Nachricht | Palästina / Jordanien - Westasien im Fokus Keine Perspektiven mit Hamas oder Fatah

Palästinas Jugend

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Juni 2021: Nach dem Tod des Oppositionspolitikers Nizar Banat protestieren mehrere Hundert Palästinenser*innen vor dem Sitz der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah. Foto: picture alliance / REUTERS | Mohamad Torokman

Die Lage der palästinensischen Jugend ist schlecht; ihr fehlt es an Freiräumen, Sicherheit und an Perspektiven. Die hohe Arbeitslosigkeit und die damit einhergehenden finanziellen Sorgen sind dabei nicht nur eine Quelle der Frustration, sondern immer wieder auch Ansporn für Protest.

Der Protest gegen Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit vermischt sich dabei mit Protesten gegen die israelische Regierung, wie auch gegen die Hamas und die Fatah. Dies wurde vor wenigen Monaten sichtbar, als der unabhängige palästinensische Politiker Nizar Banat von Sicherheitskräften der PA (Palästinensische Autonomiebehörde) im Rahmen seiner Verhaftung zusammengeschlagen wurde und anschließend im Gefängnis ums Leben kam. Die Proteste, die schon wenige Stunden nach seinem Tod begannen, und überall im Westjordanland und auch in Gaza stattfanden, richteten sich sowohl gegen die PA, die des Mordes beschuldigt wurde, wie auch gegen Fatah, die als Auftraggeberin gesehen wurde. Doch schnell waren nicht mehr nur Parolen wegen des Mordes zu hören, in Interviews und Reden machten vor allem Jugendliche und junge Erwachsene ihren Frust deutlich. Sie kritisierten die Korruption der Fatah, die Bereicherung der Funktionäre, während die Jugend in Armut lebt, sie kritisierten die israelische Politik, sowohl für die Besatzung, wie auch für die Zerstörung ihrer Chancen. Die Hamas stand an der Seite und applaudierte den Protesten, wohl wissend, dass es in Gaza noch schlechter aussieht.

Protest und Zorn in Gaza

Während die Hamas zu Protesten wegen der Ermordung von Banat aufrief, reagierte sie auf Proteste in Gaza immer wieder mit Gewalt. Die Entstehung von Protestbewegungen in Gaza, die sich sowohl gegen die Hamas, wie auch die israelische Politik richteten, konnte dies allerdings nicht verhindern. Denn die Perspektivlosigkeit der Jugend in Gaza ist noch größer als im Westjordanland, fast 70 Prozent sind arbeitslos, im Westjordanland liegt die Arbeitslosenquote bei über 40 Prozent. Die große Mehrheit hat infolge der Blockade des Gazastreifens durch Israel und Ägypten das 365 Quadratkilometer große Gebiet noch nie verlassen. Zukunftsperspektiven entstehen so kaum und so kann es nicht verwundern, dass «Gaza Youth Break Out» schon vor mehr als 10 Jahren erklärte: «Wir, die Jugendlichen in Gaza, haben die Nase voll von Israel, der Hamas, der Besatzung, den Menschenrechtsverletzungen und der Gleichgültigkeit der internationalen Gemeinschaft! [...] Wir haben es satt, in diesem politischen Kampf gefangen zu sein; wir haben die dunklen Nächte satt, in denen Flugzeuge über unseren Häusern kreisen; wir haben die bärtigen Typen satt, die mit ihren Gewehren herumlaufen und ihre Macht missbrauchen.». Dieser Aufruf war die wohl deutlichste Abrechnung mit der internationalen, der israelischen und der palästinensischen Politik, doch er setzte auch ein Zeichen der Hoffnung, denn die Bewegung formulierte auch ihre Wünsche und Ziele: «Wir wollen drei Dinge. Wir wollen frei sein. Wir wollen ein normales Leben führen können. Wir wollen Frieden. Wir werden Tag und Nacht arbeiten, um diese miserablen Bedingungen, unter denen wir leben, zu ändern. Wo wir auf Mauern stoßen, werden wir Träume bauen.»

Jules El-Khatib ist stellvertretender Landessprecher der Linken NRW und Autor des Blogs «Die Freiheitsliebe». Er hat familiäre Wurzeln in Westasien und ist Palästinenser mit israelischer und deutscher Staatsbürgerschaft.

Ihre Proteste, die weltweite Aufmerksamkeit erhielten, mögen zwar inzwischen verstummt sein, doch die Forderungen haben auch heute nichts an ihrer Aktualität verloren. Dies beweisen die auch nach dieser Erklärung immer wieder aufflammenden Proteste im Gazastreifen. Gegen diese geht die Hamas dabei immer schneller und restriktiver vor, zuletzt im Jahr 2019 als Aktivist*innen der Gruppe «We want to live» Kundgebungen planten, die sich sowohl gegen die Hamas als auch die Besatzung richteten. Innerhalb kürzester Zeit wurden Aktivist*innen und Journalist*innen, die wohlwollend über die Proteste berichteten, verhaftet und die Proteste von den Sicherheitskräften der Hamas verboten. Die damals erhobenen Forderungen hatten dabei einen eindeutigen sozialen Fokus und richteten sich vor allem gegen die Erhöhung von Steuern sowie den zu niedrigen Mindestlohn. Unterstützung erhielten die Aktivist*innen dabei vor allem von linken Gruppen, während die Fatah vor allem versuchte, die Proteste zu vereinnahmen.

Keine Perspektiven

Hamas und Fatah, so unterschiedlich ihre Programmatik auch sein mag, ähneln sich beim Umgang mit Protesten in den eigenen Gebieten wie auch bei Protesten im Gebiet der jeweils anderen Parteien. Wird auf Proteste im eigenen Gebiet mit Gewalt und Restriktionen reagiert, so werden Proteste, die sich in ihren Forderungen kaum von jenen im eigenen Gebiet unterscheiden, unterstützt, wenn sie im Gebiet der jeweils anderen Partei stattfinden. Dies verdeutlicht die Doppelmoral beider Parteien, denen es vor allem darum geht, die stärkste Kraft in Palästina zu werden und weniger um die Verbesserung der Lebensrealität der eigenen Bevölkerung. Die Folge ist eine Entfremdung, insbesondere der palästinensischen Jugend, von beiden Parteien, und der Wunsch eines Palästinas ohne Siedlungen und Mauern, aber auch ohne Hamas und Fatah.