Nachricht | Wie der Geschichtsunterricht das Gedächtnis der Kolonialgeschichte prägt

Deutschland in Kamerun 1884 - 1916

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Autor

Roland Ndille,

Der Bismarckbrunnen in Buea; er wurde im Gedenken an den deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck aufgestellt. Er steht genau an der Stelle, wo viele Einwohner*innen Bueas 1894 bei der gewaltsamen Militärbesetzung durch deutsche Kolonialisten erschossen wurden.
  CC BY-SA 3.0, Foto: Wikicommons/Mboupda Talla Roger

Die Deutschen sind meine Herren, ob sie mich gut behandeln oder nicht, ich werde ihnen treu bleiben […].

Njoya, Sultan von Bamum, an Ndane, den Gesandten von Douala in Foumban, April 1914

Ich wurde in Ihrem Reich geboren […] Ich sage es Ihnen mit Tränen in den Augen […] Ich mag Deutschland sehr. Ich würde mir sehr wünschen, dass Sie [nach Kamerun] zurückkehren […].

Häuptling Jean Nyap von Ndogbessol-Eseka an Adolf Hitler, 1936

Wie alle mit der Kolonisierung zu uns gekommenen kulturellen Elemente wurde das «Leben in den Traditionen anderer» immer aufgezwungen […] Es war nicht frei gewählt […] und […] ihm wurde [durch die neokoloniale Schule] ein Raum in unserer Vorstellungswelt eingeräumt.

Achille Mbembe: Brief an die Deutschen, 2020 (Hervorhebung hinzugefügt)

Deutschland annektierte Kamerun im Juli 1884 und verwaltete es bis Februar 1916. Dieser Zeitraum wird sowohl in der kamerunischen Geschichtsschreibung als auch in den Lehrplänen ausführlich behandelt. In Debatten zur Verantwortung für die deutsche Kolonialgeschichte und deren Wiedergutmachung wird Kamerun jedoch selten erwähnt, obwohl das Land ein Hauptschauplatz deutscher kolonialer Gräueltaten war. Da Geschichtsunterricht einen großen Einfluss auf das Gedächtnis ausübt, versuche ich in diesem Beitrag, drei wichtige Fragen zu beantworten:

(1) Wie wird die deutsche Kolonialisierung an den Schulen in Kamerun dargestellt?

(2) Welche Art von Erinnerung an die deutsche Kolonialisierung ist ausschlaggebend für die Lehrplangestaltung?

(3) Welche Auswirkungen hat sie auf die Beteiligung von Kameruner*innen an den aktuellen Debatten über die deutsche Kolonialgeschichte?

In Kamerun wird Schulwissen durch die Politik vorgegeben und in nationalen Lehrplänen festgelegt, auf deren Grundlage Lehrbücher erarbeitet werden. Allerdings entscheidet das Bildungsministerium über deren Zulassung für den Unterricht. Diese Schulbücher sind die wichtigste Datenquelle für die vorliegende Untersuchung.[1] Geschichtsbücher sind nach wie vor das weltweit wichtigste Bildungsmedium zur Vermittlung von dem Wissen, das eine Gesellschaft für relevant genug hält, um es an jüngere Generationen weiterzugeben. Bekanntermaßen enthalten und verankern Geschichtsbücher grundlegende Normen und Werte. Sie vermitteln bestimmte Identitätskonstruktionen und spezifische Muster der Weltwahrnehmung.[2]

Der Deutsche Kolonialismus an Kameruns Schulen: die einseitige Perspektive von den «guten Deutschen» 

Die Vermittlung der kamerunischen Geschichte wird seit der Unabhängigkeit als nationale Priorität betrachtet. Ein Schwerpunkt des Fachs Geschichte ist die koloniale Erfahrung. Umfang und Reihenfolge des Stoffs variieren je nach Schulstufe, der Fokus bleibt jedoch von der Grundschule bis zur Sekundarstufe weitgehend unverändert. An den Geschichtsfakultäten der Universitäten wird die koloniale Geschichte Kameruns mit ähnlichen Inhalten wie in der Sekundarstufe unterrichtet. In den meisten Lehrbüchern sind die Kapitel chronologisch statt thematisch geordnet und Ereignisse werden als eine Abfolge von Geschehnissen dargestellt. In Bezug auf die deutsche Kolonialzeit beginnen die Bücher häufig mit dem Kampf um Kamerun und gehen dann zu den Gründen über, warum Großbritannien Kamerun nicht annektierte. Es folgt eine Diskussion über die Voraussetzungen dafür, wieso Deutschlands so spät in den Wettstreit der Kolonialmächte einstieg, und die Darstellung der Hintergründe für die Annexion Kameruns durch Deutschland. Danach kommen Unterrichtseinheiten über die Befriedung und Verwaltung des Gebietes und zur sozioökonomischen Entwicklung der Kolonie unter deutscher Kolonialherrschaft. Dieser Abschnitt der Geschichte Kameruns endet meistens mit dem Widerstand gegen die deutsche Herrschaft und dem Ersten Weltkrieg in Kamerun. Weitere Themen mit Deutschlandbezug sind der Wunsch nach Rückkehr der Deutschen zwischen den beiden Weltkriegen und die Außenpolitik Kameruns. Dieser Abschnitt stellt auch die heutigen Beziehungen zwischen Kamerun und Deutschland dar und begründet diese mit der kolonialen Erfahrung.

Roland Ndille ist Assistenzprofessor für Geschichte und Bildung sowie Vorsitzender des Fachbereichs Geschichte an der Universität Buea in Kamerun. Außerdem ist er Senior Research Fellow am Centre for Educational Rights and Transformation der Universität Johannesburg, Südafrika, und Mitglied des Decolonial Research Garden der School of Education der Witwatersrand-Universität.

