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Fünf Argumente für und wider die Sanktionierung des Atomprogramms

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Hamid Mohseni,

Unterzeichnung des Atomabkommens mit dem Iran 2015 in Wien. Das Abkommen hielt allerdings nicht lange: Drei Jahre später kündigte US-Präsident Trump es wieder auf. CC BY 4.0, Siamak Ebrahimi/Tasnim News

Die Islamische Republik Iran (IRI) hat seit ihrer Gründung 1979 mit wirtschaftlichen Sanktionen des Westens, insbesondere der USA, zu kämpfen. Diese Politik ist zyklisch: auf eine politische Verschärfung mit strengen Sanktionen folgt eine der Diplomatie und der Re-Integration des Iran in den Weltmarkt. Das Verschwinden des iranischen Reformismus sowie die letzte Eskalation der Trump-Administration brechen diesen Zyklus womöglich auf, sie haben den Iran nun möglicherweise langfristig in die Arme Chinas und Russlands getrieben.

Sanktionen und das iranische Atomprogramm

In der relativ kurzen Zeit des 42-jährigen Bestehens der IRI lassen sich vier Phasen an Sanktionen seitens der USA und deren Partner identifizieren: die ersten Sanktionen wurden der IRI gleich 1979 nach der Geiselnahme in der Teheraner US-Botschaft unter der Carter-Administration auferlegt und betrafen einzelne iranische Bankkonten, Goldreserven und andere Wertanlagen. Die zweite Phase fiel in die Amtszeit des Präsidenten Reagan, der im Kontext des ersten Golfkriegs 1984 und 1987 mit Sanktionen insbesondere das iranische Rüstungsgeschäft schwächen wollte.

Hamid Mohseni ist im Iran geboren und in Deutschland aufgewachsen.
Er studierte Germanistik und Philosophie und ist freier Autor. Seit 2009 verfolgt er die Entwicklungen im Iran und beteiligt sich an linken Solidaritätsinitiativen, die die demokratischen und sozialen Proteste im Iran kritisch begleiten.

Die dritte und die vierte Phase an Sanktionen erstrecken sich von 1995 bis heute und damit über die Amtszeiten der fünf US-Präsidenten Clinton, Bush Jr., Obama, Trump und Biden. Sie sind in einem politischen Zusammenhang zu betrachten, da sie sich alle auf das iranische Atomprogramm beziehen. Und dieses ist – ausgerechnet – made in bzw. by America. Ab den 1950er Jahren nahmen die USA den vom westlich orientierten Shah regierten Iran ins von Eisenhower gestartete «Atoms for peace»-Programm auf. Neben der US-amerikanischen Atomlobby und US-amerikanischen Unternehmen erfreuten sich übrigens auch deutsche Firmen am florierenden Atomgeschäft mit dem Iran: Das 2011 ans Stromnetz angeschlossene Kernkraftwerk im südiranischen Bushehr wurde bei der «Kraftwerk Union AG»1 – einem ehemaligen Joint Venture von Siemens und AEG mit Fokus auf Druckwasserreaktoren – 1975 in Auftrag gegeben und brachte dem Konzern vermutlich mehrere Milliarden Dollar ein.

Nach der blutigen Machtübernahme der Ayatollahs wurde das iranische Atomprogramm zunächst auf Eis gelegt, denn nach einer außenpolitischen 180-Grad-Wende war der Förderer USA nun der Erzfeind. Die noch junge IRI war zu der Zeit in zahlreiche innenpolitische sowie wirtschaftliche Krisen verwickelt, außerdem wurde sie kurz nach ihrem Entstehen in einem kräftezehrenden Krieg mit dem Irak auch von außen existentiell bedroht. Die Machthaber der IRI warfen daher ihre moralische Skepsis gegenüber Atomenergie über Bord und sahen dabei vor allem in der nuklearen Bewaffnung eine lukrative militärische Möglichkeit, ihrem expansionistischen Anspruch gerecht zu werden bzw. zumindest eine militärische Drohkulisse aufzubauen. Die offizielle Linie blieb und bleibt bis heute aus strategischen Gründen allerdings die der friedlichen Nutzung. Im Zuge dieser Neuorientierung wandte sich der Iran Anfang der 1990er Jahre an Russland, welches sich 1995 in einem von mehreren Abkommen verpflichtete, der IRI bei der Fertigstellung von Atomkraftwerken unter die Arme zu greifen und Know-How zur Anreicherung von Uran bereitzustellen. Somit hatte die IRI mit dem post-sowjetischen Russland (zwischenzeitlich mit Argentinien, dann mit China) Akteure außerhalb der westlichen Gemeinschaft gefunden, um das Atomprogramm des Landes unter völlig verschobenen (außen-)politischen Koordinaten fortzuführen.

