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Geschichten georgischer Hausarbeiterinnen in Athen

In der Pension. Foto: Tatiana Mavromati

«Sunday Women» ist eine Ausstellung, die den Alltag von in Athen lebenden georgischen Frauen im Kontext ihrer Rolle als Hausangestellte in Haushalten in der ganzen Stadt sichtbar macht.

Die Ausstellung beginnt mit einer fotografischen Erkundung des häuslichen Lebens der georgischen Gemeinschaft, wie es sich in ihren eigenen Wohnungen abspielt: individuell oder kollektiv angemietete Räume, in denen sie sich an ihren freien Tagen von der Arbeit in griechischen Haushalten treffen.

Ihre Geschichten beschreiben die Arbeitsbedingungen, mit denen sie konfrontiert sind, die Erfahrung, als Hausangestellte zu arbeiten und die Unterstützungsnetze, die sich innerhalb der Gemeinschaft entwickelt haben, um den Alltag im Dienste anderer zu bewältigen.

Das Projekt ist eine Zusammenarbeit zwischen Tatiana Mavromati und Laura Maragoudaki mit finanzieller Untestützung durch das RLS Büro in Athen. 

Die Ausstellung wurde im Oktober und November in Athen gezeigt und soll jetzt auf Reisen gehen.

Antzela Dimitrakaki beschreibt im folgenden Text ihre Eindrucke beim Gang durch die Ausstellung. Der Text erschien erstmals am 5. November 2021 in griechischer Sprache in der Zeitschrift Propaganda.

VORHER

Die Ausstellung «Sunday Women: Geschichten georgischer Haushaltsarbeiterinnen in Athen» wurde im Kamiros-Saal in Kypseli gezeigt. Was ich vor meinem Besuch darüber in der Presse las, hatte bereits mein Interesse geweckt – auf jene formelle und zu erwartende Weise, mit der eine Ausstellung von Kamerapraktiken um eine «soziale Konvention», die dermaßen vom Alltagsleben assimiliert ist, dass sie unbeobachtet bleibt, das Interesse weckt. Während faschistoide offizielle politische Maßnahmen die «Migrationsströme» ununterbrochen ins Fadenkreuz nehmen, würde der Alltag tausender «Einheimischer» in Griechenland (ebenso wie in vielen anderen Ländern) zusammenbrechen, wenn durch einen Spuk jene Migrantinnen, die Senioren, Kranke, Kinder und manchmal auch Hunde betreuen, von ihren Stellen in der Nachbarwohnung oder auch aus unseren eigenen vier Wänden verschwinden würden. Diese Haushaltsarbeiterinnen leben und arbeiten oft im inneren Heiligtum des Haushalts ihrer Arbeitgeber, denen sie 24 Stunden pro Tag und sechs Tage pro Woche zur Verfügung stehen; außer sonntags, ihrem einzigen Ruhetag. Auf dem Weg zur Ausstellung hatte ich noch die absurde Vorstellung eines irgendwie magischen und dennoch wahren Verschwindens bzw. Ausscheidens der unsichtbar gemachten Migrantinnen im Kopf. In entsprechend vorhersehbarer Stimmung betrat ich dann die Ausstellung in der Kamilou-Straße: im Glauben, dass ich mehr oder weniger alles, was ich sehen würde, bereits kannte und dass alles, was ich davon mitnehmen würde, ein wörtliches «Abbild» jener Tatsachen sein würde, die ich aus meinem eigenen Leben und dem Leben der Stadt kannte. Ich sollte mich irren.

