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Noch ein «guter Kompromiss»

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Lisa Mangold,

Foto: picture alliance/dpa | Daniel Bockwoldt

Mit einem Regierungsbündnis aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP steht nun endlich die Streichung von § 219a Strafgesetzbuch (StGB) an. Sie wird es Ärzt*innen ermöglichen, öffentlich und umfänglich über Schwangerschaftsabbrüche und damit verbundene medizinische Leistungen zu informieren. Das ist ein wichtiger und längst überfälliger Schritt. Im Effekt rückt damit aber eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in noch weitere Ferne. Die dazu notwendige Aufhebung von § 218 StGB, also die Entscheidung, Abbrüche nicht mehr als Straftat direkt hinter Mord und Totschlag einzuordnen, wird es mit einer Ampelkoalition nicht geben. Schon allein deshalb, weil die FDP dies kategorisch ausschließt.

Es war abzusehen, dass bei einer Machtverschiebung die Abschaffung von § 219a denkbar wird. Für eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen fehlt es indes sowohl an politischen Mehrheiten als auch an gesellschaftlicher Mobilisierung. Schwangerschaftsabbrüche sind ein Tabu, Schwangere Personen, die sich dafür entscheiden, und Ärzt*innen, die diese durchführen, werden nach wie vor stigmatisiert. In den letzten Jahren haben sich breite feministische Bündnisse auf § 219a fokussiert und es nicht geschafft, die Forderung nach einer Streichung von §218 mehrheitsfähig zu machen. Jetzt fehlt der gesellschaftliche Druck, die Position der FDP sowie den fehlenden Eifer von SPD und Grünen zu skandalisieren und die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen auf die Agenda zu setzen.

FDP eindeutig: Freiheit für Ärzt*innen, nicht für Schwangere

Als 2017/18 dank der Ärztin Kristina Hänel und vieler engagierter Feminist*innen die Debatte um § 219a StGB hochkochte, schmückte sich die FDP im Bundestag mit einem Gesetzentwurf, der die Streichung des Paragrafen vorsah. Der Einsatz der FDP stieß jedoch schnell an Grenzen. Nachdem der Entwurf im Bundestag gescheitert war, kündigten Grüne, LINKE und FDP an, eine Normkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht einzureichen, damit das Gericht prüft, ob §219a mit der Verfassung überhaupt vereinbar ist. Die FDP zog sich frühzeitig aus diesem Vorhaben zurück, sodass am Ende die notwendigen Stimmen dafür im Bundestag fehlten. Bereits in dem genannten Gesetzentwurf hatte die FDP-Fraktion festgehalten, wie sie zum Abtreibungsverbot steht. § 218 sei ein «gelungene[r] Kompromiss», der durch die Streichung von § 219a nicht angetastet werden solle (vgl. Deutscher Bundestag 2018a).

Damit bringt die FDP den herrschenden Konsens auf den Punkt: Eine Beschränkung von Ärzt*innen in der bestehenden Form ist nicht länger hinzunehmen, eine Entmündigung von Schwangeren indes schon. Gezielt nach der Streichung des § 218 gefragt, wehrt die FDP ab: Abbrüche seien «unter den Bedingungen der §§ 218a ff. StGB toleriert» (zit. nach Doctors for Choice 2021). Während in der Debatte um die Streichung von § 219a Schwangerschaftsabbrüche noch als «medizinische Leistung» bezeichnet werden, ist, wenn es um das Recht auf Abtreibung geht, nur noch von «tolerieren» die Sprache.

Lisa Mangold arbeitet derzeit als Gewerkschaftssekretärin im Bereich Kunst und Kultur bei ver.di. Zuvor war sie Referentin für feministische Politik bei der Bundestagsfraktion der Linkspartei. In Berlin ist sie in queer-feministischen Bündnissen aktiv und beschäftigt sich mit reproduktiven Rechten und Antifeminismus.