Deutsche Kolonisierung als «Rettung»

Die Einführung in die Geschichte des deutschen Kolonialismus in Kamerun beginnt für die Schüler*innen mit der Frage, warum die Deutschen Kamerun annektierten. Britische und deutsche Firmen werden in den 1880er Jahren an der kamerunischen Küste als die aktivsten dargestellt, Großbritannien als der in der Bevölkerung beliebtere Akteur. Die letztendliche Übernahme des Gebiets durch Deutschland wird als prompte Antwort auf eine nicht erwiderte Forderung der Einheimischen nach den Briten dargestellt. Umstrittene Briefe, die von kamerunischen Königen verfasst worden sein sollen, beklagen, dass «wir es leid sind, unser Land zu regieren», aufgrund der «vielen Kriege […] Morde und Götzenanbeter», und erzeugen den Eindruck, dass die deutsche Kolonialisierung Kameruns die Antwort auf einen Hilferuf war. Verbreitete Narrative schildern, wie die deutsche Kolonialmacht «ein selbstloses Opfer zur Förderung des moralischen und materiellen Wohlergehens der ‹Eingeborenen›» erbracht und «dem Schwarzen Kontinent das Licht des Lebens gebracht hat […], indem sie Götzenverehrung und die Menschenopfer abgeschafft» habe. Der Hintergrund für eine solche Perspektive findet sich in der Unterrichtseinheit über die deutschen wirtschaftlichen Aktivitäten in Kamerun, die vermittelt, dass solche Aktivitäten «wichtige positive Folgen für das Gebiet hatten. Erwähnt wird u. a. die Heranführung der ‹Eingeborenen› an den Anbau von Nutzpflanzen und den Weltmarkt, um zu zeigen, dass die Auswirkungen für das Gebiet positiv waren, da es nun dank der Deutschen die Position eines wichtigen Produzenten von Primärerzeugnissen wie Kautschuk, Kakao, Kaffee, Holz und Palmenerzeugnissen genießt». 

Eine eurozentristische Perspektive auf die Kolonialmacht als Entwicklungshelferin

Was die Plantagenwirtschaft betrifft, so liegt der Schwerpunkt auf dem Auswendiglernen der Namen der wichtigsten deutschen Plantagen, ihrer Standorte, der Jahre ihrer Gründung und der angebauten Pflanzen. Die Rekrutierung von Arbeitskräften für Plantagen und andere staatliche Vorhaben wird ebenfalls behandelt, wobei der Fokus eher auf dem Anlass als auf den Rekrutierungsverfahren und den Arbeitsbedingungen liegt. Die Lehrbücher verstehen die Kolonialmacht gemäß der eurozentrischen Perspektive als Entwicklungshelferin für die Kolonie. Sie verweisen beispielsweise auf «langfristige deutsche Investitionen in Kamerun in Höhe von 19 % der gesamten deutschen Kapitalbeteiligung in afrikanischen Kolonien mit 39 Unternehmen in Höhe von etwa 96 Millionen Mark», als wollten sie belegen, wie finanziell aufopferungsvoll die Deutschen bei der Kolonisierung Kameruns waren.

Inzwischen verfügt die kamerunische Geschichtswissenschaft über ausreichend Belege dafür, dass der deutsche Kolonialismus im Kern auf wirtschaftlicher Ausbeutung beruhte. Bismarck hatte prognostiziert, dass, «wenn der Kaffee und die Baumwolle, für die wir jetzt so viel bezahlen, auf deutschem Boden wüchsen […] wie in Kamerun, sich [das deutsche] Nationaleinkommen erhöhen würde».[3] Wie um ihm Recht zu geben, beliefen sich die wichtigsten Exporte Kameruns nach Deutschland 1912 auf 19 636 721 Mark und die deutschen Importe nach Kamerun auf nur etwas mehr als die Hälfte der Exporte, nämlich 12 094 843 Mark. Gleichzeitig werden die Vorteile, die den Deutschen durch die wirtschaftliche Ausbeutung Kameruns entstanden sind, nicht deutlich.

«Vorteile» der deutschen Kolonialherrschaft im Fokus

Anstatt sich auf die Intrigen zu konzentrieren, mit denen sich die deutschen Machthaber Kamerun aneigneten, fokussieren die Unterrichtseinheiten zur Unterzeichnung der deutschen Verträge in Kamerun auf die vermeintlichen Vorteile der Annahme des deutschen Kolonialismus. Adolph Woermann hat dies als «die Vorteile, die die Häuptlinge haben werden, wenn sie unter dem Schutz des deutschen Kaisers stehen», bezeichnet.[4] Der Schwerpunkt liegt auf den Vorteilen, die die Einheimischen aus den deutschen «Versprechungen von Geschenken und Geld» zogen, wie im Fall der Deutsch-Douala-Verträge von 1884. Gleiches gilt auch für den Blutpakt, den der deutsche Forschungsreisende Eugen Zintgraff 1891 mit König Galega I. von Bali schloss. In den Schulbüchern wird behauptet, dass Galega durch die Annahme der deutschen Kolonisierung «von den kolonialen Geschenken in Form von Feuerwaffen profitieren» sollte und dass ihm auch «die Anerkennung und der Schutz als oberster Häuptling der umliegenden Ethnien garantiert» wurde. So führt der Unterricht zu einer Form der Erinnerung, in der die Akzeptanz der deutschen Kolonisierung Vorteile mit sich brachte. Lehrbuchkapitel über den Widerstand gegen die deutsche Herrschaft zeichnen zugleich das Bild, dass die Ablehnung der Kolonisierung zu großem Leid führte.

