Es ist Zeit für einen Green New Deal in der südafrikanischen Landwirtschaft. Es ist Zeit für eine fundamentale Veränderung, die die sozialen, wirtschaftlichen und umweltpolitischen Dimensionen der Bodenverteilung berücksichtigt und nicht allein auf marktwirtschaftlichen Abwägungen beruht.
Fast 30 Jahre nach der Einführung der Demokratie werden die zahlreichen Krisen immer mehr zu einer Herausforderung für Südafrika: Die Chancenungleichheit nimmt zu, die Arbeitslosenquote steigt, die Armut in ländlichen Gegenden verschärft sich und die Beziehungen zwischen den verschiedenen Ethnien verschlechtern sich; das Land leitet unter Wasserknappheit und den mehrjährigen Dürren und unter dem fortbestehenden fossilen Kapitalismus.
Der Gesellschaftsvertrag wird zunehmend brüchiger. Er wird untergraben durch Korruption, «Tenderpreneurs» (Unternehmer*innen, denen Politiker*innen staatliche Aufträge, sogenannte «tenders», zuspielen), wiederholte Angriffe auf staatliche Institutionen und eine um sich greifende Apathie. Auch die Schlaglöcher in unseren Straßen und die Müllberge in unseren Communitys werden nicht kleiner. Sie sind äußere Zeichen eines langsamen inneren Verfalls.
Immer weniger Menschen glauben daran, dass Südafrika «ein Land der Möglichkeiten» ist, wie der ehemalige Präsident Thabo Mbeki einst in einem Fernsehspot verkündete.
Eine blockierte Bodenreform
Es ist eine Schande, dass Südafrika auch 30 Jahre nach der Demokratisierung noch von Apartheid geprägt ist. Sie ist allgegenwärtig. Ihre Nachwirkungen sind das Erste, was ausländische Besucher*innen bemerken. Sie zeigen sich an dem Meer aus Wellblechhütten, die direkt vor den begrünten Vorstädten aufragen. Ein auffälliger, erschütternder Anblick. Und es bereitet regelrecht Bauchschmerzen, mitansehen zu müssen, wie sehr sich die Menschen verrenken können, um eine Rechtfertigung für diesen andauernden Albtraum zu finden.
Genauso präsent ist die Armut in Südafrika: Sie erwidert deinen Blick, sie starrt zurück, unverhohlen, anklagend, man entkommt ihr nicht. Durch jede Stadt, jede Kleinstadt und jedes dorp (Dorf auf Afrikaans) trotten erschöpfte, hoffnungslos wirkende Menschen ohne jeden Halt im Leben; sie schieben Wagen mit leeren Plastikflaschen zu Recyclinghöfen, betteln nach einem kleinen Job oder ein bisschen Kleingeld für ihre nächste Mahlzeit.
Roland Ngam arbeitet im Büro Südafrika/Johannesburg und ist für Klima und sozialökologische Transformation zuständig.
So etwas dürfte es in einem Land mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 351 Milliarden US-Dollar nicht geben!
Die Boden- und Agrarreform wurde einst als die Lösung der wirtschaftlichen Probleme des Landes angepriesen. Doch sie ist im Laufe der Zeit zum Spielball der Politik geworden. Sie wurde nur zögerlich und ohne ausreichende Finanzierung von der Regierungspartei, dem Afrikanischen Nationalkongress, umgesetzt, sodass die eigentlichen Ziele (z. B. 30 Prozent der fruchtbaren Agrarflächen an Schwarze zu übertragen) noch nicht erreicht wurden – ein Ziel, das eigentlich für 1999 gesetzt worden war, dann auf 2001 verschoben wurde, dann auf 2015 … Die Spielregeln ändern sich ständig.
Dennoch ist die Bodenreform zweifellos der Schlüssel zur Agrarwende, und die Agrarwende wiederum ist ein Schlüsselelement des sozioökonomischen Wandels. Zu oft schon hat die Regierung die Einflussnahme des Privatsektors auf diese Debatten geduldet.
Kurz nachdem Präsident Cyril Ramaphosa bei seiner Rede zur Lage der Nation angekündigt hatte, dass er eine Bodenreformkommission einrichten wolle, um die Bodenreform zu beschleunigen, holte Agri South Africa, die Interessenvereinigung der Weißen Großgrundbesitzer*innen, ihr liebstes Schauermärchen aus der Trickkiste und warnte die Regierung, dass jede entschädigungsfreie Enteignung schwerwiegende Folgen für das BIP habe.
