Nachricht | Parteien- / Bewegungsgeschichte - Soziale Bewegungen / Organisierung - Parteien / Wahlanalysen - Südostasien - Klimagerechtigkeit Die Zukunft der Klimagerechtigkeit auf den Philippinen

Was die Wahl von Marcos für die Umweltbewegung bedeutet

Plakate "Break Free From Fossil", "Phillipine Movement for Climate Justice"
Tausende von Menschen aus verschiedenen Klimainitiativen marschierten am 4. Mai 2016 durch Batangas City, Philippinen, um gegen Kohle zu protestieren. CC BY-NC-SA 2.0, Foto: Wordpress | Veejay Villafranca für das Institute for Climate and Sustainable Cities

Im Februar 1986 kam es in den größten Regionen der Philippinen zu Protesten. Hunderttausende forderten die Absetzung des Präsidenten Ferdinand Marcos. Die sogenannte EDSA-Revolution, benannt nach der Epifanio de los Santos Avenue in der Hauptstadt Manila, beendete zwei Jahrzehnte autoritärer Herrschaft und ebnete den Weg für die formelle Wiedereinsetzung demokratischer Institutionen.

Dr. Antonio Gabriel M. La Viña ist stellvertretender Direktor für Klimapolitik und internationale Beziehungen am Manila Observatory sowie Professor für Recht, Governance, Politik und Philosophie am Ateneo de Manila, der University of the Philippines.

Heute will der Sohn des alten Marcos, Ferdinand «Bongbong» Marcos Jr., den höchsten Posten im Land besetzen. Zwar sind die Bürger*innen- und Menschenrechtsverletzungen sowie die Korruption im Zusammenhang mit der Marcos-Familie gut dokumentiert, doch lag Marcos Jr. bei der Präsidentenwahl am 9. Mai deutlich vor den neun anderen Kandidat*innen. Seine Vizepräsidentschaftskandidatin festigte die Basis noch: Es ist keine Geringere als Sara Duterte, Tochter des noch aktuellen Präsidenten Rodrigo Duterte.

In vielerlei Hinsicht sind die Wahlen im Mai eine Anklage der politischen Geschichte des Landes von den 1970er Jahren bis zur Gegenwart. Mit der verstärkten Polarisierung der sechs Duterte-Jahre steckt in den Umfrageergebnissen auch ein Urteil über den Wert der Menschenrechte und der demokratischen Freiheiten. Die Bevölkerung ist von den Versprechen der liberalen Demokratie und von der gestiegenen Ungleichheit hinsichtlich Wohlstand und Chancen enttäuscht. Die Wahlen von 2022waren also eine historische Gelegenheit, die unmittelbare Zukunft des Landes zu beeinflussen: Klimawandel und Möglichkeiten der Dekarbonisierung stehen bei den Debatten erstmals im Fokus.

Entwicklungen bei der Klimagerechtigkeit

Die Idee einer Klimabewegung auf den Philippinen keimte erstmals bereits 2007 auf, Pionier*innen diskutierten das Thema jedoch schon im Jahr 2000 anlässlich des ersten Klimagerechtigkeitsgipfels in Den Haag. Die maßgeblichen Organisationen wussten, dass Länder wie die Philippinen besonders anfällig waren, und kannten die Politik der Konferenz der Vertragsparteien (COP) in der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC). Auf der COP 13, die 2007 in Bali stattfand, gründete sich das weltweite Bündnis Climate Justice Now! aus Organisationen von Entwicklungsländern. Auch die Philippinen waren daran beteiligt.

Anschließend bildeten sich zahlreiche ähnliche Gruppierungen. Mehrere philippinische Organisationen griffen die Forderungen nach Klimagerechtigkeit auf, insbesondere, wenn klimaschädigende Länder Verantwortung für ihre ökologischen und klimatischen Schulden übernehmen sollten. Dahinter standen neben einigen anderen Organisationen das Philippine Movement for Climate Justice, 350.org, das Asian Peoples’ Movement for Debt and Development und Greenpeace.

Umweltorganisationen verbreiten nun ihre Forderungen nach Klimagerechtigkeit in einem größeren Rahmen, insbesondere wenn es um die Rechenschaftsverpflichtungen in den bahnbrechenden Pariser Verträgen von 2015 und im «Sonderbericht 1,5 °C globale Erwärmung» des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC) geht.