NACHHER

So irrte ich durch die Ausstellungsräume umher. Ich ging an den Fotos im Erdgeschoss und am Dokumentarfilm im Keller vorbei. Dann machte ich auf dem Dachboden weiter, in einer dessen Ecken eine ehemalige griechische Haustochter ihre Geschichte der Kamera erzählte. Schließlich kehrte ich ins Erdgeschoss zurück, um mir die Fotos der mir nun vertrauter erscheinenden Frauen nochmal anzusehen und spürte, wie die Schwere der «von der anderen Seite» betrachteten Realität Zeit und Raum begrenzte. Die durch die Lebenserzählungen in der Videoprojektion im Keller entstandene emotionale Aufladung hatte als Auslöser gewirkt. Es war eines der sehr wenigen Male, dass ich vernahm, wie dem Publikum kleine Verzweiflungsseufzer entwichen. Aus dem sonst so anonymen Publikum war eine geistig wachsame Gemeinschaft gewachsen. Es war auch eines der sehr wenigen Male, dass mein eigener entsetzter Blick über die «Arbeitsteilung» im Haushalt dieser Frauen auf andere Blicke traf, die der Druck, den aufgestauten Emotionen Ausdruck zu verschaffen, ebenso trübte wie den meinen. Da aber eine Ausstellung als öffentlicher Raum wahrgenommen wird, gelten hier auch andere Verhaltensmuster als im Privaten. Es war auch eines der sehr wenigen Male, dass ich glaubte, in einem Ausstellungsraum die Gedanken der Menschen, die um mich herum standen oder auf den in Abständen aufgestellten Stühlen saßen, zu teilen. Und es war eines der sehr wenigen Male, dass ich eine kollektive Resonanz auf einen «Kunstraum» erlebte.

Dr. Antzela Dimitrakaki ist Autorin und Senior Lecturer für zeitgenössische Kunstgeschichte und -theorie an der Universität Edinburgh, an der sie seit September 2007 lehrt. Seit 2021 vertritt sie die Universität Edinburgh als Studienleiterin des Promotionsforschungsprojekts «Gender and the sexual division of labour in the curating and production of socially engaged art» im Rahmen des Innovative Training Network FEINART, das von den Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen von Horizon 2020 unterstützt und von der University of Wolverhampton geleitet wird.

Geschichte, Opfergabe, Position

Die Ausstellung bewegt sich gegen Protokolle und Konventionen: Sobald der Ausstellungsraum betreten wird, zieht er sich zurück. Ich würde gar behaupten, er macht sich selbst unsichtbar, um den Zuschauenden das vorbestimmte Schicksal der schwächeren sozialen Klasse vor Augen zu führen. Dabei handelt es sich auch um das vorbestimmte Schicksal des betreuenden und pflegenden Geschlechts: jenes der Frauen. Und es handelt sich auch um das vorbestimmte Schicksal ethnischer Gruppen, die geopolitisch und historisch bedingt dazu verurteilt werden, anderen Ethnien zu dienen. Die Ausstellung Sunday Women bringt diese dreifache Vorverurteilung ebenso wie Risse des Widerstands zum Ausdruck. Und es sind die Frauen, die dieser Vorverurteilung ebenso wie dem Widerstand dagegen Fleisch und Blut verleihen, indem sie vor den BesucherInnen erscheinen und die Grenzen des Mediums – sei es Fotografie, Video oder Audio – sprengen.

So wird die Vermittlung der Darstellung zu einer Kommunikationsmembran – was an sich schon eine wahre Leistung dieser Vermittlung ist, sowohl auf künstlerischer wie auf kuratorischer Ebene. Aus dieser Membran entspringen die Gedanken und die Worte der Frauen. So werden Positionen eingenommen. So kommt es zu Selbstkritik und Kritik. So werden Fragezeichen formuliert. So werden historische Erklärungen geboten. Ausgezeichnet ist dabei, dass die Auflösung der Sowjetunion und der Ausgang des Kalten Kriegs als weitergeführtes historisches Stigma und Matrix der facettenreichen Erfahrung erwähnt werden, welche die untereinander verbundenen Geschichten der Arbeiter:Innen bieten.

