Bericht | Globalisierung - Amerikas Es kann gelingen

Jahrzehntelang haben Menschen in ganz Südamerika gegen die kommerzielle Ausbeutung ihres Trinkwassers protestiert. Mit Erfolg.

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Ein Junge zieht Trinkwasserflaschen hinter sich her, die  zur Unterstützung von Stadtvierteln mit Trinkwassermangel gespendet wurden. Ciudad Juarez, Mexiko, 28. Mai 2021. Foto: picture alliance / REUTERS | Jose Luis Gonzalez

Der UN-Weltwassertag am 22. März soll die Menschheit jährlich an den Wert der lebenswichtigen Ressource erinnern. Eine Erinnerung, die sie in der Gemeinde Juan C. Bonilla im mexikanischen Bundesstaat Puebla eher nicht brauchen, denn dazu genügt ein Blick in den Brunnenschacht, der häufig bedenklich leer war, seit sich der Trinkwasser-Konzern Bonafont, ein mexikanisches Tochterunternehmen des französischen Unternehmens Danone, in der Region angesiedelt hatte und die lokalen Reservoirs anzapfte. Weswegen 600 Aktivist*innen den Weltwassertag 2021 nutzten und die Eingänge zur Abfüllstation blockierten. Mit Erfolg: Seitdem sind die Ziehbrunnen wieder voller, Bonafont stellte den Betrieb einstweilen ein und am 8. August 2021, dem Geburtstag Emiliano Zapatistas, übernahmen die Besetzer*innen dann auch gleich noch den Rest des Firmengeländes. Der Blog «america21.de» berichtete, die Besetzer*innen legten dem Gouverneur von Puebla 6.000 Unterschriften aus 20 Gemeinden vor, die «Freiheit, Land und Wasser» fordern sowie die endgültige Schließung von Bonafont.

Mit derartigen Aktionen – Besetzungen auf dem Land, Zahlungsboykotten und Massendemonstrationen in den Städten, Streiks von Wasserwerkern, eigenmächtigen Brunnenbohrungen und selbst verlegten Rohren in informellen Siedlungen – haben Menschen in ganz Südamerika jahrzehntelang gegen die kommerzielle Ausbeutung ihres Trinkwassers protestiert. Mit Erfolg. Der öffentliche Widerstand, so schreiben David Hall und Emanuele Lobina vom in Großbritannien ansässigen «Institut zur Erforschung öffentlicher Dienstleistungen» (PSIRU), sei einer der beiden maßgeblichen Gründe dafür gewesen, dass sich multinationale Wasserunternehmen seit Anfang der 2000er Jahre aus Südamerika zurückgezogen haben. Der andere Grund waren zu niedrige Profite – jedenfalls aus Sicht der Kapitalanleger*innen. Mit anderen Worten: Die nötigen Investitionen in die Instandhaltung oder auch den Bau von Leitungsnetzen, Pumpanlagen, Klärwerken waren höher als erwartet, und die Einnahmen durch Nutzungsgebühren niedriger.

Dieser Text ist in der maldekstra, dem Auslandsjournal für globale Perspektiven von Links erschienen. Das Thema der Ausgabe #14 ist «Linke Bewegungen».

Den Menschen immer mehr Geld für eine bestenfalls gleiche, oft aber schlechtere Wasserversorgung abzuknöpfen, das gelang auf Dauer selbst ausgesprochen wirtschaftshörigen Regierungen wie der argentinischen unter Carlos Menem nicht. In den neu geschaffenen öffentlichen Wasserbetrieben der Hauptstadt, AySA, sicherten sich Beschäftigte und Gewerkschaften einen Anteil von zehn Prozent, der Rest ist Staatsbesitz. Ein Beispiel erfolgreichen Widerstands gegen die Privatisierung lebenswichtiger öffentlicher Infrastruktur, das, wie auch die Beteiligung der Zivilgesellschaft an den Wassertischen Venezuelas, zum Vorbild für zahlreiche Städte in Europa wurde, die ihre Wasserversorgung rekommunalisieren wollten.