Nach einer nicht minder kritischen Ansicht (die im Unterricht nicht thematisiert wird) kommen die deutsch-kamerunischen Kolonialverträge einer amtlichen Aberkennung der afrikanischen Häuptlingsautorität und einer Degradierung der ehemals Mächtigen zu untersten Kolonialbeamten gleich. In einem Abschnitt des Zintgraff-Galega-Pakts, der in den Lehrbüchern keine Beachtung findet, heißt es etwa: «Galega wird Dr. Zintgraff die Befugnisse übertragen, die er derzeit ausübt [… und] Galega verpflichtet sich, die von Dr. Zintgraff erteilten Anordnungen auszuführen». In Douala hatten die Deutschen die Bedingung der Könige, «mit jedem europäischen Land» zusammenarbeiten zu wollen, ebenfalls dahingehend abgeändert, dass «wir heute alle unsere Rechte in Bezug auf Souveränität, Gesetzgebung und Verwaltung unseres Territoriums vollständig an die Deutschen abtreten […] das Territorium darf nicht an Dritte abgetreten werden».

Hervorhebung der lokalen Zustimmung zur deutschen Kolonialherrschaft

Die Schulbücher lassen die Tragweite der Verträge zur ausländischen Besatzung und Unterwerfung sowie ihre Folgen völlig aus. Auch die Zwielichtigkeit, mit der die Deutsch-Douala-Verträge von den Deutschen ausgearbeitet wurden, tauchen in den Büchern nicht auf. Dabei zeugen davon Aspekte wie die Änderung der geografischen Bestimmungen von Dualaland im Vertrag und die völlige Missachtung einiger Bedingungen. In den Lehrbüchern wird stattdessen die Botschaft vermittelt, dass die Deutschen sich mit den Annexionsverträgen die Zustimmung der Einheimischen zur Besetzung Kameruns sicherten. Die Bücher verschweigen den Druck, den die deutschen Händler, die die Vertragsbedingungen ausarbeiteten, auf die Könige Kameruns ausübten. Diese Händler wurden von ihren Vorgesetzten in Deutschland gewarnt, dass «Kamerun deutsch werden muss, bevor die Briten etwas davon ahnen», und beauftragt, «alle Vorkehrungen zu treffen, bevor die Briten davon Wind bekommen und uns zuvorkommen». Dies zeigt nicht nur die Bedeutung des Kampfes um Kamerun, sondern auch den enormen Druck, unter dem die Könige Kameruns standen, ihre Rechte und Gebiete an die Deutschen abzutreten. Das wird zum einen durch den Charakter der Verhandlungen, die in geheimen nächtlichen Treffen stattfanden, unterstrichen. Zum anderen änderten die Deutschen die Vertragsbedingungen, was die Bereitschaft der Könige zur Zusammenarbeit und die Abtretung ihrer Souveränität angeht. All das deutet auf eine enorme europäische Begierde nach dem Territorium hin. Doch den Schüler*innen soll weisgemacht werden, dass die einheimischen Häuptlinge «es leid waren, ihr Land zu regieren».

Widerstand nicht lohnenswert?

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das Lehrbuchkapitel über den Widerstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft. Es erweckt den Eindruck, dass die Bevölkerung koloniale Erlasse entweder ablehnte oder missachtete, worauf die Kolonialbehörden natürlich mit Strafmaßnahmen reagierten, die stets zum Nachteil der Einheimischen führten: Todesfälle, Zerstörung von Häusern, Verlust von Land und Eigentum, Zahlung von Kriegsentschädigungen in Form von Geld, Elefantenstoßzähnen und Hunderten von Zwangsarbeiter*innen. Bisweilen wurde den kamerunischen Gesellschaften das Recht genommen, Krieg zu führen und Frieden zu schließen. Chiefs wurden entthront, verbannt oder durch Erhängen getötet. Den Schüler*innen wird vermittelt, dass der Widerstand gegen die Deutschen immer erfolglos war. Das impliziert, dass es sinnlos gewesen wäre, mit den Deutschen Krieg zu führen, da sie über überlegene Waffen verfügten. Gleichzeitig werden die kollaborierenden Chiefs so dargestellt, als hätten sie enorme Vorteile erlangt und als wäre Kollaboration das einzig Richtige.

In der Geschichte der deutschen Kolonisierung Kameruns kommen die deutschen Gräueltaten während Bestrafungsfeldzüge einem Massenmord und Völkermord gleich. Manchmal wurden ganze Dörfer und Bevölkerungsgruppen dezimiert, wie in Hickorydorf (heute Bonabéri) in den Jahren 1884-1885 und Buea im Jahr 1894. Auch wurden Chiefs, die sich beim Reichstag auf diplomatischem Wege um Entschädigung für deutsche Übergriffe bemühten, zum Tode durch Erhängen verurteilt, wie 1914 Rudolph Duala Manga Bell und sein Sekretär Ngosso Din in Douala. In den Schulbüchern werden solche Vorfälle jedoch nicht als «Kolonialverbrechen» behandelt.

Sympathie für die Kolonialmacht Deutschland

Deutschland musste Kamerun nach seiner Niederlage gegen Großbritannien und Frankreich im Jahr 1916 verlassen. Das Gebiet wurde 1919 an beide Siegermächte aufgeteilt, als sie vom Völkerbund 1919 ein Verwaltungsmandat bekamen. Die Erinnerung an ein scheinbar wohlwollendes, fortschrittsorientiertes Kolonialdeutschland bestimmt die Perspektive der Lehrmaterialien auf Deutschland auch nach dem Ersten Weltkrieg. Diesmal wird ein einfühlsames Erinnern betont. In der Unterrichtseinheit zu den Gründen für den britischen und französischen Einmarsch auf deutschem Boden in Kamerun 1914 wird der Eindruck erweckt, dass die Großmächte «Deutschland von allen Versorgungsgebieten für Rohstoffe und menschliche Ressourcen abschneiden wollten» und dass diese Strategie zum Teil auch für Deutschlands Niederlage im Ersten Weltkrieg verantwortlich ist. Dies trägt zu dem Bild bei, dass Deutschland durch den Versailler Vertrag übermäßig bestraft worden sei. In den Schulbüchern wird die Kriegsschuldklausel ausführlich dargestellt und darauf hingewiesen, dass keine Kolonialmacht von den kolonialen Gräueltaten, für die Deutschland bestraft wurde, frei war. Dadurch wird die Empathie für Deutschland in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen in Kamerun weiter gefestigt.

