Nachricht | Radikalenbeschluss / Berufsverbote Bloß ein westdeutsches Thema?

Politische «Berufsverbote» gab es auch in der DDR

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Autor

Thomas Klein,

Im Gegensatz zur offiziellen Darstellung waren der Mitwirkung am Arbeitsplatz enge politische Grenzen gesetzt. Politisch motivierte Arbeitsplatzverweigerung war in der DDR ein Element im System staatlich organisierter Arbeitskräftelenkung. CC BY-NC-SA 3.0, Museum Weißenfels - Schloss Neu-Augustusburg

Dieser Artikel ist Teil des Themen-Specials «Der Radikalenbeschluss wird 50».

Vorbemerkung

Dies ist der leicht veränderte Text eines Rückblicks auf die Logik und Praxis politisch motivierter Arbeitsplatz- und Berufsverweigerung in West- und in Ostdeutschland anlässlich des ehedem vierzigsten «Jubiläums» des Radikalenerlasses in der Bundesrepublik. Er erschien zuerst 2012 in telegraph Nr. 124, S. 45-51.

Damals sollte der auch damals unter «Westlinken» so beliebte engführende Blick auf die gegen sie gerichtete BRD-Staatsschutz-Praxis zum vergleichenden Blick auf die frühere Praxis der Absicherung beruflicher Tätigkeit in der DDR gegen tatsächliche oder vermeintliche subversive (namentlich linksoppositionelle) Aktivitäten erweitert werden. Die Absicht war es, die beträchtlichen systemischen Unterschiede solcher Herrschaftstechniken in den beiden deutschen Staaten bei der sozialen Kontrolle und politischen Ausgrenzung auf dem Feld beruflicher Tätigkeit herauszuarbeiten, ohne etwa durch Überzeichnung der Kritik an einer der beiden Repressionskonstrukte jene Konstrukte der «anderen Seite» zu verharmlosen oder in ihrer Wirkungstiefe abzuwerten. Damit verbot es sich, schon quantitativ, in der Darstellung jener Techniken ein Ungleichgewicht zuzulassen, welches jene Fehlwahrnehmung begünstigen könnte. Vielmehr sollte auf die gegenseitige Bedingtheit und referentielle Bezogenheit beider, einerseits so verschiedener Herrschaftspraxen im Kontext der Systemkonkurrenz hingewiesen werden, die dann andererseits zu ähnlichen Konsequenzen und Wirkungen in West und Ost führten. (Januar 2022)

Thomas Klein, Mathematiker und Zeithistoriker, Linksoppositioneller in der DDR und in der Bundesrepublik. Zuletzt Mitherausgeber von «…feindlich-negative Elemente…» Repression gegen linke und emanzipatorische Bewegungen in der DDR, Berlin 2019.