Um diesen Widerspruch zu kitten, bedienen sich auch die Liberalen der reaktionären Rede vom «ungeborenen Leben». Der «Schutz des ungeborenen Lebens» wird dem Selbstbestimmungsrecht von Frauen gegenübergestellt (vgl. Deutscher Bundestag 2018b). In einer Bundestagsdebatte zu Schwangerschaftsabbrüchen 2021, initiiert von der Linksfraktion, sprach die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr davon, es müsse darum gehen, diese beiden Rechtsgüter auszutarieren (vgl. Deutscher Bundestag 2021). Mit dieser Logik knüpft die FDP an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) von 1993 an. Dort heißt es, der Staat habe eine «Schutzpflicht für das ungeborene Leben». Die schwangere Person, vom BVerfG unverblümt als «Mutter» bezeichnet, habe eine Rechtspflicht zur Austragung des ungeborenen Lebens. Das Interesse der Schwangeren und des Fötus werden als Rechtsgut gleichgestellt und dabei praxisfern voneinander getrennt verhandelt. Die schwangere Person und der Embryo sind jedoch keine getrennten Wesen und der Embryo ist nur im Körper der Schwangeren lebensfähig. Der Embryo kann nur dann als etwas Eigenes betrachtet werden, wenn die Schwangere als eine Art Brutkasten gesehen wird. Der 1995 gefundene «Kompromiss» orientiert sich an dieser patriarchalen und bevölkerungspolitischen Konstruktion.

Perfide ist, dass dieser «Kompromiss» auch zu einer Verankerung von Zwangsberatungen von ungewollt Schwangeren geführt hat und damit am Ende Institutionen stärkt, die von Feminist*innen aufgebaut wurden bzw. ihnen Stellen in Beratungszentren sichert. Vielleicht ist dies einer der Gründe, warum es seit der letzten Änderung von § 218a keine nennenswerten feministischen Bündnisse mehr gab, die eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zum Ziel hatten. Die Behauptung eines eigenständigen Interesses des Embryos, das dem Interesse der Schwangeren konträr gegenüberstehe, wird in der breiten Öffentlichkeit nicht infrage gestellt und ist kaum mehr Gegenstand feministischer Kritik.

Angriff des gesellschaftlichen Konsenses notwendig

Die Debatte um das Informationsverbot von Ärzt*innen und die Streichung von § 219a war seit 1995 die erste, mit der das Thema Schwangerschaftsabbrüche erneut eine größere Öffentlichkeit erreichte. Im Zentrum standen jedoch der Zugang zu Informationen und medizinischer Aufklärung sowie teilweise die Versorgungslage. Damit fand erstens eine beschränkte Thematisierung statt und lag zweitens der Fokus auf dem Versuch, über den parlamentarischen sowie juristischen Weg eine Streichung bzw. Änderung von § 219a zu erreichen, begleitet von Demonstrationen und Kundgebungen feministischer Gruppierungen. Dies endete in einer Verschlimmbesserung des Paragrafens durch die Große Koalition, was zwar die Debatte befeuerte, aber am Ende keinen wirklichen Fortschritt brachte.

Die Fokussierung von Aktivist*innen auf § 219a ist naheliegend, da dessen Streichung ein realistisches Ziel ist und eine unmittelbare Verbesserung für viele Betroffene bedeuten würde. Strategisch ist jedoch die Ausweitung auf die Forderung nach einer generellen Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen dringend notwendig. Diese war in den Aktionen und Kampagnen zur Abschaffung von § 219a lange Zeit wenig präsent. hörbar. Der feministischen Bewegung ist es nicht gelungen, die damit verbundene mediale Aufmerksamkeit als Chance zu nutzen und den gesellschaftlichen Konsens zu § 218 infrage zu stellen. In der medialen Berichterstattung steht weiterhin der umstrittene § 219a im Vordergrund. Die Forderung nach Informationsfreiheit von Ärzt*innen hat sich als deutlich konsensfähiger erwiesen als die Forderung nach der Legalisierung von Abbrüchen.

Was fehlt, sind mobilisierungsfähige Strukturen. Der engagierte und intensive Einsatz von Feminist*innen in den letzten Jahren soll damit nicht negiert werden. Anlässlich des 150. Jahrestags von § 218 StGB (seit 1871 ist der Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft in Deutschland eine Straftat) kam es 2021 zu zahlreichen Aktivitäten. Viele Menschen haben sich über den Streit um § 219a feministisch politisiert, es sind neue Bündnisse entstanden und es gab zahlreiche Aktionstage und Kampagnen. Seit einigen Jahren besetzen darüber hinaus Queer-Feminist*innen verstärkt das Feld der Familienpolitik und reproduktiven Rechte, etwa über die Kritik an antifeministischen und faschistischen Entwicklungen sowie in der Auseinandersetzung mit queeren Lebensrealitäten. Doch auch hier ist eine Mobilisierung in die Breite bislang schwierig, die für größere Veränderungen jedoch dringend notwendig wäre. Es gibt kaum organisierende Ansätze im Feminismus, die solche Allianzen aufbauen.