Die Lehrbuchinhalte über die deutschen Forderungen nach Rückgabe der deutschen Kolonien in den 1930er und 40er Jahren verfolgen einen ähnlichen Ansatz. Das Narrativ der Lehrbücher beinhaltet, dass «der Versailler Vertrag Deutschland durch illegale und unmoralische Methoden seiner Kolonien beraubt» habe, was sich nachteilig auf das Land ausgewirkt habe. Fast vollständig abgedruckte Zitate von Joseph Goebbelsʼ Propaganda stellen Deutschland in dieser Zeit als «Bettler […] eine leidende Nation […] eine arme Nation […] ohne Kolonien, ohne Rohstoffe» dar.[5] Dieser Umstand, so betonen die Lehrbücher, half den Kameruner*innen, das Streben nach Rückgabe Kameruns an die Deutschen durch beliebte «Verbände wie der Kamerun Eingeborenen Deutsch Gesinnten Verein [sic!] und Kamerun Farbigen Deutsch Gesinnten Verein [sic!]» zu unterstützen.[6] Dies wird noch verstärkt durch Briefe an deutsche Persönlichkeiten wie Adolf Hitler, wie z. B. den des Chiefs Jean Nyap von Ndogbessol-Eseka:

«Ich wurde in Ihrem Reich geboren […] Ich sage es Ihnen mit Tränen in den Augen […] Ich mag Deutschland sehr. Ich würde mir sehr wünschen, dass Sie [nach Kamerun] zurückkehren: Die französischen Anordnungen sind anders als die Ihren.»[7]/p>

Mit solchen Zitaten vermitteln die Schulbücher, dass die Liebe zu Deutschland nie nachgelassen hat und dass es die positive Einstellung der Bevölkerung gegenüber dem deutschen Kolonialismus war, die sie in der Zwischenkriegszeit dazu veranlasste, die Deutschen zur Rückkehr nach Kamerun aufzufordern. Auch deshalb wird in den Schulbüchern die Ansicht vertreten, dass die Menschen in Französisch-Kamerun euphorisch reagierten, als Hitler 1940 Frankreich überfiel. So wird beispielsweise Chief Ekongolo Miken aus dem Dorf Mpobo zitiert, der seinem Volk sagte, es solle sich freuen, «dass die Deutschen Frankreich erobert haben und dass die Franzosen, die nichts anderes tun, als Kameruner zu misshandeln, bald aus Kamerun vertrieben werden».

Die Perspektive von den «guten Deutschen» wird auch bei der Beschäftigung mit dem Nationalismus und den politischen Entwicklungen im britisch kolonisierten Teil des Landes (1916-1961) deutlich. Um ihre Nostalgie für die deutsche Kolonialzeit zum Ausdruck zu bringen, nahmen politische Parteien wie der Kamerun National Congress (KNC) damals die deutsche Bezeichnung Kamerun an. Dieses Gefühl beflügelte auch die Pan-Kamerun-Bewegung und sorgte für den Sieg der Wiedervereinigungsbefürworter*innen bei der Volksabstimmung, die 1961 über die Zukunft Südkameruns entschied. Die ideologische Motivation dafür war, dass die von Briten und Franzosen vorgenommene koloniale Aufteilung von Deutsch-Kamerun der Entwicklung der beiden Gebiete abträglich war und dass ein neu geschaffenes Kamerun auf der Grundlage der deutschen Kolonialgrenzen und ihrer Prinzipien von Durchsetzungsfähigkeit und harter Arbeit schneller zu einem höheren Entwicklungsniveau des Landes führen würde.

Argumente für die Perspektive von den «guten Deutschen» und Implikationen für die Debatten über deutsche koloniale Verantwortung und Wiedergutmachung

Die Betrachtungsweise von den «guten Deutschen» hat in der Vermittlung geschichtlichen Wissens bis heute eine positive Erinnerung an den deutschen Kolonialismus in Kamerun aufrechterhalten. Die meisten Kameruner*innen würden Ralph Austen, einem bedeutenden Historiker und Geschichtsprofessor, darin zustimmen, dass «die heutigen [Kameruner*innen], wenn sie auf […] die deutsche Herrschaft zurückblicken […] diese Zeit als ihr goldenes Zeitalter betrachten».[8] Ohne eine rechte, revisionistische Position stärken zu wollen, lassen sich für diese Ausrichtung der Bildungsinhalte vier Hauptgründe ausmachen. Erstens sieht der deutsche Kolonialismus im Vergleich mit der späteren britischen und französischen Herrschaft vorteilhaft aus. Zweitens kommt die ideologische Lehrplangestaltung den derzeitigen Machthabenden und ihren Vorgängern gelegen. Damit eng verbunden ist drittens die politische Ausgestaltung der Unabhängigkeit, die für ein postkoloniales, neokoloniales Verhältnis zu den ehemaligen Metropolen ursächlich ist. Maßgeblich ist viertens ein pädagogischer Ansatz, der Geschichtsunterricht als unkritisches Erzählen versteht, sich auf Auswendiglernen beschränkt und nicht zu kritischem Nachdenken über alternative Perspektiven zum Kolonialismus anregt.

