Nachricht | COP26 Just Transition

Gerechtigkeit und Fairness stehen auf dem Spiel

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Aktivisten protestieren auf der COP16 in Cancun: Der Begriff «just transition» tauchte zum ersten Mal im offiziellen Kontext auf der Konferenz vor 11 Jahren auf.
  picture alliance / dpa | Roberto Escobar

Das Konzept der Just Transition oder des «gerechten Übergangs» entstand Anfang der 1990er Jahre innerhalb der Gewerkschaftsbewegung, als Reaktion auf Forderungen nach einem Ende der Nutzung von Gas und Kohle und der Schaffung von neuen, umweltfreundlichen Arbeitsplätzen für die  Beschäftigten dieses Sektors. Gemeinsam mit Umweltschutzorganisationen und lokalen Communities wurde das Konzept der Just Transition seither in verschiedene internationale Verhandlungen eingebracht. Mit der zunehmenden Bedeutung der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) und ihrer Gipfel-Treffen (Conference of Parties, COP) wurde auch diese zu einem wichtigen Feld für die Verbreitung des Konzeptes. Die erste Erwähnung von Just Transition in diesem Kontext findet sich im Abschlussbericht der COP16 in Cancún, und auch im Pariser Klimaabkommen, das 2015 auf der COP21 ausgehandelt wurde, wird die «zwingende Notwendigkeit eines gerechten Strukturwandels für die arbeitende Bevölkerung» betont.

Allerdings haben zivilgesellschaftliche Organisationen kritisiert, dass der Begriff der Just Transition in den Klimaverhandlungen nur in einem sehr engen Sinn verwendet wird, bezogen ausschließlich auf die Arbeitnehmerschaft und den Arbeitsmarkt. Die Nutzung des Begriffes steht mit der berechtigten Sorge in Zusammenhang, dass der Übergang zu einer emissionsarmen Wirtschaft, die gegenwärtige Ausbeutung von Arbeiter*innen nur durch eine neue Form der Ausbeutung ersetzt. Dass die UNFCCC den Begriff überhaupt verwendet, zeigt, dass es ein wachsendes Bewusstsein für die sozialen Ungleichheiten gibt, die im Zusammenhang mit dem Klimawandel entstehen. Dennoch ist es wichtig, sich darüber klar zu sein, dass das Konzept stark umstritten ist und unterschiedlich verstanden und umgesetzt werden kann – mit weitreichenden Folgen.

In den letzten Jahren lassen sich in Bezug auf Just Transition zwei, teils miteinander verbundene Entwicklungen ausmachen.

Zum einen setzen sich inzwischen auch Gemeinschaften und Bewegungen aus dem globalen Süden, die aus den Debatten um eine Just Transition lange Zeit ausgeschlossen waren, für ein solches Programm ein – für ein Programm, das die historische Verantwortung ernst nimmt und neokoloniale Praktiken überwindet. Sie machen klar, dass der Übergang zu einer emissionsarmen Wirtschaft auf zwei Arten geschehen kann: Entweder, indem es den ärmsten und am stärksten betroffenen Gruppen Vorrang einräumt und damit eine gerechtere Welt für alle schafft. Oder auf eine Art, die die bestehenden Ungleichheiten weiter vertieft und, während die Zukunft dann vielleicht durchaus grüner ist, sie für die Mehrheit der Menschen weiterhin durch unüberwindbare Hürden in Bezug auf die wirtschaftlichen Verhältnisse gekennzeichnet ist.

Zweitens sind Geschlechterverhältnisse ein wichtiges Anliegen zahlreicher zivilgesellschaftlicher Organisationen des globalen Südens, die Communities vor Ort und indigene Gruppen ins Zentrum der Debatten um eine Just Transition stellen. Ein gerechter Übergang, so ihre Argumentation, sollte nicht nur Sorge- und Hausarbeit in die angestrebte «grüne» Wirtschaft integrieren. Die Transformation sollte den Begriff der Arbeit selbst hinterfragen, damit Sorge- und Hausarbeit, die größtenteils von marginalisierten Menschen und besonders oft von Frauen übernommen wird, fair bezahlt, geschätzt, anerkannt, reduziert und umverteilt wird. Mehr arbeitsfreie Zeit, Förderung des Gemeinschaftsgefühls, Stärkung des zivilen Engagements und Ausbau der Gemeingüter, der commons – all das sollten Ziele eines gerechten und gleichberechtigten Übergangs sein. Dafür ist eine Energie- und Ressourcen-Demokratie notwendig, in der Marginalisierte und insbesondere Frauen Entscheidungen über die Nutzung lokaler Ressourcen und die Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse treffen können.

An der Definition des gerechten Übergangs zeigen sich die bestehenden Spannungen: Höchstens marginale Änderungen des Status quo stehen radikaleren Forderungen gegenüber. Die Fähigkeit der Arbeiter*innen- und Frauenbewegung und der Vertreter*innen aus dem globalen Süden, das Mainstream-Narrativ zu hinterfragen und sich innerhalb und außerhalb des Weltklimagipfels für ein transformatives, historisch angemessenes und faires Verständnis gerechter Übergänge einsetzen, wird zentral für die COP in Glasgow sein.