Die Ausstellung zeichnet auch die Art und Weise aus, auf die sie es schafft, auf dieses historische Schlüsselereignis Bezug zu nehmen, das zur heutigen transnationalen geschlechtsspezifischen Organisation der sozialen Reproduktion geführt hat. Den Worten einer studierten Haushaltsarbeiterin, die ihr Kind an ihrem Herkunftsort zurück gelassen hat, dass keine Arbeit eine Schande, diese Arbeit aber eine «Opfergabe» sei, wird ebenfalls durch dieses historische Ereignis Sinn verliehen. Dabei werden ihre Worte nicht nur über ihre Stimmbänder, sondern auch über ihre Augen und ihre gesamte Körpersprache übertragen, ebenso wie durch die unvermeidliche Verflechtung des Politischen und des Persönlichen, wofür sie stellvertretend steht. In diesen Narrationen, welche die Besucher:innen für immer und ewig vergegenwärtigt folgen werden, gibt es nichts, das als überholt betrachtet werden könnte. Darin gibt es nur deine Position. Welche ist sie?

Das Unten bei ihr, das Unten bei uns

Der im Keller gezeigte Dokumentarfilm, aus dem die Worte über die Opfergabe stammen, erzählt, in gebrochenem und beneidenswert zeitgenössischem Griechisch eine Dialektik, die uns nicht fremd ist: die Dialektik unserer eigenen Entfremdung, unserer eigenen Unterwerfung auf der Arena des Arbeitsmarkts und im Selbstbewusstsein unserer menschlichen Möglichkeiten, die in der langsamen Gewalt unserer Klassengesellschaft zerstört werden. Die allgemeinere Narration der Ausstellung findet jedoch ihren Höhepunkt im Video «Das Unten». «Das Unten» ist kein Ort, kein Keller, in dem vielleicht irgendein erschöpftes Aschenputtel schläft, wozu uns unsere Phantasie eventuell verleiten mag. Noch ist es irgendeine Metapher für ein durch unverhohlene Unterwerfung geprägtes Arbeitsverhältnis, trotz der englischen Übersetzung des Videotitels als «the child-servant» durch die Ausstellung.

«Das Unten» ist das internalisierte Lebensgefühl der Herabwürdigung, dem sich die ehemalige griechische Haustochter, die von ihrer Kindheit erzählt, widersetzte: Im Alter von neun Jahren wurde sie wegen der Mittellosigkeit ihrer leiblichen Eltern einem Paar aus der Provinz als Gesellschaft und Dienerin überreicht, bis sie im Alter von 18 Jahren beschloss, ihre Arbeitgeberfamilie zu verlassen und somit auch «das Unten». Die Haltung, zu Allem «ja» zu sagen, immer zu tun, was ihr gesagt wird, hinter sich zu lassen.

Die ehemalige Haustochter aus der Provinz beschreibt die Revolution ihres Seins gegen das tagtägliche Verderben ihres Charakters und letztendlich ihrer Existenz durch die Lösung, die der real existierende Kapitalismus für ihre Klasse und ihr Geschlecht bereithielt: die Lösung, als Haustochter zu leben. Und dann fühlt sich der/die Besucher/in auch als Haustochter, wenn auch vielleicht viel weniger revolutionär als die Erzählerin, auch wenn er/sie nicht das Unglück hatte, der falschen Klasse anzugehören. Während diese Zeilen geschrieben werden, kann ich im Eifer des Gefechts nicht mehr sagen, ob ich das Wort «Revolution» tatsächlich so oft im Video gehört habe oder ob meine Phantasie es ihm zugefügt hat. Das ist aber auch nicht weiter von Interesse. Es reicht der Eindruck, dass die «Revolution» als Wort ihren Bestand behält und dass sie mit der Lebensbilanz einer Frau in Verbindung gebracht wird, die als Kind eine Dienerin gewesen ist.

Wem gehört das Wort «Revolution»?