Der Fall BRD

Im Januar 1972 führte ein Beschluss der bundesdeutschen Ministerpräsidenten und des Bundeskanzlers Willy Brandt zu einer Welle von Loyalitätsüberprüfungen bei Bewerbern für den öffentlichen Dienst und Beamten. Solche Überprüfungen fußten auf Erkenntnissen des Inlandgeheimdienstes, der anfangs in Form von Regelanfragen (später dann von Bedarfsanfragen) konsultiert wurde und dessen Material in durchgeführten Anhörungen Verwendung fand. Bei solcherart Verwirklichung jener «Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst» (Ministerpräsidentenbeschluss vom 28. Januar 1972) sahen sich dann allerdings weniger die Anhänger und Mitglieder rechtsradikaler Organisationen wie der NPD, sondern vor allem offiziös als «Linksextremisten» etikettierte Personen, aber auch linkssozialistische Akteure und sogar sozialdemokratische Kritiker jenes «Extremistenbeschlusses» betroffen. Obwohl letztlich nur ca. 1.500 Berufsverbote wirksam wurden, schien der Verfassungsschutz gerade in Zeiten der Regelanfrage mit seinen ca. 3,5 Millionen Überprüfungen in dieser Sache fast an die Dimension der vergleichbaren Tätigkeit des MfS in der DDR heranzureichen. Von Anfang an wurde bis weit in das liberale bürgerliche Lager hinein immer wieder die Befürchtung geäußert, man sei mit solchen Methoden in bedenkliche und unerwünschte Nähe zum berüchtigten «Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums» vom April 1933[1] geraten. Doch der politische Kontext jenes Beschlusses von 1972 folgte der Logik einer Wiederherstellung und Festigung des inneren antikommunistischen Konsenses in Zeiten der außenpolitischen Entspannung, der Neuen Ostpolitik, der Zulassung der DKP und in den öffentlichen Dienst drängender links politisierter «68er».[2] Die ganze Sache zielte weniger auf die Entfernung von «Linksextremisten» aus dem öffentlichen Dienst bzw. dessen Abschottung vor solchen Kantonisten, als auf die Abschreckung aller Dienstbewerber von Aktivitäten und politischen Positionen, die in einem hinreichend unbestimmten Sinne als «linksradikal» gewertet werden und eine dementsprechende Teilnahme am offenen politischen Diskurs zeitigen könnten. Diesen Effekt erzielten nachhaltig die zahllosen Anhörungen zur Feststellung der Verfassungstreue von Bewerbern oder Beamten im öffentlichen Dienst.[3]

Die Bedeutung des Verfassungsschutzes

Natürlich gab es in der Bundesrepublik auch schon vor 1972 Berufsverbote und selbstverständlich sind diese im Zusammenhang mit der Handhabung und den Modifikationen des politischen Strafrechts und anderer staatlicher Maßnahmen sowie von Unvereinbarkeitsbeschlüssender Parteien und Gewerkschaften zu betrachten. Vor allem aber ist die Tätigkeit des Verfassungsschutzes über seinen Beitrag zur Herbeiführung von Berufsverboten hinaus von zentraler Bedeutung. Dass die bundesrepublikanischen Staatsschutzorgane in den Zeiten der Systemkonkurrenz und während des Kalten Krieges die Überwachung ihres Staatsvolkes ebenso ernst nahmen, wie das unübertroffene MfS in der DDR, zeigt etwa die Praxis der Postkontrolle und -zensur zur Unterbindung der Verbreitung staatsgefährdender Schriften. Diese Praxis reichte weiter, als die Verwirklichung des bis 1968 geltenden Verbots des Bezugs politischer Druckerzeugnisse aus der DDR: Bis 1968 wurde unter Umgehung und Aushebelung des grundgesetzlich geschützten Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 GG) quasi extralegal, in der Deckung des alliierten Sonderkontroll- und Zensurrechts, durch Setzung der Höherwertigkeit des Staatsschutzes gegenüber dem erwähnten Verfassungsgrundrecht und mittels eines juristischen Konstrukts aus Zoll-, Beamten- und politischem Strafrecht exzessiv geschnüffelt: Es wurden millionenfach Postsendungen aus dem Osten, aber auch innerhalb der Bundesrepublik geöffnet und allein seit 1955, als die Postzensur und Telefonüberwachung mehr und mehr auf die deutschen Stellen überging und ihrem Ermessen sowie ihren Interessen folgte, dabei bis 1968 mindestens 100 Millionen Postsendungen vernichtet bzw. der Staatsanwaltschaft zur Einleitung von Ermittlungsverfahren zugeleitet. Erst 1968 verpasste sich die Bundesrepublik zusammen mit den Notstandsgesetzen endlich auch ein Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses, womit die zuvor gesetzlose bzw. post- sowie grundgesetzwidrige Zensurpraxis fürderhin legalisiert wurde.[4] Und auch in den 70er Jahren zeigte der Verfassungsschutz bemerkenswerte Kreativität in seinem Beitrag zur «Gefahrenabwehr von links»: 1978 stellte sich beispielsweise heraus, dass der Verfassungsschutz begonnen hatte, die Bahnpolizei, das Bundeskriminalamt, den Bundesgrenzschutz (BGS), den Zoll, den Militärischen Abschirmdienst sowie den Bundesnachrichtendienst systematisch als Beschaffungsorgane für ihre Aufklärungsarbeit einzuspannen und insbesondere den BGS seit 1977 mit «Schnüffellisten» auszustatten, auf deren Grundlage entsprechende Rückmeldungen erwartet wurden. Diese «Schnüffellisten» enthielten die Namen von 239 mutmaßlich linksextremistischen Organisationen und 287 Druckwerke angeblich solchen Charakters. Unter den aufgelisteten Organisationen fand sich damals sogar Amnesty International. Der BGS war beispielsweise gehalten, «Wahrnehmungen» hinsichtlich der Reiselektüre von zur «beobachtenden Fahndung» ausgeschriebenen grenzüberschreitenden «verdachtsnahen Personen» zu übermitteln, wobei unter den angeführten zu registrierenden Druckschriften sich auch die Zeitschriften Argument, Kursbuch und die Sozialistische Zeitschrift für Kunst und Gesellschaft befanden.[5] Die Westberliner Jusos und zehn Bundestagsabgeordnete forderten Anfang 1978 den Rücktritt von Innenminister Maihofer, als bekannt wurde, dass auch Organisationen wie das Sozialistische Büro und der Werkkreis Literatur der Arbeitswelt observiert wurden.[6] Der SPD-Fraktionsvorstand nötigte Ende Mai 1978 SPD-Parlamentarier, welche beabsichtigten, dies alles in der parlamentarischen Fragestunde zur Sprache zu bringen, davon Abstand zu nehmen.[7]

