Ein erster kleiner Veranstaltungsbericht
Etwa 60 Personen waren der „Einladung zur Debatte: Das Klima des Kapitals“ am vergangenen Samstag gefolgt und ins hausZwei im freiLand Potsdam gekommen. Mit dabei waren Referierende aus Deutschland und dem Ausland.
Der erste Vortrag wurde von Stefanie Hürtgen, Dozentin der Universität Salzburg, durch Zuschaltung gehalten. Hürtgens Beitrag beschäftigte sich mit der Frage „Warum mit Marx auf die Klimakrise schauen?“.
Im Anschluss trug Ehrenfried Galander, Mitautor der MEGA, mit seinem Vortrag „Ein unheilbarer Riss? Marx' Kritik des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur“ zur Debatte bei.
Im dritten Panel wurde die Wissenschaftlerin, Autorin und feministische Aktivistin Silvia Federici direkt aus New York zugeschaltet, um ihre „Anmerkungen zu Marx und Ökologie“ vorzustellen.
Nach der Diskussion zu Federicis Vortrag gab es zum Abschluss der Veranstaltung das Podium „Tesla in Grünheide, oder: Wie düster sieht der grüne Kapitalismus aus?“ mit Inputs von Steffen Schorcht, Vertreter der Bürgerinitiative Grünheide, und Aleksandar Matković, der Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Belgrad ist und extra aus Serbien nach Potsdam zur Veranstaltung gekommen war. Beide berichteten über Raubbau und den Widerstand lokaler Gruppen gegen die Errichtung der Tesla-Fabrik und den Abbau von Lithium im Jadartal in Serbien.
Die Panels wurden von Valeria Bruschi und Moritz Zeiler moderiert, den Herausgeber*innen des Buches „Das Klima des Kapitals“.
Zur Veranstaltung eingeladen hatten die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg e.V. und der Karl-Dietz-Verlag, mit Unterstützung durch Libertalia e.V./hausZwei im freiLand Potsdam.
Ausführlicher Bericht der Veranstaltung am 2. April 2022 in Potsdam
Die Klimakrise hat ihre Hauptursachen im kapitalistischen Wirtschaften. Was kapitalistische Produktion ausmacht, ist Gegenstand der Marx‘schen Kritik der politischen Ökonomie; daher die zentrale Rolle, die einer marxistischen Gesellschafts- und Ökonomieanalyse und -kritik in Debatten um ökologische Transformation zukommt.
Diese Meinung teilen die Herausgeber*innen und Autor*innen des Sammelbandes „Das Klima des Kapitals. Gesellschaftliche Natur-verhältnisse und Ökonomiekritik“, der im Februar 2022 im Karl Dietz Verlag Berlin erschienen ist. Die Veröffentlichung bot den Anlass für diese Tagung in Potsdam, in der auf theoretischer und auch auf praktisch-konkreter Ebene über einige Aspekte des Themenkomplexes Ökologie und Wirtschaft diskutiert wurde.
Die Organisator*innen der Tagung bewegte die Motivation, einen Beitrag dazu zu leisten, dass sich kapitalismuskritische Diskussionen innerhalb marxistischer Kreise auf der einen Seite und Positionen der Klima- und Ökologiebewegung auf der anderen Seite gegenseitig befruchten. Historisch haben sich die zwei Seiten nämlich oft mit Misstrauen und Kritik beäugt.
Dafür haben sich die Organisator*innen explizit für eine Präsenzveranstaltung entschieden. Nach über zwei Jahren Corona-Krise wollten sie einen Raum für direkten Austausch schaffen. Die Entscheidung ist auf sehr positive Resonanz gestoßen, um die 60 Personen haben an der Tagung teilgenommen. Die Teilnehmenden kamen nicht nur aus Potsdam, sondern auch aus Berlin, anderen Städten in Brandenburg und anderen Bundesländern.
Das Programm sah vor, dass zunächst drei Autor*innen des Sammelbandes in zusammenhängenden Beiträgen ihre Positionen präsentieren und dann eigens mit dem Publikum diskutieren. Eingeladen wurden Stefanie Hürtgen von der Universität Salzburg, Ehrenfried Galander aus Erfurt und Silvia Federici als New York.
STEFANIE HÜRTGEN, aus Salzburg online zugeschaltet, sprach über das Verhältnis von Ökologie und sozialer Frage. In der politischen Diskussion werden die zwei Ebenen oft als gegensätzlich dargestellt: Eine sich auf Ökologie und Nachhaltigkeit orientierende Politik würde Arbeitsplätze gefährden, denn die Forderung, die Produktion in manchen ressourcenintensiven und umweltschädlichen Branchen zu drosseln, würde mit dem Verlust von Arbeitsplätzen einhergehen. Auch linke Akteur*innen vertreten solche Positionen, bspw. in gewerkschaftsnahen Milieus. Stefanie Hürtgen argumentierte jedoch, dass dem eine verkürzte, quantifizierende Auffassung von der Kategorie der Arbeit zugrunde liegt. Laut ihrer Lektüre hat aber Marx ein breiteres Verständnis von Arbeit: die Arbeiter*in ist selbst Natur, Naturkörper, selbst eine Ressource, analog den Ressourcen der äußeren Natur, welche das Kapital permanent auszubeuten versucht. Durch das Ausbuchstabieren dieser veränderten Auffassung von Arbeit und Kapital werden jene Aspekte von Kämpfen sichtbar, in denen es um Schonung und Pflege der arbeitenden Körper sowie der Umwelt geht, in der diese Körper tätig sind. Im Anschluss an den Input von Stefanie Hürtgen, den der Mitherausgeber Moritz Zeiler moderierte, bestand die Möglichkeit, Fragen zu stellen, Kommentare zu formulieren und zu diskutieren.