2016 sprach sich Duterte im Wahlkampf für ein Vorgehen gegen Oligarchie und Bergbau aus, vollzog aber bald eine Kehrtwende. Am Anfang seiner Amtszeit ernannte er die bekannte radikale Umweltaktivistin Gina Lopez zur Umweltministerin, um seine Versprechen gegenüber dem Makabayan-Block einzuhalten, der größten Gruppierung der nationaldemokratischen Linken.

Lopez fuhr im Umweltministerium einen harten Kurs gegen den Bergbau. Kurz nach der Amtsübernahme veranstaltete sie bei allen Bergbauunternehmen gründliche Betriebsprüfungen. Das Ministerium entzog 75 Minen in Wassereinzugsgebieten die Lizenz, ordnete die Schließung von 26 Minen wegen Verstößen gegen die Umweltgesetze an und setzte fünf weitere Bergbauverträge außer Kraft.

Doch diese Politik währte nicht lange. Auch die Versprechen, die Praxis der kurzfristigen Vertragsarbeitsverhältnisse zu beenden und Friedensverhandlungen aufzunehmen, hielt Duterte nicht ein. Lopezʼ Maßnahmen galten als kontrovers. Sie sah sich sogar Vorwürfen der Inkompetenz ausgesetzt. Schließlich enthob sie der Kongressausschuss für Berufungen nach etwas mehr als einem Jahr des Amtes. Acht von 24 Senator*innen votierten für ihren Verbleib, die übrigen 16 stimmten dagegen.

Dutertes Anschein von Progressivität in Bezug auf Umweltfragen bekam schon bald Kratzer, als er Roy Cimatu, einen Absolventen der philippinischen Militärakademie, kurz darauf zum Umweltminister ernannte. Cimatu war in verschiedene Probleme verwickelt, darunter das Kaliwa-Staudamm-Projekt, das wegen seiner problematischen Darlehenskonditionen und der negativen Umweltfolgen für die Gebirgskette Sierra Madre umstritten war. Duterte hob das Moratorium für neue Bergbaulizenzen 2021 auf und verabschiedete sich damit endgültig von allen Umweltversprechen von 2016.

Wen hat die Klimabewegung unterstützt?

Das Bündnis Alyansa Tigil Mina (ATM), in dem sich vom Bergbau betroffene Communitys, ihre Unterstützungsgruppen und Organisationen der Zivilgesellschaft versammeln, die sich klar gegen den großangelegten Bergbau auf den Philippinen positionieren, sprach sich für zwölf Senatskandidat*innen aus: die Senator*innen Risa Hontiveros, Leila De Lima und Joel Villanueva, die Abgeordneten Teddy Baguilat, die Anwälte Chel Diokno, Neri Colmenares, Luke Espiritu und Sonny Matula sowie Alex Lacson, David D'Angelo, Roy Cabonegro und Antonio Trillanes. ATM unterstützte auch Leni Robredo und Kiko Pangilinan als Präsidentin und Vizepräsidenten.

Neben ATM haben auch andere Gruppen Checklisten zur Bewertung des bisherigen Verhaltens der Präsidentschafts- und Vizepräsidentschaftskandidat*innen veröffentlicht. Dazu gehören insbesondere das Kalikasan People’s Network for the Environment (Kalikasan PNE), Living Laudato Si und Greenpeace Philippines.

Die Umweltorganisationen im Bündnis Panatang Luntian unter der Ägide von Kalikasan PNE starteten den #EnvibeCheck, eine Faktencheck-Studie, um die Positionen und das bisherige Abstimmungsverhalten der Kandidat*innen bei Umweltbelangen auf den Philippinen auszuwerten. Dieser Studie zufolge war Robredo die umweltfreundlichste Präsidentschaftskandidatin, die bei allen sechs Themen mit ihren Äußerungen und ihrem Abstimmungsverhalten gut abschnitt. Sie war zudem auch die Einzige, die sich aktiv für die Bewahrung der Biodiversität einsetzte, während der frühere Senator Bongbong Marcos Jr. mit negativen Bewertungen in allen Bereichen das schlechteste Ergebnis erzielte.