Bongiwe Kunene von der Banking Association of South Africa mahnte: «Unsichere Eigentumsrechte und politische Ungewissheit hemmen Investitionen und die wirtschaftliche Entwicklung, die jedoch für den Kampf gegen Arbeitslosigkeit, Armut und Ungleichheit unerlässlich sind.»
Diese von der Agrarlobby und der Weltbank monopolisierte Lesart der Bodenreform, nach der bei jeder Veränderung der Teufel der Lebensmittelknappheit ins Haus steht, verlängert den unhaltbaren, von Armut und Ungleichheit geprägten gegenwärtigen Zustand nur – und befeuert zugleich die Klimakrise. Denn weltweit steigen die Temperaturen im Süden des afrikanischen Kontinents am schnellsten. Die Wirtschaft Südafrikas stützt sich nach wie vor auf Kohleabbau und landwirtschaftliche Großbetriebe, die vom Energieversorgungsunternehmen Eskom versorgt werden. Und Eskom allein verursacht sage und schreibe 45 Prozent des CO2-Ausstoßes und der Methangas-Emissionen des ganzen afrikanischen Kontinents.
Hunger, Armut und Arbeitslosigkeit: eine explosive Mischung
Doch die Prophezeiung einer drohenden Lebensmittelknappheit beruht auf falschen Annahmen, wie etwa der, dass alle Farmen im Besitz von Weißen Lebensmittel für Supermärkte und den Export produzierten (was nicht stimmt), dass die im Zuge der Bodenreform umverteilten Grundstücke nicht für den Eigenbedarf, sondern den Markt produzieren müssten (unrealistisch) oder dass die Regierung ausreichend Zeit und Ressourcen hätte, um die geordnete Bodenverteilung an jene zu vollziehen, die nicht nur gewerblich tätig sein wollen, sondern auch die besten Erfolgsaussichten dafür haben (ebenfalls unrealistisch).
Diese Annahmen lassen die Arbeitslosenquote von 35 Prozent außer Acht und ignorieren die herrschende Hungersnot. Doch die wird sich nicht in Luft auflösen. Stattdessen werden, wenn man sie noch länger ignoriert, selbst die höchsten Zäune, aller Stacheldraht der Welt und auch die feinsten Sicherheitsunternehmen die Nation der Hungrigen irgendwann nicht mehr zurückhalten können.
Als der ehemalige Präsident Jacob Zuma im Juni 2021 wegen Missachtung des Gerichts zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, war es seinen Unterstützer*innen ein Leichtes, Menschenmassen zu mobilisieren und bewaffnet durch die Straßen zu schicken, weil die Armut und der Hunger in großen Teilen der Bevölkerung unhaltbar geworden waren.
Im ersten harten Lockdown der Covid-19-Pandemie war die Welt entsetzt über die Berichte der lokalen und internationalen Medien über Hunger und Wassermangel in Südafrika. Fernsehhubschrauber kreisten über kilometerlangen Warteschlangen, die sich um Bürogebäude und Stadien schlängelten oder quer über Felder zogen: Menschen standen für Lebensmittelpakete an.
Als die Regierung einen Arbeitslosigkeitszuschuss von 350 ZAR (23 US-Dollar!) verabschiedete, gingen fünf Millionen Anträge ein. Zahlreiche Regierungsvertreter*innen waren schockiert, als sich bewahrheitete, was NGOs schon seit Jahren beklagen: Die durchschnittlichen Südafrikaner*innen haben keine Rücklagen und kommen nicht länger als drei Tage ohne Arbeit aus. Sie sind auf ihr Einkommen angewiesen.
Und die Sache ist die: Betroffen sind ungefähr 50 Prozent der Bevölkerung. Ja, richtig gelesen. Etwa die Hälfte der Bevölkerung kann sich keine zwei ordentlichen Mahlzeiten am Tag leisten! Und ein anderer Teil der Bevölkerung, das sogenannte Prekariat, ist überarbeitet, unterbezahlt und fest im Griff der lähmenden Angst vor der drohenden Ungewissheit: sei es der Verlust des Jobs oder, Gott bewahre, ein krankes Kind, ein Todesfall oder eine unerwartete Rechnung.