Der deutsche Kolonialismus im Vergleich zur französischen und britischen Kolonialherrschaft

Wie Robert Heinze dargelegt hat, besteht ein Konsens darüber, dass der deutsche Kolonialismus der Kolonialherrschaft von Mächten wie Frankreich und England in Bezug auf Brutalität und Ausbeutung in nichts nachstand. Tatsächlich wird, wie bereits dargelegt, viel zu wenig thematisiert, wie stark der koloniale Alltag in Deutsch-Kamerun von kultureller Demütigung, politischer und sozialer Diskriminierung, struktureller und physischer Gewalt geprägt war und wie tiefgreifend die Auswirkungen dieser Gewalt auf Kamerun bis heute nachwirken. Dennoch lässt eine nüchterne Betrachtung der Entwicklungen in der britischen und französischen Kolonialzeit im Verhältnis zur deutschen die meisten Kameruner*innen zu dem Schluss kommen, dass das Land während einer kürzeren Zeitspanne der deutschen Ausbeutung (1884-1914) ein höheres Entwicklungsniveau erreichte.

Diese Betrachtung identifiziert den deutschen Kolonialismus nicht als seinem Wesen nach gut, sondern sie zieht lediglich einen vergleichenden Schluss. Der deutsche Kolonialismus liegt dabei länger zurück als die französische Kolonialherrschaft, und Menschen neigen dazu, sich eher an die jüngere Vergangenheit und damit an die kürzer zurückliegenden Gräueltaten zu erinnern als an die früheren. Wie Austen dargelegt hat, wird die Vorstellung von den «guten Deutschen» in der Auseinandersetzung häufig gegen die spätere französische Verwaltung eingesetzt. Diese gilt als weniger vorteilhaft für die Einheimischen und mit einem größeren Maß an Ausbeutung und Unterdrückung verbunden. Zum Beispiel war die Capitation eine Art Kopfsteuer, die Frankreich allen Männern, Frauen und Kindern über 12 Jahren auferlegte. Die Prestation war ein System von Zwangsarbeit, das alle Männer dazu verpflichtete, jedes Jahr zehn Tage lang ohne Bezahlung an staatlichen Vorhaben mitzuarbeiten. Das Indigénat unterschied zwischen assimilierten Bürger*innen, denen die gleichen bürgerlichen und politischen Rechte wie Personen französischer Herkunft zugestanden wurden, und jenen, die keine Fortschritte in Richtung Assimilierung machten. Letztere konnten ohne Gerichtsverfahren ins Gefängnis kommen, wenn sie sich etwa weigerten, bei der Begegnung mit einer europäischen Person den Hut abzunehmen oder die Corvée zu leisten, eine andere Form der Zwangsarbeit. Der französische Kolonialismus war also nicht weniger gewalttätig als der Deutsche. Die Schulbücher gewichten jedoch den Aspekt der wirtschaftlichen Entwicklung für die Zeit der deutschen Kolonialisierung stärker als für die französische Ära.

Die im britisch verwalteten Teil lebenden Kameruner*innen teilen diese Perspektive. Mukete berichtet:

«Die Gespräche meines Vaters und seiner Freunde konzentrierten sich auf die bemerkenswerten Leistungen der Deutschen in Bezug auf die wirtschaftliche und infrastrukturelle Entwicklung, zu der die britische Kolonialverwaltung wenig beitrug. […] Sie sehnten sich nach dem, was sie für die deutsche Kultur des Fleißes und der Disziplin hielten, die sie mit Effizienz und Fortschritten vor Ort verbanden. […] In Kamerun, das mehr als vier Jahrzehnte unter britischer Verwaltung stand, gab es kaum eine Entwicklung der Infrastruktur im Vergleich zu den beeindruckenden Regierungsgebäuden, Straßen, Brücken, Telegrafenleitungen und Häfen, die von den Deutschen während ihrer 30-jährigen Herrschaft gebaut wurden.»[9]

Obwohl die dauerhafte Infrastruktur nicht zum Nutzen der einheimischen Bevölkerung, sondern eher zur Verbesserung der kolonialen Ausbeutung konzipiert wurde, glauben viele noch immer, dass sie der deutschen Kolonialzeit zu verdanken ist. Eine harte und anpackende Person wird unterdessen lokal als German-man bezeichnet. Auch hier bestätigt sich nicht etwa eine wesentliche Eigenheit des deutschen Kolonialismus, vielmehr wird ein Vergleich zu der nachfolgenden langjährigen, britischen Verwaltung gezogen.

«Keine schlafenden Hunde wecken» als Erinnerungspolitik

Die zweite Begründung für die Perspektive von den «guten Deutschen» ergibt sich aus der Macht der Behörden, die bildungspolitische Maßnahmen auf den Weg bringen. Es ist bekannt, dass pädagogische Praxis von bestimmten staatlichen Ideologien geformt und gelenkt wird, bei denen das Fach Geschichte häufig im Mittelpunkt steht. Um Erinnerungspolitik zu verstehen, ist es daher wichtig, den Zusammenhang zwischen Ideologie und Bildung zu erkennen. Ideologie umfasst Überzeugungen, Annahmen und Erwartungen. Sie ist ein System von (Re-)Präsentationen, die bestimmte Wahrheiten für sich beanspruchen, um sozialem und politischem Handeln eine Richtung zu geben oder eine bestimmte Form von Gruppenbewusstsein und Stereotypen zu vermitteln. Diese werden durch eine sorgfältige Auswahl und die Verzerrung von Inhalten legitimiert. Wenn dies gelingt, haben sie das Potenzial, sich in den Köpfen vor allem junger Menschen festzusetzen und für lange Zeit als ultimative Wahrheit zu gelten.