Die Floskel von Willy Brandt, mit seinem Amtsantritt 1969 als Bundeskanzler «mehr Demokratie wagen» zu wollen, wurde also seit 1972 in ihrem Gehalt genauer erkennbar, wenn auch Brandt diese Konkretisierung ursprünglich wohl eher nicht im Sinn hatte. Die Grenzen dieses «Wagnisses», dem Volk von oben dosiert Demokratie zu verabreichen, manifestierten sich auch in den Staatsschutz- und Berufsverbotspraktiken zur Einschränkung dieser Demokratie. Und doch war das spätere Eingeständnis selbst des Bundeskanzlers Brandt, der Radikalenerlass sei ein Fehler gewesen, durchaus verfehlt: Auch dieser Erlass leistete seinen Beitrag zur systemstabilisierenden Dämpfung linksalternativer Gestaltungskraft und zur Stärkung obrigkeitsergebener Gefolgschaftstreue. Daran hatte auch die SPD – trotz des wachsenden innerparteilichen Unbehagens an der von ihr verantworteten Überprüfungswelle – Interesse. Als Mitte der 70er Jahre die Schwierigkeiten etwa für Lehrer, überhaupt einen Arbeitsplatz zu finden, zunahmen, erübrigte es sich mehr und mehr, im Falle linker systemkritischer Absolventen auf Gesinnungsschnüffelei und mitunter blamable Loyalitätsüberprüfungen zurückgreifen zu müssen, um deren Beschäftigung zu verhindern. Überflüssig zu erwähnen, dass der Verfassungsschutz von Anfang an einen derartigen Aufwand im Falle rechtsextremistischer Aktivitäten vermissen ließ. Ein Übriges tat die «geistig-moralische Wende» der Regierung Kohl mit Beginn der 80er Jahre. Mit dem Fortschreiten der Erosion bisheriger links-intellektueller kulturell-politischer Hegemonie in der Bundesrepublik wurde der massenhafte Loyalitätszensus für Staatsdiener mehr und mehr entbehrlich. Nachdem auf Bundesebene der Erlass schon 1976 suspendiert wurde, hatten bis 1991 alle Bundesländer die Regelanfrage beim Verfassungsschutz zugunsten der Bedarfsanfrage abgeschafft. Von internationalen Gremien längst geächtet (so von der Internationalen Arbeitsorganisation ILO und dem Russel-Tribunal), verfügte 1995 auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte anlässlich eines gerade akuten Falles, bei dem eine der DKP angehörende Lehrerin in allen deutschen Instanzen gescheitert war, dass die Art der Anwendung des Radikalenerlasses ein Verstoß gegen die Menschenrechte darstelle.