Das war der USA ein Dorn im Auge, weswegen in dieser Zeit die dritte Phase der Sanktionen gegen den Iran begann. US-Präsident Clinton erließ 1995 die bisher härtesten Sanktionen gegen die IRI. Erstmals richten sich diese direkt gegen die iranische Öl-Industrie – der mit Abstand wichtigsten Einnahmequelle des Landes – sowie später generell auf jegliche Handelsbeziehung zwischen den beiden Ländern. Das ist keinerlei Selbstverständlichkeit, da noch nach dem Ende des ersten Golfkriegs die Handelsbeziehungen zwischen den Ländern wieder stetig zunahmen. Als 1997 der als Reformer gehandelte iranische Präsident Mohammad Khatami sein Amt antrat und eine Liberalisierung des Landes versprach, schwächte Clinton die Sanktionen ab. Konkrete Güter wie Pharmazeutika, medizinisches Equipment, bestimmte Nahrungsmittel usw. wurden handelbar, und die beiden Länder nahmen erneut Wirtschaftsbeziehungen auf. Unterdessen akzeptierte der Iran Einschränkungen hinsichtlich der Urananreicherung.

2005 übernahm der erzkonservative Mahmud Ahmadinedschad das Präsidentenamt und warb selbstbewusst mit antiimperialistischer und nationalistischer Rhetorik für ein Atomprogramm, das sich keinerlei Restriktionen von außen ergeben müsse. Dementsprechend kündigte die IRI vereinbarte Einschränkungen in Bezug auf die Urananreicherung auf. Quasi mit dem Amtsantritt Ahmadinedschads begann Bush Jr., der wenige Jahre zuvor mit dem «War on Terror» eine außen- wie innenpolitische Zeitenwende anstieß, erneut Sanktionen gegen den Iran vorzubereiten und durchzusetzen. Dabei nahm Bush ganz konkret die größten iranischen Banken ins Visier und verunmöglichte auch indirekte Transaktionen mit diesen. In diesem Zusammenhang wurden in den nächsten Jahren immer mehr und größere iranische Konten eingefroren.

Unter Obama wurde diese Linie zunächst fortgeführt. Zwischen 2010 und 2013 verschärften die USA die Sanktionen für den Finanzsektor so stark, dass einem damaligen Regierungsbeamten zufolge «quasi alle, die jegliche Transaktion mit dem Rial [der iranischen Währung] durchführen, sanktioniert werden». Dies bedeutete eine neue Qualität der Sanktionslogik: nun wurden nicht nur alle finanziellen Transaktionen zwischen dem Iran und den USA ins Auge gefasst, sondern auch diejenigen jeglicher Dritter wurden verboten und unter Strafe gestellt. In dem Zuge wurden zum Beispiel Banken wie die französische BNP Paribas, die schweizerische UBS sowie die Commerzbank und die Deutsche Bank zu Zahlungen in Millionen- bzw. Milliardenhöhe aufgefordert. Die Obama-Administration eskalierte damit die Sanktionspolitik, gleichzeitig betonte sie als langfristiges Ziel eine Vereinbarung mit dem Iran, was einerseits das Atomprogramm einschränkte und andererseits den Iran wieder in den Welthandel integrieren sollte. Die Wahl des moderaten Präsidenten Hassan Rouhani und sein Versprechen, die Sanktionen zu beenden, kamen dem entgegen.