Senator Kiko Pangilinan und Professor Walden Bello waren die beiden umweltfreundlichsten Vizepräsidentschaftskandidaten. Sie erhielten durchweg positive Bewertungen, während der frühere Umweltminister Lito Atienza mit einer Gesamtbewertung von –4 ganz unten lag.

Am 23. April hielt das Bündnis Luntian de Avance in Manila einen #PinkEarthDay ab und stellte sich hinter Robredo und Pangilinan. «Wir haben alle früheren Äußerungen und das Abstimmungsverhalten der Kandidat*innen unter die Lupe genommen. Vizepräsidentin Leni und Senator Kiko kümmerten sich nach unserer Einschätzung am konsequentesten um Umweltbelange», sagte Leon Dulce, der nationale Koordinator für Kalikasan PNE und ein Organisator für Luntian de Avance.

Living Laudato Si gehört zu den Gruppen, die schon zuvor eine «pro-philippinische Klima- und Umweltagenda» aufgestellt hatten. Ihnen schlossen sich das Philippine Movement for Climate Justice, Greenresearch und Caritas Philippines an. Mehr als 150 Organisationen unterzeichneten die Agenda. Darin wurden die Wähler*innen aufgefordert, Kandidat*innen wie Robredo, Pangilinan, de Guzman und Bellow zu wählen, die sich in den nächsten sechs Jahren für die Umwelt einsetzten.

Die Klimabewegung ergriff in diesem Wahlkampf mit den genannten Ausnahmen größtenteils keine Partei. Diese Entscheidung wurde bewusst getroffen: Der Kampf für Klimagerechtigkeit erfordert insbesondere auf lokaler Ebene eine möglichst breite, einheitliche Front. Wenn Umweltschützer*innen in einem bestimmten Regime regelmäßig angegriffen und getötet werden,ist Einigkeit eine Frage von Leben und Tod.

Klimagerechtigkeit bei den Wahlen 2022

Angesichts dieser Entwicklungen in einem Land wie den Philippinen, das besonders anfällig für Klimafolgen ist, hofften verschiedene Gruppen, dass der Klimawandel den Wahlkampf dominieren oder zumindest eines von vielen Schwerpunktthemen darstellen würde. Leider widmeten sich diesem Thema nur wenige Kandidat*innen: Gerade einmal sechs positionierten sich eindeutig.

Leody de Guzman war der einzige Präsidentschaftskandidat, der Klimagerechtigkeit aktiv in den Fokus seiner Agenda rückte. Er betonte, dass ein Klimanotstand auszurufen sei und die Energieversorgung der Philippinen auf saubere, erneuerbare Energiequellen umgestellt werden müsse. Atomenergie sei dabei aber nicht einzusetzen.

Die aktuelle Vizepräsidentin und Präsidentschaftskandidatin Leni Robredo sprach auch von der Klimakrise, aber mit weniger Nachdruck als de Guzman. Ihr ging es um eine neue «Klimaindustrie». Sie fokussierte sich auf die Schaffung «grüner Arbeitsplätze» und auf Investitionen in klimaresiliente Strukturen. Sie kritisierte sowohl die Kurzsichtigkeit der aktuellen Regierung in Klimafragen als auch die Ansicht, dass Hilfsaktionen das einzige Mittel zur Bekämpfung unserer Anfälligkeiten seien. Der Sieger Marcos Jr. wollte die Energiekrise durch eine Wiederbelebung von Atomstromprojekten auf den Philippinen meistern.

Auch unter den Kandidat*innen für die Senatswahl, die ebenfalls im Mai 2022 stattfand, befanden sich einige Umweltaktivist*innen. Eine von ihnen ist die ehemalige Senatorin und heutige Kongressabgeordnete Loren Legarda. Sie wollte primär Gesetze für die Finanzierung eines raschen Übergangs zu erneuerbaren Energien einführen und bereits bestehende Umweltgesetze ausbauen – etwa das Gesetz für saubere Luft, das Gesetz zur ökologischen Abfallwirtschaft und das Gesetz für erneuerbare Energien. Als stellvertretende Sprecherin des Kongresses brachte sie gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Klimawandelausschusses Edgar Chatto, der Abgeordneten Eufemia Cullamat von der Liste Bayan Muna und Raul del Mar, dem verstorbenen Abgeordneten von Cebu City, eine Resolution zur Ausrufung des Klimanotstands in den Kongress ein.