Den zweiten Vortrag hielt EHRENFRIED GALANDER, der ebenso von Moritz Zeiler moderiert wurde. Als Mitherausgeber der Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) und Kenner vom Marx‘schen Werkkorpus, inklusive der nur teilweise veröffentlichten Notiz- und Exzerpthefte, vertrat er die These, dass dem Verhältnis von Mensch und Natur in der Marx‘schen Theorie eine systematische Rolle zukommt. Seit Beginn der 1850er Jahre, als Marx in seinen Notizheften erste Überlegungen einer Theorie der politischen Ökonomie festhielt, bis zum Ende seiner Forschung kann man nachvollziehen, wie naturwissenschaftliche Themen ihn beschäftigten. Fragen der Bodenfruchtbarkeit, der Ausnutzung von Ressourcen, der nicht zuletzt für die Natur zerstörerischen Rolle von kapitalistischer Technik dabei sind integraler Bestandteil dieser Reflexion, die nur teilweise im Kapital abgebildet ist, denn, wie Galander behauptet, sollte sie in einen umfangreicheren Korpus von 6 Büchern einfließen, zu dem Marx aber nicht mehr kam. Nach dem Beitrag von Ehrenfried Galander kam es auch dazu zu einem Austausch mit dem Publikum.
Als dritte Autorin, die die Inhalte ihres Beitrages aus dem Sammelband präsentierte, war SILVIA FEDERICI aus New York zugeschaltet. Ihre Prämisse ist zwar, dass Marx das theoretische Werkzeug für eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Verhältnissen in kapitalistischen Gesellschaften liefert. Sie machte jedoch darauf aufmerksam, dass man in Marx auch Positionen findet, die für eine ökologische Theorie und Praxis problematisch sind. Dabei handelt es sich einerseits um seinen Prometheismus, um die Auffassung der menschlichen Herrschaft über die Natur durch Wissenschaft und Technik. Zweitens äußert sich Marx über die Bauernschaft in der Regel abwertend und berücksichtigt laut Federici nicht deren Rolle in Aufbewahrung, Übertragung und Weiterentwicklung eines auf Nachhaltigkeit gerichteten Wissens und Denkens über die Natur. Damit verknüpft sei auch eine Überhöhung der Rolle der Urbanität gegen das Lokale, das die gegenwärtige Ökologiebewegung stärker in den Fokus genommen hat. Der Input von Silvia Federici wurde für das Publikum simultan übersetzt und auch gedolmetscht debattiert.
Nach einer Pause fand schließlich eine Podiumsdiskussion statt. Die Konzeption sah vor, dass nach den begrifflich-analytischen Anregungen des Nachmittags mit diesem analytischen Instrumentarium kritisch auf die konkrete tagesaktuelle Ebene geschaut wird. Dafür waren STEFFEN SCHORCHT von der Bürgerinitiative Grünheide, die sich gegen das Tesla-Werk engagiert, und ALEKSANDAR MATKOVIĆ von der serbischen Umweltgruppe Social Action, die gegen die Pläne des Lithiumabbaus im Tal des Jadar-Flusses protestiert, anwesend. E-Mobilität stellt aktuell eine zentrale Säule einer ökologischen Wende dar, wodurch die übermäßige Erhitzung des Planeten vermieden werden soll. Gleichzeitig soll sie, zusammen mit den neuen, „grünen“ Technologien, gewährleisten, dass ökonomisches Wachstum generiert wird.
Die Berichte der zwei Diskutanten machten die Problematiken dieses politisch und medial massiv präsenten Diskurses deutlich: Die Förderung der Rohstoffe für die ökologische Wende wie bspw. Lithium ist alles andere als umweltfreundlich und verursacht Verschmutzung, CO2-Emissionen, einen enormen Wasserverbrauch und nicht zuletzt soziale Konflikte. Das Gleiche lässt sich für die Produktion von E-Autos in großen Dimensionen, wie im Tesla-Werk in Grünheide beabsichtigt, feststellen: Unter anderem die Probleme der Wasserversorgung und der Ausschluss der Einwohner*innen aus den Entscheidungsprozessen in allen Phasen dieses Großprojekts wurden von Steffen Schorcht kritisch thematisiert.
Die Tagung zielte nicht zuletzt auf Vernetzung und Beteiligung von politisch Interessierten und Aktiven bei künftigen Veranstaltungen ab. Eine Gelegenheit hat sich schon ergeben: Im Anschluss an die Veranstaltung fand am 9.4.2022 ein Informationsspaziergang zum Tesla-Werk in Grünheide statt, an dem neben einer interessierten Öffentlichkeit etlichen Mitgliedern der Bürgerinitiative unter anderen auch Aleksandar Matković, die Mitherausgeberin von „Das Klima des Kapitals“ Valeria Bruschi auch Vertreter*innen von EndeGelände teilnahmen.
Informationen zur Veranstaltung
Informationen zum Buch "Das Klima des Kapitals. Gesellschaftliche Naturverhältnisse und Ökonomiekritik"
Unter diesem Link:
https://dietzberlin.de/produkt/das-klima-des-kapitals/