Der ehemalige Präsident Thabo Mbeki sprach in seiner bahnbrechenden Rede 2003 von «Two Economies» («Zwei Volkswirtschaften»):
Wir Südafrikaner*innen haben ein Interesse daran, gemeinsam die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, mit denen die Armut in unserem Land in all ihren Erscheinungsformen so schnell wie möglich beseitigt werden kann. Wir müssen der Entmenschlichung von Millionen unserer Mitbürger*innen ein Ende setzen, die eine direkte Folge der furchtbaren Entbehrungen ist, unter denen so viele von uns, Schwarze wie Weiße, leiden.
Dieser Traum wurde schon viel zu lange aufgeschoben; wir brauchen eine radikale Veränderung, um das Versprechen eines besseren Lebens für alle zeitnah einzulösen.
Es ist Zeit für ein neues Boden- und Agrarkonzept in Südafrika
Etwa 50 Prozent der Südafrikaner*innen können sich regelmäßig Lebensmittel aus dem Supermarkt (Spar, Checkers, Pick n Pay usw.) nicht leisten, sodass eine radikale Umstellung der Landwirtschaft eine große Veränderung für Südafrika bedeuten würde – ohne dass dies zwangsläufig die Lebensmittelwertschöpfungskette beeinträchtigen muss.
Entschädigungsfreie Enteignungen sind sicherlich keine Lösung. Doch die Bodenreform muss vorangetrieben werden, damit sich die Lage des Landes insgesamt verbessert. Verzögerungen führen zu Unruhen, und verschiedene Communitys haben bereits begonnen, sich zu bewaffnen und aufzurüsten.
So auch im verschlafenen Freistaat Senekal in der Mitte Südafrikas, in dem der Farm-Verwalter Brendin «Choppie» Horner brutal von Viehdieben ermordet wurde.
Kurz vorher hatte Sihle Zikalala, der Premierminister von KwaZulu-Natal, viel Zeit und Energie darauf verwendet, die angespannte Lage in Normandien (einer Vorstadt von Newcastle) zu lösen, wo nach dem Mord am Farmerpaar Glen und Vida Rafferty die gefährlichen Spaltungen in der Community gewaltsam aufgeflammt waren. Die Schwarze Community litt unter den sich häufenden Zwangsräumungen. Sie brauchte Klarheit, sie brauchte eigene Grundstücke.
Am 12. April 2021 standen vier weiße Farmer wegen des Mordes an zwei Schwarzen Saisonarbeitern vor Gericht. Vor dem Amtsgericht von Piet Retief versammelten sich Tausende Menschen und zahlreiche politische Parteien zum Protest – ein Bild, das sich am 19. April 2021 wiederholte, als die Angeklagten erneut zur Anhörung über die Festsetzung ihrer Kaution vorstellig wurden.
Die Lage in Senekal hätte nach der Ermordung von Brendin Horner eskalieren können. Nach der Festnahme des ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma stand Südafrika eine Woche lang in Flammen. Wer weiß, welche Ausmaße die brodelnde Gewalt annehmen kann?
Die Covid-19-Pandemie hat die Schwachstellen innerhalb der Gesellschaft noch weiter verschärft und die Fronten verhärtet. Die ländliche Armut ist weiterhin ein unübersehbarer, omnipräsenter und landesweiter Notstand. Jede politische Partei kann sie rhetorisch für ihre eigenen Interessen instrumentalisieren. Die Argumente sind dabei meist durchweg simpel. Um die Massen aufzupeitschen, muss man nur auf eine Farm oder eine Mine deuten und wahlweise sagen: «Den Weißen gehört noch immer alles in diesem Land», oder: «Die Ausländer*innen nehmen uns die Arbeitsplätze weg.» Wenn man diese Aussagen oft genug wiederholt, werden sie auch geglaubt.
Joel Netshitenzhe kritisiert in seinem Kommentar im Daily Maverick im Vorfeld der diesjährigen Wahlkonferenz den Flügel des Afrikanischen Nationalkongresses, der sich für einen radikalen Wandel des Wirtschaftssystems einsetzt, scharf. Das zeigt uns, dass dieses altbekannte Thema einen prominenten Platz in den kommenden Verhandlungen einnehmen muss. Die Tourismusministerin Lindiwe Sisulu eröffnete die Debatte mit einem Paukenschlag: mit der Aussage, dass die südafrikanische Verfassung selbst einem radikalen Wandel entgegenstehe.