Die dritte Phase der Sanktionen endete 2015 mit dem historischen «Joint Comprehension Plan of Action» (JCPOA), dem Atomabkommen mit dem Iran. Dieses setzte kurzzeitig im Prinzip sämtliche Sanktionen aus und integrierte den Iran wieder in den Weltmarkt. Im Gegenzug verpflichtete sich die IRI erneut zu Transparenz und stärkerer Reglementierung des Atomprogramms, und langsam erholte sich die empfindlich getroffene iranische Wirtschaft. Doch diese Erholung dauerte nur wenige Jahre. 2018 kündigte der kurz zuvor gewählte US-Präsident Trump das Abkommen nicht nur auf, er führte die Logik der Sanktionen gegen Dritte fort und weitete diese massiv aus. Was diese Phase prägte, ist die Tatsache, dass Trump die Liste der zu sanktionierenden Bereiche und Sektoren so stark erweiterte, dass kaum noch ein roter Faden in der Sanktionspolitik nachvollziehbar zu vermitteln war; bisher bestand dieser in der Einschränkung des iranischen Atomprogramms, der militärischen Aufrüstung durch selbst ernannte «smart sanctions» und eine gezielte Schwächung einiger Wirtschaftssektoren, die dafür zentral sind. Stattdessen ging Trump auf volle Eskalation: der Kurs lautete «maximum pressure», und die Administration wurde nicht müde, den Iran als ein «Verbrecher-Regime» darzustellen, welches das Abkommen nur ausgenutzt habe, um «haufenweise Geld» zu sammeln um sich erstens nuklear zu bewaffnen und zweitens weltweiten Terrorismus zu unterstützen. Dagegen helfe nur eine eiserne Hand und eine Schwächung des Regimes insgesamt durch konsequente Isolation. Unter Trump rückte eine militärische Eskalation mit dem Iran zwischen 2019 und 2021 so nah wie lange nicht mehr.

Fünf Argumente für und wider Sanktionen gegen den Iran

Im Folgenden sollen fünf der häufig genannten Argumente für und wider Sanktionen gegen den Iran diskutiert werden.

1) Sanktionen sind das einzige politische Mittel, um das iranische Atomprogramm zu mäßigen, die IRI mittelfristig in den Weltmarkt zu integrieren und die politisch liberalen Kräfte dauerhaft zu stabilisieren.

Dieses Versprechen drückt die neoliberale Ideologie «Freiheit, Frieden, Wohlstand durch Handel» aus wie kein anderes Argument der Befürworter*innen von Sanktionen. Letztendlich geht es hier in erster Linie um ein nach wie vor sehr banales wie bedeutendes Geschäft: Die Welt braucht die Öl- und Gasreserven im Iran, und für den Iran stellt der Verkauf von Öl und Gas die mit Abstand wichtigste Einnahmequelle dar. Das Versiegen dieser Quelle reißt riesige Löcher in den Haushalt der IRI und sorgt für existentielle Nöte: In den ersten zwei Jahren der Trump-Sanktionen (und noch vor Beginn der Corona-Pandemie) brach der Ölexport um 80 Prozent ein, die iranische Wirtschaftsleistung schrumpfte um 12 Prozent, der Reallohn um 14 Prozent, die absolute Armut stieg um 11 Prozent. Der iranische Rial verlor knapp 25 Prozent seines Wertes, und der Mindestlohn kollabierte von 260 US-Dollar auf 70 US-Dollar. Ein erheblicher Teil der iranischen Mittelklasse sank in die Armut ab und kämpft ums Überleben. Das hat politische Implikationen, denn der Mittelstand stützt traditionell eher moderate Kräfte innerhalb des Staatsapparates der IRI. Während der Präsidentschaft einiger sog. «Reformer» und einer Öffnung gegenüber dem Westen – so wie zuletzt nach dem Atomabkommen 2015 – konnte ein sich vitalisierender Mittelstand nicht nur ökonomisch erholen und der weiteren Monopolstellung des politisch-industriellen-militärischen Komplexes – der Revolutionsgarden – Einhalt gebieten. Damit einher ging häufig auch die Ausweitung bestimmter politischer Freiheiten, wodurch auch soziale Bewegungen und Arbeiter*innenkämpfe eine gewisse Luft zum Atmen erhielten. Davon ist allerdings keine Spur mehr, und das sogenannte reformistische Lager hat sich inzwischen aufgelöst und kann somit nicht mehr wirklich als Hoffnung gesehen werden. Die häufige Projektion der Stärkung liberaler Kräfte durch Verhandlungen auf Augenhöhe ist derzeit also allenfalls theoretisch haltbar.