Ohne jahrelange feministische Vernetzungsarbeit und Massenmobilisierung, so lehrt uns der Blick nach Argentinien, wo Ende 2020 ein entsprechendes Gesetz verabschiedet wurde, ist eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen eher unwahrscheinlich (vgl. Wischnewski 2020). Ohne massiven Druck von der Straße werden weder Gerichte noch Parlamente § 218 kippen – auch wenn in der Ampelkoalition zwei Parteien vertreten sind, die vorgeben, genau dafür einzutreten. Sowohl Grüne als auch SPD fordern in ihren Wahlprogrammen eine Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen außerhalb des Strafgesetzbuches. Besonders die Grünen sind mit dieser Position in den letzten Jahren bei Pro-Choice-Protesten aufgetreten. Als politisches Signal ist der Länderantrag zur Streichung von § 219a zu verstehen, der kurz vor der Bundestagswahl von den Ländern Berlin, Brandenburg, Hamburg, Thüringen und Bremen in den Bundesrat eingebracht wurde. Auch hier gab es eine eindeutige Fokussierung auf § 219a und kein Signal in Richtung Legalisierung von Abbrüchen. Dass die SPD nicht bereit ist, für die Selbstbestimmung von Frauen und queeren Menschen eine Regierungskoalition aufs Spiel zu setzen, hat sie in der letzten Legislaturperiode eindeutig unter Beweis gestellt. Und so sind nun auch die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag Zeugnis des erneuten Einknickens der SPD und zudem der Grünen. So heißt es dort zwar, «kostenfreie Schwangerschaftsabbrüche gehören zu einer verlässlichen Gesundheitsversorgung». Doch um eine Finanzierung über die Krankenkassen zu ermöglichen, müssen Abbrüche raus aus dem Strafgesetzbuch. Von diesem Schritt ist die Regierungskoalition in spe weit entfernt. Lediglich von einer Kommission, die neue Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch prüfen soll, ist nun die Rede. Die Einrichtung einer Kommission ist definitiv kein «guter Kompromiss», sondern Ausdruck der tiefen Gräben zwischen den Koalitionär*innen. DIE LINKE bleibt die einzige Partei, die über ihre Bundestagsfraktion in den letzten Jahren einen Antrag auf Abschaffung von § 218 eingebracht hat.

Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung ist die Abschaffung von § 219a angekündigt. Zwar wird dies den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland erleichtern, könnte aber auch zu einer Schwächung der feministischen Bewegung beitragen. Diese ist gerade dabei, aus der Betäubung des «guten Kompromiss» aufzuwachen. Um eine wirkliche Stärkung der Rechte von Schwangeren zu erreichen, müssen wir am gesellschaftlichen Konsens des «guten Kompromisses» rütteln. Wir sollten das patriarchale Narrativ vom eigenständigen Embryo angreifen. Das Eintreten für eine umfassende Versorgungslage und der Zugang zu Informationen sind wichtig, allein darüber werden wir jedoch keine Legalisierung von Abbrüchen erreichen. Doch nur diese kann Schwangeren und Ärzt*innen Rechtssicherheit bieten. Die massive Stigmatisierung und gesellschaftliche Tabuisierung von Schwangerschaftsabbrüchen werden sich nicht zurückdrängen lassen, solange Abbrüche in Deutschland als eine Straftat gelten.

Literatur

Deutscher Bundestag, 2021: Plenarprotokoll 19/215. 04.03.2021, Tagesordnungspunkt 18

Deutscher Bundestag, 2018a: § 219a StGB unverzüglich streichen – Informationen über Schwangerschaftsabbrüche zulassen, Bundestagsdrucksache 19/6425, 12.12.2018

Deutscher Bundestag, 2018b: Plenarprotokoll 19/71, 13.12.2018, Zusatztagesordnungspunkt 13

Doctors for Choice, 2021: #6FragenZumAbbruch – Wahlprüfsteine

Wischnewski, Alex, 2020: Es ist Gesetz!, Jacobin, 31.10.2020