Aussichten für Glasgow

Der offizielle Fokus der COP26 in Bezug auf Just Transition wird sich auf grüne Arbeitsplätze und die Green Economy beschränken. In diesem Rahmen wird sich der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB), der wichtigste Vertreter des internationalen Gewerkschaftsforums, darauf konzentrieren, mehr Klima- und Sozialverpflichtungen in die nationalen Klimaziele (National Determined Contributions, NDC) zu bringen. Eine der Hauptforderungen des IGB ist die Einführung einer umfassenden sozialen Absicherung durch die Schaffung eines Sozialversicherungs-Fonds. Darüber hinaus fordert der IGB die automatische Einbeziehung von Arbeiter*innen- und Menschenrechten in die verschiedenen Hauptverhandlungen der COP, zum Beispiel in Bezug auf Artikel 6 des Pariser Abkommens zum Emissionshandel, in Bezug auf die Debatte um klimabedingte Schäden und Verluste oder den Gender Action Plan.

Der offizielle Rahmen der Verhandlungen, der auf der COP26 dem Thema Just Transition eingeräumt wird, lässt die von vielen verschiedenen Akteur*innen geforderten inklusiveren und transformativeren Visionen außen vor. Um diese Ziele zu erreichen, ist ein Just Transition Fond nötig und die Frage nach der Finanzierung entscheidend. Die Finanzierung eines gerechten Übergangs darf nicht darauf basieren, Staaten weitere ökonomische Last aufzubürden, sondern muss eine schnellere Abkehr von fossilen Brennstoffen garantieren, ohne die Staatsschulden durch Kredite zu erhöhen. Eine schnellere, gerechte Umsetzung setzt einen inklusiven Prozess und einen geordneten, allmählichen Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe voraus, der soziale und ökologische Gerechtigkeit mit der Notwendigkeit von Entwicklung verbindet – einen Prozess, der die betroffenen Communitys und Arbeiter*innen in den Entscheidungsprozess einbezieht.

Alle Vertragsparteien müssen sich verpflichten, mit sofortiger Wirkung auf weitere Investitionen  in fossile Brennstoffe und Kernenergie zu verzichten und die auf fossilen Brennstoffen basierende Wirtschaft auf eine nachhaltige Energiedemokratie umzustellen. Der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen und der Ausbau einer nachhaltigen und geschlechtergerechten Produktion und Nutzung von erneuerbaren Energien muss die historischen und die gegenwärtigen Ungleichheiten entlang der globalen Wertschöpfungsketten berücksichtigen und neokoloniale Praktiken der Extraktion und des Auslagerns in den globalen Süden vermeiden. Der Übergang zu einer regenerativen Energiewirtschaft, die bis 2035 zu 100 Prozent aus sicheren und erneuerbaren Quellen gespeist werden soll und die Dezentralisierung und Demokratisierung der Besitzverhältnisse im Energiesektor, verbunden mit einem Just Transition Plan, der Lebensgrundlagen schützt und grüne Arbeitsplätze schafft, muss auch die geschlechterspezifische Arbeitsteilung in Niedriglohn- und Dienstleistungssektoren, unsicheren Arbeitsverhältnissen und der Subsistenzwirtschaft angehen.

In diesem Zusammenhang muss auch die Landwirtschaft einbezogen werden, die auch besonders anfällig für die Folgen des Klimawandels ist und in der in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen besonders viele Frauen beschäftigt sind. Die Internationale Arbeitsorganisation schätzt, dass über 60 Prozent aller in Südasien und Subsahara-Afrika arbeitenden Frauen in der Landwirtschaft tätig sind, oft unter- oder überhaupt nicht bezahlt, und dass sie gerade in zeit- und arbeitsintensiven Tätigkeiten eingesetzt werden.

Beim Aufbau einer emissionsarmen und nachhaltigen Wirtschaft kann ein umfassendes Verständnis von Just Transition dafür sorgen, dass Frauen nicht abgehängt werden und ihr aktueller und möglicher Beitrag zu grünem Wachstums und zu einer nachhaltigen Entwicklung für alle nicht untergraben wird. Das Lima-Arbeitsprogramm und der darin enthaltene Aktionsplan für die Gleichstellung der Geschlechter müssen auf das Gesamtziel des dringenden Übergangs von einer zutiefst ungerechten, auf fossilen Brennstoffen basierenden Wirtschaft zu einem nachhaltigeren, gerechteren und ausgewogeneren Entwicklungsmodell hinwirken, das die Menschenrechte von Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter gewährleistet. Dies erfordert besondere politische Maßnahmen, die an die länderspezifischen Herausforderungen angepasst werden und ökologische, soziale und menschenwürdige Arbeitsbedingungen festschreiben. Ein solcher Ansatz kann sicherstellen, dass die Segregation von Sektoren und Beschäftigungen nicht fortgeführt wird, dass Lohn- und Qualifikationsunterschiede beseitigt werden, ein inklusiver sozialer Dialog stattfindet und Arbeitsbedingungen und Sozialschutz verbessert werden.