Mit dem Anschluss der DDR an die Bundesrepublik stieg allerdings wieder der Aufwand zur Sicherung der Staatsnähe öffentlich Bediensteter durch Prüfung der Bewerber auf eventuelle frühere Staatsnähe in der verblichenen DDR als Ausschlussgrund. Dies war nur folgerichtig, zumal ehemalige DDR-Funktionseliten sowie viele frühere Parteikader der ehemaligen Blockparteien und auch der SED eine hohe Bereitschaft zeigten, sich dem neuen Staatswesen anzudienen. Dabei wurde von den bundesrepublikanischen Elitentauschwächtern häufig verkannt, dass die Sozialisationsdynamik von DDR-Leitungskadern, ihr antrainierter Untertanengeist, ihre opportunistischen Reflexe («Wendigkeit») und Anpassungsbereitschaft – eine Überlebensbedingung in ihrer damaligen Dienststellung – diese «Kader» geradezu prädestinierten für neue Aufgaben im Staatsdienst, in öffentlichen Diensten oder den Ministerialbürokratien der vergrößerten alten Bundesrepublik. Obwohl sich diese Erkenntnis im Vollzug der deutschen Einheit nach und nach ihren Weg bahnte, zeugten etwa die Fragebögen der bayrischen Staatsregierung zur Prüfung der Verfassungstreue von Dienstbewerbern von wenig Gespür für die Existenz dieser Rekrutierungsreserve. Denn über die nachvollziehbare Prüfung auf Spitzeldienste für das MfS oder dortige hauptamtliche Tätigkeit hinaus scheint den bayrischen Kontrollinstanzen neben der früheren Mitgliedschaft in der SED auch die Mitgliedschaft in den DDR-Massenorganisationen verdächtig. Schließlich hatte man gelernt, sie als Vorfeldorganisationen der SED wie diese als «extremistisch» zu bewerten, auch wenn die Einschätzung ihrer Nachfolgeorganisation PDS oder der Linkspartei als extremistisch immer schwerer kommunizierbar wurde.

Der Fall DDR

Der angesichts solcher Tatbestände mitunter entstehende Eindruck, die bundesrepublikanischen Staatsschutzaktivitäten hätten wenigstens außerhalb des Bereichs strafrechtlicher Verfolgung zeitweilig die Intensität der Tätigkeit der Sicherheitsorgane in der DDR erreicht, ist jedoch verfehlt – wenn auch diesbezügliche Anstrengungen auf bundesrepublikanischer Seite durchaus Würdigung verdienen. Dem MfS gelang es fortwährend und auf allen Gebieten des Staatsschutzes, den benachbarten Systemantagonisten locker zu übertreffen. Wenn wir heute an «50 Jahre Berufsverbote in der BRD/Deutschland» (1972-2022) erinnern, lohnt es sich deshalb aus mehreren Gründen, auch die «40 Jahre politisch motivierte Arbeitsplatzverweigerung in der DDR» (1949-1989) näher zu betrachten. Dabei wird man sowohl die Perspektive erweitern, als auch die Zweckbestimmung derartiger Maßnahmen umfassender bestimmen müssen. Denn politisch motivierte Arbeitsplatzverweigerung war in der DDR nur ein Element im System staatlich organisierter Arbeitsplatzgestaltung und Arbeitskräftelenkung. Und betrachtet man die politischen Aspekte solcher Regulierung im engeren Sinne (denn in der DDR war quasi alles politisch), dann erweisen sich Berufsverbote – die höchste Form der staatlichen Anerkennung widerspenstigen politischen Verhaltens – nur als ein Element (zudem quantitativ geringen Ausmaßes) bei der Erzeugung von Subalternität.[8]

Worauf gründete nun jene politisch motivierte Arbeitsplatzverweigerung in der DDR, was waren die besonderen Techniken und Voraussetzungen, mit denen in der DDR Eingriffe in Beschäftigungs- und Ausbildungsverhältnisse vorgenommen wurden, und worin unterschieden sich diese Techniken und Voraussetzungen von denen in der Bundesrepublik? Was waren die Ursachen, Formen und Folgen politisch motivierter Arbeitsplatzverweigerung in der DDR?