Luke Espiritu, der auf der Liste von Leody de Guzman für die Partido Lakas ng Masa (PLM) kandidierte, hatte einen Fünf-Punkte-Plan zum Umgang mit der Energiekrise vorgestellt: Ausstieg aus fossilen Energien, Wechsel zu einer CO2-armen Wirtschaft, Energiedemokratie, gerechter Übergang und aktive Regierungsinterventionen. Ebenfalls auf der Liste standen David D’Angelo und Roy Cabonegro, die auch das Klima auf die Tagesordnung setzten. D’Angelo forderte den Klimanotstand, einen neuen und alternativen Umgang mit Mineralstoffen, grüne und bezahlbare Energie, biologische Landwirtschaft und Ernährungssouveränität. Cabonegro verlangte reduzierte CO2-Emissionen und folgte damit den Appellen der Klimagerechtigkeitsbewegung nach einem Kohleausstieg bis 2030 und einem Wechsel zu 100 Prozent erneuerbaren Energien (ohne Atomenergie) bis 2040. Der Abgeordnete Teddy Baguilat, der auf der Liste von Leni Robredo kandidierte, setzt sich seit seiner Zeit als Gouverneur und Unterhausabgeordneter der Provinz Ifugao ebenfalls sehr für die Umwelt ein. Er sprach sich für saubere (Solar- und Wind-)Energie und ein Verbot des Tagebaus aus.

Viele dieser Kandidat*innen gelten zwar als Umweltaktivist*innen, aber ihre Haltung zur Klimagerechtigkeit ist unzureichend. Bis auf die Kandidat*innen der Grünen (Cabonegro und D’Angelo) und der PLM-Liste (de Guzman und Espiritu) ist das Problem der vulnerablen Länder im Zusammenhang mit den ökologischen und klimatischen Schulden der klimaschädigenden Länder im Wahlkampf kein Thema. Problematisch ist das deshalb, weil die neue Regierung die Maßnahmen zur Emissionsreduzierung nach den Pariser Verträgen ausgestalten und bei den COP-Verhandlungen mitwirken wird. Entwicklungen wie das Santiago-Netzwerk und Verhandlungen zur Finanzierung von Verlusten und Schäden in vulnerablen Ländern stehen momentan auf dem Spiel. Die Teilnahme der Philippinen am globalen Kampf für Klimagerechtigkeit hängt davon ab, wie ernsthaft sich die neue Regierung dem Thema widmen wird.

Konkurrierende Narrative von Kontinuität und Wandel

Rodrigo Dutertes Wahlslogan lautete 2016 «Change is coming» (Der Wandel kommt). Er wollte Kriminalität und Korruption in nur drei Monaten nach der Wahl beseitigen und präsentierte sich zu Beginn seiner Amtszeit als Hardliner gegen oligarchische Strukturen im Bergbau.

Duterte begann zwei «Kriege». Zunächst führte er einen sogenannten Krieg gegen Drogen, der so viele Tote zählte, dass der Internationale Strafgerichtshof eine Ermittlung einleitete. Später verstärkte Duterte die bereits lange bestehenden philippinischen Maßnahmen gegen politische Unruhen, indem er einen umfassenden Krieg gegen den Kommunismus erklärte. Dafür verabschiedete er ein Antiterrorgesetz und gründete eine Spezialeinheit, die National Task Force to End Local Communist Armed Conflict (NTF-ELCAC), die in den lokalen Communitys laut Menschenrechtsverfechter*innen vermehrt Menschenrechtsverletzungen beging. Auch Umweltschützer*innen und indigene Communitys, die gegen die Landnahme durch die Agrarindustrie und Bergbaukonzerne kämpften, wurden bedroht: Unter Dutertes Amtszeit verdoppelte sich die Zahl der Tötungen.