2010 bestärkte dann sogar die UN-Vollversammlung mit der Verabschiedung der unter anderem von Bolivien eingebrachten Resolution 64/292 das Menschenrecht auf Zugang zu sauberem Trinkwasser. Interessant und für die weiteren Entwicklungen nicht unerheblich ist allerdings, dass sich insgesamt 41 Staaten der Stimme enthielten, neben den USA, Großbritannien und Kanada auch zahlreiche andere Industriestaaten des Globalen Nordens. Dennoch wuchs die Hoffnung, «dass nach 30 Jahren der Privatisierung (einschließlich Public-Private Partnerships und Outsourcing) Städte überall auf der Welt die Kontrolle über ihre Wasserversorgung wieder zurückgewinnen», wie es die Wissenschaftler David A. McDonald und Erik Swyngedouw im Vorwort zu ihrem 2019 auf Englisch erschienenen Buch «Die neuen Wasserkriege: Kämpfe um Re-Kommunalisierung» schreiben.

Seit 2005, so heißt es dort weiter, habe es in 37 Ländern weltweit mindestens 267 Re-Kommunalisierungen gegeben, die insgesamt mindestens 100 Millionen Menschen beträfen. Andererseits: Während im Jahr 2000 nur 5 Prozent der Weltbevölkerung ihr Trinkwasser von einem privaten Anbieter bekamen, waren es 2012 schon 12 Prozent. Wenn es um private Beteiligung an der entsprechenden Infrastruktur geht, zählt die Weltbank 2018 weltweit noch immer gut 1.000 aktive Projekte. 31 Prozent dieser Beteiligungen (bezogen auf den Gesamtwert in Dollar) finden sich in Lateinamerika.

Die Summe dürfe beträchtlich gestiegen sein, seit Brasiliens Präsident Bolsonaro im Mai 2021 die Lizenz für die Trink- und Abwasserversorgung von Rio de Janeiro für einen Preis von vier Milliarden US-Dollar an zwei einheimische Firmen verkauft hat – der bislang teuerste Deal in der seit 1996 andauernden Geschichte der brasilianischen Wasserprivatisierung. Chile, unter der Pinochet-Diktatur der 1980er und -90er Jahre Feldversuch des Neoliberalismus, hat seitdem ein Wasserrecht, das eine Einladung zu Raubbau und Spekulation darstellt. Die Regierung kann Lizenzen zur Nutzung von Wasserreservoirs vergeben, unabhängig davon, wem das Land gehört, auf dem sich diese Quellen befinden. Kleinbäuer*innen sind so der Preis-Willkür ihrer «Wasserherren» ausgesetzt, mittlerweile fast ausschließlich Großkonzerne aus der exportorientierten Agrar-, Bergbau- und Forstwirtschaft. Ehe deren Betriebe auf dem Trockenen sitzen, drehen sie allen anderen, die auf Wasser aus «ihrem» Reservoir angewiesen sind, kurzerhand den Hahn zu.

Angesichts von Jahrhundertdürren wie in diesem Jahr, die aufgrund von Bodenvernutzung und Klimawandel selbst in den von Natur aus wasserreichen Regionen in Chile und ganz Südamerika immer häufiger werden, wird das zu einer ständigen Bedrohung. Über die Folgen berichten Organisationen wie «amerika21.de» auch in deutscher Sprache täglich sehr anschaulich. Die Leidtragenden, also jene, deren Ziegen verdursten, Felder verdorren, die ihren Durst mit Flaschenwasser stillen müssen, zählen staatenübergreifend überwiegend zu indigenen Gruppen. Sie sind Nachfahren jener Menschen, die ihre Siedlungen ursprünglich dort eingerichtet haben, wo es die Vernunft schon immer geboten hat: in Reichweite einer Trinkwasserquelle – und zwar Jahrhunderte oder auch Jahrtausende bevor sich irgendwo die Idee durchgesetzt hatte, Wasserlizenzen als Geschäftsfeld für nationale oder internationale Konzerne anzusehen. Sie sind nun auch die treibende Kraft innerhalb der chilenischen Protestbewegung, die darauf drängt, in der geforderten neuen Verfassung ein Recht auf Wasser zu verankern, weil Mensch und Umwelt mehr gelten als Profitinteressen.