In der Arbeitsgesellschaft DDR hatte in der Regel jeder Normalbürger einen zuweilen administrativ (gemäß den «gesellschaftlichen Bedürfnissen») vorausgewählten Arbeitsplatz, den er normalerweise aber auch zugunsten eines anderen wechseln konnte. Der ausgefüllte Arbeitsplatz war eher zentraler Ort des Lebensumfeldes, als Ausdruck gelungener Selbstvermarktung. Dabei setzten «das Recht auf einen Arbeitsplatz und dessen freie Wahl entsprechend den gesellschaftlichen Erfordernissen» (Art. 24 der Verfassung der DDR) sowie die Einheit von Recht auf Arbeit und Pflicht zur Arbeit (ebenda) den für Ausgrenzungen eher hinderlichen und deshalb von den Bürokraten weit zu interpretierenden formalen Rahmen.

In diesem Zusammenhang sprechen wir also über politisch definierte Zugangsbedingungen zu fachlichen Qualifikationen und beruflichen Stellungen. Die jeweils aktuellen Maßgaben für die politische Funktionalisierung und Regelung von beruflichen Fragen in der DDR setzte die Politbürokratie. Deren Kaderpolitik im engeren Sinne, bezogen auf die Gestaltung von Leitungsfunktionen und die Mobilisierung und Kontrolle ihrer Inhaber fand prägnant in der Bezeichnung der Personalabteilungen als Kaderabteilungen Ausdruck. Regulierungsmacht und Durchgriffstiefe waren durch die Tatsache verstärkt, dass außerhalb des staatlichen Sektors in der Regel kaum Alternativen in Gestalt selbstständiger Arbeitgeber existierten – von den Kirchen in der DDR einmal abgesehen.

Die weitreichenden parteigesteuerten Ermächtigungen zur Formierung beruflicher Angelegenheiten materialisierten sich über Verfügungen staatlicher Leitungen (namentlich der Kaderabteilungen) zum «Einsatz der Werktätigen, ihren Fähigkeiten und den gesellschaftlichen Erfordernissen entsprechend». Bei der Rekonstruktion staatlicher Eingriffe in die Arbeitsverhältnisse wird klar, dass hier ein kooperatives Vorgehen unterschiedlicher Staats- und Parteiorgane stattfand, das bewusst und kontrolliert zur Beförderung übergreifender politischer Ziele eingesetzt wurde. Diese typischen Praktiken politbürokratischer Gesellschaftsformierung gingen in ihrer Anwendung weit über den Zweck der Bekämpfung einer Opposition hinaus. Solche Eingriffe betrafen alle Werktätigen. Sie konnten positiver wie negativer Art sein; sie umfassen sowohl Beförderungen und Kaderentwicklungspläne, wie einfache Umsetzungen missliebiger Werktätiger, die Verhinderung oder Begünstigung beruflicher Entwicklung, berufliche und finanzielle Zurücksetzung usw. Neben der Verteidigung und Durchsetzung der Betriebsdisziplin war ein Hauptaspekt die politische Kontrolle von sensiblen Berufsfeldern, insbesondere der sog. Sicherheitsbereiche wie Forschung und Lehre, pädagogischer Bereich, Öffentlichkeit Presse, Literatur, Kultur.