Auch Schwarze Betreiber*innen von gewinnorientierten landwirtschaftlichen Großbetrieben stehen in der Kritik. Die Agrarministerin hat Anfang 2021 eingeräumt, dass es in ihrem Ministerium nach der Zwangsräumung von Schwarzen Farmer*innen aus Gert Sibande eindeutige Korruptionsfälle gab.
Auswirkungen auf den Klimaschutz
Wenn wir über den boden- und agrarpolitischen Wandel reden, dürfen wir den Einfluss des menschlichen Handelns auf unsere Umwelt nicht außer Acht lassen. Der Klimawandel zeigt seine verheerenden Ausmaße überall. Südafrika belegt weltweit Platz 13 bei Treibhausgasemissionen, was vor allem auf die zahlreichen Kohlekraftwerke zurückzuführen ist. Auf das Stromversorgungsunternehmen ESKOM folgen Landwirtschaft, Forstwirtschaft und andere Bodennutzung (zusammengefasst unter der Abkürzung AFOLU).
Gewinnorientierte landwirtschaftliche Großbetriebe prägen die Landwirtschaft in Südafrika – und sie verbrauchen mehr als 60 Prozent der verfügbaren Wasserreserven. Die gängigen AFOLU-Praktiken – die Erde wird ständig umgepflügt, manchmal sogar zweimal pro Jahr, jeweils zur Aussaat – führen dazu, dass die landwirtschaftlichen Großbetriebe immer mehr CO2 freisetzen. Sie müssen ihren Wasserverbrauch und CO2-Ausstoß besser managen, und es ist ein gutes Vorzeichen, dass dieses Anliegen in den größten Vereinigungen von Farmer*innen in Südafrika bereits diskutiert wird. Dennoch muss sowohl in der Landwirtschaft als auch im ganzen Land noch einiges mehr unternommen werden.
Es ist Zeit für einen grundlegenden Wandel, um uns vom fossilen Kapitalismus loszusagen und zugleich Millionen Menschen das Wirtschaftspotenzial des Landes zugänglich zu machen. Die Frage des gerechten Übergangs ist unausweichlich geworden. Die Dürreperioden im Land werden länger, und immer mehr Communities leiden unter Wasserknappheit.
Kleine politische Veränderungen reichen nicht aus. Stattdessen brauchen wir radikale, transformative Ideen, die die Organisation des Landes grundlegend verändern, den Wohlstand besser an alle Bürger*innen verteilen und dem Land Zukunftsperspektiven öffnen.
Schluss mit der Fokussierung auf reines BIP-Wachstum, das Land gehört den Menschen! Im Rahmen der Boden- und Agrarreformen müssen das Recht auf Nahrung und Würde sowie Degrowth-Strategien an erster Stelle stehen. Wir brauchen dringend Lösungen, um das Vertrauen in ein gemeinsames Ziel wiederherzustellen. Der Green New Deal in der Landwirtschaft muss zum neuen Wahlspruch Südafrikas werden!
Allerdings kann die Bodenreform nicht allein von der Regierung umgesetzt werden. Wir leiden alle gleichermaßen unter den Folgen der Armut, der Ungleichheit, der Arbeitslosigkeit und des Klimawandels. Auch der Privatsektor muss, wie jede*r einzelne von uns, seinen Teil zum Übergang beitragen. Es hat eine Koalition mehrerer Interessengruppen gebraucht, um die Apartheid zu beenden, und so braucht es auch eine Koalition mehrerer Interessengruppen, um in Südafrika die Armut auszumerzen.
Grundlagen für eine Grüne Wirtschaft, die allen zugutekommt
Die schon lange notwendige Strategie der «Tiefen Demokratie» sollte den Boden für einen Green New Deal in der südafrikanischen Landwirtschaft bereiten. Denn die Kritik an den vorherrschenden wirtschaftlichen Bedingungen führt notwendigerweise zur Erkenntnis, dass eine Boden- und Agrarreform auf den Grundrechten auf Nahrung, Würde und auf eine saubere, gesunde Umwelt basiert – und dass diese schnell und anders als bisher durchgesetzt werden müssen.
Die Überzeugung, dass einige Tausend landwirtschaftliche Großbetriebe für eine autarke südafrikanische Agrarwirtschaft sorgen, lässt außer Acht, dass diese gewinnorientierten Unternehmen ihre Erträge exportieren oder bevorzugt an Supermärkte in kaufkräftigen Vorstädten liefern. Der Rest des Landes kann sich ihre Produkte nicht leisten und ist zu hungrig, um noch länger auf Besserung zu warten.