Wie oben gezeigt, gehört es in Kamerun zur staatlichen Ideologie, im Unterricht zur Kolonialgeschichte eher die Vorteile hervorzuheben als die Schrecken der vergangenen Interaktionen mit den europäischen Mächten, mit denen man weiterhin eine postkoloniale, neokoloniale Beziehung unterhält. Wo dennoch Ereignisse von grausamen Ausmaßen erwähnt werden, gestaltet sich die Erzählung unkritisch gleichgültig, um eine entsprechende Wahrnehmung zu vermeiden. Diese Ideologie ändert nichts an der Tatsache, dass der Staat die Kolonialzeit als eine der dunkelsten Zeiten in der Geschichte Afrikas anerkennt. Sie bekräftigt lediglich, dass die heutige Schulbildung zum Ziel hat, «Bürger*innen […] zu Weltoffenheit und Respekt gegenüber den allgemeinen Interessen und dem Gemeinwesen»[10] zu erziehen. Eine solche Bildungsmethode geht davon aus, dass die Erinnerung an beiderseitig vorteilhafte Beziehungen zwischen dem Staat und Europa gewinnbringender ist als die Erinnerung an die bekannten Gräueltaten des Kolonialismus, die Ressentiments hervorruft. Damit verfolgt sie den Ansatz, keine schlafenden Hunde zu wecken.

Viele Kameruner*innen glauben, dass sich die gegenwärtige Beziehung zur ehemaligen Kolonialmacht Deutschland von der kolonialen Entwicklungshilfe zu einer echten bilateralen Kooperation entwickelt hat. Offiziell zahlt Deutschland zudem aktuell mehr Entwicklungshilfe als Großbritannien. In diesem Zusammenhang wird in den Schulbüchern darauf hingewiesen, dass die Beziehungen zwischen Deutschland und Kamerun schon immer «herzlich und korrekt» waren und dass die kontinuierliche deutsche Unterstützung für Kamerun «das historische und unerschütterliche Engagement Deutschlands zeigt, Kamerun in seiner andauernden Entwicklung zu unterstützen, und von den umfassenden, guten historischen Beziehungen zeugt, die beide Länder verbinden und weiterhin prägen».[11]

Sicherstellung postkolonialer Kontinuität

Die dritte Erklärung lautet, dass es zwar ein echtes Bildungsziel für Kamerun sein mag, das koloniale Deutschland aus Gründen des postkolonialen Nutzens in ein positives Licht zu rücken, dass aber ein solches Konzept selbst das Ergebnis des typischen Ablaufs von Kolonialismus und Dekolonisierungsprozessen ist. Man geht davon aus, dass eine der Auswirkungen der kolonialen Lehrpläne darin bestand, dass sie eine Reihe afrikanischer Bildungseliten hervorbrachten, von denen die Kolonisator*innen sicher sein konnten, dass sie die neuen unabhängigen Staaten in der gleichen Weise weiterführen würden, wie sie es selbst getan hatten. Dieser Umstand trägt zur «großen Harmonie von Interessen»[12] bei, mit dem die afrikanische Neokolonialherrschaft unter anderem «die Herstellung des Vergessens»[13] garantiert. So bleibt das hegemoniale Verständnis der Kolonisierung als Entwicklungsarbeit aufrechterhalten und wird gleichzeitig jede kritische Perspektive abgeschwächt, die den Teppich anheben will, unter den der «Dreck» der kolonialen Grausamkeiten gekehrt wurde.

In seinem Brief an die Deutschen zeigt Mbembe, dass neben dem Christentum auch der Kolonialismus und der säkulare (koloniale und postkoloniale) Staat sehr früh in die Vorstellungswelt afrikanischer Kinder Eingang gefunden haben, weil sie zu einem «Gebilde der Wahrheit» oder einer «Theologie des Absoluten» gemacht wurden. Mit den Mitteln des Staates, wie z. B. den Geschichtsbüchern, werden die Erinnerungen der Besiegten in der Geschichte – der Bevölkerung von Kamerun – vergessen oder verschwiegen. Im Gegenzug leistet die ehemalige Kolonialmacht bedingte Hilfe und andere Formen der bilateralen Zusammenarbeit, zu denen auch die Bereitstellung ständiger technischer Mitarbeiter*innen und die Etablierung von Beratungspolitik gehören. Deutsche Entwicklungshilfeorganisationen spielen weiterhin eine wichtige Rolle im kamerunischen Bildungssektor. Wie Kwame Nkrumah darlegt, wird in der neokolonialen Epoche die Kontrolle der Regierungspolitik nicht durch Waffen gesichert, sondern durch Beteiligung an den Staatsausgaben und durch die Bereitstellung von «Expert*innen» in Positionen, in denen sie die Politik steuern können.

Auswendiglernen zur Vermeidung einer kritischen Analyse

Die vierte Ursache ist ein Bildungsansatz, der gezielt auf die Förderung des Auswendiglernens und nicht auf die kritische Analyse ausgerichtet ist. Forschungen zur afrikanischen Bildungsgeschichte zeigen, dass die «Förderung der afrikanischen Fähigkeit des Auswendiglernens im Gegensatz zum Verstehen von Bedeutung» sowie die Einschränkung von kolonialismuskritischer Literatur an den Schulen ein Merkmal der kolonialen Schulbildung in Kamerun war. Dies hat sich infolge von Reformen, die bloße Lippenbekenntnisse darstellten, auch im postkolonialen Bildungssystem fortgesetzt. In einer aktuellen Studie heißt es etwa:

