Nachricht | Geschichte Alexandra Kollontais Einsatz für ein Ende der Einsamkeit

Zum 150. Geburtstag der Visionärin

Bild: Alexandra Kollontai (1872 - 1952), Autor*in unbekannt

«In meinem Leben hat es alles gegeben – Erfolge, ungeheuer viel Arbeit, Anerkennung, Beliebtheit bei den Massen, Verfolgung, Hass, Gefängnisse, Misserfolge und mangelndes Verständnis für meine Grundidee in der Frauenfrage und beim Problem mit der Ehe, viele schmerzhafte Diskrepanzen mit Genossen, Meinungsverschiedenheiten mit ihnen aber auch lange Jahre einträchtiger und harmonischer Arbeit in der Partei (unter der Führung Lenins).[1]

Alexandra Kollontais Lebendigkeit war von Ideen und Visionen kommunistischer Liebe und Klassenkampf geprägt. Wer sich fragt, was Liebe ist und sein kann, um der Kälte kapitalistischer Einsamkeit zu entkommen, findet in ihren Schriften eine warme Beratung. Sie wurde am 31. März 1872 in St. Petersburg geboren und starb am 9. März 1952 in Moskau. Sie war die erste Ministerin der Welt. Nach der Hinrichtung sechs junger Menschen, die 1881 ein Attentat auf Zar Alexander den Zweiten verübten, wandte sie sich der Kritik am russischen Zarenreich zu. Mit der Geburt ihres Sohns 1894 entwickelte sie ein Interesse an sozialistischer Literatur und beschäftigte sich zunehmend mit den Lebensrealitäten von Arbeiterinnen. Obwohl sie selbst aus reichem Hause kam, lehnte sie die bürgerlichen Feministinnen ab, da diese doch zu oft keinen Einblick in das Leben der Arbeiterfrauen hatten. Kollontai hingegen stärkte Frauen, sich selbst zu ermächtigen. Sie brachte Arbeiterinnen das Lesen und Schreiben bei und ließ hier erste sozialistische Ideen in den Unterricht einfließen. Sie entwickelte Visionen und Lösungen, um die Kinderfürsorge zu verbessern und Frauen von der zusätzlichen Last der Hausarbeit zu befreien. Um das Elend der Arbeiterklasse zu beenden, schwebten ihr stets kollektive Vergesellschaftungsformen vor, mittels denen sich ein tatsächliches «Liebespotenzial» entfalten könne.

Lesung aus Texten von Alexandra Kollontai

Details

Alexandra Kollontai hat keineswegs an Aktualität verloren. Nina Thaler und Anna Stiede lesen aus Anlass ihres 70. Todestages aus ihrem Werk. Mit ausgewählten Texten wird Sie als Kriegsgegnerin, Visionärin, Sozialanalytikerin und Politikerin vorgestellt.
Sämtliche Texte sind dem im Karl-Dietz-Verlag erschienenen Sammelband Alexandra Kollontai oder: Revolution für das Leben (herausgegeben von Katharina Volk, 2022) entnommen. Danke an Azadeh Zandieh für die technische Unterstützung und den Schnitt.

Überhaupt machte Sie die Jahrhunderte alte Frage nach gelingenden Liebesbeziehungen zwischen den Geschlechtern zu einem sozialistischen Politikum. In einer sich wandelnden Sexual- und Liebesmoral der Arbeiter*innenklasse, die dem Egoismus, dem Besitzdenken an der anderen Person und der Ungleichheit der Geschlechter entgegenwirkte, machte sie eine neue Waffe des sozialistischen Kampfes aus.

Anna Stiede ist Politologin, Kommunikationstrainerin und politische Bildnerin. Sie ist u.a.Teil des Künstler*innenkollektiv Panzerkreuzer Rotkäppchen (PKRK).

Nina Thaler arbeitet rund um und auf der Bühne. Hauptsächlich ist sie als Sängerin, Gesangslehrerin und Schauspielerin tätig.

Sie wurde zur ersten Ministerin für soziale Fürsorge der Welt und erzielte mit der Lockerung des Eherechts und dem Recht auf Schwangerschaftsabbruch wichtige Errungenschaften. Nicht die Liebe an dem einen Menschen, wie es die bürgerliche Moral fordert, sondern die Liebe zum Kollektiv und die so entstehende Entfaltung von Solidarität weisen in ihrem analytischen und literarischen Schaffen in mögliche Zukünfte. Sie wollte die Finsternis der Einsamkeit vertreiben. Daher konfrontierte sie nicht allein philosophische oder ökonomische Fragen, sondern ebenso die schwierigen, meist sehr konkreten Emotionen und affektiven Regungen, die in Zeiten solidarischer Umgestaltung die Gesellschaft herausfordern werden.

Bücher und Texte zu Alexandra Kollontai

Katharina Volk (Hrsg.): Alexandra Kollontai oder: Revolution für das Leben, Berlin 2022
Alexandra Kollontai: Mein Leben in der Diplomatie. Aufzeichnungen aus den Jahren 1922 bis 1945, Berlin 2003
Gisela Notz: Die vielen Leben der Alexandra Kollontai, in Bernd Hüttner/Christoph Jünke (Hrsg.): Roter Oktober 1917. Beiträge zur Geschichte der Russischen Revolution, Berlin 2017, S. 30-38

[1] Aus den Notizbüchern der letzten Jahre (1946-1951, in: Alexandra Kollontai: Ich habe viele Leben gelebt...Autobiographische Aufzeichnungen, Berlin 1985, S.502f. Zitiert nach: Katharina Volk (Hrsg.): Alexandra Kollontai oder: Revolution für das Leben, Dietz Verlag, 2022, S.156.