideflächen, können wir die in ein paar Jahren noch nutzen?

Wie im Fall von anderen extraktivistischen Praktiken sind diejenigen, die nachher von der Nutzung des Rohstoffs profitieren, vor allem die Länder des globalen Nordens.

Die Nutzung von Atomstrom beruht auch auf massiven globalen Ungerechtigkeiten. Der Abbau der nötigen Ressourcen findet zu großen Teilen im globalen Süden statt, oder, im Fall von Ländern wie Kanada oder den USA, entlang von inneren kolonialen Strategien auf den Gebieten der first nations.  Nehmen wir mal an, die nötigen Ressourcen müssten auch im Land der Nutzung abgebaut werden, in Frankreich etwa oder Tschechien, dann würde die Debatte ganz anders verlaufen.