«Trotz der weltweiten Verbreitung von Lehrmethoden, die das kritische Denken fördern, und der Übernahme des kompetenzorientierten Ansatzes sind die althergebrachten Lehrmethoden in Kamerun noch sehr präsent. Der Geschichtsunterricht in Kamerun ist nach wie vor auf das Klassenzimmer beschränkt und basiert auf Frontalunterricht, dem Abschreiben von Texten und dem Mitschreiben. Dieser unzureichende Wissenserwerb ist ein Faktor der pädagogischen Ideologie und eine Schwachstelle der Lehrplanreformen, die in Kamerun seit der Unabhängigkeit durchgeführt wurden.»[14]

Diese pädagogische Ideologie ermutigt nicht zu Initiative, Kreativität und Reflexion, sondern legt den Schwerpunkt auf das, was Paolo Freire die Bankiers-Methode genannt hat, nämlich das Pauken und Wiederaufrufen von Inhalten. Die Folge ist, dass Lehrer*innen zu «Gedächtnisfüller*innen» werden und Geschichtsschreibung den unkritischen Ansatz übernimmt, als sprächen Fakten für sich selbst.

Lehrplan, deutsches koloniales Gedächtnis und Auswirkungen auf Debatten über koloniale Gräueltaten

Was bedeutet dieser Ansatz für das Erinnern in den aktuellen Debatten über koloniale Gräueltaten in Deutschland? Wie oben dargestellt, bestimmen Lehrplankonzepte die Art des historischen Gedächtnisses und den gegenwärtigen Grad an Unbehagen in Gesprächen über Massengewalt, koloniale Gräueltaten, Verantwortung und Wiedergutmachung der deutschen Kolonialgeschichte. Es besteht kein Zweifel, dass Bildung und mediale Aufmerksamkeit zur grausamen, völkermörderischen deutschen Kolonialgeschichte in Namibia dazu beigetragen haben, dass das Land an einer Auseinandersetzung mit kolonialen Verbrechen interessiert war. Es besteht auch kein Zweifel daran, dass die Aufdeckung der deutschen kolonialen Gräueltaten in Namibia dazu geführt hat, dass sich die deutsche Regierung stärker für die Übernahme von Verantwortung und für die Wiedergutmachung einsetzt. In dieser Richtung sind bereits Fortschritte zu verzeichnen. Die Aufdeckung kolonialer Gräueltaten bringt auch die internationale Gemeinschaft dazu, sich dafür einzusetzen, dass sie zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit erklärt werden. Auch dies hätte sicherlich Auswirkungen auf die Verantwortungsübernahme und Bereitschaft zur Restitution.

Andererseits ist es unwahrscheinlich, dass dort, wo das Erinnern der «guten Deutschen» – wie in Kamerun – im Vordergrund steht, empirische Studien zur Verfügung stehen, die Kolonialisierung als äußerst grausam und unmenschlich darstellen. Doch solange das Schweigen über die deutschen Kolonialverbrechen in Kamerun durch die beschriebene Erinnerungskultur aufrechterhalten wird, bleibt es schwierig, Deutschland für die mit der Ausbeutung einhergegangenen Gräueltaten zur Verantwortung zu ziehen. Ohne der Versuchung zu erliegen, Vergleiche anzustellen, kann ein solches Erinnern von rechten revisionistischen Gruppen wie der AfD vereinnahmt werden, die behaupten, der deutsche Kolonialismus in Kamerun habe seine zivilisatorische Mission erfüllt. Wie Robert Heinze darstellt, wächst schon jetzt in Deutschland die Neigung, koloniale Verbrechen zu relativieren und einen vermeintlich «objektiven» Blick auf den Kolonialismus zu fordern. 

Die Unterrichtsgestaltung in Kamerun befeuert eine Erinnerung, die den deutschen Kolonialismus verherrlicht. Dies liegt zu einem großen Teil an der Art des Geschichtsunterrichts und sollte nicht als «vermeintlich erdrückender Beweis für eine angeblich ‹objektive› Position zum Kolonialismus im Sinne einer revisionistischen Vereinnahmung» missverstanden werden, denn keineswegs ist damit gesagt, dass der deutsche Kolonialismus für die Menschen in Kamerun von Vorteil war. Ausgehend von einer dekolonialen bzw. postkolonialen Position betrachtet der vorliegende Text Kolonialismus kritisch und zeigt auf, wie postkoloniale und neokoloniale Strukturen weiterhin das Erinnern prägen und wie Kinder durch verkürzte und eigennützige Lehrplangestaltung und Pädagogik in eine bestimmte Denkweise einspannt werden. Aus diesem Grund können Lehrplaninhalte auch nicht als Beispiel für die aktuelle akademische Forschung angeführt werden, um die «Bilanzierungsmethode des deutschen Kolonialismus» zu stützen. Insbesondere für Deutschland können sie in keiner Weise legitimieren, was Robert Heinze den neuen «Kolonialrevisionismus der AfD» und anderer internationaler rechter Diskurse nennt. Kolonialismus und «Zivilisierungsmissionen» wurden von denjenigen, die angeblich gefördert wurden, niemals erbeten. Es konnte sich also nie um ein legitimes Projekt handeln. Und es hatte weder mit einer Bekämpfung des Sklavenhandels zu tun noch beinhaltete es die Zivilisierung von Menschen, die sich auch nicht als Bürde des weißen Mannes sahen. Bis zum Abzug der Deutschen im Jahr 1914 war das Territorium Kameruns von nicht enden wollenden Widerstandskriegen geprägt. Sie brachten große Opfer, unsägliches Leid, Entschädigungszahlungen in Form von Hunderten von Zwangsarbeiter*innen sowie Tausenden von Elefantenstoßzähnen (die zur Dezimierung der Elefantenpopulationen in Kamerun führten), die Verbrennung ganzer Dörfer und Verbannung oder öffentliche Hinrichtung ihrer Könige mit sich. Obwohl solche Aufstellungen eine ausführliche Auseinandersetzung verdienen, soll hier der Hinweis genügen, dass sich die kamerunische Bevölkerung in einigen wichtigen Momenten gegen die deutsche Kolonialherrschaft gewehrt hat, mit ihrer physischen und materiellen Ausbeutung unzufrieden war und bis zum letzten Tag der deutschen Herrschaft im Lande Widerstand leistete. Selbst wenn der Lehrplan diese Anzeichen nicht betont, besteht die Intention nicht darin, die Frage nach einer objektiven Betrachtung der Kolonialverbrechen zu verabsolutieren. Die rechte «Bilanzierungsmethode» bleibt daher aus dieser Sicht verachtenswert.