2) Harte Sanktionen haben kein nachvollziehbares Ziel außer der vollkommenen Isolation des gesamten Landes, sodass das Interesse und die Motivation an Verhandlungen im Iran nicht vermittelbar sind und damit politisch vor allem die Hardliner gestärkt werden.

Rouhani ist es in der kurzen Zeit der wirtschaftlichen Erholung seit dem Atomabkommen 2015 nicht gelungen, den Wohlstand gleichmäßig zu verteilen. Während urbane Gebiete und einige wenige Sektoren endlich wieder Wachstum und Stabilisierung erfuhren, spürten weite Teile der ländlichen Provinzen keinerlei Unterschied zu der Zeit vor dem Abkommen. Somit tragen auch diejenigen Verantwortlichen der IRI, die im Sinne des Aufschwungs Verhandlungen führten und bis heute befürworten, selbst eine Verantwortung für das Misslingen dieser Strategie. Es wird aber noch problematischer, wenn eine US-Administration wie die von Trump mit ihrer Doktrin jegliche theoretische Fenster für diplomatische Einigungen prinzipiell verschließt. In beiden Fällen gibt es einen lachenden Dritten, nämlich die Hardliner und Erzkonservativen innerhalb der IRI. Diese drehen das Ganze politisch so, dass sie die kurzzeitig gewählte Strategie eines Rouhani als Fehler darstellen und es nun als belegt sehen, dass Verhandlungen mit dem Erzfeind der USA überhaupt keine verlässliche Option sind. Der Iran habe sich ohnehin gegenüber niemandem zu beugen. Diese derzeitige Haltung hat schwerwiegende Konsequenzen: Die Militarisierung der Wirtschaft nimmt rasch zu, und die Revolutionsgarden besetzen nun große Lücken bankrottgegangener, mittelständischer und hier und da progressiver Unternehmen und weiten ihren Zugriff auf die gesamte iranische Ökonomie noch stärker aus. Ihre politische Hegemonie sowie die Deutungshoheit über dem (Un-)Sinn von Diplomatie gegenüber dem Westen sind derzeit sehr deutlich.

3) Durch die Doktrin des «maximum pressure» entzieht sich die USA dem Versprechen von Liberalisierung, Weltmarkt und Freiheit, schwächt ihre eigene Vormachtstellung im westlichen Bündnis und belastet Beziehungen zu ihren eigenen Partner*innen.

Freilich: in allen Phasen der Sanktionen gegen die IRI geht es um deren generelle geopolitische Bedeutung und zunehmende Einflussnahme insbesondere in Westasien, einer geostrategisch nach wie vor extrem wichtigen Region für die USA. Prinzipiell standen allerdings Sanktionen für eine politische Lösung, die Frieden und Prosperität durch Handel für alle Beteiligten in den Vordergrund rückte. Hiermit brach Trump ganz offensichtlich, wobei er keinerlei Einwände seiner Verbündeten hören wollte, dass der Iran zu wichtig sei, um ihn nachhaltig und effektiv zu boykottieren und vom Welthandel abzukapseln. Dies sei, so werfen sie ihm vor, aus der Perspektive des Welthandels irrational und nicht durchzuhalten. Dass sie Recht haben, zeigt die Tatsache, dass selbst unter den härtesten Sanktionen Geschäfte mit dem Iran stattfinden, und zwar auch und besonders im Ölgeschäft, notfalls eben illegal und im Verborgenen; Anfang des Jahres 2021 prahlte der damalige iranische Öl-Minister Bijan Zanganeh: «Wir verzeichnen Exportrekorde für raffinierte Produkte in der Ölindustrie in der gesamten Zeit des Embargos.» Aussagen iranischer Offizieller sind stets mit Vorsicht zu genießen, da sie sich in erster Linie inszenieren und Stärke demonstrieren wollen. Doch andere Affären zeigen, dass die USA in Schwierigkeiten geraten, wenn Verbündete selbst Geschäfte machen und sanktioniert werden sollen. Die halbstaatliche türkische Halkbank wurde 2019 – noch unter Obama – vom US-Justizministerium angeklagt, weil sie mehrere Milliarden Dollar in den Iran geschleust haben soll. Es sollte einer der größten Prozesse im Zusammenhang mit den Iran-Sanktionen sein. Doch nach Druck seines Verbündeten Erdoğan wirkte Trump persönlich darauf hin, die Anklage fallen zu lassen– ein politischer Skandal. Solche großzügigen Ausnahmen bleiben weltweit nicht ungehört und führen garantiert dazu, dass auch andere Akteur*innen das Geschäft mit dem Iran quasi unter dem Radar suchen und die US-Vorgaben umgehen. Damit begünstigen es die USA selbst, dass der Iran in der Lage ist, die Sanktionen zu umgehen.