Was muss passieren, damit wir uns endlich um den Rest der Bevölkerung kümmern? Der kürzlich erschienene Text der Vereinten Nationen Making Peace with Nature gibt zu bedenken, dass die Menschheit sich in Zukunft auf folgende Punkte besinnen muss, die für unseren Fortschritt grundlegend sind:
- nachhaltige Wirtschaft und Finanzsysteme,
- gesunde, nährstoffreiche Lebensmittel, sauberes Wasser und nachhaltige Energie,
- gesunde Lebensstile und Wohlergehen aller, in sicheren Städten und Siedlungen.
Diese Stichpunkte definieren auch den Weg, den Südafrika einschlagen muss. Und bemerkenswerterweise spiegeln sich diese Motive auch in den Empfehlungen des Abschlussberichts des Land Reform Panel (Bodenreformgremium) von Präsident Ramaphosa. Dazu gehört etwa der Wandel der Städte und der Landwirtschaft, damit nicht nur vorwiegend landwirtschaftliche Großbetriebe, sondern auch kleinere Farmen gefördert werden, daneben die Forderung nach Gleichberechtigung und Rechenschaftspflicht sowie einer demokratischen Kontrolle der Ressourcen.
Der Abschlussbericht fordert eine «Veränderung der Strukturen der Lebensmittelproduktion von einzelnen Haushalten und der Industrie zur Diversifizierung des Lebensmittelwertsystems.»
Ein regelrechter Aufruf für einen Green New Deal in der südafrikanischen Landwirtschaft!
Ein von Degrowth und Tiefer Demokratie angeleiteter Green New Deal beruht zwangsläufig auf der Erkenntnis, dass Gemeingüter, Kooperationen, gegenseitige Fürsorge und soziales Wohlergehen die Grundlage für eine nachhaltige Wirtschaft bilden. Der Green New Deal ist in einer Wirtschaft, die wie ein Trickle-down-Casino funktioniert, nicht denkbar. Die Menschen sollen ihre Zeit in ihre persönliche Entwicklung, in ihr eigenes Wohlergehen investieren und damit die Gesellschaft wirklich bereichern, statt zur Steigerung des BIP beizutragen, das nur jene reicher macht, die das Kapital kontrollieren.
Innerhalb eines demokratisch organisierten Green New Deal in der Landwirtschaft produzieren die Menschen zuerst Lebensmittel für ihren eigenen Bedarf, bevor sie darüber nachdenken, ob sie etwas an Supermärkte oder Fabriken verkaufen wollen. Bereits im ersten Teil dieses Essays habe ich betont, wie unrealistisch es ist, zu erwarten, dass die Begünstigten der Bodenreformen all ihre Bedürfnisse mit den Erträgen ihres Lands decken könnten. Die meisten weißen Farmbetreiber*innen verdienen nicht ihren gesamten Lebensunterhalt mit Landwirtschaft, sondern sichern sich zusätzlich ein Einkommen mit einer Reihe anderer Tätigkeiten: Sie sind Grundbesitzer*innen, vermieten Räumlichkeiten für Hochzeiten, unterhalten Wanderpfade, machen Kunst, Fotografie oder haben eine Teilzeitbeschäftigung. Und viele von ihnen verpachten auch ungenutzte Flächen.
Ein tiefendemokratischer, von Degrowth geprägter Green New Deal in der Landwirtschaft beruht auf der Erkenntnis, dass der Boden nicht nur eine Produktivkraft ist, die ununterbrochen bewirtschaftet und ausgebeutet werden kann. Er ist der Nährboden und die Grundlage der Natur, er muss sich auch ausruhen und regenerieren, um üppige, nährstoffreiche Lebensmittel hervorzubringen. Dafür muss ein natürlicher Kreislauf aufrechterhalten werden, bei dem auch Nebenprodukte der landwirtschaftlichen Produktion (wie etwa Abfälle) wiederverwertet und zur Erde zurückgeführt werden.