Bei den diesjährigen Wahlen wollte sich Duterte offiziell hinter keine*n Kandidat*in stellen. Jedoch spielte er nicht nur eine aktive Rolle bei der Restauration der alten Ordnung, indem er Marcos Sr. auf dem Heldenfriedhof des Landes beisetzen ließ, sondern ging die Politik des Dutertismo weit über Duterte selbst hinaus. Marcos Jr. verkündete in seinem Wahlkampf eine Botschaft von «Einigkeit», die absichtlich vage klang, aber eine Beibehaltung der institutionellen Ausrichtung andeutete. Die meisten Kandidat*innen in Marcosʼ Gefolge waren frühere Amtsinhaber*innen unter Duterte oder dessen Verbündete. Daher überrascht es nicht, dass Marcos-Anhänger*innen auf Wahlkampfveranstaltungen und in der Wahlwerbung Dutertes riesiges Infrastrukturprogramm mit dem angeblichen «Goldenen Zeitalter der Infrastruktur» des Diktators verglichen.

Das sollte nicht überraschen, weil Duterte trotz Unterdrückung, Korruptionsskandalen und gescheiterten Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie weiterhin beliebt ist. Bevor die Kandidat*innen offiziell feststanden, lag Sara Duterte im Juni 2021 als Nachfolgerin ihres Vaters in Meinungsumfragen weit vorne und erhielt sogar doppelt so viele Stimmen wie Marcos Jr. Darin spiegeln sich die damaligen Zustimmungsraten des aktuellen Präsidenten von 75 Prozent wider. Von Dutertes Beliebtheit profitierte auch ein anderer Kandidat: Francisco «Isko Moreno» Domagoso, Bürgermeister von Manila. Auch er hat besonders öffentlichkeitswirksam Programme zur Kriminalitätsbekämpfung und lokale Infrastrukturprojekte aufgelegt.

Gegen die Verfechter*innen der Kontinuität traten zwei Kandidat*innen an, die für Wandel stehen.Leni Robredo, Vorsitzende der Liberal Party, hob sich von der aktuellen Regierung durch Forderungen nach Armutsbekämpfung und einer Wirtschaftsentwicklung auf der Grundlage von «verantwortungsbewusster Regierungsführung» ab. Robredo saß früher im Provinzparlament von Camarines Sur. Die in dieser Provinz gelegene Stadt Naga gilt als ein Modell für partizipative Demokratie, geprägt von aktiven Bürger*innen, die sich in Gemeinderäte einbringen, und einer Bottom-up-Haushaltsplanung, die von den Menschen ausgeht. Bürgermeister von Naga war Robredos mittlerweile verstorbener Mann und früherer Innenminister Jesse Robredo. Die Kandidatin versprach, diese partizipativen Initiativen auszubauen und die öffentlich-privaten Partnerschaften im Bereich der Infrastrukturentwicklung und des Sozialwesens zu stärken.

Erstmals in der Geschichte der philippinischen Wahlen kandidierte mit Leody de Guzman ein sozialistischer Gewerkschaftsführer. Er trat auf der Liste der Partido Lakas ng Masa (PLM) und Laban ng Masa (LnM) an, ein Wahlbündnis von demokratischen sozialistischen Kräften aus verschiedenen linken Gruppen. De Guzmans Wahlkampf beruhte auf der Ablehnung der Elitendemokratie und Vetternwirtschaft, er betonte die Dringlichkeit, Ungleichheiten zu verringern, und schlug progressive Maßnahmen vor, zum Beispiel Vermögensteuern, Verstaatlichung von Wohnungen und demokratisches Eigentum an den sozialen Diensten. Da die Mehrheit der philippinischen Bevölkerung der Arbeiter*innenklasse angehört, setzte er prioritär auf deren Stärkung, indem er ihre materiellen Bedingungen verbessern und demokratische Räume für die Bildung von Gewerkschaften und politische Teilhabe schaffen wollte. Im Konflikt mit der mehrheitlich katholischen Bevölkerung stand de Guzman als erster Kandidat außerdem für die völlige Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe, die Entkriminalisierung von Abtreibungen und die Legalisierung der Scheidung.

Robredo und de Guzman verfolgten zwar beide eine «neue Politik» für die Philippinen, doch die Unterstützung für ihre Ziele spiegelte sich nicht in den Umfragen wider, wie der Sieg von Marcos Jr.  zeigt. Obwohl Robredo als parteilose Kandidatin antrat, gelang es ihr nur schwer, sich vom Erbe der exklusiven Elitenherrschaft zu trennen, das der Liberal Party seit der EDSA-Revolution anhaftet. Im November unterzeichnete Robredo einen Pakt mit Arbeiter*innengruppen, um ihre Arbeitspolitik zu gestalten, jedoch erwähnte sie im Wahlkampf keine konkreten Pläne. Robredo konnte sich trotzdem die Unterstützung der sozialdemokratischen und der nationaldemokratischen Linken sichern, die in ihr die Chance sahen, eine Präsidentschaft von Marcos Jr. zu verhindern und wieder demokratische Freiheiten einzuführen.