Im Rechtsstaat BRD erfordert das politische System die rechtsförmige Ausgestaltung und damit formale Legitimierung herrschaftsseitig gewollter politischer und sozialer Diskriminierung. Es war im Kontext der Beamtengesetze also ein Radikalenerlass erforderlich, um beim Vollzug der «wehrhaften Demokratie» die Kollisionen mit dem Grundgesetz in Grenzen zu halten. In der DDR hatte man das nicht nötig. Zur ebenso schamlosen wie gesetzlosen Entfernung aller bei den SED-Sachwaltern politischer Reinheitsgebote in den Verdacht der Illoyalität oder manchmal nur mangelnder Gefolgschaftstreue geratener Beschäftigter reichte der von den staatlichen Leitungen beschrittene Dienstweg. Als größtes Hindernis erwies sich hier weniger die Verfassung, als das in der DDR geltende Arbeitsrecht, welches dem einzelnen Werktätigen eine formal beachtliche Sicherstellung einräumte. Dann wiederum konnten sich die staatlichen Leiter beim Vollzug der von ihnen beabsichtigten oder ihnen angewiesenen Maßnahmen auf die Kooperationsbereitschaft der Gewerkschaften verlassen.

So also ließen sich in der Arbeitswelt der DDR die meisten Probleme bereits im Vorfeld drohender Konflikte regeln. Da seit 1953 der kollektive klassische Arbeiterwiderstand in der DDR so gut wie zum Erliegen gebracht werden konnte, waren kaderpolitische Maßnahmen gegen aufmüpfige Kleingruppen im Betrieb in der Regel ausreichend. In Kultur, Wissenschaft und Lehre waren solche Konflikte häufiger. In der Regel ohne die Gestalt politischer Opposition anzunehmen und häufig ihrem Inhalt nach als innerbürokratische Rationalitätskonflikte auftretend, wurden hier die Techniken arbeitsweltlicher Konflikteindämmung zur Blüte geführt: Manchmal jenseits ihres Inhalts künstlich hochpolitisiert und von da her mit drakonischen Sanktionen bedacht (Zeiten des Hochstalinismus), manchmal ihres politischen Inhalts entkleidet und vor einem Nebelvorhang arbeitsrechtlicher, disziplinarischer oder leistungsbezogener Disqualifizierungen ausgestaltet (poststalinistische Bürokratie), kamen die parteigesteuerten Kaderpolitiker fast immer zum Ziel.

Das Problembewusstsein dafür, dass allein die Gestaltung der Zugangsbedingungen für Ausbildung und Arbeitsplätzen eine dauerhafte Loyalität nicht garantieren konnte, war bei den Kaderpolitikern durchaus vorhanden. Kam es nun zur Opposition, wurde die Sache für beide Seiten brisant. Politische Opposition wurde in der DDR mit allen Mitteln – politisch, juristisch (straf-, ordnungs- und arbeitsrechtlich), sowie mittels sozialer Ausgrenzung – bekämpft. Gleichzeitig musste ihre Existenz öffentlich geleugnet werden. Der weit gesteckte Rahmen legaler Verfolgung ist ebenso zu berücksichtigen, wie die vielfältigen Formen außergesetzlicher Repression, zu denen insbesondere der direkte Zugriff der Staatsmacht auf die Beschäftigungsverhältnisse Gelegenheit gaben.