Ein tiefendemokratischer Green New Deal beruht auf der Erkenntnis, dass alle Südafrikaner*innen ein Zuhause haben müssen. Dieses Ziel sollte zum Emblem unseres Anliegens werden, zum Leitstern, der die Menschen mit ihren Mitmenschen verbindet und ihnen näherbringt. Ja, bei der Bodenreform geht es nicht nur um die Landwirtschaft, sondern auch um unsere Heimat, und das Wohlergehen und den Zusammenhalt der Communitys. In der ersten Phase der Bodenreform im Rahmen des Programms für Wiederaufbau und Entwicklung wurde das Land sowohl für die Landwirtschaft als auch für den Wohnungsbau vergeben. Erst nach 2000 konzentrierte sich die Politik der Bodenverteilung ausschließlich auf die Landwirtschaft, wodurch die Nachwirkungen der Apartheid in ländlichen Gegenden verlängert wurden. Wir müssen wieder zur ursprünglichen Agenda der Bodenreform zurückkehren.
Dieser Essay wurde unter dem Oberthema des Green New Deal in der Landwirtschaft verfasst wurde, seine Thesen beschränken sich aber nicht auf diesen Sektor. Stattdessen sollte die Agenda des Green New Deal auf die Landwirtschaft, die ländliche Wirtschaft und den peri-urbanen Raum angewandt werden. Seit über einem Jahrhundert bestimmen die Nachwirkungen des Land Act (Landgesetz) von 1913 sowie des späteren Apartheid-Regimes, wem es in Südafrika gutgeht und wer hungern muss. Lange machte die Landwirtschaft über 60 Prozent des BIP aus, und alles andere – das Bankenwesen, die Straßen, Energieversorgung, Schulen, Häfen usw. – richtete sich auf diesen Sektor aus. Dementsprechend würde eine Boden- und Agrarreform umgekehrt die gesamte südafrikanische Wirtschaft verbessern.
Die Fundamente des Green New Deal in der Landwirtschaft
Praktisch gesehen ist bereits der Großteil der für den Green New Deal notwendigen Infrastruktur vorhanden. Südafrika hat das weltweit zehntgrößte befestigte Straßennetz der Welt – eine Errungenschaft, die sich der Afrikanische Nationalkongresses hoch anrechnen kann und die der Maßstab für andere Infrastrukturprojekte sein sollte (z. B. den Ausbau der Wasserversorgung, des Breitbandnetzwerks, der Stromversorgung).
Zusätzlich müssen folgende vier Punkte umgesetzt werden:
Erstens müssen mindestens 80 Prozent der Boden- und Agrarreform zugunsten der Kleinbetriebe ausfallen bzw. höchstens 20 Prozent der Maßnahmen mittel- bis großflächige gewinnorientierte Farmen betreffen. Hierfür muss die Regierung ein Kataster aller unmittelbar verfügbaren Grundtücke sowie der möglichen Schenkungen durch Kirchen, Unternehmen, Privatpersonen usw. anlegen und diese Flächen in Parzellen einteilen. Neue Grundstücke sollten so schnell wie möglich vergeben werden, damit die neuen Eigentümer*innen sich frühzeitig um die Finanzierung ihrer Vorhaben kümmern können.
In einem früheren Kommentar hatte ich vorgeschlagen, dass die neuen Parzellen maximal 20 Hektar umfassen sollten. Der ehemalige Präsident Zuma hatte das Programm «Ein Haushalt, ein Hektar» eingeführt. Ich empfehle «Ein*e Farmer*in, zwanzig Hektar». Mir gefällt daran, dass so überschaubare Projekte in Angriff genommen werden. Landwirtschaftliche Großbetriebe erfordern große Investitionen und viele Arbeitskräfte, und es kostet viel Zeit, wenn allein mit dieser Struktur jede Farm zu einem florierenden Betrieb werden soll.
Zugleich muss die Verteilungsgerechtigkeit stets oberste Priorität haben. Frauen, Jugendliche und Menschen mit Behinderung müssen stärker unterstützt werden und niedrigschwelligen Zugang zu neuen Projekten erhalten.
Zweitens ist die Geschwindigkeit der Umsetzung für den Erfolg dieses Prozesses von fundamentaler Bedeutung. Das verfügbare Land sollte schnellstmöglich an neue Eigentümer*innen übertragen werden. Auch die Regierung muss schnell reagieren und könnte den Begünstigten der Bodenreform eine Art Starterpaket zur Verfügung stellen, um den Hausbau oder die Umsetzung eines Projektes zu erleichtern. Es gibt Politiker*innen, die behaupten, dass Zuschüsse keine Veränderung herbeiführen, weil arme Menschen sie nur für Alkohol und unnötigen Unsinn aus dem Fenster werfen würden. Doch allein das Beispiel des 350-ZAR-Zuschusses zeigt, dass die meisten Begünstigten das Geld für Lebensmittel oder Haushaltsgegenstände ausgegeben haben. Eine Frau erhielt Aufmerksamkeit in den sozialen Medien, weil sie ihrer Mutter mit dem Zuschuss ein Haus bauen konnte. Eine andere hat eine Pizzeria eröffnet.