Es gibt Belege dafür, dass das deutsche koloniale Vorgehen in Kamerun nicht besser war als in Tangayika oder noch schlimmer als in Namibia, wo Fragen der Verantwortung und der Restitution seit etlichen Jahren aufgearbeitet werden. Die Herausforderung für Kamerun, das mit ähnlichen Erfahrungen auf der Strecke geblieben zu sein scheint, besteht nun darin, den öffentlichen und akademischen Diskurs unter Zurückweisung der grundlegenden europäischen Lüge[15] wieder aufzunehmen und das epistemische Schweigen zu entlarven, das in solchen Darstellungen der Kolonisierung als Mittel zur Zivilisation und Entwicklung verborgen sind. Eine solche Entlarvung der Kolonialisierung als Kehrseite der Moderne würde nicht leugnen, dass es positive Folgen des deutschen Kolonialismus in Kamerun gab, sondern sie als Nebeneffekte der massiven Ausbeutung der kamerunischen Bevölkerung zugunsten Deutschlands betrachten und als solche in den kamerunischen Schulbüchern darstellen. Die Anerkennung, die offizielle Entschuldigung und Wiedergutmachung durch Deutschland ist dafür dringend erforderlich.

Literatur:

[1] Zu den kamerunischen Geschichtsbüchern, die für diese Analyse herangezogen wurden und aus denen direkte Zitate stammen, gehören Ngoh, Victor Julius (2019) Cameroon 1884-Present (2018): The History of a people. Limbe: Design House; Ngoh, Victor-Julius (1987) Cameroon 1884-1985: A Hundred Years of History. Limbe: Navi-Group; Ngoh, Victor-Julius (1996). History of Cameroon since 1800. Limbe: Presprint. Tazifor Tajoche (2003) Cameroon History in the 19th and 20th Centuries. Buea: Education Book Centre; und Fanso, VG (1989) Cameroon history for secondary schools and colleges. Limbe: Macmillan Cameroon.

[2] Fuchs, Eckhart und Bock, Annekatrin, Hrsg. (2018): The Palgrave handbook of textbook studies. New York: Palgrave, S. 1, https://doi.org/10.1057/978-1-137-53142-1.

[3] Fanso, VG (1989) Cameroon history for secondary schools and colleges. Limbe: Macmillan Cameroon, S. 47.

[4] Ngoh, V.J (1996). History of Cameroon since 1800. Limbe: Presprint, S. 61.

[5] Ewins, Lewin (1939): The Germans and Africa. Cassell and Company Ltd, p.339, quoted in: Ngoh, Victor-Julius (1987): Cameroon 1884-1985: A Hundred Years of History. Limbe: Navi-Group, S. 120.

[6] Sah, Leonard (1985): Presence et Activités allemandes au Cameroun dans la periode de l’entre-deux-guerres (1924-1946), in: Colloque International: cent ans de relations entre l’Afrique et les Allemagnes 1884-1985: le cas du Cameroun. Yaounde: University of Yaounde 8.-14. April 1985.

[7] Ibid.

[8] Austen, Ralph (1977): Duala versus Germans in Cameroon: Dimensions of a political conflict, in: Revue Francaise d’historie d’outre-mer64(237), 4. Quartal, S. 478.

[9] Mukete, Victor E. (2013): My odyssey: The Story of Cameroon Reunification. Yaounde: Eagle Publishing, S. 29.

[10] Republic of Cameroon (2008): Law No. 98/004/14 April 1998 to lay Down Guidelines for Education in Cameroon. Part 1: General Provisions. Dieses Gesetz findet sich in Tambo, Leke (2003): Cameroon National Education Policy since the 1995 Forum. Limbe: Design House, S. 121-128.

[11] Cameroon Radio and Television CRTV online (2020): Cameroon diplomatic ties between Cameroon and Germany enhances technical and financial Cooperation, https://www.crtv.cm/2020/12 (letzter Zugriff: 25.09.2021).

[12] Ocheni, Stephen und Nwankwo, Basil (2012): Analysis of Colonialism and its impact in Africa, in: Cross Cultural Communication 8(3), S. 46-54, https://doi.10.3968/j.ccc.1923670020803.1189.

[13] Mbembe, Achille (2020): Living in the Myths of Others: letter to the Germans. Englische Übersetzung: Latitude: Rethinking Power Relations for a Decolonized and Non-racial World, https://www.goethe.de/prj/lat/en.

[14] Nicolas, Mala Christophe (2018): Secondary school history curriculum reform in Cameroon and China, in: Journal of Education and Practice 9(10), S. 8-15. Siehe auch Haliaccess.com (2020): Educational Fact sheets-Cameroon, https://www.haliaccess.com/education-fact-sheet/cameroon.

[15] Césaire, Aimé (2000): Discourse on Colonialism, Übersetzung von Joan Pinkham, mit einer neuen Einführung von Robin D.G Kelley, New York: Monthly Review Press, S. 84.