Das Problem: Auch in der DDR war der Zwang zur Erwerbsarbeit vorausgesetzt. Oppositionelle Betätigung am Arbeitsplatz war aber wegen des hohen staatlichen Aufwands zu deren Verhinderung schwierig. Ein tragfähiges persönliches Arrangement zwischen Erwerbsarbeit und jener (deshalb zumeist freizeitlichen) Opposition bildete eine Grundvoraussetzung prekärer oppositioneller Existenz. Diesen Kompromiss konnte der Staat aus politischen Gründen jederzeit aufkündigen. Die Aufkündigung dieses Kompromisses seitens des Oppositionellen brachte diesen sofort und freiwillig in eine Situation beruflicher und sozialer Isolierung, was anderenfalls durch die staatlichen Akteure erst erzwungen werden musste, um den Betreffenden um seine berufliche Qualifikation zu bringen und seine soziale Stellung zu schwächen. Von den staatlichen Stellen wurde daher die kommandierte Arbeitszeit als archimedischer Punkt für die Erzwingung eines konformen Verhaltens auch am Feierabend erkannt.[9] Es musste sich also bei den Eingriffen in die Beschäftigungsverhältnisse Oppositioneller nicht in jedem Fall um eine Entlassung in die Erwerbslosigkeit handeln. In der Regel war die Zuweisung eines neuen, möglichst gut kontrollierbaren und im Wortsinne erschöpfenden Arbeitsplatzes ein von vornherein eingeplanter Teil des Verfahrens - für Intellektuelle mitunter in Gestalt der pädagogischen Fiktionen des Aufstiegs in die «herrschende Klasse» (Bewährung in der Produktion). Doch der eigentliche «höhere» Zweck solcher Maßnahmen war erst verwirklicht, wenn die Einschüchterung des bisherigen Kollegenkreises gelungen war.

Die Berufsverbote als generelle Tätigkeitsbeschränkungen stellten die extremste Form dauerhafter beruflicher Disqualifizierung dar. Obwohl man sich hüten sollte, Berufsverbote als besondere Repressionstechnik allein gegen kritische Intellektuelle zu verkennen, waren sie gerade in dieser sozialen Gruppe sowohl besonders häufig, als auch aus der Sicht der Herrschenden besonders notwendig. Gleichzeitig gab es staatlicherseits das Erfordernis, diese Sanktionsform zu verschleiern, denn sie war in der Regel nicht rechtsförmig – etwa in Gestalt des Verbots der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit, wie sie im DDR-Recht z.B. nach § 53 StGB gerichtlich verhängt werden konnte – abgesichert. Sie war deshalb rein logistisch-kooperativ zu verwirklichen. Dies ging nur, wenn Sicherheitsorgane, Kader- und Gewerkschaftsleitungen außergesetzlich kooperierten. Durchgesetzte Arbeits-, Auftritts-, Publikations- und Lehrverbote beschränkten bzw. verhinderten den Zugang zu Ressourcen (Zeit, Informationen und Einflussmöglichkeiten, die oft an bestimmten Positionen im Arbeitsleben geknüpft waren), vernichteten Qualifikationen und beschränkten den kommunikativen und sozialen Radius. Als extremste Form von Berufsverbot gab es (eher selten) in der Arbeitsgesellschaft der DDR auch eine erzwungene Arbeitslosigkeit, die den Betroffenen die Chance zu jeglicher bezahlter Beschäftigung nahm. Der Betroffene geriet in den Wirkungsbereich des § 249 StGB (Kriminalisierung asozialen Verhaltens), der andererseits ein Mittel zur rechtsförmigen Bedrohung nonkonformer Lebensweisen darstellte. Hier wird auf den ersten Blick die zentrale politische Bedeutung der Regulierung des Arbeitslebens deutlich.

Insgesamt sollte der Zwang zum Rückzug in soziale und ökonomische Nischen wirken, die soziale Ausgrenzung von Oppositionellen aus der «geschlossenen Gesellschaft» der offiziellen DDR stattfinden und so die soziale Isolierung der «nichtentwaffneten» Oppositionellen unter weitgehendem Verzicht (nicht jedoch auf die Androhung) der Anwendung strafrechtlicher Sanktionen verwirklicht werden. Die Herrschaftstechnik der Berufsverbote war in der frühen DDR als selbstverständliche, aber eher ergänzende oder flankierende Maßnahme etwa zu strafrechtlichen Sanktionen üblich. Sie wurde Ende der 60er Jahre zum Hauptinstrument der Repression, wenn die politischen Unkosten einer Inhaftierung zu hoch schienen.