Drittens muss die öffentliche Infrastruktur grundlegend erneuert werden. Straßen und Brücken müssen ausgebessert, das Straßennetz erweitert, Starkstromleitungen verlegt, Wasserreservoirs gebaut und Schulen, Krankenhäuser und andere Einrichtungen gebaut werden. Wo es bereits eine Stromversorgung gibt, sollte der Wechsel zu erneuerbaren Energien vorangetrieben werden – und auch die Bewässerungsanlagen und landwirtschaftlichen Maschinen sollten durch erneuerbare Energiequellen betrieben werden.
Zusätzlich sollten die Regierungen der südafrikanischen Provinzen in allen Distrikten sogenannte Agrihubs als zentrale Anlaufstellen einrichten. Dort sollen behördliche Beratungsstellen für administrative Vorgänge, Maschinenparks (wo sich Anwohner*innen Traktoren, Erntemaschinen, Brunnenbohrer usw. ausleihen können), Finanzbüros (für Darlehen oder Überweisungen), agrarwissenschaftliche Beratungsstellen, Schulungszentren (mit kompakten, praxisorientierten Fortbildungen) und Marketing-Beratungsstellen (zur Unterstützung bei Akquise und Bestandskund*innenbetreuung) entstehen.
Die Wohnungsbauprojekte in den peri-urbanen und urbanen Gegenden sollten integrativer gestaltet, Gewerbe- und Wohnflächen nicht länger getrennt werden. Alle sollten Zugang zu Grünflächen, Spielplätzen und – wo möglich – eigenen Gärten erhalten. In den Niederlanden können Stadtbewohner*innen etwa vielerorts in Kleingartenanlagen Salat oder Spinat anbauen. Die Initiative der Philippi Horticultural Area, einem städtischen Gartenprojekt in Kapstadt, das viele Städter mit frischen Lebensmitteln versorgt, sollte in allen urbanen Gegenden Südafrikas umgesetzt werden.
Viertens sollte Permakultur zum neuen Standard in der Landwirtschaft werden. Dabei werden Dutzende unterschiedlicher Pflanzen nebeneinander auf einem Feld angepflanzt. So ist der Boden stets bedeckt, und es entsteht eine Netto-Kohlenstoffsenke. Der Wasserverbrauch für Permakultur ist niedrig, die Erträge sind hoch; was zu einer Verringerung der Triebhausgasemissionen beiträgt. Zur Verbreitung dieser Praktik müsste die Regierung ihre landwirtschaftlichen Berater umschulen – und zahlreiche weitere einstellen.
In der Nähe von Kleinfarmen, die genug abwerfen, um noch etwas verkaufen zu können, sollten Gemeinschaftsmärkte eingerichtet werden, die bestenfalls mit Lagerräumen sowie mit einem Transportsystem ausgestattet werden, sodass die Waren zügig herbei- und weitergeschafft werden können. Zudem sollten die Farmer*innen Samenbanken einrichten und das Saatgut frei miteinander teilen.
Und nicht zuletzt muss auch der Privatsektor endlich eine proaktive Rolle in der Bodenreform spielen, statt nur reaktive Kritik anzubringen. Große Unternehmen und Gewerkschaften müssen sich am Wandel beteiligen und ihren Beitrag zum Aufbau resilienter Gemeinschaften leisten. Damit ist nicht nur AgriBEE gemeint, die staatliche Unterstützung für die Übertragung von Kapital, das zuvor Weißen (Unternehmen) gehört hat, an Schwarze durch finanzielle Zuschüsse oder steuerliche Entlastung. Die Organisationen müssen mehr Menschen ausbilden, Wohnungsbauprojekte in Angriff nehmen oder auch Land für die unmittelbare Umverteilung zur Verfügung stellen. In der Vergangenheit gab es schon einige Beispiele für die erfolgreiche Unterstützung durch große Unternehmen und Gewerkschaften bei der Ansiedlung von Farmer*innen (z. B. für die Zuckerrohrproduktion in KwaZulu-Natal).