Das Zeugnis der Haustochter – die Erzählung einer Kindheit als Dienst, definiert durch die «humanitäre» Interpretation der Klassenkonvention durch eine finanziell bessergestellte Familie, die in bester Absicht einer armen Familie hilft – fließt ruhig, kohärent und klar. Ebenso wie herzzerreißend. Sobald die Besucher der Verbindung dieses Zeugnisses mit jenen der Migrantinnen aus Georgien, dem eigentlichen Fokus der Ausstellung, ausgesetzt werden, gibt es auf psychischer Ebene kein Zurück mehr. Und es sollte auch keins geben. Es war genau dieser Moment, als wir uns im Ausstellungsraum trotz unserer Schutzmasken mit einer Freundin gegenseitig erkannten und spontan die Hände zum Hals, oder vielleicht doch zum Herz führten. Unsere Bewegung brachte unser psychisches Verständnis einer gesellschaftlichen Ungerechtigkeit zum Ausdruck, die hier als Auslöser fungierte, ebenso wie das Erkenntnis des Gefangenseins unseres Geschlechts in den Zahnrädern der Maschinerie der sozialen Reproduktion in einem weitergeführten Gesellschaftsvertrag, den wir niemals unterschrieben haben. In einem Gesellschaftsvertrag, der gesenkte Häupter gestaltet – die jedoch den Blick erheben, Widerstand leisten, ihn hinter sich lassen und sich befreien. Oder auch nicht. Oder vielleicht irgendwann mal. Währenddessen beobachtet vom Eingangsbereich der Ausstellung die Gestalt Rosa Luxemburgs das Geschehen.

Für die Frauen, die für die Ausstellung verantwortlich zeichnen

Dieser Text soll keine Ausstellungskritik sein – trotz Tatiana Mavromatis und Lora Maragkoudakis herausragenden Werken, die gemeinsam mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung, den Betreiberinnen des Kamiros-Saals und den freundlichen Angestellten des Ausstellungsraums für die beste Ausstellung Athens sorgten: eine Ausstellung über das wahre, alltägliche, wiedererkennbare Leben. Es handelt sich um eine Ausstellung, die Eingänge und Wege zur Identifikation, zur Betrachtung und zum Überdenken bietet; und zwar unabhängig davon, ob der/die Betrachtende zu den georgischen Haushaltsarbeiterinnen, zu den Menschen, die nicht ohne sie leben können, oder zu jenen, die lediglich von «Hauspersonal» gehört haben, dessen einziger Tag des Auftauchens in der Oberwelt ein Sonntag ist, gehört. Für das Geschenk einer solchen Ausstellung inmitten der Athen überschwemmenden Kulturveranstaltungen kann ich mich nur bei den Künstlerinnen und den weiteren Beteiligten unabhängig von ihrer jeweiligen Rolle bedanken. Der Grund, aus dem ich über das Projekt der Sunday Women schreiben wollte, war jedoch, dass dieses Projekt das Einnehmen einer Position durch eine Fachperson, eine berufliche Betrachterin (oder Kunstkritikerin, falls Sie den Begriff bevorzugen), unmöglich gestaltet. Sicherlich sorgt nicht nur das Schwinden der Unterscheidung von Ästhetik und Politik in diesem Projekt beim Beziehen einer Position für Verlegenheit. Diese Herangehensweise und ihre gestalterische Rolle bei künstlerischen Kamerapraktiken existieren ja seit Langem und bestimmen die Notwendigkeit sich weiterentwickelnder kritischer Realismen unserer Zeit. Viel eher ist es die Tatsache, dass das soziale Subjekt, das im ästhetischen und politischen Projekt der Sunday Women abgebildet wird, sich aus jeglichem «Rahmen» verselbstständigt und seine Präsenz auch innerhalb der Darstellung einfordert. Aus diesem Grund schreibe ich etwas hastig, da ich erfahren habe, dass die Ausstellung nur noch wenige Tage, bis zum 12. November, geöffnet bleiben wird. Ich hoffe, das stimmt. Je mehr Menschen es schaffen, sich als EmpfängerInnen des von den Sonntagsfrauen ausgehenden Weckrufs zu beteiligen, umso mehr käme es der Gesellschaft, in der wir leben, zugute.