4) Sanktionen sollen das Regime isolieren, es wirtschaftlich in die Knie zwingen und politische Unruhen im Land entfachen. Nur so können sich die politischen Kräfteverhältnisse im Iran nachhaltig ändern und langfristig eine Öffnung des Landes bewirken.

Solch eine Annahme ist definitiv realistischer und nachhaltiger als die noch immer bestehende Illusion, einen «regime change» militärisch zu erzwingen. Und in der Tat radikalisieren sich die Proteste im Iran, verändern ihren Charakter und nehmen in ihrer Frequenz zu. Die lange Zeit wohl bekannteste «Grüne» Bewegung entstand 2009 angesichts der sabotierten Wiederwahl des erzkonservativen Präsidenten Ahmadinedschad. Sie war ein vom urbanen Mittelstand getragenes politisches Aufbegehren innerhalb des Systems und hatte das Ziel, einen konservativen Präsidenten durch einen moderaten zu ersetzen. Solch eine Bewegung könnte es in diesen Zeiten gar nicht geben. Erstens existiert kein glaubhaftes Reformer-Lager als politische Alternative, zweitens schmilzt der Mittelstand immer weiter und ist eine kaum repräsentative Kraft im Land, und drittens sehen immer mehr Menschen im Iran eine Lösung innerhalb des Bestehenden als illusorisch. Proteste, größere wie kleinere, nehmen aber mitnichten ab, doch sie haben seit 2017 einen anderen Charakter: Sie sind zunehmend getragen von der Arbeiterklasse und den untersten Schichten, sie adressieren existentielle Fragen wie Brot, Lohn, Freiheit und Würde, sie finden flächendeckend im ganzen Land getragen von sämtlichen Minderheiten statt, sie sind zunehmend militanter und haben häufig einen gemeinsamen, antisystemischen und radikalen inhaltlichen Nenner. Sie sind ein Ergebnis der jahrzehntelangen Verelendung des Landes, für die die Sanktionspolitik auch, aber nicht zentral verantwortlich zu machen ist. Verantwortlich sind allem voran die korrupte Miss- und Vetternwirtschaft der Ayatollahs und der Revolutionsgarden, auf die die Sanktionen wirken können wie das Gießen von Öl ins Feuer. Sämtliche Protestbewegungen im Iran haben allerdings eins gemeinsam: Sie wurden seit dem Bestehen der IRI ausnahmslos für illegitim erklärt, teils sehr gewalttätig niedergeschlagen und nachhaltig bekämpft. Die hochgerüstete und hochrepressive IRI kennt keinerlei Erbarmen und hat sich zunehmend in der Aufstandsbekämpfung professionalisiert. Insofern führt das Argument, Sanktionen erzeugten politische Unruhen und langfristig Veränderung, im Falle des Iran leider in eine Sackgasse und setzt die Hoffnung stattdessen in einen blutigen Teufelskreis.

5) Die (harte) Sanktionspolitik des Westens führt dazu, dass der Iran sich abwendet und sich nun endgültig gen China und Russland orientiert.