Idealerweise wird eine beschleunigte Bodenreform mit einer umfassenden und langfristigen Agenda umgesetzt, statt dass in der Amtszeit eine*r jeden neuen Präsident*in nur Einzelgesetze verabschiedet werden. Die Regierung unter Zuma hatte zum Beispiel den Posten eines Land Valuer General (Generalbodenbewerter*in) geschaffen, um die Bewertung der Böden nach der Verabschiedung des Property Valuation Acts (Grundstücksbewertungsgesetz) im Jahr 2014 schneller voranzubringen. Sieben Jahre später schuf Präsident Ramaphosa eine Bodenreformkommission, die den Prozess weiter beschleunigen sollte. Diese Maßnahmen hätten gleichzeitig stattfinden können.
Fazit: Menschenrecht auf Wohlergehen und Wohlstand für alle
Der Green New Deal in der Landwirtschaft wird die südafrikanischen Strukturen grundlegend verändern, das Land stärken, mit gesunden Lebensmitteln und sauberer Luft und aufstrebende, resiliente Communities schaffen. Wir müssen nur daran glauben, dass es machbar ist – und es umsetzen.
Als Deng Xiaoping 1978 die Grundlagen für die moderne chinesische Wirtschaft legte, verkündete er in einer Versammlung der Kommunistischen Partei Chinas: «Wir brauchen zahlreiche Wegbereiter*innen, die den Mut zu neuen Ideen haben und diese auch weiterverfolgen … ansonst gibt es keinen Ausweg aus der Armut und der Rückständigkeit, und schon gar keine Möglichkeit, die weiterentwickelten Länder einzuholen, geschweige denn, sie zu überholen.»
Chinas BIP betrug damals knapp 149 Milliarden US-Dollar. Das reale BIP pro Kopf war geringer als das der Republik Tschad mit 1,1 Milliarden US-Dollar. 43 Jahre später ist die chinesische Wirtschaft 14 Billionen schwer. Die Republik Tschad hingegen hat heute ein BIP von 11 Milliarden US-Dollar und stand 2019 im Human Development Index an 187. Stelle – von insgesamt 189 Ländern.
Wenn wir die Entwicklung von China und Südafrika vergleichen, stellen wir fest, dass eines der beiden Länder einen Plan hatte und das andere nicht. Eines hat den Kampf gegen die Armut eingeläutet, das andere nicht. Wie konnte Dengs Traum Wirklichkeit werden? Mit einem klaren Ziel, dem Einsatz aller Bürger*innen und Hartnäckigkeit. Alle stabilen und wohlhabenden Länder brauchen eine breite, etablierte Mittelschicht, um diese Stabilität und diesen Wohlstand zu erhalten. Eine Gesellschaft, die sich durch eine winzige, wenn auch üppige Wohlstandsoase inmitten des allgemeinen Elends auszeichnet, ist nicht überlebensfähig. Aber Südafrika hat einen Vorteil: Seine Wirtschaft ist mehr als doppelt so groß wie diejenige, mit der China vor 43 Jahren sein Modernisierungsprojekt in Angriff genommen hatte.
Präsident Ramaphosa betonte die Notwendigkeit eines neuen Gesellschaftsvertrags für Südafrika. Wir können den ersten Schritt in diese Richtung einschlagen, indem wir uns von der 1955 vom Volkskongress verabschiedeten Freiheitscharta inspirieren lassen:
Die Beschränkungen des Grundeigentums nach rassistischen Gesichtspunkten sollen aufgehoben und das gesamte Land soll unter denjenigen aufgeteilt werden, die es bewirtschaften, um Hungersnot und Landhunger zu beenden;
Der Staat soll die Farmer*innen mit Arbeitsgeräten, Saatgut, Traktoren und Dämmen unterstützen, zum Schutz des Bodens und zur Stärkung der Ackerleute;
Allen Landarbeiter*innen wird Freizügigkeit gewährt;
Alle sollen das Recht haben, Land zu besetzen, wo immer sie wollen;
Niemand darf seines Viehs beraubt werden, und Zwangsarbeit und Gefängnisse auf Farmen werden abgeschafft.
Wir müssen eine umfassende Agrarwende herbeiführen und endlich die Versprechen der Freiheitscharta einlösen, um Wohlstand für alle zu ermöglichen. Und dazu brauchen wir den Green New Deal.
Übersetzung von Claire Schmartz & André Hansen für Gegensatz Translation Collective.