Die schwache Unterstützung für de Guzman zeigt, wie gering die Wirkungsmacht und politische Verankerung der philippinischen Gewerkschaftsbewegung ist. Nach letzten Schätzungen sind nur 10 Prozent der Arbeiter*innen gewerkschaftlich organisiert; in den 1990er Jahren waren es noch 25 Prozent. Dieser deutliche Rückgang lässt sich sicherlich auf eine gewerkschaftsfeindliche Industriepolitik auf nationaler und lokaler Ebene zurückführen. Gewerkschaftsrechte wurden zudem unter Duterte stark beeinträchtigt. Die generelle Schwäche der gewerkschaftlichen Basis behinderte de Guzmans Möglichkeiten, Mittel einzuwerben und die Bevölkerung zu mobilisieren.

Verschobenes Kräftegleichgewicht

Die breite Zustimmung für Marcos Jr. beruht im Wesentlichen auf zwei Säulen: der Beliebtheit der Duterte-Regierung, die sich am Durchmarsch der regierungsfreundlichen Kandidat*innen bei den Senatswahlen von 2019 ablesen lässt, und der Rehabilitierung des Namens Marcos. Seit den 1990er Jahren wurden die Fakten zum Kriegsrecht unter Marcos Sr. systematisch verfälscht. Als besonders wirksam sollten sich später die Imagekampagnen der Marcos-Familie in den sozialen Medien erweisen. Es kam nach der Absetzung von Marcos Sr. zu keiner umfassenden rechtlichen Aufarbeitung. Mitglieder der Familie durften nach der EDSA-Revolution 1986 wieder Ämter bekleiden.

Interessanterweise floss auch die Kritik an der Deindustrialisierung, der Privatisierung und der Liberalisierung des Außenhandels nach der Revolution in die Desinformationskampagnen ein. Marcos Jr. soll zugutekommen sein, dass Robredo angeblich ein neoliberales Programm mit fiskalischen Sparmaßnahmen verfolgt. Mit dieser Politik wird die Liberal Party assoziiert. Robredo vermag diesem Image nur wenig entgegenzusetzen. Sie entkräftete die Behauptungen nicht direkt und versprach zudem, dass es eine «Win-Win-Situation» für die Kapitalist*innen- und die Arbeiter*innenklasse geben könne.

Die ersten 100 Tage einer Marcos-Präsidentschaft

Anders als die anderen Präsidentschaftskandidat*innen hat Marcos Jr. kein stimmiges Regierungsprogramm vorgelegt. Er schweigt sich auch weiter dazu aus. Stattdessen hörte das Land seine wiederholten Rufe nach «Einigkeit» (englisch «unity»). Das Tandem Marcos-Duterte nennt sich sogar «Uniteam».

Angesichts seiner unklaren Pläne lässt sich nur äußerst schwer sagen, was Marcos Jr. in seiner Amtszeit tun wird. Welchen Führungsstil wird er verfolgen? (Bei Robredo ist es bekannt: Sie spricht sich für Transparenz und die Einflussnahme marginalisierter Gruppen aus.) Welche Programme wird er in Angriff nehmen? Welche Gesetze will er einführen? Erschwerend kommt hinzu, dass Marcos Jr. prinzipiell keine Debatten führt, außer auf Sendern, die ihm zugeneigt sind.

Das bloße Wort «Einigkeit» beantwortet die programmatischen Fragen nicht. Sein Verständnis von Einigkeit könnte sogar ganz von dem seiner Unterstützer*innen abweichen. Handelt es sich um ein autoritäres Einigkeitsverständnis, das Widerspruch unterdrückt? Oder geht es um inklusive Einigkeit, bei der Solidarität im Mittelpunkt steht? Wir wissen es nicht, und das sagt so einiges aus über die ersten 100 Tage einer Amtszeit von Marcos Jr.