Im März 2021 unterzeichnete der Iran ein umfassendes Abkommen mit China über 25 Jahre. Die Volksrepublik wird über diesen Zeitraum 400 Milliarden Dollar in sämtliche Sektoren von Wirtschaft, Militär und Infrastruktur des Iran investieren und erhält im Gegenzug kontinuierlich und stark verbilligten Exklusivzugang zu iranischem Öl und Gas. Nur vier Monate später verlängerte der Iran einen seit 2001 bestehenden Vertrag zur umfassenden Kooperation mit Russland. Vereinbarungen zwischen der IRI mit Russland und China bestehen schon seit den 1990er-Jahren, und es wäre viel zu verkürzt und zu vereinfachend, diese Partnerschaft als homogen zu romantisieren. Historisch gab es immer Spannungen, denn die IRI hat ein klares ideologisches Fundament mit expansionistischen, eigenen imperialistischen Ansprüchen; der erste Revolutionsführer Khomeini betonte stets, sich keiner Macht zu beugen, sondern selbst eine Macht sein zu wollen. Doch spätestens seit Trumps Eskalation hatte die IRI praktisch keine Wahl: Wollten sich die Ayatollahs irgendwie über Wasser halten, mussten sich sie sich gen Osten wenden und sich Russland und China praktisch «verkaufen». Das ist ein politischer Paradigmenwechsel und dürfte insbesondere dem derzeitigen US-Präsidenten Biden auf die Füße fallen; als Vizepräsident war er Mitdesigner des Abkommens unter Obama und Verfechter des Plans, den Iran wirtschaftlich und damit politisch einzuhegen. Das scheint weit weg. Erstens muss das gesamte Primat der Diplomatie, die Obamas Außenpolitik prägen sollte, restauriert und glaubhaft (wieder)vermittelt werden. Zweites geht der Iran, mit den Abkommen mit China und Russland, nun mit einer deutlich stärkeren Verhandlungsposition in die Gespräche mit dem Westen. Drittens werden die größten Konkurrenten der USA und die Widersacher in der Sanktionsfrage durch diesen Zugriff auf den Iran angesichts seiner vielschichtigen strategischen Bedeutung deutlich stärker.

Fazit

Die Frage zu Sanktionen erweist sich als sehr komplex und birgt viele Widersprüche. Die Auseinandersetzung mit den oben aufgeführten Argumenten hat verdeutlicht, welche Hoffnungen eine sorgsame Strategie aus Sanktionen impliziert und welche Ziele erreicht werden könnten. Sie hat allerdings auch gezeigt, wie Sanktionen bei zu hoher Eskalation politisch scheitern und nur die Hardliner im Iran stärken. Die historische Betrachtung der Sanktionsphasen legt gewisse Zyklen nahe, doch die Verschärfung durch Trump scheint nicht nur eine weitere Episode in diesem Kreislauf zu sein, sondern kann die Verhältnisse dauerhaft geändert haben. Gewiss, dem Iran reicht ein Verkauf seiner Schlüsselressourcen Öl und Gas allein an China nicht aus, um sich wirtschaftlich zu erholen. Geschäfte mit der westlichen Gemeinschaft und auch den USA sind hierfür essenziell. Allerdings ist China zahlungsbereit und -willig, und die neue Orientierung der IRI in Richtung Volksrepublik und Russland könnte nur der Anfang eines dauerhaften außen- und wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsels sein. Zum Schluss sei davor gewarnt, den Iran lediglich auf seine geopolitische Bedeutung zu reduzieren. Schließlich geht es um eines der größten Länder der Region mit über 80 Millionen Einwohner*innen. Fakt ist: Seit der Machtübernahme der Ayatollahs sind diese Menschen zunehmend in Krisen, Krieg, Verelendung und existentielle Nöte verwickelt. Die Gefängnisse sind voll, regelmäßig kommen Protestierende ums Leben oder fliehen, die iranische Diaspora wächst und wächst. Es sollten bei einer Betrachtung dieses Landes, auch in der Frage nach Sanktionen, immer diese Menschen im Vordergrund stehen. Das bedeutet freilich, bestimmte, alte Stereotype und geopolitische Wunschkonstellationen, die das eigene Weltbild bedienen, zu überdenken und gegebenenfalls zu verwerfen.

1 Altvater, W. (1977). «The Iran-1 and Iran-2 nuclear power station on the Persian Gulf», Atomwirtschaft – Atomtechnik, 22(2), S. 74-80.