Neben den politischen gab es also essentielle soziale Folgen des eingeschränkten Arbeitsmarktes für abweichende und oppositionelle Werktätige. Ihre Betrachtung liefert auch einen Beitrag zu einer Sozialgeschichte der Opposition. Berufsverbote in Ost und West wurden bereits Ende der 70er Jahre in der Ostberliner Opposition offen thematisiert.[10] Die Herstellung einer selektiven Öffentlichkeit über das staatliche Vorgehen war dazu unerlässlich und bot Ansatzpunkte für offene Kritik, zumal das Thema «Berufsverbote» im Zuge der Systemkonkurrenz erhebliche Prominenz erlangt hatte.

Zugleich distanzierten sich Teile der Opposition mit der bockigen Idealisierung der ihr aufgezwungen Lage am Rande der Gesellschaft – interpretiert als Entlastung von staatlichen Anforderungen und parteilichen Zumutungen sowie als Chance zur Selbstorganisation – sowohl von der eigenen Geschichte als auch von ihrer sozialen Basis. Die im Nachhinein oft hervorgehobene Randständigkeit der oppositionellen Zusammenhänge im Herbst `89 ist das Ergebnis einer effektiven Verdrängung von Opposition aus der offiziellen DDR. Zugleich ist die Berufsverbotspraxis selbst ein Beleg der Herkunft von Oppositionellen aus der Mitte der DDR- Gesellschaft. Die Entstehungsbedingungen und die Überlebensmöglichkeiten von oppositionellen Strömungen im «Realsozialismus» fielen also deutlich auseinander.[11]


[1] Der § 4 dieses NS-Gesetzes bestimmte die Entfernung von Beamten aus dem Dienst, wenn ihre politische Betätigung nicht die Gewähr dafür biete, jederzeit rückhaltlos für den Staat einzutreten. Die erste Durchführungsbestimmung legte fest, dass alle Beamten, die der KPD oder einer ihrer Ersatzorganisationen angehörten, zu entlassen seien.

[2] Vgl. auch Thomas Klein: «Geschichte wird gemacht!» Der Zusammenhang zwischen Geschichtsrevisionismus und staatlich verordnetem Antikommunismus, in: telegraph 124, Berlin 2012, S. 30-43.

[3] Bewerber für den öffentlichen Dienst sahen sich bei Einstellungsgesprächen zuweilen Fragen folgenden Typs ausgesetzt: «Waren Sie schon einmal in der DDR? Haben Sie als Student an politischen Versammlungen teilgenommen? Waren Sie schon einmal auf einer Feier der DKP? Haben Sie schon einmal den Begriff ›Imperialismus in der BRD‹ verwendet?» WDR, Vor 30 Jahren: Neue Richtlinien zum Radikalenerlass. Berufsverbot für linke Gesinnung, Sendung «Stichtag» vom 19.5.2006.

[4] Josef Foschepoth: Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik, 5. durchgesehene Aufl., Göttingen 2017 [zuerst 2012].

[5] Die Zeit vom 13.10.1978; Frankfurter Rundschau vom 6.6.1978; Berliner Extradienst vom 2.6.1978, S. 4 und vom 13.6.1978, S. 24.

[6] Berliner Extradienst vom 30.5.1978, S. 2.

[7] Berliner Extradienst vom 2.6.1978, S. 3 f.

[8] Vgl. auch Bernd Gehrke, Renate Hürtgen, Thomas Klein (Hg.): «…feindlich-negative Elemente…» Repression gegen linke und emanzipatorische Bewegungen in der DDR, [= Materialien 29 der Rosa-Luxemburg-Stiftung], Berlin 2019.

[9] Sebastian Gerhardt: Geschlossene Gesellschaft - Berufsverbote in der Veränderung oppositioneller Gruppierungen in der Hauptstadt der DDR 1970 bis 1985. Projektdisposition 2003, eingereicht beim Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam.

[10] Vgl. Thomas Klein: «Frieden und Gerechtigkeit». Die Politisierung der unabhängigen Friedensbewegung in Ost-Berlin während der 80er Jahre, Böhlau-Verlag Köln/Weimar 2007, S. 232f.

[11] Vgl. Sebastian Gerhardt: Geschlossene Gesellschaft.