Eines aber steht sicher fest: Der Sieg von Marcos Jr. hat weltweit für Schlagzeilen gesorgt. «36 Jahre nach Absetzung des philippinischen Diktators wird dessen Sohn Präsident.» Es ist ein Schock für die Welt, wenn ein Land, das mehr als 20 Jahre unter der Herrschaft des Diktators Marcos Sr. und seiner Kumpanen gelitten hat, dieselbe Familie wieder an die Macht wählt. Dabei sind in der Diktatur Tausende eingesperrt und gefoltert worden, verschwunden oder verarmt.

Die Wahl von Marcos Jr. zum Präsidenten zeigt auch, dass es sich eine hinreichend abgebrühte Person erlauben kann, Fakten zu verdrehen und die Wahrheit eigennützig umzugestalten. Ein neues Image, Beschönigung und Revisionismus waren Bedingungen für den Wahlsieg. Damit ist auch erwiesen, was unsere Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa über die Gefahren und Bedrohungen der Demokratie gesagt hat.

Der Erdrutschsieg von Marcos Jr. ist ein Rückschritt der philippinischen Politik zur trapo, der traditionellen Politik. Obwohl es gute Alternativen gegeben hat, ist es einfach nur verheerend zu sehen, dass die Marcos-Familie wieder im Malacañan-Palast Einzug erhält. Das wird auch in der Lokalpolitik nachwirken, wo sich wieder ein traditioneller Regierungsstil durchsetzen wird, der neue Regierungsformen in den Hintergrund drängt. Ohne ein eindeutiges Programm ist aktuell außerdem unklar, was Marcos Jr. hinsichtlich der oben teils angeführten gesellschaftlichen Probleme ausrichten kann. Die ersten 100 Tage sowie die gesamte sechsjährige Amtszeit versprechen turbulent zu werden.

Hoffnung für die Wahlen 2022

Doch auch angesichts der nun eintretenden Marcos-Präsidentschaft besteht noch Hoffnung: Die 2022 Wahlen haben gezeigt, dass die Arbeit an der politischen Basis Zulauf erfährt. Soziale Bewegungen und Organisationen für marginalisierte Sektoren haben sich aktiv mobilisiert, um die Wahlkämpfe von Leni Robredo und Leody de Guzman zu unterstützen. Eine Robredo-Präsidentschaft wäre sicherlich auch stürmisch gewesen, hätte aber einzigartige Chancen geboten, um die Menschenrechte und die Demokratie, aber auch die Klimagerechtigkeit voranzubringen.

Robredo hat ihren Wahlkampf als «Volkswahlkampf» bezeichnet, weil sie in der Lage war, eine sehr große Zahl von Menschen zu versammeln, im Durchschnitt mindestens 75.000 in Städten auf den ganzen Philippinen. Sie hat eine erstaunlich breite Koalition demokratischer Kräfte gebildet, von sehr progressiven und aktivistischen Organisationen über eher konservative Unternehmensverbände bis hin zu Persönlichkeiten aus Polizei und Militär. Dabei wurden Strategien von lokalen politischen Parteien und Organisationen der Zivilgesellschaft eingesetzt, um die Wähler*innenbasis zu vergrößern. Diese Bemühungen gewannen in nur wenigen Monaten an Fahrt und sind ein gänzlich neues Phänomen angesichts der demobilisierenden Wirkung der Duterte-Politik auf die Zivilgesellschaft.

Mit der Aussicht auf weitere Einschränkungen demokratischer Räume könnten sich diese Kräfte zu einem breiten Oppositionsbündnis gegen Marcos Jr. Zusammenschließen.. Die Unterstützung für die Klimabewegung könnte damit wachsen. Robredos große Veranstaltungen und die Erfolge von de Guzman und Bello zeigen bereits jetzt, wie die Opposition aussehen kann, wenn sich Marcos Jr. als so schlimm oder sogar schlimmer erweist als erwartet.

Für die Klimabewegung wäre es zweifellos besser gewesen, wenn Robredo gewonnen hätte. Aber auch ein Marcos-Sieg bietet Chancen, wenn sich die Kräfte hinter Robredo und de Guzman gegen die neue Regierung zusammenschließen.

Übersetzung von André Hansen für Gegensatz Translation Collective