Genau das legt die Verfassung von Uruguay schon seit 2004 fest, in der es darüber hinaus wörtlich heißt: «Die öffentliche Abwasserversorgung und die öffentliche Wasserversorgung für den Verbrauch durch Menschen werden ausschließlich und direkt von staatlichen juristischen Personen durchgeführt.» Auf dieser Grundlage hatte die damals gewählte linke Regierung Frente Amplio alle bis dahin an private Konzerne vergebenen Konzessionen rekommunalisiert. Gleichzeitig stellt dieser Verfassungstext sicher, dass die vormaligen Lizenznehmer in den berüchtigten Investor-Staats-Schiedsverfahren nur Entschädigungen für ihre bis dahin tatsächlich getätigten Investitionen einklagen können und nicht, wie häufig üblich, auch entgangene Gewinne in der Zukunft geltend machen. Auch mit dem so gesparten Geld gelang es dem staatlichen Wasserversorger OSE in den folgenden 15 Jahren tatsächlich, den Verfassungsauftrag weitgehend in die Praxis umzusetzen. Die 2019 ins Amt gewählte konservative Regierung hat die soziale Tarifstruktur unter Beschuss genommen und verlangt im Rahmen eines Notstandsgesetzes, dass die OSE ihre Gebühren nicht länger selber festlegt, sondern dies durch eine staatliche Aufsichtsbehörde geschieht.

«Kooperatisierung» nennen McDonald und Swyngedouw diesen Prozess, der zahlreiche (re-)kommunalisierte und staatliche Wasserversorger Südamerikas trifft. Nicht nur die ideologischen Vorlieben oder korrupten Verstrickungen der jeweils Regierenden sind der Grund, sondern schlicht finanzielle Notlagen. Denn einfach so zur Inter-Amerikanischen Entwicklungsbank, zur Weltbank oder zum IWF gehen und mit Verweis auf das «UN-Menschenrecht auf sauberes Wasser» um einen Milliardenkredit bitten, funktioniert nicht. Selbst in einer Pandemie, in der Händewaschen zur lebensrettenden Tugend erklärt wurde, gibt es für Staatsschulden bestenfalls Zahlungsaufschub. Auch internationale Hilfsgelder werden zum überwiegenden Teil über Organisationen der Weltbank vergeben oder zumindest nach deren weiterhin profitorientierten Mustern, die über die Jahre immer mal unter neuen Namen und Abkürzungen daherkommen.

Es sind die Erfahrungen der Städter*innen, die viele, die in Südamerika auf dem Land leben, darin bestärken, an ihrer indigenen Tradition der gemeinschaftlichen Selbstversorgung durch «Acueductos Comunitario», übersetzt «gemeinsame Quellen», festzuhalten. Allein in Kolumbien gibt es davon schätzungsweise 20.000, viele versorgen ihre jeweilige Gemeinschaft ohne jegliche Finanz-Zuschüsse des Staates. Es gibt ein geteiltes Verantwortungsbewusstsein, das weit über das Zahlen von Nutzungsgebühren hinausreicht: Wer Wasser aus einer «gemeinsamen Quelle» trinken will, sorgt auch dafür, dass sie weiter sprudelt. Ob das nun durch Reinigungs- und Reparaturarbeiten geschieht, durch die Pflege des Waldes und des Bodens oder das Organisieren einer Spendenaktion, um Ersatzteile für die Pumpe zu beschaffen, hängt von den jeweiligen Fähigkeiten ab und wird gemeinschaftlich entschieden. Gleichzeitig braucht niemand zu fürchten, dass der Hahn zugedreht wird, wenn man aus irgendeinem Grund in Zahlungsverzug gerät.